Am Literaturkamin

 In FEATURED, Holdger Platta, Kultur, Poesie

Um Literatur geht es in zweierlei Hinsicht in Holdger Plattas neuem (kürzeren) Gedichtzyklus, den wir nach dem Abschluss von “Kastanien, ihr rasendes Blühen” ab jetzt jede Woche hier veröffentlichen: Literarisch sind seine Gedichte selbst, und um Literatur geht es auch inhaltlich, wenn der Autor umschreibend, assoziierend seine ganz persönlichen Leseerlebnisse verarbeitet. Von den Autoren, die dabei als Vorlage gedient haben, nennt er jeweils nur die Initialen (siehe Gedicht “Das Weihnachtszimmer” direkt unter diesem Beitrag). Das Lyrik-Vergnügen wird so auch zu einer Art Ratespiel. Gern können LeserInnen ihre Tipps in der Kommentarspalte abgeben. Wir veröffentlichen die Lösung dann jeweils eine Woche später. Zunächst aber einleitende Worte des Autors. (Holdger Platta)

Bitte näherzutreten!

Was wird man lesen auf den folgenden Seiten? – Nun, vieles, was ich selber gelesen habe in meinem Leben. Nein, genauer: was es in mir ausgelöst hat, dieses Lesen, und wozu es mich anzustiften vermochte.

Ich verrate hier keine Namen – erst am Schluss sage ich etwas zu diesem Nichtverraten -, aber den einen oder anderen Anlass schildere ich gern. Da gab es zum Beispiel – ich steckte heftig in der Mitte meiner Kindheit, war also zehn, acht oder zwölf Jahre alt – diese Detektivgeschichten. Das waren Kinderkriminalromane, die aus mir einen Lesesüchtigen machten, einen Abenteuerkranken, der nicht mehr imstande war, rechtzeitig die Kohlen aus dem Keller zu holen.

Oder da gab es dieses Spiel mit den vielerlei Stimmen, Ende 1954. Wir saßen in der abendlichen Wohnküche beisammen, meine Eltern, mein Bruder und ich, als das Radio, ganz oben auf dem Schrank, dunkelgebeizt zu flüstern begann, ein Riesenpläster mit vier Lautsprechern, das auf den Namen „Fidelio“ hörte und ein magisches Auge besaß. Anfangen, wo es anfängt… Ich verstand noch fast gar nichts, aber das Hörspiel zog mich hinüber in eine andere Welt, und plötzlich schaukelten Möwen über meinem Kopf. Welch grandiose Wahllosigkeit meines Begeistertseins damals!

Oder dieser Jahrhundertsommer 2003, August, Sybille und ich in Berlin: da zog ich in einem fremden vornehmen Haus in der vornehmen fremden Wohnzimmeraugustabendhitze drei wunderschön blaugebundene Bücher aus dem Regal und entdeckte einen Lyriker wieder, den ich fast vergessen und bislang also nie wirklich entdeckt hatte. Da las ich mich also hinein in die wehmütige Ironie einer Epoche, erstmalig wirklich gepackt von diesen G-dichten mit dem berlinischen Sound, las mich hinein in den spöttischen Widerspruch, mit dem dieser Schriftsteller allem gegenübergetreten war (stimmt: nur die Mutter hat er stets ausgenommen von seinem Widerspruch und – fast immer – von seinem Spott!).

Diese Leseerlebnisse weckten bei mir schon als Kind den Nachahmungstrieb, das Verlangen, alles selber nachzubeschwören, was diese Bücher in mir beschworen hatten: dieses Gespanntsein und dieses Gebanntsein, dieses ganz andere In-der-Welt-Sein und Aus-der-Welt-Sein.

So sind sie also entstanden, die Nachschreibereien auf den folgenden Seiten: als Nachbuchstabieren der eigenen Lesebegeisterungen von einst und jetzt, entstanden als das, was unsere brave Hochschulgermanistik mit den obligaten Fremdwörtern belegt und ergo Pasticchio nennt oder Kontrafaktur, Parodie oder Imitation. Kurz, als selbstironische Nachimaginationen dessen, was mich selber einst so gefesselt hat und zumeist auch heute noch fesselt. Ein Vergnügen war bei diesem Nach-Schreiben immer im Spiel – und damit auch Spiel im Spiel! Ernst war dabei und – jawohl – immer auch Liebe: unwiderstehliche Zuneigung zu diesen Büchern aus aller Welt.

Und wieso ich hier keine Namen verrate? – Nun, um den Leser nicht um sein Ratevergnügen zu bringen! Vermute der Leser also selber drauflos, welcher Autor oder welche Autorin, welcher Roman oder welcher sonstige Text wohl jeweils gemeint sein könnte auf den folgenden Seiten mit dem jeweiligen Gedicht! Kleine Hilfen bieten die Erinnerungskürzel  über den Gedichten. Und ganz am Ende findet man die Auflösung der Rätsel. Wenn es denn Rätsel geblieben sind.

Und nun bitte ich näherzutreten und Platz zu nehmen: am Literaturkamin …

 

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