Ausflüge in die Poesie (4)

 In Allgemein, Holdger Platta, Poesie

holdgerfahrradOh Haupt voll Blut und Wunden (Holdger Platta)

An einem düsteren Adventsnachmittag des Jahres zweitausenddrei
erblickt ein kleiner beleibter Herr, der gerade beim Friseur sitzt,
in dessen Laden mit der sanften Klinge aus Messing,
plötzlich einen Dorfplatz im Spiegel vor sich, verwirrt
von einem immer heftiger jagenden Schneefall hinter der eigenen Stirn.
Und während sein Haar an den Gartenzäunen im Spiegel
mit zarter Bewegung zur Erde schwebt und in dem Dezemberdorf
zwischen Augenbrauen und Hinterkopf soeben ein Postbote
seine torkelnden Gänge beginnt, pausbäckig beladen mit Paketen und Briefen,
tapfer am schweren Genever entlang,
schneidet ihm der Friseur, ein feiner Mensch mit blitzenden Kämmchen,
zur Rechten und Linken die Ohren ab und sagt ihm in bestem Deutsch:

„Verzeihen Sie, werter Herr!“
Und dann holt der höfliche Coiffeur einen Seifenkarton
aus seinem Büro und zeigt dem Kunden mit dem Dorfwinter
im Kopf die blutige Beute des letzten Kalenderjahrs.
„Es ist für die Kirchenmission!“ flüstert er
dem Sitzenden zu, und der kleine beleibte Herr, der gerade den Postboten
an der Bäckerei hinten im Schläfengestöber verschwinden sieht,
gibt als Spende noch einen Geldschein hinzu,
denn er ist ein guter Mensch, mit ganz warmen Händen zur Weihnachtszeit,
und dankbar dafür, dass er nun keine Ohrenschützer mehr braucht
gegen die Kälte des Lebens draußen vor dem Friseurgeschäft
mit der sanften Klingel aus Messing.

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