Die antastbare Würde – »Bhakti-Bünde« praktizieren selbstloses Dienen als spirituellen Weg

 In Kurzgeschichte/Satire, Roland Rottenfußer

»Basierend auf wahren Ereignissen« heißt es im Abspann einiger Filme. Diese Geschichte ist nicht real, aber wahr; eine Satire, aber ernst. In Teilen der spirituellen »Szene« hat man sich das Auslöschen des Ego auf die Fahnen geschrieben, vermischt kommerzielle Interessen mit einem »Lehrangebot«, Sadismus und Demütigung mit Ideen von »spirituellem Wachstum«. Anstatt aber pauschal mit dem Finger auf »die Spiritualität« zu zeigen, sollten wir sehen, dass Sektenstrukturen von Unterwerfung, Gehirnwäsche und Ausbeutung auch anderswo gang und gäbe sind. (Roland Rottenfußer)

Paramahansa F. Gump ist ein Sklave – im Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts. Neben seinem (bezahlten) Job als Sachbearbeiter in einer Kapitalanlagegesellschaft schuftet er nach Feierabend und an den Wochenenden im Haushalt seines »Herren«. Er putzt dessen Schuhe, säubert die Toiletten, leert die Mülleimer aus, bügelt die Hemden, erledigt kleine Botengänge und Reparaturen im Haushalt. Erst wenn sein »Herr« ihn entlässt, ist für ihn selbst Feierabend – und zu Hause wartet dann oft noch der eigene Mülleimer. Lohn? Fehlanzeige! Aufbegehren gegen sein Los? Undenkbar, denn Paramahansa F. Gump ist Mitglied eines sogenannten »Bhakti-Bundes«, einer spirituellen Vereinigung, in der »unbedingter Gehorsam« den höchsten Wert darstellt.

»Bhakti« ist ein Begriff aus der Yoga-Philosophie und bedeutet »tätige Hingabe«, und dazu haben die Mitglieder der Bhakti-Bünde, die derzeit in verschiedenen Städten wie Pilze aus dem Boden schießen, reichlich Gelegenheit. Weithin Aufsehen erregte die stetig anwachsende Bewegung der Bhakti-Bünde durch Presseberichte, wonach der Gründer der Bewegung, Swami Yogi Mahabasmati, wochenlang vom Verfassungsschutz observiert worden sei. Mahabasmati hatte den Artikel 1 des deutschen Grundgesetztes – »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – als »größten Stolperstein auf dem Weg zur Erleuchtung« bezeichnet, der »aus den Köpfen der Deutschen ausradiert werden« müsse. Dem Guru, dessen Anhängerschar auf weltweit 12.000 geschätzt wird, wird außerdem von der Presse vorgeworfen, über 300 »Sklaven«, eine eigene Hamburger-Fastfood-Kette und 17 Luxus-Yachten, verteilt auf Häfen in vier Kontinenten, zu verfügen – alles bezahlt aus »Spenden« seiner Anhänger.

Bei den »Bhakti-Bünden« handelt es sich um Hierarchien mit der Struktur einer Pyramide. An der Basis das Heer der Sklaven, die wie Paramahansa F. Gump mit bedingungsloser Hingabe dienen müssen. Wer mindestens ein Jahr gedient hat, kann zum »Herren« aufsteigen und ist berechtigt, selbst einen Sklaven zu halten. Wer es gar zum »Meister« gebracht hat, kann sich gar einen ganzen Hausstand von drei bis zehn Sklaven leisten. An der Spitze der Pyramide, unmittelbar unter dem Großmeister Mahabasmati selbst, stehen die »Lehrer«. Sie sind berechtigt, in den Sklaven- und Herren-Supervisionsgruppen Unterweisungen zu geben, also den spirituellen Gehalt der Bhakti-Bünde zu bewahren und weiterzugeben. Bereits die Beförderung zum »Herren« ist allerdings nicht ganz einfach zu bewerkstelligen, denn jeder Sklave muss mindestens vier Neumitglieder wiederum als »Sklaven« rekrutieren, wovon der erste dem »Lehrer«, der zweite dem »Meister«, der dritte seinem direkten Vorgesetzten (»Herrn«) zugeteilt wird. Erst den vierten Sklaven darf er für seine eigenen Bedürfnisse einsetzen.

»Kritik an den Bhakti-Bünden kommt eigenartigerweise nur von Leuten, die nie in einem solchen gewesen sind«, erklärt uns Paramahansa F. Gump beim Interview. »Meist wird uns vorgeworfen, dass wir uns nur deshalb als Sklaven verdingen, weil wir hoffen, später als Herren und Meister unumschränkte Macht zu erlangen. Wer so denkt, projiziert offensichtlich seine eigenen sadistischen Anwandlungen und verkennt das das hohe spirituelle Ethos der Bhakti-Bünde. Es geht darum, dass wir jene gesellschaftlichen Programmierungen aufbrechen, die uns gelehrt haben, dass wir für jede Leistung eine entsprechende Gegenleistung ‘verdienen’. Solche gedanklichen Konzepte kommen allein aus dem Ego. Sie implizieren, dass ‘Ich’ ein vom anderen ‘Ich’ (meines Herren) getrenntes Wesen sei. Aber nur wenn wir unser Ego töten, können wir in das unbegrenzte Selbst, das wir im Innersten sind, hinein geboren werden. Erfahrene Sklaven sprechen von dem unvergleichlichen Frieden, der eintritt, wenn jeglicher Widerstand gebrochen ist und man sich zur bedingungslosen Bejahung von Allem, wirklich von Allem durchgerungen hat, was der Herr über einen verfügt.«

»Besteht überhaupt die Chance, zum ‘Herren’ oder gar zum ‘Meister’ aufzurücken?«, werfe ich ein »Je mehr Personen an einem Bhakti-Bund beteiligt sind, desto schwerer wird es doch, immer Neue zu rekrutieren.« »Ja, der Vorwurf, dass wir nach dem Prinzip betrügerischer Schneeball-Systeme arbeiten, ist uns zu Genüge bekannt«, erwidert Gump routiniert. »Er wird aber durch häufige Wiederholung nicht zutreffender.« Und er fügt hinzu: »Ich weiß, dass die Möglichkeit besteht, dass ich nie etwas anderes sein werde als ein Sklave, so viel Intelligenz dürfen Sie mir ruhig zutrauen. Aber selbst wenn dem so wäre, würde ich mich von meinem Herren, der mich für den Zirkel angeworben hat, keinesfalls betrogen fühlen. Die gesammelten Erfahrungen und das Erlebnis von Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, das ich in den Sklaven-Supervisionsgruppen erlebt habe, wiegen meinen bisher geleisteten Arbeitseinsatz um ein Vielfaches auf.«

Und was geschieht in diesen Supervisionsgruppen? »Mein Supervisor hat mir klar gemacht, dass ich in meinem Leben bisher zu wenig gegeben habe, dass ich meine Energien aufgrund einer frühkindlichen analen Störung gehortet habe, anstatt sie freigiebig an andere weiterfließen zu lassen. Wer aber dem Universum nichts gibt, dem wird auch nicht gegeben werden. Wir ernten nur, was wir säen. Kein Wunder, dass ich mich oft zu kurz gekommen, zu wenig geliebt fühle. Erst die vollkommene Hingabe an meinen Dienst hat mich aus meiner Isolation befreit.«

Gump zeigt sich verwundert darüber, dass sich gerade die Menschen des christlichen Kulturkreises, die mit Sprüchen wie »Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden« oder »Geben ist seliger denn Nehmen« aufgewachsen sind, offenbar »unendlich schwer tun mit so einfachen traditionellen Werten wie Dienen oder Demut. Das Abendland dient schon längst nicht mehr dem Christus, auf den es sich beruft, sondern Ihm, dem Versucher in der Wüste. Mit seiner ökonomischen Ideologie, der zufolge durch das egoistische Gewinnstreben aller Mitglieder einer Gesellschaft die bestmöglichen Ergebnisse erzielt werden, hat der Antichrist unsere Köpfe und Herzen vergiftet. Nur in der indischen Tradition des Meister-Schüler-Verhältnisses finden wir noch ein ehrwürdige Tradition tätiger Hingabe.«

Die Äußerungen seines Meisters Swami Yogi Mahabasmati über die Würde des Menschen, werden nach Aussage Gumps meist »in denunzierender Absicht aus dem Zusammenhang gerissen«. Mahabasmati habe erklärt, dass er keineswegs Gewalt und Folter befürworte. Er verstehe das Wort von der »Würde des Menschen« lediglich als »dummen Stolz des auf der Illusion seiner Getrenntheit beharrenden Egos« und insofern als »spirituell unreif«. Körperliche Züchtigungen von Sklaven in den Bhakti-Bünden seien von der Presse aufgebausch worden und kämen nur in Ausnahmefällen vor. Jeder Sklave habe schließlich die Möglichkeit, Bestrafungen seitens seines Herren durch bedingungslosen Gehorsam zu vermeiden. »Wenn mir mein Herr einen Fusstritt gibt«, erklärt Gump, »wie es erst zwei oder drei mal vorgekommen ist, erteilt er mir damit zunächst einmal eine Lektion über meine falsche Identifikation mit meinem materiellen Körper und seinen Nervenimpulsen. Außerdem macht er mir bewusst, dass bei mir noch immer Anhaftung an die Konzepte des mind bezüglich Stolz und Selbstwert besteht, die es auszumerzen gilt. Denn Selbst-Wert bedeutet eigentlich nichts anderes als Ego-Wert«. Offensichlich, um meiner Frage nach den blutigen Striemen auf seinem Handrücken und an seinen Schläfen zuvorzukommen, fügt Paramahansa F. Gump hinzu, die habe er sich beim Durchqueren von dichtem Gestrüpp im Garten seines Herren zugezogen.

Auch die Vorwürfe, sein Meister bereichere sich auf Kosten seiner Anhänger, wies Gump energisch zurück. Mahabasmati sei über jegliche Anhaftung an materiellen Besitz erhaben. Er spiele lediglich in provokativer Weise mit »Versatzstücken eines unkorrekten Verhaltens« und löse dadurch bei Anhängern und Gegnern einen »Amoklauf projektiver Vorwürfe« aus. Dadurch erteile er den Menschen eine »Lektion bezüglich überholter Konzepte darüber, wie sich ein ‘anständiger’ erleuchteter Meister zu verhalten habe.« Ein Meister, so das Vorurteil, müsse in Armut leben, dürfe kein Fleisch essen, müsse stets bescheiden und sanftmütig auftreten. In Wahrheit, so Gump, könne ein Erleuchteter »reich sein oder arm, gütig oder grausam. Er steht über den Gegensätzen. Der Meister IST einfach, spirituell weniger Fortgeschrittene stülpen seinem So-Sein jedoch ihre dem Denken in dualen Kategorien verhafteten Urteile über.«

»Wir sollten doch endlich aufhören, zu heucheln«, ermahnt mich Gump zum Abschluss unseres Gesprächs. »Wer mit dem Finger auf die Bhakti-Kreise zeigt, sollte sich klar machen, dass fast alle gesellschaftlichen Systeme so funktionieren. Die, die neu ins System kommen, müssen die Regeln derer, die schon länger dabei sind, bedingungslos akzeptieren. Sie müssen erst mal dienen – als Praktikanten, Lehrlinge, Ärzte in Praktikum usw. –, mit oftmals lächerlich geringem Lohn. Sie schlucken ihren Unmut über das System jedoch herunter, in der Hoffnung, später selbst nach oben aufrücken und anderen die Regeln vorgeben zu können. Anderswo vollziehen sich diese Vorgänge ebenso, nur ohne das hohe spirituelle Ethos und das Prinzip der Freiwilligkeit, das die Bhakti-Bünde auszeichnet.«

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