Die Explosion des Kapitals

 In FEATURED, Wirtschaft

In der Medizin nennt man es Krebs, in der herrschenden Wirtschaftstheorie ökonomische Vernunft: dauerhaftes, grenzenloses Wachstum, bei dem sich auch die Wachstumsrate mit der Zeit erhöht. Kein lebendiger Organismus, kein Ökoystem hält das aus. Wer über Wachstumswahn spricht, muss auch über Angebotsökonomie reden, die seit den späten 70ern vorherrschende und höchst einseitige Wirtschaftsideologie. Ihr Credo lautet: so viel produzieren wie möglich, und wenn es die Leute eigentlich nicht brauchen, wird es ihnen eben aufgedrängt. (Hans Oette, Auszug aus seinem Buch “Im Licht der Geldströme”, Verrai Verlag)

Die folgende kurze Geschichte eines Cents, der sich unaufhörlich vermehrt, soll uns zeigen, wie tüchtig Kapital wachsen kann, aber auch, wie es zu einer Bedrohung werden kann.

Hätte jemand vor 2000 Jahren auf einer Bank nur einen Cent (1/100 Euro) einbezahlt, und dieser Cent hätte sich seither jährlich real mit drei Prozent verzinst, hätte sich ein unvorstellbares Kapital angehäuft. Wie man ausrechnen kann, hätte sich das Guthaben jährlich um den Faktor 1,03 vergrößert und somit etwa alle 23 ½ Jahre verdoppelt. Etwa alle 235 Jahre hätte es sich vertausendfacht. Heute würde somit das Guthaben etwas mehr als 4,7 mal 10 hoch 23 Euro betragen. In herkömmlicher Schreibweise ist das die Zahl 47 mit 22 Nullen oder 470 Trilliarden.

Würde man den Betrag in Produktionsmitteln anlegen, könnte damit das gesamte Festland der Erde mit Bürotürmen mit 2 Millionen Etagen oder mit ähnlich hohen Fabrikhallen überbaut werden. Alles würde in den Krallen dieses Riesenkapitals verdorren.

Ermöglicht man dem heute vorhandenen schon gewaltigen Kapital eine ungebremste Vermehrung, droht der Erde und ihren Bewohnern ein ähnliches Schicksal. Es gilt ja als vorbildlich, wenn z.B. DAX-Unternehmen hohe Renditen erzielen, am besten im zweistelligen Bereich. Papst Franziskus mahnte: „Diese Wirtschaft tötet“.

Wir sehen: Die Kapitalbildung ist am Anfang nützlich, weil sie Fortschritt und Wohlstand ermöglicht. Läuft sie aber so weiter, wächst das Kapital wie eine Exponentialfunktion und ist vergleichbar mit der Kettenreaktion bei der Explosion einer Atombombe oder der lawinenartigen Vermehrung von Bakterien. Diese kann zum Tod eines Menschen oder als Seuche zum Tod vieler Menschen führen. Gestoppt werden können schädliche Bakterien durch den Mangel an Nahrung, durch unser Immunsystem oder durch Medikamente.
Laut dem Memorandum 2016 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik [13] “wird mit dem Investorenschutz in den Freihandelsabkommen faktisch so etwas wie ein Grundrecht auf Rendite geschaffen”. Dafür werden die Rechte des Staates, der Umweltverbände und der Bevölkerung beschnitten. Mit der Fortführung der Kette Gewinne, Investitionen, mehr Konsum, neue Gewinne, neue Investitionen, erneut mehr Konsum wird ein Turm immer höher gebaut. Um ihn am Einstürzen zu hindern, muss sich die Politik immer mehr zum Büttel der Wirtschaft machen.

Kapital- und Wirtschaftswachstum gehen in einer Marktwirtschaft ungefähr Hand in Hand. Neben quantitativem gibt es zwar auch qualitatives Wirtschaftswachstum, das mit wenig oder null Verbrauch von Land und Rohstoffen auskommt, wenn das Recycling klappt. Dadurch ist ein gewisses Wirtschaftswachstum auch langfristig möglich, ohne Schaden anzurichten. Doch es kann seiner Natur gemäß nur bescheiden sein, also niemals die Basis eines explosiven Wachstums des Kapitals sein.

Der Konsum, der neben den Investitionen für Absatz sorgt, lässt sich nicht immer mehr ausweiten. Er ist die Engstelle für die gewaltigen Produktionskapazitäten. In Industrieländern wird der Absatz durch den Exportüberschuss ausgedehnt. Durch die Globalisierung kann man in die fernsten Länder exportieren. Doch Exportüberschuss schafft Verschuldung der importierenden Länder, und die lässt sich nicht ewig steigern. Denn es droht dann immer mehr der Staatsbankrott dieser Länder, und es müssen immer mehr Kniffe erfunden werden, um das Platzen der “Blase” und damit den Ausbruch einer Krise zu verhindern.

Wachstum sehen wir überall in der Natur. Aber wir sehen dort auch, dass das Wachsen irgendwann zu Ende ist, etwa bei den Bäumen. In der Vergangenheit nahm die Wirtschaft häufig Fahrt auf, fiel zurück durch eine Krise, nahm wieder Fahrt auf, lief wieder in eine Krise usw. Krisen bringen Leid und Elend für Viele, und ein Teil des Kapitals wird dabei “verbrannt”. Besser ist es, der Staat bändigt die explodieren wollende Wirtschaft, damit die Wirtschaft dem Menschen dient und ihn nicht bedroht.

Angebotsökonomik und Keynesianismus

Wird die Produktion Y, also das Bruttoinlandsprodukt BIP, durch die Nachfrage oder durch das Angebot bestimmt? Wenn Sie meinen, Sie bestimmen die Menge der produzierten Güter durch die Höhe ihrer Ausgaben, also durch Ihre Nachfrage, sind Sie Keynesianer oder Keynesianerin. Sie haben dann aber die Angebotsökonomen und Monetaristen gegen sich. Man kann die Angebotsökonomik als eher liberal, die Nachfrageökonomik als eher sozial bezeichnen. Vereinfacht kann man die Theorien so darstellen:

Angebotsökonomik (Monetarismus) und Keynesianismus (Nachfrageökonomik), vereinfacht

Angebotsökonomik: Es wird so viel produziert, wie der Produktionsapparat und die Menge an Arbeitskräften zulassen.

Begründung: Die Leute kaufen immer alles, was da ist. Denn wird z.B. doppelt so viel produziert, wird auch doppelt so viel Geld verdient und doppelt so viel gekauft. Bleibt doch ein Rest übrig, kann er verschenkt oder vernichtet werden. Der Produktionsapparat ist also immer ausgelastet und bestimmt damit die Menge der Güter, die produziert werden.

Nachfrageökonomik
: Es wird so viel produziert, wie die Leute kaufen wollen oder können.

Begründung: Die Unternehmen versuchen, nur so viel zu produzieren, wie sie verkaufen können. Denn was darüber hinausgeht, bringt ihnen einen Verlust oder schmälert den Gewinn. Die Verbraucher geben nicht unbedingt ihr ganzes Einkommen wieder aus, sondern sparen einen Teil davon. Die Ersparnisse können zwar zu Investitionen werden, wodurch neue Produktionskapazität entsteht. Das geschieht aber nur so weit, wie neue Produktionskapazität Aussicht hat, ausgelastet zu sein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten in den westlichen Marktwirtschaften zunächst keynesianische Konzepte, d.h. eine eher nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Da die Konjunktur- und Wachstumseffekte schwächer waren, als erwartet, gewann die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in den 1970er Jahren an Bedeutung. Die bekanntesten Beispiele sind die USA (Reaganomics) und Großbritannien (Thatcherismus). Doch auch sie brachten keine befriedigenden Ergebnisse.

Die Angebotsökonomik trifft zu, wenn die Güter knapp sind, etwa nach einem Krieg, wenn Teile des Produktionsapparats zerstört sind. Da können wir nicht soviel kaufen, wie wir wollen. Heute ist aber anzunehmen, dass sich die Produktion der Nachfrage anpasst. Hier die Darstellung der Angebotsökonomik im Wirtschaftslexikon von Gabler [10], etwas verkürzt:

“Unter Angebotsökonomik versteht man ökonomische Lehrmeinungen, die die Bedeutung der Angebotsseite für das Wachstum und den Wohlstand einer Volkswirtschaft betonen. Vertreter der Angebotsökonomik befürworten daher wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die Angebotsbedingungen verbessern, insbesondere die Zurückdrängung staatlicher Regulierung von den Märkten. Damit steht die Angebotsökonomik in deutlichem Gegensatz zur Betonung der Nachfrageseite im Keynesianismus. Unter Angebotsökonomik im engeren Sinn versteht man die ökonomische Lehre, die ausschließlich auf die Angebotsseite setzt. Dahinter steht der Glaube an das Saysche Theorem, wonach sich jedes Angebot stets seine eigene Nachfrage schafft, sodass letztlich das Güterangebot die Umsätze eines Marktes bestimmt. Die Angebotsökonomen befürworten folgende Maßnahmen:

a) Steuersatzsenkungen. Sie würden starke Leistungsanreize schaffen, die zu einem höheren Wachstum führen, sodass das Steueraufkommen trotz rückläufiger Steuersätze zunimmt.

b) Reduzierung der Staatsausgaben und Zurückhaltung des Staates, um der privaten Initiative und den Marktkräften mehr Spielraum zu verschaffen. Staatsausgaben und Steuern wirken Leistungshemmend und demotivierend.

c) Budgetausgleich (also Ausgaben = Einnahmen des Staates) auf niedrigem Niveau. Staatliche Kreditaufnahme verdränge in genau gleichem Umfang private Kreditnachfrage vom Kapitalmarkt.

d) Deregulierung, also Abbau der Sozial-, Umverteilungs-, Umweltschutz- und Wettbewerbspolitik. Dadurch sollen die Marktkräfte entfesselt werden. Staatliche Interventionen stellen Marktunvoll-kommenheiten dar, die den Marktmechanismus stören.

Aufgrund der Maßnahmen ergeben sich nach Ansicht der Angebotsökonomik zunächst Gewinnerhöhungen, die zu größerer Produktivität und höherem Wachstum, schließlich aber auch zu steigenden Löhnen führen. Eine ungleichmäßigere Einkommensverteilung wird als Voraussetzung eines höheren Gesamtwohlstands angesehen. Nebenbei löst der Wachstumsschub auch das Inflationsproblem, weil es vorübergehend zu einem Überschussangebot und damit zu einem Druck auf die Preise kommt.

Kritik: Die Auffassung, dass sich durch eine Steuersatzsenkung eine Erhöhung des Steueraufkommens erreichen lässt, muss für die derzeit geltenden Steuersysteme zumindest für die kurze und mittlere Frist als widerlegt angesehen werden. Die Hypothesen bezüglich staatlicher Ausgabenkürzungen und staatlicher Kreditaufnahmen sind empirisch unbelegt. Bei den Vorschlägen zur Deregulierung werden einseitig die (unbestreitbar vorhandenen) negativen Wirkungen von Interventionen überbetont, die ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteile (z.B. soziale Stabilität, Umweltschutz) bleiben dagegen unberücksichtigt.

Die Angebotsökonomik hatte großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik in den ersten Jahren der Reagan-Administration (Reaganomics). In Deutschland wurde eine gemäßigte Form der Angebotsökonomik durch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) bis zum Auftreten der jüngsten weltweiten Rezession im Jahre 2007 propagiert.” Soweit das Wirtschaftslexikon von Gabler.

Aus Wikipedia [18] entnehmen wir: “Die Angebotspolitik wird dafür kritisiert, einen Wettlauf um die niedrigsten Standards einzuleiten. Man versucht, die Lohn- und Preissteigerungen unter das Niveau des Produktivitätswachstums zu drücken. Das führt zu einer Nachfrageschwäche. Daher versucht jedes einzelne Land, über eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnzu-rückhaltung Exportüberschüsse zu erwirtschaften, um die Arbeitslosigkeit zu vermindern, auf Kosten der anderen Länder, wo dadurch die Nachfrage noch weiter geschwächt und die Arbeitslosigkeit erhöht wird. Das Ergebnis sei eine globale Nachfrageschwäche und ein schwaches Wirtschaftswachstum, das weit unter dem Potentialwachstum liege.”

In den vorhergehenden Kapiteln kamen wir zu etwas anderen Aussagen. Sie lauten etwa, dass in einer gealterten Wirtschaft vorwiegend die soziale Dissoziation das Problem ist. Sie bewirkt, dass die Einen nicht mehr Geld ausgeben wollen, weil sie schon im Überfluss leben, und die Andern nicht mehr Geld ausgeben können. Dazu kam die Frage, ob es mit Investitionen und Wachstum ewig weitergehen sollte. Die Lebensqualität kann nicht nur durch eine Steigerung des Konsums verbessert werden, sondern auch durch eine Verkürzung der Arbeitszeit.

 

Buchtipp: Hans Oette: Im Licht der Geldströme, Verrai Verlag, 274 Seiten, € 15,90

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