Die Krise sind wir

 In Spiritualität, Umwelt/Natur
Bernhard Fricke (links) mit seiner Schafherde auf der "Sonnenarche"

Bernhard Fricke mit seiner Schafherde auf der “Sonnenarche”

Politische Arbeit erschöpft sich häufig buchstäblich im Kampf gegen die Fehler Anderer (etwa der Politiker). Zu wenig wird in den Blick genommen, welchen Anteil der Einzelne an der kollektiven ökologischen Misere hat. Achtsamkeit und ein Gefühl der Verbundenheit mit allem helfen, die richtigen Maßnahmen auch im Alltag zu treffen. Bernhard Fricke, Gründer der Umweltinitiative “David gegen Goliath” spricht von einem “tiefen Verlagen, dies Schöpfung bewahren zu wollen.” Dies schließt politische Aktionen “nach außen” nicht aus, wie sie Fricke oft genug selbst durchgeführt hat. Ergänzt werden sollte Aktivismus aber durch die ehrliche Arbeit an sich selbst. Ausschnitte aus dem Interview von Oliver Bartsch mit Bernhard Fricke über die Verbindung zwischen Politik und Spiritualität. (Erstveröffentlichung in connection Spirit)

Der Weg des Menschen auf dieser Welt, das scheint der Weg der kleinen Schritte gegen Widerstände zu sein, sowohl im Äußeren als auch im Inneren?

Die politische Arbeit, wie ich sie seit Jahrzehnten erlebt und mitgestaltet habe, erschöpft sich nur zu oft im rein Reaktiven. Ob es sich dabei um den Protest gegen ein neues Atomkraftwerk, eine neue Schießanlage oder eine neue Startbahn gehandelt hat, das Muster ist dasselbe: Der Protest formierte sich, aber nur von den Menschen, die sich unmittelbar von der Maßnahme bedroht fühlten, und immer nur solange, bis das Problem vorbei war. Dann kehrte wieder der Alltag ein.
Der Lernprozess der DaGG bestand darin, dass wir uns seit den Protesten gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf (WAA) von dem Symptomatischen hin zum Ganzheitlichen bewegt haben, zu dem, was die Schöpfung bewahrt. Es geht um die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen als Ganzes. Wenn Du weißt, dass Du mit Deinem Protest Teil einer größeren Bewegung bist, die durch gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen untereinander verbunden ist, gibt das viel mehr Kraft und Durchhaltevermögen. Dann ist das nachhaltiger, und die vielen kleinen regionalen Proteste machen mehr Sinn. Unser Davidsweg der kleinen Schritte mit großer Perspektive bedeutet, sich zu fragen: Was haben die Dinge, die wir im Außen tun, mit unserer inneren Grundhaltung zu tun?
Wenn ich gegen die Startbahn West protestiere, aber im gleichen Atemzug einen Billigflieger besteige, dann habe ich immer noch Anteile in mir, die mehr Achtsamkeit bedürfen. Es geht also darum, bei allen Handlungen unsere Wahrnehmung zu schulen. Wann trägt mein Handeln dazu bei, dass Dinge aus dem Gleichgewicht geraten? Wann erlebe ich kleine oder große Missstände, die ich einfach nicht hinnehmen kann? Bei der Besetzung von Bäumen in der Münchner Innenstadt haben wir erreicht, dass für alle gefällten Bäume neue gepflanzt wurden. Mit solchen Aktionen wollen wir Menschen Mut machen, sich für die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen einzusetzen. Wir haben heute bei unseren Protestaktionen den großen Vorteil, dass wir den Schutz einer rechtsstaatlichen Ordnung genießen und nicht um unser Leben fürchten müssen. Der alte Kampfruf der Anti-Atom-Bewegung „lieber aktiv als radioaktiv“ beziehungsweise der Kernsatz unseres Freundes und Ehrenmitglieds Robert Jungk „Widerstand macht gesund“ haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Wir müssen lernen, Sand im Getriebe einer automatisierten Megamaschine zu werden, die dabei ist, uns zu verschlingen.

Inwiefern gehören Politik und Spiritualität zusammen?

Weil unsere heutige Politik auf die globalen Herausforderungen keine Antworten gefunden hat, weil es nicht genügend Politiker gibt, die sich der Erde als Ganzes verpflichtet fühlen. Politik und Spiritualität ist für mich zu einem Lebensthema geworden. Ich habe mich schon in der Schulzeit politisch engagiert, habe die erste Schülervollversammlung organisiert und als Schülervertreter erstmalig an einer Lehrerkonferenz teilgenommen und damit in unserer Schule eine kleine Kulturrevolution ausgelöst. In meiner Studentenzeit habe ich ausgedehnte Reisen unternommen und auch in einem Kibbuz am See Genezareth gearbeitet. Danach habe ich als Free Lancer für den Bayerischen Rundfunk, Südwestfunk und den Saarländischen Rundfunk gearbeitet. Ich habe viel von Erhard Eppler gelernt, für den ich tätig war und mit dem ich heute noch befreundet bin. Er prägte unter anderem den Begriff der Welt-Innenpolitik, eine Politik, die die Interessen der Anderen wie die eigenen Interessen beachtet und von Ausgleich und Nachhaltigkeit gekennzeichnet ist. Er verlangte eine Politik, die die Bedürfnisse aller befriedigt, nicht nur die der Industriestaaten.
Dann kam das Schlüsselerlebnis, das einen Wendepunkt in meinem Leben markiert hat: Als 1986 der Atom-Reaktor in Tschernobyl explodierte und eine Katastrophe für die Menschheit auslöste, wurde mir bewusst, dass jeder einzelne Verantwortung für das Ganze hat. Solange der Mensch diese Verantwortung nicht wahrnimmt, steuern wir unweigerlich in die Katastrophe. Ich verstehe es als letzte Warnung, eine grundlegende Kurskorrektur vorzunehmen. Mit meinen Möglichkeiten habe ich versucht, diesen Entwicklungen gegenzusteuern. Ich will mir nicht von nachfolgenden Generationen vorwerfen lassen, nicht nach meinen Erkenntnissen gehandelt zu haben, wie wir es unseren Eltern wegen ihres in der Regel ignoranten Verhaltens in der Nazizeit vorgeworfen haben. Die Politik hat bis jetzt keine Antwort auf die globalen Herausforderungen unserer Zeit geben können, weil es nicht genügend Politiker gibt, die aus einer spirituellen Einstellung heraus handeln. Diese Einstellung beinhaltet die Liebe zur Schöpfung Gottes – egal ob Er Allah, Buddha, Krishna, Manitou oder Jesus genannt wird – und das tiefe Verlangen, diese Schöpfung bewahren zu wollen. Die heutige Politik des reaktiven und perspektivlosen „muddle through“ (des Sich-Durchwurstelns) kann die Überlebensprobleme der Menschheit nicht lösen. Wir brauchen vielmehr Erdpolitiker – so habe ich mich selber einmal bezeichnet –, die für die Erde als Ganzes Verantwortung tragen.

Wie kann man den Kreislauf der kollektiven Gewaltexzesse durchbrechen?

Der von mir sehr geschätzte indische Weisheitslehrer Jiddu Krishnamurti glaubte, dass alle Konflikte Manifestationen unseres inneren Zustandes, unserer Konditionierungen sind: Die Krise sind wir. Neben der Beseitigung äußerer Missstände muss der Mensch parallel an einer Transformation seines Inneren arbeiten. Eine radikale Umwandlung des Bewusstseins mit den Kernfragen „was ist jetzt und was habe ich damit zu tun?“, ist notwendig. Offensichtlich ist der Mensch konditioniert durch Traditionen und Vorurteile von Volk, Rasse, Geschlecht und anderem. Mache ich Frieden mit mir, bringe ich Frieden in die Welt. Die Veränderung kann sich nur in jedem einzelnen Menschen vollziehen. Der Mensch steht auf der Schwelle zum »Homo superior«, er steht vor einem
Bewusstseinssprung zum kosmischen Welt- besser zum Erdbürger, bei dem er seine Konditionierungen transformieren und ein Gefühl der Verbundenheit mit allem Lebendigen entwickeln kann. Der »Homo Superior« fühlt sich angesichts der Größe des Universums klein wie ein Tropfen im Meer; gleichzeitig aber ist er von dem Bewusstsein durchdrungen, dass er ein wesentlicher und unverzichtbarer Teil der Schöpfung Gottes ist, sonst wäre er ja nicht geboren. Der Wandel vollzieht sich in jedem Menschen. Diesen teilweise sehr schwierigen Prozess kann ich auch an mir beobachten. Aber es gibt keine Alternative zu diesem Weg.
Ohne Meditation und Achtsamkeit geht es nicht! In der Meditation werde ich mir der Quelle der Schöpfung, aber auch der Schönheit bewusst, die die Natur uns jeden Tag bietet, und bin dankbar dafür, dass ich sie erleben darf. Nur in der Achtsamkeit kann ich den Samen der Freude in mir heranreifen lassen, der es mir möglich macht, die Schöpfung Gottes zu lieben, zu achten und zu heiligen.

www.davidgegengoliath.de

Empfehlenswertes Buch über “David gegen Goliath”: Anleitung zum Einmischen: 1986-2014: 28 Jahre David gegen Goliath e.V., zu bestellen auf der DaGG-Webseite

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen