Einwendung gegen die Verwarnung Nr. 6014236070673

 In Monika Herz

ParkscheinautomatDie Großstadt ist ein Dschungel, in dem der unbedarft in sie Einfahrende von lauter schwer verständlichen Vorschriften und Strafbarkeiten unzingelt ist. Gar nicht so leicht, ungestraft wieder da herauszukommen, denn der Bürger ist der Feind, jeder ist verdächtig, und warum eine gerechte Steuergesetzgebung schaffen, wenn es viel leichter ist, aus Autofahreren Geld zu ziehen wie aus Automaten? Monika Herz ist das passiert, als sie versuchte, vom Land kommend, in München einen Parkplatz zu finden. Die Abwesenheit unmissverständlicher Hinweise auf das Verbotene und Erlaubte schützen dort noch lange nicht vor Strafe, wie sie feststellen musste. Doch sie ließ es nicht auf sich bewenden und schrieb an die Verkehrsüberwachungsbehörde …

Sehr geehrte Damen und Herren von der Verkehrsüberwachung,

am vergangenen Freitag, dem 13. – nach alter mystischer Lehre ein Tag des Glücks – war ich mit meinem Partner in einer außerordentlichen Mission abends im Glockenbachviertel unterwegs. Es herrschte Vollmond, und wie Sie wahrscheinlich nicht wissen, war dieser Tag nicht nur für die Gruppe von Muslimen und Christen, die sich zum interreligiösen Austausch getroffen hatten, von besonderer Bedeutung, sondern auch für die tibetischen Buddhisten, die genau an jenem Tag das große Fest Saga Dawa feiern. Die Geburt, die Erleuchtung und der Tod des Buddha. Alles zusammen! Stellen Sie sich das mal vor!

Unsere Sufi-Gruppe war mit einer Abordnung der Katholischen Hochschulgemeinde verabredet, und ich hatte ein Gebet vorbereitet, das Raif Badawi stellvertretend für alle politischen und sonstigen unschuldigen Gefangenen die Freiheit bringen soll. Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, von welcher Bedeutung für die allgemeinen Menschenrechte und insbesondere für die Freiheit, das große Ideal, dieses Treffen war.

Raif Badawi ist ein junger Mann, 32 Jahre, verheiratet und Vater von drei Kindern, der in Saudi-Arabien zu 10 Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben und 200.000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde. Sein Vergehen: Er hatte eine internet-Gemeinschaft gegründet, in welcher die Allgemeinen Menschenrechte, die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen diskutiert worden sind. Raif Badawi wurde zunächst zu „nur“ 6 Jahren Haft und 600 Peitschenhieben verurteilt. Er machte Einwendungen geltend, daraufhin wurde das Strafmaß ohne weitere Begründung erhöht. Raif Badawi muss unbedingt befreit werden, das werden Sie sicher nachvollziehen können. Da mir außer Beten und Briefe-Schreiben keine Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Freiheit Raif Badawis zu bewirken, tue ich, was ich eben kann. Ich bete und schreibe Briefe.

Das war die Einleitung zu meiner Einwendung gegen die Verwarnung mit der Nummer 6014236070673.

Ich setzte mich also an jenem Freitag, dem 13. mit meinem Auto in Bewegung, um im Glockenbachviertel zusammen mit VertreterInnen der Katholischen Hochschulgemeinde und mit meiner Sufi-Gruppe für die Freiheit zu beten. Sufis sind ein islamischer Orden, Mystiker und Mystikerinnen, falls Sie nicht wissen, wovon ich spreche. In der Holzstrasse, wo das Treffen stattfand, gab es mehrere freie Parkplätze. Ich freute mich und parkte das Auto unter größeren Mühen in eine Lücke, stieg aus und musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass ein Schild mich darauf hinwies, dass an dieser Stelle ab 18 Uhr nur Anwohnern mit entsprechendem Parkausweis das Parken gestattet sei. Ich parkte also unter Mühen aus der engen Lücke wieder heraus, nahm einen anderen Parkplatz in der Holzstraße, stieg aus und entdeckte erneut ein solches Schild. „Ab 18 Uhr nur mit Parkausweis gestattet“. Ich stieg wieder ein und suchte nach einem Parkplatz, wo ich als Besucherin der Stadt München und Befreierin der politischen Gefangenen vielleicht parken dürfte. Sowohl in der Hans-Sachs-Straße als auch in der Pestalozzi-Straße wäre es möglich gewesen, auch nach 18 h, gegen entsprechendes Entgelt, versteht sich, zu parken. Dort gab es aber keine Parkplätze.

So kam ich schließlich auf meiner Suche in die Kolosseumstraße. Die Kolosseumstraße schien meine Rettung zu sein. Es gab zwei freie Parkplätze und weit und breit kein Schild, das mir verboten hätte, nach 18 h zu parken oder überhaupt zu parken. Ich nahm den erstbesten Parkplatz und konnte es schier nicht glauben. Weil ich mein Glück nicht fassen konnte, fragte ich sogar eine Passantin, offenbar eine Anwohnerin, ob sie mir sagen könne, ob ich hier auch wirklich parken dürfe. Sie sagte, sie wisse es nicht. Es wäre sehr kompliziert. Sie glaube schon. Wir sahen uns gemeinsam nach Schildern um, aber auch die Passantin entdeckte keine Verbots-Schilder. Es gab übrigens auch keine Hinweise, dass man einen Parkschein lösen müsse und auch keinen Parkschein-Automaten weit und breit. Ich schaute in die Ablagen von zwei anderen Autos. Das eine Auto hatte weder Parkausweis noch Parkschein in der Ablage. Das zweite Auto hatte einen Parkausweis. Nun ja, dachte ich, vielleicht wird es stimmen, dass Gäste der Landeshauptstadt, die in wichtiger Mission unterwegs sind, hier einfach parken dürfen. Geschenkt sozusagen. Sicherheitshalber schickte ich ein Gebet zum Himmel, als ich mich aufmachte, um meinen Partner zu treffen, und mein Auto so ganz allein, ohne Parkausweis und ohne Parkschein für wenige Minuten alleine zurück ließ.

Ich traf also meinen Partner und bat ihn, sich die Parksituation ebenfalls gut anzusehen, damit wir ruhigen Gewissens die interreligiösen Gebete zur Gefangenenbefreiung ausüben könnten. Mein Partner entdeckte in der Nebenstraße, der Müllerstraße, ein Schild mit einem Pfeil, das zur Kolosseumstraße hindeutete. Aus dem Schild schien hervorzugehen, dass man doch einen Parkschein lösen müsse und dass das Parken auch nach 18 h erlaubt sei. So lösten wir für viel Geld einen Schein in der Müllerstraße, weil ja wie gesagt in der Kolosseumstraße kein Parkscheinautomat zu finden war. Ich parkte das Auto sogar noch einmal um, damit auf der gegenüberliegenden Seite mögliche Verkehrsteilnehmer besser aus einer Autowerkstatt herausfahren könnten. Sie können aus meiner Schilderung also erkennen, dass ich mich so rücksichtsvoll und so ordnungsgemäß verhalten habe, wie es angesichts der selbst für Anwohner kaum durchschaubaren Kompliziertheit der Rechtslage nur irgendwie möglich ist.

Wir gingen also in die Holzstraße, beteten für die Freiheit der unschuldigen Gefangenen, die von der Religionspolizei verfolgt und bestraft werden und kehrten gegen 22 h zurück zu unserem Auto, um müde den Heimweg anzutreten. Doch, welch eine Überraschung! Mein Partner war völlig perplex: „Schatz, ist das etwa ein Knöllchen?“ Es war ein Knöllchen. Im Vergleich zum Strafmaß in Saudi-Arabien, übrigens Deutschlands bester Waffenkunde, ist das Strafmaß in Deutschland – noch – relativ mild. 15 Euro. Obwohl: Für Hartz IV-Betroffene bedeuten 15 Euro drei Tage nichts zu Essen. Denn das Budget für Ernährung beträgt für sie 150 Euro im Monat, also 5 Euro pro Tag. Ein Hartz IV-Betroffener würde also mit so einem Knöllchen unverhältnismäßig hart bestraft. Haben Sie schon mal 3 Tage unfreiwillig nichts zu Essen gekriegt? Unfreiwillig ist nämlich noch mal anders als freiwillig. In wenigen Worten wurde uns auf dem Knöllchen mitgeteilt, dass wir folgende Ordnungswidrigkeit begangen hätten: „Sie parkten im eingeschränkten Halteverbot mit Zusatzzeichen „Bewohner mit Parkausweis frei“. Wo aber bitte soll sich dieses Halteverbotsschild befunden haben? Weder ich noch mein Partner noch die Anwohnerin haben ein solches Schild sehen können.

Das ist mein Einwand. Laut Belehrung auf der Rückseite des Knöllchens darf ich einen solchen Einwand schriftlich vorbringen. Immerhin. Aber, und jetzt wird’s für mich heikel. Die Behörde entscheidet dann, natürlich ohne weitere Anhörung und ohne Beweisaufnahme, ob die Verwarnung zurückgenommen wird oder ob ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird. Vorsorglich werde ich darauf hingewiesen, dass das Bußgeldverfahren dann mit weiteren Kosten verbunden ist. Die Höhe dieser möglichen weiteren Kosten wird nicht genannt. Ein Hartz IV-Betroffener würde wahrscheinlich eher auf eine Einwendung verzichten, denn dann müsste er noch länger ohne Essen darben. Allerdings hat ein Hartz IV-Betroffener meistens gar kein Auto, das er falsch parken könnte. Nun ja.

Sie könnten einwenden, ich hätte doch mit dem Zug fahren können. Das tue ich auch in der Regel. In der Regel fahre ich sogar überhaupt nirgendwo hin. Schon gar nicht in eine Großstadt. Das ist für mich wie Dschungel. Undurchschaubar und gefährlich. Wenn ich mit dem Zug gefahren wäre, hätte es passieren können, dass ich nicht mehr nach Hause gekommen wäre, weil zur Zeit auf der Strecke willkürlich und ohne Ankündigung ständig Züge ausfallen. Mein Partner stand kürzlich ewig auf dem Hauptbahnhof herum, weil zwei Züge hintereinander einfach nicht fahren wollten, wie sie sollten. Dieses Ärgernis wollten wir umgehen, indem wir das Auto benutzten. Denn womöglich hätten wir die Nacht obdachlos auf dem Bahnhof verbringen müssen. Womöglich hätten wir da dann auch wieder eine Ordnungswidrigkeit begangen. Es ist wirklich sehr kompliziert geworden auf diesem Planeten. Ich bin natürlich froh, dass ich hier in Bayern in relativer Freiheit leben kann. In Saudi-Arabien würde ich für einen solchen Brief vermutlich zu Tode gepeitscht werden.

In Bayern, wo es doch in der Hymne heißt „Gott mit dir, du Land der Bayern“ könnte es eventuell möglich sein, dass Gnade vor Recht ergeht. Das wäre das Höchste: Gnade vor Recht! Können Sie sich das vorstellen? Denn womöglich haben Sie ja Recht. Ich weiß es nicht. Ich meinte halt, ich hätte Recht mit meinem Parkschein, dessen Kopie ich Ihnen vorsorglich mitschicke. Wenn schon nicht „Gnade vor Recht“ gelten soll, würde ich mir wünschen, dass zumindest überprüft wird, ob der Hinweis, dass man in der Kolosseumstraße nicht parken darf, wirklich gut sichtbar ist. Oder ob sich der Ordnungwächter oder die Ordnungswächterin vielleicht doch geirrt hat. Könnte ja auch sein. Wo doch alles so kompliziert geworden ist. Sogar in München, sogar im Glockenbachviertel, wo es doch früher noch so schön einfach gewesen war. Ach, die alten Zeiten … Nein, sie waren auch nicht besser. Nur was das Parken anging, da war es früher einfacher.

So. Und jetzt reichts mir. Schließlich ist heute Sonntag, der Tag des Herrn. Und ich habe nicht ewig Zeit. Sie können sich wahrscheinlich kaum vorstellen, wie viel Zeit es mich gekostet hat, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Von dem ich hoffe, dass er die Gnade Gottes in Ihnen aktiviert. Dazu gehört dann noch: Wie im Kleinen, so im Großen! Wenn Sie also anfangen, im Kleinen Gnade walten zu lassen, dann stehen die Chancen gut, dass es bei uns in Bayern niemals zu solchen Auswüchsen der Gerechtigkeit kommen kann, wie in Saudi-Arabien. Obwohl drei Tage Essens-Entzug für Hartz IV- Betroffene bei Falschparken bereits ein wenig in diese Richtung weist, finde ich.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Monika Herz

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