Faires Arbeiten – was ist das?

 In FEATURED, Roland Rottenfußer, Wirtschaft

Erschöpfung am Arbeitsplatz ist weit verbreitet

Jeder sollte arbeiten (können) – dafür aber weniger Stunden. Zwischen dem „Recht auf Faulheit“ und der Überforderung durch Arbeitszwang wäre ein gesunder Mittelweg wünschenswert. Der Kapitalismus setzt aber lieber auf eine gedemütige Minderheit von Arbeitslosen und eine Mehrheit oft überforderter “Malocher” mit Absturzängsten. (Roland Rottenfußer)

Die Probleme sind bekannt und reichen tief. Mehrarbeit, Stress und Burnout bei „Arbeitsplatzbesitzern“, erzwungene Null-Stunden-Woche bei den Arbeitslosen. Die Diskriminierung und Ausgrenzung der „Überflüssigen“ wächst in dem Maße, wie die Kontrolle des Einzelne über sein Schicksal schrumpft. Wie Sue Dürr, Frau des verstorbenen großen Physikers Hans-Peter Dürr und Attac-Aktivistin, in einem Vortrag darlegte, ist die Produktivität der deutschen Wirtschaft seit 1975 um 25 Prozent gewachsen. Das heißt dieselbe Menge an Waren und Dienstleistungen kann mit drei Viertel der Arbeitskräfte erbracht werden.

Was geschieht also mit den nun nicht mehr benötigten vierten Mann bzw. der vierten Frau? Zunächst mal wird er/sie als Schmarotzer beschimpft. Es wird Arbeitszwang durch Aushungern betrieben. „Eigenverantwortung“ – dieser Begriff steht hoch im Kurs und markiert den Verfall von Solidarität, der Verantwortung füreinander, die eine Gemeinschaft trägt. Wie im Spiel „Reise nach Jerusalem“ bedeutet mehr Anstrengung, einen Stuhl zu ergattern, dass die Rolle des Verlierers auf eine andere Person verschoben wird. Das Problem ist aber eigentlich, dass zu wenig Stühle da sind. Wie schaffen wir es, dass keiner zum Verlierer werden muss?

Die übliche Antwort der etablierten Politik ist „mehr Wachstum“. Dies aber ist eine zweischneidige Sache. Zwar gibt es Bereiche, in denen Wachstum wünschenswert wäre – „Qualitatives Wachstum“ wird das oft genannt: mehr Arbeitskraft für die sozialen Dienste z.B. und bescheidener Luxus für diejenigen, die heute jeden Cent umdrehen müssen. Andererseits belastet Wachstum nicht nur häufig die Umwelt, es ist auch in sich eine sehr zweischneidige Sache. Denn in einer Welt, in der das wirklich Wichtige bereits für sehr viele zugänglich ist, besteht die Gefahr, dass Wachstum hauptsächlich durch das Unnütze und Schädliche generiert wird. Waffen, unnötige Bürokratie und entbehrlicher technischer Schnickschnack zum Beispiel. Mit einem Mehr an Marketing und PR werden die Menschen dann so lange manipuliert, bis sie all jene (unsinnigen) Produkte wollen, die sie wollen sollen.

Sue Dürrs Antwort auf das Dilemma der modernen Arbeit (und die Antwort der Attac-Arbeitsgruppe Arbeit Fair Teilen) heißt: (Weniger) Arbeit für alle. Sie zeichnete bei ihrem Vortrag zwei Grafiken an die Tafel: Grafik 1: Ein innerer Kreis der Arbeitsplatzbesitzer, umgeben von einem äußeren Ring der Ausgegrenzten, der Arbeitslosen. Zwischen beiden Bereichen eine unüberwindliche Mauer. Grafik 2: Kreissegmente symbolisieren den einzelnen Bürger. Der Trennstrich zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit geht aber durch jedes dieser Segmente. Anders gesagt: Jeder ist ein bisschen arbeitslos, aber keiner ist es so richtig. Teilzeit heißt das Zauberwort, und der Vorschlag von attac lautet: die 30-Stunden-Woche als Richtwert. Das würde bedeuten: mehr Zeit für sich, mehr Zeit für Kinder und Familie, mehr Zeit für soziales Engagement. (Kaum jemand während der Veranstaltung traute sich zu sagen, dass es auch mal ganz schön ist, nichts zu tun.)

Solche Vorschläge scheitern leider in der Praxis meist an einer unheiligen Allianz zwischen Arbeitgebern und Arbeitsplatzbesitzern. Letztere fürchten Statusverlust und vor allem weniger Einkommen. Verständlich, denn 30- statt 40-Stunden-Woche – bedeutet dies nicht, auf ein Viertel seines Lohns zu verzichten? Nicht unbedingt. Für Menschen mit hohen Einkommen (z.B. bei kinderlosen Doppelverdienern) sieht die attac-Broschüre „Arbeit Fair Teilen“ tatsächlich in vielen Fällen einen Einkommensverzicht, verbunden mit mehr Freizeit, vor. Geringverdiener und Menschen, die zu Unterhalt verpflichtet sind, könnten jedoch durch Lohnzuschüsse unterstützt werden. Die könnte sich der Staat leisten, wenn er gleichzeitig weniger für die Finanzierung von Arbeitslosigkeit ausgeben müsste, so attac.

Leider ist es um die Solidarität derer, die „drin“ sind (im Boot des Erwerbssystems) mit denen, die draußen sind, nicht gut bestellt. Zu wenige besitzen den Weitblick, die Gesundheit des ganzen Systems im Auge zu behalten. Der Arbeitlose, der Hartz-IV-Empfänger ist kein Angehöriger einer fremden Spezies, es ist gleichsam unser „Schatten“ – das was wir selbst durch eine Wendung unseres Geschicks werden könnten und vielleicht schon bald sind. Das Unglück dieses „Anderen“ dient den Mächtigen als Erpressungspotenzial. Weil ich nicht so werden will wie „der da“, bin ich bereit, jede noch so schlechte Arbeit anzunehmen. Mein Image als dienstbeflissener, unermüdlicher Arbeiter dient zugleich als Vergleichsmaßstab, mit dessen Hilfe der „Andere“ abgewertet werden kann. So lassen wir uns von interessierter Seite permanent sowohl hetzen als auch gegeneinander auf-hetzen. Gelassenheit, ein angstfreies Leben in sozialer Geborgenheit, ein gesunder Ausgleich zwischen Arbeitsfreude und dem Genuss des Müßiggangs – ein solches Lebensgefühl ist heute vom Aussterben bedroht.

Zeigt das attac-Modell also einen Ausweg auf? Die Richtung jedenfalls stimmt, manches ist lediglich in den Veröffentlichungen noch nicht präzise genug ausgearbeitet. Sue Dürr hat in einer ihrer Schaugrafiken ein Dreimaßnahmen-Paket angedeutet: 1. Arbeitszeitverkürzung, 2. Mindestlohn, 3. „Existenzsicherndes, schnüffelfreies Grundeinkommen“ (so wörtlich). Punkt 2 ist wichtig, um vor allem der Gewerkschafts- und Arbeitnehmerseite die Angst vor Punkt 1 und Punkt 3 zu nehmen. Egal, wie jemand seine Existenz sichert, durch hohe Arbeitszeiten, durch Lohnzuschüsse, durch eine Erbe oder ein Bedingungsloses Grundeinkommen – eine zu geringer Stundenlohn ist an sich entwürdigend und unzumutbar. Lohndrücker dürfen sich nicht darauf rausreden können, dass der Betreffende ja auch so irgendwie existieren kann. Schließlich sind es Arbeitende, die jenen Reichtum erwirtschaften, der dann zur Verteilung ansteht und von dem Unternehmer, Manager und Aktienbesitzer oft ein viel zu großes „Stück von Kuchen“ für sich abschneiden.

Die attac-Vordenker zum Thema „Arbeit“ streben mit diesem Modell allerdings keine Zunahme „zufriedener“ (weil gut abgesicherter) Arbeitsloser an. Von manchen Befürwortern des Grundeinkommens wird ja auch eine solche Personengruppe als „zweckdienlich“ begrüßt, weil sich in ihr die Großzügigkeit der Gesellschaft und das unbedingte Recht auf Leben manifestierten. Die Stoßrichtung von attac ist zunächst eine andere: Niemand mehr soll gar nicht arbeiten, dafür alle etwas weniger. Das bedeutet nicht, dass das Recht auf Leben von attac-Protagonisten in Frage gestellt wird, es scheint mir nur, als wolle die Bewegung einen Weg einschlagen, der einer breiten Öffentlichkeit leichter zu vermitteln ist.

Was dabei für mein Gefühl zu kurz kommt, ist die Frage nach dem Sinn der Arbeit (bzw. der durch Arbeit hergestellten Produkte und Dienstleistungen). Sind Arbeitsplätze in der Zigaretten-Industrie immer eine gute Sache, obwohl die dort hergestellten Produkte Tausende von Menschen krank machen? In diese Richtung könnte und müsste sich die Diskussion bei attac m.E. noch ausweiten. Ebenso sollte die Problematik der wachsenden Vermögen und die Zinsdynamik in ihrer vollen Tragweite erkannt werden. Denn „Es ist kein Geld da” bedeutet aus dem Mund von Politikern immer: „Es ist in den Händen von wenigen gebunkert, und wir haben nicht den Mut, deren Privilegien in Frage zu stellen.“ Wir können in den Gruppen noch so viele kreative, ja begeisternde Ideen entwerfen – alles, was Geld kostet (und das ist fast alles), wird am „Finanzierungsvorbehalt“ scheitern. Die Schuldenkrise, die Verarmung der öffentlichen und privaten Haushalte, ist der „strategische Hebel“ (Albrecht Müller), mit dessen Hilfe eine kleine „Elite“ immer mehr Macht über die Gesellschaft ausüb

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