Gesundheit für Alle!

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik (Inland)

Wenn Sie so ein Geschäft betreten (müssen), werden Sie viel Geld da lassen. Die Kasse bezahlt nichts.

Wenn es das deutsche Gesundheitssystem nicht schon gäbe, müsste man es erfinden. Es ist enorm effektiv, da es Arbeitsplätze schafft, die im Grunde gar nicht gebraucht werden (z.B. für gut bezahlte Kassenvorstände), die Arbeitgeber von Zusatzbeiträgen und die Krankenkassen von Leistungen entlastet, die sie normalerweise tragen müssten – z.B. für Brillen und Zahnersatz. V.C. Herz wagt das Gedankenexperiment und nimmt in der ihm eigenen “heimtückisch”-satirischen Art wieder einmal versuchsweise die Position seiner Gegner ein. Ein entlarvendes Lesevergnügen. (V.C. Herz)

„Gestalten Sie ein sinnvolles Gesundheitssystem in einer sozialen Marktwirtschaft“ lese ich auf dem Prüfungsbogen für die mündliche Abschlussprüfung. Was hat sich denn unser Lehrer bei dieser Aufgabe gedacht? Aber was soll’s, das bekomme ich schon hin.

Ich setze mich und schreibe wild meine Gedanken auf ein Blatt Papier. Ich habe zwanzig Minuten Zeit zur Vorbereitung, dann muss ich mein Gesundheitssystem den Prüfern präsentieren.

Die zwanzig Minuten vergehen wie im Flug. Ehe ich mich versehe, stehe ich im Prüfungsraum und einer der Lehrer bittet mich, mein Gesundheitssystem vorzustellen. Also lege ich los.

“Da die Fragestellung auf einen Sozialstaat zielt, ist es natürlich wichtig, dass das Modell den sozialen Gesichtspunkten gerecht wird. Entsprechend habe ich für mein System folgendes entschieden: Alle zahlen prozentual von ihrem Einkommen in das Gesundheitssystem ein. Wer viel verdient, zahlt entsprechend mehr ein, als jemand der wenig verdient – prozentual zahlen aber alle dasselbe. Und das Wichtigste: Es bekommen auch alle dieselbe medizinische Versorgung. Der Manager wird genauso gut versorgt wie die Rentnerin“, beginne ich mit meiner Präsentation.

Die Prüfer nicken vereinzelt. „Damit die Menschen die Kosten nicht ganz alleine tragen müssen, werden die Arbeitgeber verpflichtet, die Beiträge nochmal zu verdoppeln. Somit werden auch die Arbeitgeber an den Gesundheitskosten ihrer Mitarbeiter beteiligt.“

„Klingt logisch“, meint einer der Prüfer.

„Um das System zu optimieren, teile ich die Verwaltung auf. Anstatt einer Krankenkasse, welche für alle dieselben Leistungen erbringt, bilden wir einfach 200 Krankenkassen. Alle mit eigenen Vorständen und Aufsichtsräten, alle mit eigenen IT-Systemen und auch sonst komplett eigenständiger Verwaltung. Und alle diese Kassen bringen dieselbe Leistung, abgesehen von kleinen Zusatzleistungen, welche die Krankenkassen individuell gestalten können. Jeder Versicherte darf sich frei aussuchen, in welcher der Krankenkassen er sich versichern möchte und welche der Zusatzleistungen für ihn wichtig sind.“

„Aber was hat das für einen Vorteil?“, fragt mich einer der Prüfer.

„Dadurch werden ganz viele Arbeitsplätze geschaffen, vor allem für Vorstände!“, erwidere ich. „Außerdem entsteht dann eine Konkurrenz zwischen den Krankenkassen, und diese geben dann Millionen von Euro für Werbung aus, damit Menschen zu ihnen wechseln.“

„Aber wird dann nicht das Geld, das für die Gesundheit der Bevölkerung gedacht war, für sinnlose Werbung ausgegeben?“, gibt einer der Prüfer zu bedenken.

„Ja, ein Teil davon schon. Aber der sorgt für Arbeitsplätze in der Werbebranche. Außerdem gibt man dann den Versicherten das Gefühl, dass sie eine Wahl haben, wie sie ihre Gesundheit absichern können. Dadurch sind diese zufriedener.”

„Clever!“, meint einer der Prüfer.

„Um die Kosten für die Unternehmen nicht zu hoch zu treiben, führen wir noch so genannte Zusatzbeiträge ein. Die sind, abgesehen von ein paar Cent, auch überall für alle Versicherten gleich und prozentual am Einkommen bemessen. Das Besondere daran ist aber, dass sich die Arbeitgeber daran nicht beteiligen müssen. Zusätzlich werden die teuersten Kosten aus der Gesundheitsversorgung stark eingeschränkt, beispielsweise der Zahnersatz. Das muss dann jeder entweder selbst zahlen, oder sich privat dagegen versichern. Das hat den Vorteil, dass die Verkäuferin und die Managerin genau so viel für ihre Zahngesundheit zahlen müssen, und die Arbeitgeber sich gar nicht daran beteiligen müssen.“

„Aber widerspricht das nicht dem sozialen Gesichtspunkt?“, wendet einer der Prüfer ein.

„Nur bedingt, schließlich geht es ja um eine soziale Marktwirtschaft, und man muss die Marktwirtschaft ja entsprechend auch in das Modell mit einbeziehen.“ Erkläre ich meinen Ansatz.

Der Prüfer nickt zustimmend.

„Nun stellt sich allerdings das Problem, dass Selbständige und Menschen, die von Kapitalerträgen leben, natürlich keinen Arbeitgeber im klassischen Sinne haben, sondern ihre eigenen Arbeitgeber sind. Für diese habe ich mir das Modell der privaten Krankenkassen ausgedacht. Anstatt auch in die gesetzliche Krankenversicherung einzuzahlen, können diese sich bei einer privaten Krankenkasse versichern. Hier kommen wir wieder der Marktwirtschaft entgegen: Anstatt diese auch in den normalen Krankenkassen zu versichern, bilden wir einfach private Krankenkassen, die auf Basis von Alter und Gesundheitszustand eine Risikobewertung des versicherten durchführt und dann entsprechend versichern – ganz unabhängig vom Einkommen.“

„Aber warum versichern wir diese nicht auch in der gesetzlichen Krankenkasse?“, fragt einer der Prüfer.
„Ganz einfach: Selbständige verdienen in der Regel sehr gut. Wenn diese prozentual von ihrem Einkommen in die Krankenkasse einzahlen würden, würde sie das deutlich mehr Geld kosten.“

„Aber wenn sie gut verdienen, können sie sich das doch eigentlich auch leisten, oder? Stellt das nicht das Sozialsystem auf den Kopf? Sollte nicht der Starke den Schwachen unterstützen in einem sozialen System?“, erwidert der Prüfer.

„Nur bedingt. Es gibt ja im gesetzlichen System noch genügend Gutverdiener, die mit hohen Beiträgen ja weiterhin auch die Geringverdiener unterstützen. Aber da die Selbständigen ja keinen Arbeitgeber haben, der die Hälfte ihrer Beiträge übernimmt, wäre das für den Selbständigen ja auch nur bedingt fair. Zwar könnte man sagen, dass der Selbständige ja sein eigener Arbeitgeber ist und entsprechend als solcher dieselben Beiträge einfach abführen könnte – aber andererseits wollen wir in einer Marktwirtschaft ja auch die Selbständigkeit von Menschen fördern. Entsprechend halte ich das für ein gutes Paket zur Förderung der Selbständigkeit, auch wenn es natürlich das soziale System etwas schwächt.“

„Und was passiert mit Selbständigen, die nicht gut verdienen, oder die wegen gesundheitlicher Probleme nicht privat versichert werden? Es gibt schließlich Krankheiten, bei denen allein die Medikamente im Jahr mehrere zehntausend Euro kosten.“, hinterfragt einer der Prüfer.

„Gar kein Problem. Diese haben die Möglichkeit sich freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse zu versichern. Wer schwer krank ist, hat auch die Möglichkeit sich in der gesetzlichen Krankenkasse freiwillig zu versichern. So sind alle bestens abgesichert.“

„Aber damit wären ja alle Selbständigen, die mehr Kosten als sie einzahlen, wieder in der gesetzlichen Krankenkasse, während alle gesunden und gut verdienenden sich privat absichern würden?“, fragt einer der Prüfer.

„Ganz genau! Deshalb habe ich die private Krankenversicherung ja auch so gestaltet, dass man dort deutlich mehr Leistungen erhält, verglichen mit gesetzlich Versicherten. Und das für weniger Geld!“

„Das verstehe ich jetzt nicht“, wendet einer der Prüfer ein.

„Naja, auch hier kommt wieder der wirtschaftliche Teil der sozialen Marktwirtschaft ins Spiel. Wie in Amerika der Traum ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ allgegenwärtig ist, brauchen wir auch Anreize, damit die Menschen motiviert sind mehr aus sich zu machen.“

„Aber dann hätten ja nur Selbständige diesen Vorteil“, beschwert sich einer der Prüfer.

„Das ist kein Problem, deshalb führen wir einfach die so genannte Beitragsbemessungsgrenze ein. Wer mehr als 5.000 Euro brutto verdient, bei den frieren wir einfach die Beiträge in der gesetzlichen Versicherung ein. Wer 5.000 Euro verdient zahlt also genau so viel in die gesetzliche Krankenkasse ein, wie jemand der 10.000 Euro verdient. So bleibt für Gutverdiener wieder mehr vom Netto, und der steigende Steuersatz tut nicht mehr weh. Außerdem müssen dann Arbeitgeber für Gehälter über 5.000 Euro brutto auch nicht mehr in die gesetzliche Krankenkasse zahlen. Somit reduzieren wir die Personalkosten für die Arbeitgeber weiter.“

„Aber trotzdem hätte der Selbständige dann noch die bessere Krankenversicherung, die leistet schließlich mehr und ist immer noch günstiger.“, bemängelt einer der Prüfer.

„Nicht unbedingt. Wer mehr als 5.000 Euro brutto verdient, dem geben wir einfach die Möglichkeit sich freiwillig privat zu versichern und dieselben Vorteile wie ein Selbständiger zu genießen. Und da sich der Arbeitgeber dann Geld sparen würde, bekommt der Versicherte, wenn er sich privat versichert, vom Arbeitgeber das Geld, dass dieser auch in die gesetzliche Versicherung zahlen würde.“

„Das führt dann aber dazu, dass die gesunden Gutverdiener sich privat versichern und die kranken Gutverdiener in der gesetzlichen Versicherung bleiben, oder?“, hinterfragt einer der Prüfer.

„Ganz genau. Dafür ist ja ein Sozialsystem da, dass auch den kranken Menschen geholfen wird!“, erwidere ich. „Und auch für Selbständige, bei denen die Geschäfte nicht gut laufen, gibt es eine Lösung. Gehen die Einkünfte zurück oder werden die Beiträge zu teuer, kann er natürlich gerne im Alter wieder zurück in die gesetzliche Krankenkasse und die gute Versorgung dort genießen. Um das System zusammenzufassen: Alle zahlen prozentual gleich viel, außer sie verdienen viel. Alle die gut verdienen und nicht schwer krank sind, versichern sich privat und die Kranken und Geringverdiener bleiben im gesetzlichen System. Im privaten System zahlen die Gutverdiener weniger Geld und bekommen dafür mehr Leistungen.“

„Also so wirklich hat mich das nicht überzeugt“, meint einer der Prüfer.

„Ich habe natürlich vergessen zu erwähnen, dass Beamte und Politiker sich unabhängig von ihrem Einkommen immer privat versichern können und der Staat zwischen 50 und 80% der Gesundheitskosten mit einer so genannten ‘Beihilfe’ bezahlt, dadurch sind die Versicherungsbeiträge für Beamten in der privaten Versicherung besonders günstig.“

„Und warum sollten Menschen ein solches System akzeptieren, in dem sich nur Gutverdiener und Beamte für weniger Geld besser versichern können?“, hinterfragt einer der Prüfer.

„Das ist ganz einfach. Der Großteil der Menschen wird es nicht verstehen. Für den Rest zeigen wir einfach nur, wie teuer private Krankenkassen sind – gemessen an den absoluten Kosten. Dass Arbeitgeber und Staat kräftig zuzahlen, müssen wir ja nicht erwähnen. Dadurch haben die Geringverdiener den Eindruck, dass Gutverdiener für die private Versicherung auch viel zahlen müssen. Dass der private Versicherungsbeitrag aber deutlich weniger ist, als es der prozentuale Beitrag in der gesetzlichen Krankenkasse wäre, soweit rechnet niemand. Und wer doch so gut rechnen kann, verdient in der Regel so viel, dass er auch von den vielen Vorteilen des Systems profitieren kann.“

„Das ist ja perfekt!“, meint einer der verbeamteten Prüfer. „Genial“, ruft ein anderer Beamter.

Ich erhalte für die Prüfung eine 1+. Einer der Prüfer meinte anschließend, wenn es das nicht schon genau so geben würde, müsste ich das unbedingt der Regierung vorschlagen.

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