Gesundungssignale aus einem schwersterkrankten Land?

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Gründete eine neue Partei: Yanis Varoufakis

Griechenland hat und braucht viele qualifizierte ÄrtInnen – aber das Geld fehlt, um genügend Stellen zu schaffen. Helfer und Hilfsbedürftige kommen nicht zusammen. Es herrscht (auch) medizinischer Notstand an der Ägäis. Eines der typischen Krisensymptome im kaputtgesparten Griechenland. Holdger Platta berichtet in diesem Teil seiner Artikelserie aber auch von einem Hoffnungsschimmer. Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis hat eine neue Partei gegründet, die ungefähr das fordert, was auch wir in unserem Magazin seit Jahren vertreten: das Ende der tödlichen Austeritätspolitik und “verantwortungsbewussten Ungehorsam”. Obwohl Varoufakis damit noch nicht die Massen bewegt – es lohnt sich, die neue Bewegung wohlwollend zu beobachten. (Holdger Platta)

112. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

sicher erinnern sich einige noch: in der Vorwoche konnte ich von einem neuerlichen Spendenanstieg berichten. 765,- Euro gingen auf unserem Hilfskonto ein, überwiesen von 17 UnterstützerInnen an uns. Ursache dafür: vor allem wohl der Monatsbeginn, an dem unverkennbar die Überweisungen der DauerhelferInnen zu Buche schlagen.

Nun, während der letzten sieben Tage ging es nicht in dieser Höhe weiter: lediglich eine Spende erreichte uns, in der Höhe von 100,- Euro. Gleichwohl natürlich diesem Spender unser herzlichster Dank! Und: da es bis zu den neuen Hilfsfahrten unserer “Außenteamer” noch ein paar Wochen dauern wird, bleibt ja auch noch genügend Zeit für eine deutliche Aufstockung unseres Hilfsetats. Wir OrganisatorInnen jedenfalls verlieren unsere Hoffnung nicht.

Zu bedauern ist selbstverständlich auch, dass keine weiteren Informationen bei mir eingegangen sind dazu, was sich bei den vielen verschiedenen Menschen und Institutionen, denen wir helfen, mittlerweile getan hat. Natürlich würde auch mich interessieren, wie es inzwischen unserer “Patenfamilie” in Megara ergeht, was sich unterdessen getan hat bei Katherina K. aus Piräus, die auf ihren zweiten chirurgischen Eingriff wartet, auf die Nierentransplantation, ob für Laura inzwischen die Prothesen angeschafft werden konnten. Aber auch ich kann an Informationen nur weiterreichen an Euch, was zuvor bei mir an Informationen eingetroffen ist. Vielleicht zu all dem also mehr in meinem nächsten Bericht!

Aufgreifen möchte ich stattdessen heute zwei Themen, die uns bereits mehrfach im Rahmen unserer Berichterstattung zu beschäftigen hatten: einmal das Thema Gesundheitsversorgung in Griechenland generell – Katherina und Laura sind ja nur zwei Beispiele für diesen dramatischen Notversorgungsengpass in Griechenland! Und zum anderen neueste Informationen zur Neugründung der MERA25, die vor gut vierzehn Tagen vom griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis ins Leben gerufen worden ist.

Nun, was den Gesundheitsbereich in Griechenland ganz generell betrifft, hat die Griechenland-Zeitung (GZ) in der letzten Woche einige interessante Zahlen aus dem Großraum Athen veröffentlicht. Und ich füge an dieser Stelle bereits hinzu: gleichzeitig auch bestürzende Zahlen.

Der GZ zufolge beziehungsweise nach Auskunft des Athener Ärzteverbandes ISA haben während der letzten zehn Jahre knapp 13.000 Mediziner den Athener Großraum den Rücken gekehrt. Jorgos Patoulis, ISA-Präsident, teilte auf einer Pressekonferenz in der Vorwoche mit, dass allein in diesem Jahr bereits 281 weitere Ärzte Griechenland verlassen hätten. 28 Prozent der hauptstädtischen Mediziner seien ohne Job – obwohl deren Arbeit dringendst benötigt würde! – oder unterbeschäftigt. Rund 1.500 Mitglieder der ISA würden jedes Jahr Ausreiseanträge stellen, weil sie im eigenen Land keine Anstellung fänden – Zielländer seien vor allem Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Und bei einer Arbeitsniederlegung am Freitag, den 30. März dieses Jahres, hätten Ärzte und Personal an staatlichen Krankenhäusern gegen diese verheerenden Zustände im Athener Großraum protestiert. Es fehle an Tausenden freier Stellen im Gesundheitswesen, so die Streikenden, dieser Bereich sei „chronisch unterfinanziert“, und die griechische Regierung habe bislang keine überzeugende „nationale Strategie für das Management des wissenschaftlichen Personals“ im griechischen Gesundheitswesen vorgelegt.

Das mag etwas steifbeinig formuliert sein, bedeutet in der Praxis aber wohl: Griechenland bildet eigentlich genügend medizinisches Fachpersonal aus, Griechenland benötigte dieses Fachpersonal auch dringendst, aber Griechenland ist zugleich außerstande, bezahlte Arbeitsstellen für dieses mit sehr viel Geld ausgebildete und bitter notwendige Fachpersonal zur Verfügung zu stellen. „Austeritätspolitik“, von den Euro-Staaten aufs brutalste über Griechenland verhängt, ist buchstäblich auch – in letzter Konsequenz jedenfalls – Menschenvernichtungspolitik, und SYRIZA-Politik ist seit längerem nichts anderes mehr als devoteste Gehorsamspolitik gegenüber den Dekreten dieser Euro-Staaten-Politik. Die „Wertegemeinschaft“ Europa scheint an allem Möglichen interessiert zu sein, gerade auch in Griechenland: an ausreichender – geschweige denn: optimaler! – Gesundheitsversorgung der Griechinnen und Griechen interessiert ist dieses sogenannte „christliche Abendland“ nicht! Und ich riskiere den Satz: bis in die von uns betreuten Einzelfälle hinein, bis hin zu den Problemen von Laura und Katherina, darf man die Folgen dieser menschenverachtenden und menschenfeindlichen Politik der Euro-Staaten, unter Assistenz der SYRIZA, „bewundern“ – man verzeihe mir den bitteren Zynismus dieser Vokabel!

Womit ich, ebenso unversehens wie zwangsläufig, auch schon bei dem zweiten Thema meines heutigen Berichtes bin: bei der Parteineugründung der MeRA25, im wesentlichen in Gang gebracht von Yanis Varoufakis, dem Ex-Finanzminister der SIRIZA (bis Juli 2015). Genau diesem Europa, genau dieser selbstentfremdeten SYRIZA, will sich nämlich die MeRA25 in den Weg stellen. Zuvor jedoch:

Letzte Umfragen zur Wählergunst der Griechinnen und Griechen in ihrem Land beginnen erste Änderungsprozesse anzuzeigen. Natürlich konnte die Varoufakis-Partei, derart kurz erst auf der politischen Bühne präsent, noch keine großen Wähleranteile für sich gewinnen. Lediglich 1,2 Prozent der Wählerinnen und Wähler stimmten bei dieser Volksbefragung, durchgeführt Anfang April, für diese neue Partei. Aber ansonsten waren doch bedeutsame Umstrukturierungsprozesse zu registrieren: die bis dato führende Partei, die konservative Nea Dimokratia, die lange Zeit bei über 30 Prozent lag, hätte sich nunmehr nur noch mit 21,6 Prozent zufriedenzugeben. Der Koalitionspartner der SYRIZA, die rechtspopulistische ANEL, wäre mit 2,5 Prozent der Stimmen im neuen Parlament gar nicht mehr vertreten. Und als Regierungspartei abgewählt gelten dürfte auch die SYRIZA mit ihrem verbliebenen Wähleranteil von gerademal noch 17,2 Prozent. Doch ansonsten gibt es zahlreiche Bewegungen bei der Wählergunst der Griechinnen und Griechen. Die „Bewegung der Veränderung“, ein Mitte-Halblinks-Bündnis (darin vertreten die PASOK und To Potami), käme auf nunmehr 7,8 Prozent aller Stimmen, gleiches gälte leider auch für die faschistische „Morgenröte“, Chrysi Avgi.

Die (leninistische) Partei der Kommunisten, die KKE, könnte ihren Stimmenanteil leicht steigern auf 6,3 Prozent, und die Zentrumsunion schaffte mit 2,3 Prozent ebenfalls nicht mehr den Sprung ins Parlament, gleich der ANEL. Viel Bewegung also auf dem politischen Feld der griechischen Parteienlandschaft. Und wie positioniert sich nun, inmitten dieses Meinungsgewimmels, die Varoufakis-Partei, die MeRA25? Dies vor allem auch gefragt vor dem Hintergrund der asozialen Gesamtverhältnisse in Griechenland, im heutigen Bericht vor allem dargestellt am Beispiel der verheerenden Gesundheitspolitik in Griechenland?

Nun, ich reiche heute noch einige Informationen nach zu meinem letzten Bericht aus der vorangegangenen Woche.

• Man weigere sich, sich „den Anweisungen der Troika und der Oligarchie zu unterwerfen“, weil man die „Propagandalüge“ ablehne, daß es „in diesem Europa keine Alternative gibt und weil wir der Meinung sind, dass diese politische Unterwerfung zur Verödung Griechenlands und zur Auflösung Europas führt“.

• Des weiteren stellt die MeRA25 in ihrer Grundsatzerklärung fest: „Acht Jahre nach der Umwandlung Griechenlands in eine Schuldkolonie und seiner Bevölkerung in Schuldsklaven, ist konstruktiver und verantwortungsbewusster Ungehorsam der einzig verantwortungsbewusste Weg, um die Deflation Griechenlands und die Dekonstruktion Europas zu beenden.“ Dies sei der „einzige Weg, wie wir Rationalität, authentischen Patriotismus, radikalen Europäismus und natürlich die mit Füßen getretene Verfassung der Hellenischen Republik respektieren können“.

• Und schließlich: im Zentrum der Forderungen stünden die Entschuldung des Landes sowie Steuersenkungen. Das von SYRIZA mitgetragene Spar- und Reformprogramm sei vollständig gescheitert. Die Linkspartei habe dadurch Griechenland in den Status einer überschuldeten, peripheren Kolonie heruntergewirtschaftet. Vor allem die Politik der Niedriglöhne sei für die Zukunftslosigkeit verantwortlich. Die junge Generation des Landes fliehe ins Ausland.“

An dieser Stelle, so meine ich, schließt sich für heute der Kreis: zu Beginn meines Berichtes war von der Menschenflucht aus Griechenland die Rede, beziffert am Beispiel der Mediziner aus dem Großraum Athen. Und genau dieses Thema will, unter anderem, die Neugründung der Varoufakis-Partei aufgreifen in ihrem Programm und in ihrer Politik.

Nun, es wäre zu wünschen, dass dieses der neuen Partei gelingt. Allerdings füge ich mit gleicher Deutlichkeit hinzu: es wäre zu wünschen, dass nicht auch diese Partei sofortest wieder die eigene Programmatik vergisst, wenn sie die Regierungsgeschäfte in diesem geschundenen Griechenland übernimmt! Einmal SYRIZA-Erfahrung reicht! Wir wollen nicht ein weiteres Mal zusehen müssen, dass aus einer angeblich sozialistischen Partei eine kapitalismusfromme Gehorsamsbewegung wird!

Womit ich, wieder einmal, bei meinen Schlusshinweisen bin:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:

Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE

Und hier die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):

Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de

Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

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