Himmlischer Handel. Über mönchische Kapitalismuskritik

 In Spiritualität, Thomas Quartier, Wirtschaft

Berne8Spiritualität und Rebellion gegen ökonomische Ungerechtigkeit scheinen nicht zusammen zu gehen, so ist immer wieder zu lesen, und fast genauso oft wird nach Verbindungen gesucht, auch in diesem Forum. Das konkrete Leben geht Gott sei Dank immer wieder andere Wege als die Ideologie vermuten lässt. Einer dieser Wege ist das mönchische Leben. Weltfremde Eigenbrötler oder revolutionäre Geister? Oder doch von allem etwas, das für jeden und jede etwas zu sagen hat? Unterwegs zur mönchischen Kapitalismuskritik durchschreitet man Himmel und Erde des spirituellen wie auch des intellektuellen Lebens. Thomas Quartier (geb. 1972) begibt sich als Professor für Monastische Studien und Mitglied einer Mönchsgemeinschaft in den Niederlanden persönlich auf die Suche.

„Mönche sind die Verkörperung der Kapitalismuskritik schlechthin“, so hörte ich unlängst in einer Diskussion. Mancher hob in unserer Runde darüber erstaunt die Augenbraue. Wer auch nur ein bisschen von der Geschäftstüchtigkeit von Klöstern in der heutigen Zeit oder vom immensen Reichtum vieler Abteien in der Geschichte hat, fragt sich ob diese These nicht völlig an der Realität vorbei geht. Sind Klöster nicht die Scheinheiligkeit schlechthin? Wasser predigen und Wein trinken? Mein Gegenüber hielt nichtsdestotrotz an ihrer Aussage fest. Warum tat sie das? Und warum fühlte ich mich dazu aufgefordert, dieser These auf den Grund zu gehen? Vielleicht weil es sich weniger um eine empirische als vielmehr um eine spirituelle Aussage handelte.

Natürlich gibt es viele Klöster, die den Versuchungen neoliberalen Handels verfallen. Natürlich sind viele dunkle Perioden in der monastischen Geschichte auszumachen. Aber das spirituelle Ideal war und ist ein anderes. Wenn Ideal und Wirklichkeit auseinanderklaffen, dann gibt das Anlass zur Scham, ist aber niemals ein Grund, das Ideal nicht weiter zu verfolgen. Die Ausgangsthese hat mich also dazu veranlasst, nach einer mönchischen Kapitalismuskritik auf die Suche zu gehen. In der monastischen Lebensform habe ich einen prominenten Weggefährten gefunden, den heiligen Benedikt von Nursia (480-547).

Spirituelle Kapitalismuskritik

Zunächst noch einige Vorüberlegungen: wozu eine spirituelle Kapitalismuskritik, wie die mönchische sie ist? Ist die Kritik an der neoliberalen Agenda unserer Tage nicht eher intellektuell? Das ist sie zweifellos, wie Jean Ziegler unlängst wieder überzeugend gezeigt hat. Seiner Ansicht nach ist es eine entscheidende Aufgabe des Intellektuellen, „pervertierte Mechanismen der kannibalischen Weltordnung zu enttarnen“. Dabei geht er nüchtern zu Werke und sollte sich nun gerade nicht in allgemeingültige Glaubenssätze flüchten: „In der Geschichte der Gesellschaften hat es den Rückgriff auf metasoziale Begründungen und deren Instanzen immer gegeben. Er diente und dient dazu, unveränderliche, ahistorische ‚Wahrheiten‘ zu rechtfertigen und letzten Endes den Fortbestand der herrschenden Machtverhältnisse zu sichern“ (JEAN ZIEGLER, Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen. München: Bertelsmann 2015, 25).

Der Intellektuelle legt Tatsachen bloß, und die Bedeutung dieser intellektuellen Kritik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bedeutet Zieglers berechtigter Einwand gegen metasoziale Begründungen jedoch die Unmöglichkeit einer spirituellen Kapitalismuskritik? Ist der Mönch tatsächlich die Verkörperung einer solchen letztgültigen Wahrheit, einer ideologischen Verblendung? Wenn wir dem Ideal des mönchischen Lebens nach Benedikt folgen, keineswegs.

Was ist die Lebensform des Mönchs? Sie ist ihrem Wesen nach alles andere als allgemein akzeptierte Wahrheit. Sie steht gerade durch ihre scheinbar letztgültige Form im ständigen Gegensatz zum gesellschaftlichen Konsens. Der australische Trappist Michael Casey sieht hierin das „Paradox der spirituellen Lebensform“. Sie basiert einerseits auf einem festen Lebensentwurf, entzieht diesen aber andererseits direkt dem Zugriff des Menschen. Die Lebensform wäre altbacken, würde man sie selber in der Hand haben. Sie wäre keine Kritik sondern eher ein Bollwerk bestehender Verhältnisse, wenn sie in sich selber aufginge.

Denn warum sollte ein Mensch sich selber einer allumfassenden Regel unterwerfen? Eine solche Selbstbeschneidung ist letztlich nur nachzufühlen, wenn sie der Freiheit dient. Im ersten Moment widerspricht sie jedem gesunden Menschenverstand: „Die Themen, die uns anziehen, sind Freiheit, Selbstverwirklichung und Verantwortung […] Stärker als die von der Schwäche des Menschen verursachten geringfügigen Mängel sehen wir, dass die Schöpfung in all ihren Aspekten gut ist“ (Michael Casey, Wahrhaftig leben. Die Lehre des heiligen Benedikt über die Demut. St. Ottilien: EOS Verlag 2012, 11). Wenn man nun sein spirituelles Leben an genau dieser scheinbaren Freiheit, oberflächlichen Selbstverwirklichung und selbstgefälligen Verantwortung ausrichtet, leugnet man, dass die Weltordnung eben nicht in all ihren Aspekten gut ist. Monastisches Leben entzieht sich dieser Versuchung, indem es den umgekehrten, kontraintuitiven Weg geht, und zwar immer: „Sei Dir Deiner Beschränkung bewusst, werde klein und sei unendlich groß“, so zitiere ich einen meiner monastischen Lehrer gerne.

Man kann ein monastisches Leben nur denken, wenn es nicht auf einer festgefahrenen ahistorischen Wahrheit basiert, vor der Ziegler warnt, sondern lebendig verkörpert, wofür es steht, worauf es gerichtet ist. Wenn das gelingt, ist das Leben des Mönchs in der gefestigten gesellschaftlichen Ordnung ein Skandal, es ist gesellschaftliche Provokation des vogelfreien Außenseiters, des zurückgezogenen Revolutionärs. Ist der Mönch aber dann nicht weltfremd? Das wäre eine falsche Schlussfolgerung, denn auch das Kloster entzieht sich innerhalb seiner Mauern und auch nach außen hin dem irdischen Handel nicht, der condition humaine.

Es ist Handel, der sich zugleich gegen die Mechanismen richtet, derer er sich bedient. Mönchische Kapitalismuskritik ist in der Tat paradox… Das widerspricht jener intellektuellen Kritik, von der Ziegler spricht, keineswegs. Vielmehr fügt es ihr einen demütigen Horizont hinzu, eine radikale Lebensform, die sich zwar auf einen ahistorischen Horizont richtet, nicht aber auf vorgegebener und vorgeschriebener Wahrheit basiert.

Gemeinschaftskritik: „Alles sei allen gemeinsam“ (RB 33, 6)

Wie nimmt das konkret Gestalt an? Benedikt hat im sechsten Jahrhundert eine sehr konkrete Regel für Mönche geschrieben, in der er die Rahmenbedingungen absteckt (Die Regel des heiligen Benedikt. Im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz. Beuron: Beuroner Kunstverlag 2006. RB). Diese gilt es zu erkunden, wenn man die mönchische Perspektive verstehen will. Eine erste wichtige Größe ist dabei die Gemeinschaft, das Grundprinzip des benediktinischen Mönchtums (zönobitisch). Noch vor spirituell motivierten Betrachtungen stellt Benedikt die Regel auf, dass Mönche keinen Privatbesitz haben: „Keiner habe etwas als Eigentum, überhaupt nichts, kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel – gar nichts. Den Brüdern ist es ja nicht einmal erlaubt, nach eigener Entscheidung über ihren Leib und ihren Willen zu verfügen“ (RB 33, 3-4). Was wie ein Zitat aus dem kommunistischen Manifest anmutet, hat einen typisch mönchischen Hintergrund: es geht nicht nur um das gemeinsame Gut, dem man damit dient (bonum commune), sondern um die eigene Haltung. Warum sollte ein Mensch auf seine Selbstbestimmung verzichten, wie der zweite Teil unseres Zitats suggeriert? Das kann man nicht intellektuell begründen, sondern nur spirituell.

Die Gemeinschaftskritik des Mönchs funktioniert also in zwei Richtungen: eine Kritik durch die Gemeinschaft und eine Kritik an der Gemeinschaft. Der Einzelne wird immer wieder von der Gemeinschaft korrigiert, wenn er doch der Versuchung des Eigentums erliegt und stiekum private Güter hortet (RB 34,5). Zugleich ist jeder Einzelne aber auch verkörperte Gemeinschaftskritik: Benedikt weist ausdrücklich darauf hin, dass jeder genug bekommen muss, so dass er tatsächlich ohne Neid und Missgunst besitzlos leben kann (RB 34,1-2).

Wenn die anderen dem nicht gerecht werden, sind sie dem Appell des Bedürftigen ausgesetzt. Wer das Heft seines Lebens aus der Hand gibt, ist empfänglich für die Kritik der Gemeinschaft und fähig zur Kritik an der Gemeinschaft. Er muss allerdings offen bleiben und keinen falsche Autoritäten aufsitzen. Diese Offenheit gehört zum mönchischen Leben wie die Luft zum Atmen.

Gesellschaftskritik: den Markt unterwandern

Zweites Korrektiv neben der Gemeinschaft ist die Welt. Das bedeutet, dass die mönchische Lebensform sich nicht nur an der eigenen Gruppe messen darf, sondern auch daran, wie man sich zur Außenwelt verhält. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, denn eines der Prinzipien besteht für den Mönch darin, der Welt Lebewohl zu sagen. Dennoch ist Benedikt in seiner Regel nicht so weltfremd, dass er alle Beziehungen leugnen würde. Eine der Verbindungen ist interessanterweise der Handel: „Bei der Festlegung der Preise darf sich das Übel der Habgier nicht einschleichen. Man verkaufe sogar immer etwas billiger, als es sonst außerhalb des Klosters möglich ist“ (RB 57, 7-8). Warum stellt nun gerade der Handel mit irdischen Gütern die Brücke zwischen der am Himmlischen orientierten Lebensform und der schnöden Realität dar? Geht es hier doch wieder darum, seinen Schneid zu machen und das Beste aus den irdischen Verhältnissen mitzunehmen? Benutzt man vielleicht gar den Sonderstatus des spirituellen Lebens, um den eigenen Gewinn zu maximieren?

Hier gilt es den historischen Kontext der Aussage Benedikts zu bedenken. Er ruft die Mönche nicht dazu auf, den Markt an sich zu reißen, indem sie „die Preise kaputtmachen“. Vielmehr widersetzt er sich einer repressiven Preiskontrolle durch die römischen Autoritäten, die den Markt nicht gerecht gestaltet sondern an sich gerissen hatten. Wenn man sich also der Politik des bestmöglichen Preises entzieht, unterwandert man den ungerechten irdischen Handel. Man weigert sich aktiv, das korrupte kapitalistische System zu unterstützen. Liegt dann aber nicht doch die Versuchung des Reibachs, den man mit niedrigen Preisen machen kann, auf der Lauer?

Hier greift wie schon bei der Gemeinschaft, die spirituelle Kontrolle, die sich von außen ableiten lässt: wenn so etwas wie Habgier hinter der gutgemeinten Preispolitik steckt, ist der himmlische Handel gleich wieder tief gesunken. Diese Habgier zu vermeiden, ist die ökonomische Antihaltung des Mönchs. Wenn man dazu wie im spätrömischen Reich die Preise unterwandern muss, gut. Wenn es heute anderer Maßnahmen bedarf, auch gut. Wenn man nur lebt, was man handelt…

Gotteskritik: Suche

Was ist aber der spirituelle Motor, der der Gemeinschafts- und Gesellschaftskritik zu Grunde liegt? Bei Benedikt ist dies ganz eindeutig die „Suche nach Gott“ (RB 58, 7). Das mag für den nicht religiös motivierten Zeitgenossen allzu weltfremd klingen. Wird hier nicht wieder eine „metasoziale, ahistorische“ Bremse im Sinne Zieglers eingebaut? Kann man mit dem göttlichen Anspruch nicht doch wieder alles rechtfertigen und den angeblich unterwanderten Markt genauso instrumentalisieren wie den gemeinsamen Besitz? Diese Gefahr lässt sich sicher nicht ganz von der Hand weisen. Aber mönchisch ist sie nicht… Es ist nämlich von entscheidender Bedeutung, dass hier nicht die Rede davon ist, Gott „gefunden“ zu haben, als ob man ihn oder sie quasi als Legitimation in Petto haben könnte. Die Regel sagt, dass man suche. Genau da liegt auch eine mögliche Verbindung des mönchischen Lebens zu Menschen, die die religiöse Grundausrichtung nicht teilen: die Suche nach ultimativer Gerechtigkeit mahnt zur Demut, zum gemeinsamen Besitz und letztlich zur spirituellen Revolution, jedermann.

Wir haben es hier erneut mit einer zweifachen Kritik zu tun: einerseits ist es die Suche nach dem offenen Horizont, die unser Handeln kritisiert. Himmlischer Handel ist offener Handel – nicht offen für Profit, sondern für Gerechtigkeit. Dafür ist „Gott“ in diesem Zusammenhang ein symbolisches Wort. Aber man kann auch durch das eigene Leben die Form dieses Horizonts kritisieren. Man kritisiert festgefahrene Gottesbilder, die Götzen des Marktes, der so gar nicht mehr himmlisch sondern nur allzu menschlich ist. Menschlicher Handel kann aber nur mit offenem Horizont wirklich menschenwürdig sein.

Die Suche im spirituellen Sinne muss uns immer wieder dazu bringen, der Menschlichkeit zu huldigen – das ist der Weg zum Himmel. Diese Menschlichkeit ist aber nun gerade nicht am Gesetz des Stärkeren ausgerichtet, der Mensch ist dem Menschen kein Wolf, wie Thomas Hobbes vermutete (homo homini lupus). Vielmehr ist er „Gottsucher“, der auf seiner Suche den anderen, die Gemeinschaft und die Welt findet. Das ist ein Aufruf zur Revolution, eine verkörperte Kapitalismuskritik, „damit in allem Gott verherrlicht werde“ (RB 57, 9), wie Benedikt sagt, symbolisch versteht sich.

Lebenshaltung

Wenn man die Symbolwelt des mönchischen Lebens betritt, dann wird schnell ihr allumfassender Charakter sichtbar: Mönche trennen nicht zwischen verschiedenen Lebensbereichen, alles ist offen und geht damit auch in dieselbe Richtung. Stärker noch als der Intellektuelle, der nach Ziegler den Imperativ zum Entlarven immer wieder vernimmt, ist der Spirituelle, der Mönch im breiten Sinne des Wortes, in allem verpflichtet, Gerechtigkeit zu leben. Das zeigt sich bei Benedikt, wenn er den Umgang mit den Dingen quasi heiligspricht: „Alle Geräte und den ganzen Besitz des Klosters betrachte er als heiliges Altargerät“ (RB 31,10).

Wozu diese übertriebe anmutende Heiligkeit des Alltäglichen? Es geht hier nicht darum, ein abgehobenes Schauspiel der Scheinfrömmigkeit zu inszenieren. Auch ist es nicht die Intention des Mönchsvaters, Zucht und Ordnung durch die Hintertür durchzudrücken. Vielmehr soll eine Lebenshaltung erreicht werden, die aus sich selber heraus Offenheit und Respekt zelebriert. Das „Altargerät“, das manchen vielleicht an dunkle Zeiten religiöser Indoktrinierung erinnert, steht im mönchischen Leben für die sinnvollste Handlung, die man sich vorstellen kann, die Liturgie. Wenn nun das ganze Leben zur Liturgie wird, dann ist alles sinnvoll.

Das gilt eben auch für den Handel. Der himmlische Handel ist also nicht von Gott kontrolliert, wie eine Art Überinstanz. Vielmehr trägt die symbolische Offenheit, die hier durch die spirituelle Kapitalismuskritik erreicht wird, dazu bei, dass man gar nicht groß überlegen muss, was nun klug ist und was nicht. Es geht immer darum, den Mut zu haben, sich selber in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen, konkret indem man aus dem Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung fällt. Genau das ist also die verkörperte Kapitalismuskritik die ich eingangs aus der Diskussionsrunde zitierte. Kritik nicht nur, wenn sie gut auskommt oder wenn sie angebracht bzw. verstörend ist, sondern immer, aus sich selber heraus, unabhängig von Zeitpunkt und Zeitgeist. Dann kann der Mönch zum Modell für spirituelle Kapitalismuskritik werden, das eine Ergänzung, vielleicht Erweiterung anderer kritischer Lebensentwürfe darstellt.

Modellversuch

Jedes Kloster ist in dem Sinne ein Modellversuch: es ist ein Laboratorium des himmlischen Handels, nach innen in der Gemeinschaft und nach außen im Verhältnis zur Gesellschaft. Wo Experimente scheitern, sollte man das Laboratorium nicht gleich schließen, sondern die Versuche immer konsequenter betreiben. Das radikale Leben ruft dann zur radikalen Kritik auf. Bleibt abschließend noch die Frage, ob es nicht viele Orte dieser verkörperten Kritik gibt. Es sind doch weiß Gott nicht nur Klöster, wo Menschen Gemeinschaftskritik, Gesellschaftskritik und Gotteskritik üben.

Sicher nicht, aber vielleicht gibt es im symbolischen Sinne auch mehr Klöster in der Gesellschaft, als man auf den ersten Blick meinen sollte. Ist nicht jeder Ort der spirituell motivierten, verkörperten Kapitalismuskritik irgendwie eine Art Kloster? Diese Frage ist weder rhetorisch noch suggestiv gemeint. Sie soll lediglich zum Nachdenken anregen. Denn viele kritische Geister zelebrieren Offenheit. Spiritualität vertieft das Engagement und kann Aufruf und Motivation zur gelebten Revolte sein. Das hält die Gesellschaft wach und bewahrt vor Erstarren.

Wenn Jean Ziegler, und mit ihm viele andere, in der Enttarnung eine intellektuelle Aufgabe sieht, so sehe ich im Horizont dieser Enttarnung eine spirituelle Aufgabe. Die Revolution kommt aus der Kultur, so fasst Ziegler zusammen, die „kulturelle Macht“ setzt die politische Macht voraus. Und genau diese kulturelle Macht kann nur entstehen, wenn die spirituelle Macht das Ganze offen hält, so meine vorläufige Erkenntnis. Denn spirituelle Deutungshorizonte müssen nicht in jene Sicherung der Machtverhältnisse verfallen, die Ziegler zu Recht moniert, im Gegenteil. Sie sind keineswegs ahistorisch, und sie sind, genau wie die Sicht des Intellektuellen, gesellschaftlich hochgradig revolutionär, eben Modellversuche.

In meiner Wahrnehmung setzen spirituelle und intellektuelle Kritik sich gegenseitig voraus. Ich bin davon überzeugt, dass die scharfe intellektuelle Analyse des irdischen Handels gewinnt, wenn man sie in einem spirituellen Horizont des himmlischen Handels betreibt, der eben keine falsche Ideologie enthält. Wie es möglich ist, einen solchen zu entdecken? Dazu braucht es viele Klöster, wie immer der Leser sie verstehen mag… Solange sie nur offen im Sinne verkörperter Kapitalismuskritik aufgefasst werden, ganz im Sinne meines Gegenübers in der eingangs erwähnten Diskussion: „Mönche sind die Verkörperung der Kapitalismuskritik schlechthin“.

Thomas Quartier (1972) ist Professor für Monastische Studien an der Universität Leuven (BE) und Mitglied der Mönchsgemeinschaft der Willibrordsabtei in Doetinchem (NL).

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