Ich lese, also bin ich

 In Kultur, Roland Rottenfußer
"Der Bücherwurm" - Carl Spitzweg

“Der Bücherwurm” – Carl Spitzweg

Die gute Nachricht: Lesen stirbt nicht aus; die schlechte ist: Es verändert sich – radikal und nicht immer zu seinem Vorteil. Speed-Reading, Info-Smog, E-Book und Content-Fast-Food sind für Lesefähigkeiten wie Konzentration und Vertiefung Gift. Vor allem schwindet die Fähigkeit, Erlesenes mitschöpferisch vor dem inneren Auge entstehen zu lassen – somit ein wichtiger Teil unseres seelischen Reichtums. Ein Plädoyer für eine „altmodische“ Kulturtechnik. (Roland Rottenfußer)

„Wer niemals ganze Nachmittage lang mit glühenden Ohren und verstrubbeltem Haar über einem Buch saß und las und las und die Welt um sich her vergaß, nicht mehr merkte, dass er hungrig wurde oder fror – Wer niemals heimlich im Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat, weil der Vater oder die Mutter oder sonst irgendeine Person einem das Licht ausknipste mit der gutgemeinten Begründung, man müsse jetzt schlafen (…) der wird wahrscheinlich nicht begreifen können, was Bastian jetzt tat.“

Vielleicht kennen viele dieses schöne Zitat über das Lesen. Es ist aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“. Und vielleicht wissen viele Leserinnen und Leser auch, was mit Bastian, dem Helden der Buchs weiter geschah: Er stieg buchstäblich in die Geschichte ein, wurde ein Teil von ihr. Sie Außenwelt versank, und stattdessen wurde die Wortwelt zwischen Buchdeckeln zu seiner Realität. Ende entwirft hier ein wunderbares Bild für die Segnungen des Lesens. Alles, was spirituelle Schulen zu vermitteln suchen: Konzentration, Hingabe und Mitgefühl mit vermeintlich fremden Schicksalen – das in seine Lektüre versunkene Kind ist in all dem längst Meister.

Das Buch wird zur Massenware

Früher war das Lesen den Gebildeten vorbehalten. In Klöstern wurden Texte per Hand kopiert – für eine schriftkundige Elite. Nur ein kleiner Teil dessen, was sich Menschen erzählten, galt als erhaltenswert, Geplapper und „Infosmog“ gab es zumindest nicht in Schriftform. Gerade im Fall der Bibel war es vielen Wahrheitsbesitzern wohl ganz recht, dass sie nicht vollständig, sondern sorgfältig vorselektiert unters Volk kam. Mitte des 15. Jahrhunderts revolutionierte Johannes Gutenberg dann mit seiner Erfindung, dem Buchdruck, das Lesen. Das Buch als Massenmedium wurde möglich. Heute lesen wir nicht nur in Büchern und Zeitschriften, sondern überall: im Internet, auf dem Display unseres Smartphones, und – ungefragt – auch auf Werbetafeln.

„Es wird generell immer mehr gelesen“, stellt Professor Klaus Schönbach von der Universität Friedrichshafen fest. Seit 1995 soll der Zeitschriften-Absatz um 16 Prozent, der Buchverkauf nur um 6 Prozent gesunken sein. Bei genauer Betrachtung ist das eine gute Nachricht, die Kulturpessimisten überraschen mag. Denn natürlich haben Hörbücher und elektronische Lesequellen seither stark zugenommen und konnten den Bedeutungsverlust der „klassischen“ Medien mehr als wettmachen. Das wäre eine gute Nachricht auch für Pädagogen, denn der Spruch „Lesen bildet“ ist mehr als ein Klischee. In einer Untersuchung an der amerikanischen Yale Universität wurden Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, sowie solche, die vor allem fernsahen, beim Spielen beobachtet. „Kinder, die viel lasen, gingen mit ihren Spielsachen kreativer um und entwickelten etwa eigene Baumuster, während die anderen hierbei eher schematisch vorgingen“, berichtet der Leseforscher Bodo Franzmann. Franzmann bestätigt, dass Vorgelesen-Bekommen und eigene Lektüre für die Entwicklung der Fantasie viel wichtiger sind, als Filme anzuschauen. „In Filmen sind die Charaktere fertig entwickelt. Das macht es dem Zuschauer schwerer, in sie hinein zu schlüpfen“, so Franzmann. In Büchern dagegen entstünden die Figuren zu einem großen Teil im Kopf des Lesenden.

Lese-Lehrjahre mit Butt und Urmel

Wenn wir nur berücksichtigen, wie viel heute gelesen wird, entsteht jedoch ein zu positives Bild. Ebenso wichtig ist, was wir lesen und wie. Quantität ist nicht gleich Qualität. Ich selbst würde mich als passionierten Leser bezeichnen. Meine Eltern förderten dies durch eine ausgedehnte Vorlesekultur, die mir Jim Knopf, Urmel aus dem Eis, Siegfried, Achilles und andere Jugendheroen nahebrachten. Als ich in der Mittelstufe bemerkte, dass ich im Aufsatzschreiben überdurchschnittlich gut war, steuerte ich den Deutsch-Leistungskurs an und fraß mich systematisch durch die Weltliteratur. Bewusst nahm ich schwierige literarische Werke auf mich, etwa den seinerzeit als fast unlesbar geltenden „Butt“ von Günter Grass. Seither kenne ich, was Bücher betrifft, keine Furcht mehr. Von Kindesbeinen an lernen wir durch Überforderung, die wir gerade noch bewältigen können. Was wir verstanden haben, verschafft uns Erfolgserlebnisse; was wir noch nicht verstehen, stimuliert unseren Ehrgeiz, weiter zu forschen.

Unser Wortschatz und unsere Lesekompetenz markieren zum großen Teil die Grenzen des für uns Denk- und Vorstellbaren. Was wir lesen, formt was wir sind. Da ich durch bewusst gewählte Überforderung erst zu dem wurde, der ich heute bin, wundere ich mich über die Lesefaulheit vieler Menschen. Sie scheinen wild entschlossen, es sich mit einem kleinen Wortschatz und engen Denkgrenzen gemütlich zu machen. Zu schnell wird dem Autor vorgeworfen: „Kann der sich nicht normal ausdrücken?“ Weiter käme man mit der Frage: „Warum fehlt mir die Kompetenz, dies zu verstehen, und wie kann ich sie mir aneignen?“ Medien hofieren die Leseträgheit ihres Publikums – oft aus kommerziellen Erwägungen und vielfach aus Angst um ihre Existenz. Angst vor dem Leser, der vielleicht wegen ein, zwei „schwierigen“ Passagen die Zeitschrift entnervt beiseitelegt. Mit kurzen Sätzen, dem Verzicht auf seltene Wörter und anderen Kriterien der Leichtlesbarkeit helfen Medien aber, genau die Lese-Inkompetenz zu züchten, auf die sie meinen, mit ihrer Niveauscheu Rücksicht nehmen zu müssen. Ein Teufelskreis.

Konsumieren statt zu erschaffen

Häppchen-Journalismus boomt. Sachverhalte werden in kleine und kleinste Einheiten zerlegt. Der Trend geht dahin, immer weniger über immer mehr zu schreiben. Ein Beispiel ist der Verfall des „Stern“ zu einer kleinteiligen Bilderbuch-Zeitschrift. Kulturkritik findet dort nur noch im Briefmarken-Format zwischen den Zeilen einer Ranking-Liste statt. Auch in traditionell textstarken Medien setzt sich eine Modezeitschriften-Ästhetik durch: Art und Umfang eines Textes werden weitgehend einem dominanten Layout angepasst. Texte illustrieren oft Bilder statt umgekehrt – eine Form der Verkindlichung der Leselandschaft. Der Trend zum Visuellen kommt der Bequemlichkeit eines zunehmend überlasteten, ausgebrannten Publikums entgegen. Man muss sich nun keine Blume mehr vorstellen, weil diese ja großformatig abgebildet ist. Alle Erfolgstitel der letzten Zeit wie „Happinez“ oder „Landlust“ sind bildstark.

Dazu kommen Kino und Fernsehen, die das Lesen in breiten Bevölkerungsschichten fast völlig verdrängt haben. Auch hier entfällt die Notwendigkeit, sich die durch Worte ja nur angedeutete Welt eines Buchs vor dem inneren Auge zu erschaffen. Worte haben eine magische Funktion. „Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“, dichtete Eichendorff. Ich erlebte das unlängst wieder bei der Lektüre des herrlich altmodischen Romans „Rebecca“ von Daphne du Maurier. Bewusst nahm ich mir vor, erst zum nächsten Satz weiterzugehen, wenn ich mir den vorherigen wirklich vorstellen konnte. Ein englischer Landsitz mit vornehmem Interieur, ein Garten der vor roter Rhododendren gleichsam brannte, der Salzduft vom Meer … Jeder Leser hat eigentlich seine eigene „Rebecca“ im Kopf, seinen eigenen Film. Obwohl der Stoff von Alfred Hitchcock toll verfilmt wurde, erfolgt dadurch doch eine Verengung von Vielfalt auf ein bestimmtes Bild. Freunde des „Herrn der Ringe“ kennen den Effekt. Es ist nicht mehr möglich, sich Gandalf anders als mit dem Gesicht des Schauspielers Ian McKellan vorzustellen.

Die Inflation der Mitteilungen

Masse statt Klasse – dieser Trend verstärkte sich mit der Beschleunigung des Kommunikationsverkehrs. Wer früher einen Brief frankieren und zum Briefkasten bringen musste, überlegt sich vorher, ob dies wirklich nötig war. Das Versenden eines Liebesbriefs war eine Zitterpartie. Selbst bei günstigem Verlauf musste man bange zwei Tage bis zur Beantwortung warten. Schon eine E-Mail ist schneller geschrieben und kann auf Beantwortung ohne Zeitverzug rechnen. Internet und E-Mail brachten zunächst einmal ein Übermaß an Raum, der schnell gefüllt werden konnte. Dies förderte eine Inflation der Mitteilungen und damit zu einer Entwertung von Geschriebenem überhaupt. Die SMS, getippt im 1-Daumen-System, kehrte den Prozess scheinbar um. Displays im Briefmarkenformat fördern die ausgeprägte Scheu, „Romane“ zu schreiben. Sprachverstümmelnde Kürzel kamen in Mode: lol, thx, lg … Oder gleich infantile Symbole wie 😉 Der knappe Raum sorgte jedoch nicht dafür, dass Nachrichten gewichtiger wurden. Im Gegenteil. Simsende verwenden die Zeit, die sie durch extreme Knappheit einsparen, oft wieder für weitere, ebenso nichtssagende Nachrichten. Der perfekte User der neuen Medien schreibt möglichst nichts an möglichst alle.

Dieses Schreibverhalten beeinflusst natürlich auch die Lesekultur: Wir schreiben nicht nur, wir lesen notgedrungen auch mehr radebrechende, bis zur Unkenntlichkeit verknappte Nachrichten. Wir haben uns eines tiefen, komplexen Denkens entwöhnt, ebenso von sprachlicher Schönheit, die – wie musikalische Schönheit – unsere Seele und unseren Geist nährt. In einer Duftlampe erzeugen Lavendel oder Rose unterschwellig eine angenehme, seelisch aufbauende Stimmung – anders als verbrannter Gummi. Ebenso ist es natürlich mit Worten. Eine schöne Sprache „macht etwas“ mit unserer Seele. Man denke etwa an Rilkes klangvollen und sinnerfüllten Satz „Durch alle Wesen reicht der eine Raum“. Dies erreichen wir nicht mit Gestammel à la „HpyB‘day 2 U“.

News-Diät gegen Fast-Food

Leider stehen einer Kultur des Lesens auch knallharte kommerzielle Absichten im Weg. Ein Mensch, der sich über den ganzen Winter in einen Rilke-Band vertieft und kein anderes Buch braucht – von Internet-Gezwischter oder Shit-Stürmen zu schweigen – gilt geradezu als Wirtschaftsschädling. Er fällt ja als Neukäufer für lange Zeit aus, wie überhaupt jeder zufriedene Mensch die Produktion hemmt. Ein Großteil unserer Ökonomie ist ja auf die Kompensation seelischer Defizite ausgerichtet, die durch eben dieses Wirtschaftssystem verursacht werden.

Moderner Lese-Content ist so gestrickt, dass er nicht satt macht, vielmehr den Hunger verewigt, um weitere unbefriedigende Kaufvorgänge zu erzwingen. Der Schweizer Schriftsteller Rolf Dobelli nimmt in diesem Zusammenhang vor allem die Kultur der seichten News aufs Korn: „Anders als bei Büchern und guten Magazin-Artikeln stellt sich beim Newskonsum keine Sättigung ein. Wir können unbegrenzte Mengen von Nachrichten verschlingen, sie bleiben billige Zuckerbonbons für den Geist. Die Nebenwirkungen kommen – wie beim Rauchen und Fast Food – erst später zum Vorschein.“ Dobelli rät entsprechend zu einer News-Diät. „Kurzmeldungen sind wie kleine Blasen, die an der Oberfläche einer komplexen Welt zerplatzen.“ Da Medienmacher überdies auf Krawall gebürstet sind und unser Gehirn skandalöse, gewaltträchtige Informationen leichter aufnehmen, wird unsere Seele ständig mit Angstschwingungen überschwemmt. Jene Gehirnregionen werden vernachlässigt, „die für vertiefte Lektüre und tiefgründiges Denken nötig sind.“ Was hier über Kurznachrichten gesagt wird, kann getrost auch auf andere Form der fragmentierten Informationsvermittlung übertragen werden: etwa Twitter, SMS oder Kurzkommentare zu Webbeiträge.

Trend zur PublicatioPraecox

Wer einen Artikel schreibt, fürchtet die strengen Auslesekriterien der Redaktion und überlegt sich vorher, ob das Geschriebene wichtig und stilistisch gut genug ist. Im Blogger-Universum ist dagegen jeder sein eigener Redakteur und Verleger. Die Hemmschwelle sinkt, unausgegorenen „Trash“ zu produzieren, erst recht wenn schützende Anonymität hinzukommt. So können wir im Netz einen unfassbaren Wildwuchs an Beleidigungen, stilistischem Unvermögen und Selbstdarstellungs-Wahn beobachten. Die Publicatio Praecox boomt, die Neigung jedem Ideen-Impuls ohne Aufschub und Plausibilitätsprüfung nachzugeben. Was eigentlich ein Vorteil der Schriftform gegenüber der mündlichen Konversation war, wird so annulliert: Der Grundsatz „Erst nachdenken, dann schreiben“.

Lesen am Bildschirm hat – gemessen am Lesen auf gedrucktem Papier – noch weitere Tücke. Am Notebook, Tablet oder Smartphone können „You’ve got mail“-Signale piepsend aufblinken oder Update-Aufforderungen unvermittelt uppoppen. Selbst wenn das Programm keine Störungen erzeugt, kann die bloße Möglichkeit, sofort zu surfen oder Emails zu checken, dazu führen, dass wir unsere Lektüre unterbrechen. Wir verlieren Zeit und Kraft, bevor wir uns geistig wieder auf das zuvor Gelesene einstellen können. All diese Rahmenbedingungen torpedieren die Konzentrationsfähigkeit und animieren zu einer „Häppchen“-Leseweise, die einer Vertiefung im Weg steht. Produziert wird – drastisch ausgedrückt – niedrigschwelliger Lesestoff für Nichtleser.

Technik macht abhängig

Als die Zukunft des Lesens gilt vielfach der „Kindle“, ein elektronisches Lesegerät von Amazon, auf das man unzählige Bücher digital downloaden kann. Er hat beträchtliche Vorteile, etwa für Sehbehinderte, die sich die Schriftzüge beliebig vergrößern können. Auch muss sich, wer dies nicht will, in seinem Wohnzimmer nicht länger durch den Anblick dutzender Bücher gestört fühlen. Bedenklich erscheint mit an dieser Entwicklung aber, dass sich Lesende zunehmend von elektronischen Geräten abhängig machen, d.h.:
– abhängig von Strom
– abhängig von der Hardware und ihrer Funktionstüchtigkeit
– abhängig von Software und den Bedingungen ihrer Verfügbarkeit, d.h. auch
– abhängig von Markenfirmen und ihren Verwertungsinteressen

Das Buch ist kein Gegenstand zum Anfassen mehr, sondern gestreamter Content. Ein Beispiel aus dem Musikbusiness mag dies verdeutlichen: Streaming-Dienste bieten zum Abopreis den unbegrenzten Zugriff auf weitaus mehr Musik als man sinnvollerweise anhören kann. Diese Musikdateien können klanglich in CD-Qualität angehört werden – ohne dass ein materieller Gegenstand „CD“ vorläge. Die downgeloadeten Songs „gehören“ dem Streaming-Kunden – jedoch nur, solange er seinen Abo-Beitrag bezahlt, sonst erlöschen sie. Zum Vergleich: Stellen wir uns vor, der Händler eines Elektronik-Marktes würde alle bei ihm gekauften CDs aus dem Regal nehmen, wenn wir einmal mit einem Monatsbeitrag im Verzug sind. Sieht so unsere Zukunft auch bei Lesestoff aus?

Fantasien ist bedroht

Die Verführung zur Digitalisierung könnte zunehmend einem Zwang zur Digitalisierung weichen, also zur Unterwerfung der Kunden unter die Interessen der Anbieter, unabhängig davon, ob sie sich zur Technik „konservativ“ oder „progressive“ stellen. Man wird uns so wenig fragen wie bei der Umstellung des Zahlungsverkehrs auf SEPA oder beim Wechsel des Telefonsystems auf digitale Netze. Unlängst ist es mir zum ersten Mal passiert, dass eine für mich interessante CD-Neuerscheinung ausschließlich als Download verfügbar war. Dasselbe Phänomen gibt es natürlich bei Büchern längst. Ein befreundeter Buchhändler klagte, dass auf nahezu jedem Print-Buch vermerkt ist, das betreffende Werk gebe es auch als E-Book. „Die Leute kommen hier her, um sich beraten zu lassen, dann gehen sie raus, ohne was zu kaufen und laden sich das E-Book runter“, so der Buchhändler frustriert. Er befürchtet leergefegte Innenstädte mit toten Ladenzeilen, durch die Kurier-Fahrzeuge voller Versand-Päckchen kurven. Wenn sich überhaupt abseits der Wohnblockzellen noch Leben regt, in denen isolierte User vor ihren High-End-Multimedia-Anlagen kauern.

Zweifellos, Fantasien ist bedroht und das „Nichts“ auf dem Vormarsch. Verantwortlich sind vor allem die Industrie der vorgefertigten Bilderwelten und unsere Verführbarkeit durch dieselbe. Die verlernte Lesekompetenz aber kann man sich wieder aneignen – durch Lesen. Dazu gehört auch, sich dem wohlfeilen Lese-Fast-Food konsequent zu verweigern. Versuchen Sie es doch einmal wieder mit einem Trip nach Fantasien. Aber, kleiner Tipp, schauen Sie sich nicht die Verfilmung an. Schon gar nicht die der „Unendlichen Geschichte“. Es gehört wohl zu den größten Absurditäten, ein Buch gegen den Verlust der Fantasie in vorgefertigte Bilder zu packen. Wählen Sie ihr Buch vorher sorgfältig und schenken ihm alle Zeit und Liebe, die sie haben, dann wird es Sie „zurücklieben“ und seinen Reichtum offenbaren. Und, sofern Sie sich das überhaupt noch vorstellen können, loaden sie es nicht down.

Stanislas Dehaene: Lesen – Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert. Btb Verlag, 448 Seiten, 12.99 €

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Kerstin Herrnkind
    Antworten
    Eine verständliche Schreibe ist eine Form von gelebter Demokratie. Die Forderung danach ist vollkommen gerechtfertigt. Sie setzt keinen Teufelskreis in Gang oder fördert die Leseträgheit,  sondern hilft bei Bildung und Aufklärung. Komplizierte Sachverhalte werden auch Leuten zugänglich, die halt nicht so lange die Schulbank gedrückt haben. Texte, mit Fremdworten gespickt, sind – abgesehen von wissenschaftlichen Texten – ein Mittel der Distinktion. Sie schadet. Der arrogante Unterton des Verfassers ist Zeugnis davon und steht einem “Magazin für Menschenrechte und Kultur” schlecht zu Gesicht.
  • Ulrich Mayring
    Antworten
    Wie der Autor schreibt, früher war das Lesen den Gebildeten vorbehalten. Durch die Erfindung der Druckmaschine setzte eine Demokratisierung ein, die sich nun durch das Internet fortsetzt. Es ist keine neue Qualität, sondern eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Je niedrigschwelliger das Publizieren wird, desto niedriger wird auch das durchschnittliche Niveau. Wir können überlegen wie die Welt aussähe, wenn plötzlich alle Kathedralen verschwänden. Und im Vergleich dazu wie es wäre, wenn plötzlich alle Basare verschwänden. Was wäre der größere Kulturverlust?

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