Identitäts-Ideen

 In Holdger Platta
Autor Holdger Platta

Autor Holdger Platta

Zur gesellschaftlichen Vernichtung unseres Selbstbewußtseins. Essay von Holdger Platta ©
Eher unauffällig hat in den letzten Jahrzehnten eine ganz bestimmte Hoffnungsvokabel Karriere gemacht: die Idee von der menschlichen Identität. Verbunden wird mit dieser Verheißung unendlich viel: Ganzheit, Stabilität, Selbstkongruenz, Lebenserfüllung, Glück. Identität, das scheint eine innere Festung zu sein, die uns vor allem zu schützen vermag, und zugleich das Paradies, das uns von Kindheit an verheißen schien.
In seinem Buch „Identitäts-Ideen. Zur gesellschaftlichen Vernichtung unseres Selbstberwußtseins“ aus dem Jahre 1998 hat Holdger Platta die Hintergründe untersucht: Stellen diese Identitäts-Ideen Kontrastphantasien zu einem ganz anders gearteten inneren und äußeren Leben dar? Sollen mit diesen Trostvorstellungen innere und äußere Zerrissenheit vergessen werden? Läßt uns der Druck, gesellschaftlich eine Rolle spielen zu müssen, um gesellschaftlich eine Rolle spielen zu können, Ausschau halten nach stabilen Identitätsmodellen? Rührt von daher die potentielle Mächtigkeit großer Anbieter von Identitäts-Ideen? Der Werbung, der Massenmedien, der Gurus im Esoterikbereich, der Politiker mit neonationalistischem Programm?
Im folgenden Essay stellt Holdger Platta einige dieser Überlegungen aus dem Buch genauer vor. Und er stellt Fragen, die auch heute, gut 15 Jahre nach Erscheinen dieses Bandes, noch auf der Tagesordnung stehen.

Wenn mein Eindruck nicht täuscht‘, ist das Thema “Identität“ in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden. Wer sind wir eigentlich? Wie wollen wir sein? Was hindert uns oft, so zu leben, wie wir tatsächlich sind? – Diese Fragen, so scheint es, haben für viele Menschen immer stärker zugenommen an in¬dividueller Dringlichkeit und sozialer Brisanz. Aber: warum ist das so, wenn es so ist? Wie sehen auf diese Fragen die Antworten aus, und wer gibt diese Antworten oder drängt sie uns auf?

Erstmal: was eigentlich ist „Identität“?
Nun, wer sich mit dem Thema menschlicher Identität zu befas¬sen beginnt, macht sehr schnell eine bedeutsame Entdeckung: kaum ein Begriff weist bei seinem Gebrauch so wenig Identität auf wie der Begriff “Identität“. Identität, vom BROCKHAUS-Lexikon als “die in sich und in der Zeit als beständig erlebte Kontinuität und Gleichheit des Ich“ definiert, ist eine Großvokabel, die im Alltag der Menschen beeindruckend viele Deutungen auf sich zieht, ein Megabegriff, der auch im Bereich der wissenschaftlichen Literatur kaum weniger Aspekte zeigt. Trotzdem stellt man bei genauerer Beschäftigung fest: „Identität“ signalisiert bei aller Bedeutungsvielfalt auf einer tieferen Ebene so etwas wie eine Einheit divergierender Vorstellungen – apropos: nicht zuletzt die Vorstellung der Einheit! Worin also bestehen innere Einheit und äußere Bedeutungsvielfalt bei diesem Begriff?

Nun, was die Bedeutungsvielfalt dieser Vokabel betrifft, so lassen sich – einer eigenen Untersuchung zufolge – insgesamt elf grundlegende Aspekte beim Begriff der “Identität“
voneinander unterscheiden: das Wort “Identität“ stellt eine Mischung aus Glücks- und Gesundheitsvokabel dar, einen Autonomie- und Individualitätsbegriff, ein Wort, das menschliche Stärke und Ganzheit umschreiben soll, einen Ausdruck, mit dem die meisten Sicherheit und Selbstverwirklichung verbinden, Echtheit und Selbstwertschätzung – und nicht zuletzt Sinnerfüllung oder Sinn.

Das bedeutet: ungeachtet der Tatsache, welchen der genannten elf Hauptaspekte von Identität man auch in den Vordergrund stellt, stets ist eher ein Zustand gemeint, nicht permanenter Wandlungsprozeß, stets wird dieser Zustand oder dessen Realisierung als positiv ausgelegt. Und ebenso auffällig ist: im allgemeinen wird diese Befindlichkeit Identität quasi als Naturzustand begriffen, nicht aber als das Resultat sozialer Erfahrung. Kurzum: “Identität“, das ist im Alltagsverständnis ganz unverkennbar eine Wunscherfüllung. Sie wird mit Dauer und Menschennatur in Verbindung gebracht. Weist das zurück auf ein Erleben ganz anderer Wirklichkeit?

Nun, sparen wir an dieser Stelle die Antwort noch auf und halten stattdessen das andere fest: die innere Einheit in dieser Bedeutungsvielfalt. Alle diese Definitionen des Begriffs Identität dürfen nämlich nicht als trennscharfe Aspekte mißverstanden werden. Sie stehen vielmehr in einem wechselseitigen Definitionsverhältnis zueinander – und: sie implizieren einander in der Realität, was schon ein kleines Sprachspiel ans Tageslicht bringt. Man verknüpfe nämlich diese Zuschreibungen wie „Individualität“ und “Echtheit“, “Stärke“ und “Autonomie“ einmal mithilfe der Konjunktion “solange“ zu entsprechend überprüfbaren Aussagesätzen, und man wird unschwer de¬ren inneres Definitions- und Implikationsverhältnis erkennen:

“Solange ich echt bin, bewahre ich meine Individualität“, “Solange ich meine Individualität bewahren kann, bleibe ich stark“, “Solange ich innerlich stark bin, rette ich auch meine
Autonomie“. — Und wie hat die Wissenschaft bislang diese Vokabel “Identität“ definiert?

Das Grundparadox der „Identität“
Es wird nicht verwundern, daß es selbstverständlich die Definition des Begriffs “Identität“ durch die Wissenschaften nicht gibt. Gleichwohl stand noch für jeden Wissenschaftler, der sich mit menschlicher Identität zu befassen begann, am Anfang ein logisch-psychologisches Grundparadox – und dieser innere Widerspruch geht zunächst einmal auf den Begriff der Identität selber zurück. Vergegenwärtigen wir uns: Identität, das ist von Hause aus kein psychologischer Begriff, kein Begriff, der auf den Menschen bezogen gewesen wäre und bei diesem so etwas wie “Einheit“, “Ganzheit“, “Gleichheit“ oder dergleichen umschrieben hätte. “Identität“ entstammt vielmehr der “Logik“, einem Spezialgebiet der Philosophie, und meint dort die vollkommene Gleichheit zweier Dinge: deren “Einerleiheit, Wesensgleichheit“. Das aber verwirrt: wie kann etwas als identisch bezeichnet werden, was, derselben Aussage nach, doch zumindest doppelt existiert? Einmal unterstellt, eineiige Zwillinge wären in allen ihren körperlichen, geistigen und seelischen Eigenschaften von derartiger Gleichheit, wie es manchen Forschern zufolge nachweisbar ist: wären sie damit, dieser philosophischen Auslegung folgend, auch identisch miteinander – was doch wohl hieße, ein- und dieselbe, nämlich nur eine Person? Das Grundparadox des Begriffs Identität, wie er von der Philosophie definiert worden ist, bleibt in sich ungelöst: etwas soll eins und zwei zugleich sein. Aber auf anderer Ebene, auf psychologischem Terrain, stoßen wir erneut auf ein Paradox:

Der Mensch, das “Individuum“ (lateinisch: das “Unteilbare“), tritt uns natürlich ungeteilt und identisch entgegen, solange wir von seiner materiellen, seiner Körperexistenz sprechen. Jeder von uns besitzt nur den einen, ungeteilten Körper. Doch wie sieht es mit uns als geistigen, als seelischen Wesen aus? Existieren wir in dieser Hinsicht ebenso identisch und ungeteilt?

Die Antwort liegt auf der Hand: Der Mensch ist in der Lage, sich gleichsam selber aufzuspalten in ein Subjekt und ein Objekt. Er kann das Wesen sein, das existiert, und das Wesen, das sich dabei wahrnimmt. Nein, mehr noch: er kann das nicht nur sein und tut dies zuweilen – er tut und ist dies, von Ausnahmezuständen abgesehen, im wachen Zustand permanent.

Bedeutet das aber, daß wir Individuen damit von allem, was wir mit dem Begriff der Identität positiv zu assoziieren pflegen, realiter das negative Gegenteil sind – und uns damit auch noch abzufinden hätten? Krank und kaputt, unglücklich und voll innerer Hektik, unselbständig und zerrissen? Man könnte den Eindruck gewinnen, daß unser Alltagsverständnis von Identität nur diesen Rückschluß übrigläßt. Wer könnte schon von sich behaupten, daß er in allem, was ihn ausmacht, mit sich selber übereinstimmt – und darüberhinaus übereinstimmt mit seiner Umgebung, mit deren Wertschätzung unserer Person? Nun, zutreffend ist, daß wir alle spontan einen solchen Idealzustand von Identität assoziieren, wenn wir von ihm zu sprechen beginnen. Aber zutreffend ist auch: wir wissen trotz aller Anfangsassoziationen zur “Identität“, daß es sich dabei um Wunschfantasien handelt, die niemals zur Gänze realisiert werden können. Und zutreffend ist schließlich: wir erleben diese Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit in aller Regel durchaus nicht dermaßen dramatisch als Quelle von Krankheit und Unglück, als Ausdruck innerer Zerrissenheit und äußeren Versagens. Kurz: der Megabegriff “Identität“ sollte uns nicht zu einem “Alles oder nichts“ verleiten, nach dessen Logik es nur das innere und äußere Elend als Alternative zu diesen Idealzuständen gibt. Mir scheint, im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen des “Alles“ oder “Nichts“ realisieren wir unsere Identität – und verfehlen sie immer wieder auch. Freilich, daß soviel Menschen so überwertig von ihrer Identität träumen, könnte seine Gründe darin haben, daß zu viel Identität zu vielen Menschen realiter vorenthalten bleibt. Da ist nicht vorschnell zurückzuschließen von der Überwertigkeit dieser Ideen auf die Unreife von Menschen, sondern, viel realistischer, auf die “Unterwertigkeit“ von Identität im realen Alltag der Menschen: auf Behinderung ihrer Selbstverwirklichung in ganz fundamentalen und unverzichtbaren Bereichen. Nicht von der Mangelhaftigkeit von Menschen sollte da die Rede sein, sondern von der Mangelhaftigkeit der Verhältnisse, unter denen diese Menschen zu leben haben.

Und was verstehe ich nun unter “Identitäts-Ideen“?

Die Identitäts-„Ideen“
Um es vorwegzunehmen: ich meine, daß wir von allen Seiten her, eigentlich unaufhörlich, von “Identitäts-Ideen“ bombardiert oder begleitet werden. Und: daß wir unablässig auch aus uns selber heraus solche “Identitäts-Ideen“ produzieren. Wir leben in einer Welt, in der uns ständig von draußen gesagt und vorgemacht wird – “vorgemacht“ nebenbei oft im doppelten Wortsinn! -, wie wir zu sein hätten, wenn wir uns als ganz und vollkommen, kurz, als identisch, betrachten wollten. Und wir befassen uns, unbewußt oder bewußt, auch von uns aus immer wieder mit dieser Frage, nicht zuletzt, weil menschliche Identität tatsächlich das große und wichtige, das zentrale Thema eines jeden in seinem Zentrum ist. Immer wieder bringen wir den Begriff der Identität mit dem “Kern“ unseres Wesens in Verbindung. Und wir setzen auch manches, was um uns herum geäußert und scheinbar oder tatsächlich gelebt wird, mit dieser “Kern“-Frage unserer eigenen Identität in Beziehung. Was halten die anderen von mir? Wie muß ich sein, daß ich von den Menschen, unter denen ich lebe, anerkannt und gemocht werde? Was haben die anderen, daß sie so stark und identisch erscheinen? Womöglich etwas, das mir fehlt? Wer bin ich? Was muß ich tun, um zu werden, der ich bin? Was muß ich machen, um zu bleiben, der ich sein möchte? Dies sind Fragen, die wir an uns selber stellen und die uns oft auch unbewußt beschäftigen. Es sind Fragen, auf die wir auch draußen nach Antwort suchen. Und unübersehbar, eigentlich pausenlos, strömen von draußen Bilder und Nachrichten auf uns ein, die solche Auskunft versprechen. Die Welt wird zum Spiegel. Und wir wollen zum Spiegelbild des Spiegelbilds werden.

Freilich, es gibt kein einfaches Täter-Opfer-Schema, das uns diese Zusammenhänge erklären könnte; es gibt auch nicht die große Verschwörung mächtiger Produzenten von Identitäts-Ideen gegen uns. Zum Vorbild kann nur werden, was wir uns zum Vorbild nehmen; und was uns gleichsam von außen imponiert, das imponiert uns in Wirklichkeit auch von innen her. Wir Adressaten der Identitäts-Ideen steuern mit unseren Wünschen und Sorgen, Interessen und Befürchtungen, Idealen und Ängsten das geistig-seelische Material bei, das zur Produktion der Identitäts-Ideen unerläßliche Voraussetzung ist; der Part, den die verschiedenen Macher von identitätsstiftenden Angeboten spielen, besteht darin, modellierend einzugreifen in diesen individuellen Identitätsbildungsprozeß. Insofern greifen die Identitäts-Ideen der Anbieter nur auf, was in uns existiert; sie greifen aber mit dieser Modellierung unserer Bedürfnisse in unsere Psyche auch ein. An einem Beispiel sei das kurz dargestellt – an den Talkshows im bundesdeutschen Fernsehprogramm:

Ein Beispiel: die Identitäts-Idee der Fernseh-Talkshows
Wir wissen, es dürfte wohl kaum mehr einen Fernsehsender geben, der nicht mindestens eine Talkshow seinen Zuschauerinnen und Zuschauern präsentiert, in aller Regel im Wochenabstand, nicht selten auch täglich. Allein im deutschsprachigen Raum kann der Zuschauer wählen zwischen insgesamt 59 verschiedenen Talkshow-Angeboten. Kein Zweifel also: was vor dreieinhalb Jahrzehnten noch rares Novum auf den bundesdeutschen Bildschirmen war, zählt heute zu den verbreitetsten und beliebtesten Sendeformen. Auch die Einschaltquoten – werktäglich sehen im Schnitt 4,3 Millionen Menschen diese Talkshow-Programme – weisen dies immer wieder nach.

Natürlich ist dieser Publikumszuspruch der eine Grund für die Programm-Macher im deutschsprachigen Raum, auf den sicheren Renner Talkshow zu setzen. Und der andere Grund sei hier ebenfalls beiläufig genannt: Talkshows sind billig in der Produktion. Doch wenn da ganz augenscheinlich was “ankommt“ beim Publikum, mittlerweile seit Jahrzehnten schon: was “kommt“ da eigentlich “an“? Und genauer – im Zusammenhang mit unserem Zusammenhang gefragt – : was wäre das denn, die von den Talkshows offerierte “Identitäts-Idee“, völlig unabhängig davon, um welche Sendung es sich im Einzelfall handelt?

Ich denke, die Ursprungsidee der Talkshows ist im Grunde paradoxer Natur (und es ist völlig gleichgültig dabei, ob die us-amerikanischen Erfinder dieser Sendegattung daran gedacht haben mögen): die Talkshow soll zum einen die Großen dieser Welt präsentieren, die Stars und Superreichen, die Glücklichen und Überflieger jedweder Couleur; und zum anderen soll sie uns diese Großen ganz klein präsentieren, als Menschen wie dich und mich, als Menschen mit den kleinen liebenswerten Macken, mit Wünschen, die auch wir kennen, Interessen, die auch wir teilen können, mit Alltagsproblemen, die auch wir immer wieder zu bewältigen haben. Im Kern, so scheint mir, formuliert also noch jede Prominenten-Talkshow diese Idee:
Größe/Berühmtheit/Erfolg als Nähe- oder Erreichbarkeitszustand. Insofern setzt jede Prominenten-Talkshow auch auf Identifikation. Spräche die eingeladene berühmte Schauspielerin tatsächlich von ihrer Arbeit, von den Schwierigkeiten und Diffizilitäten ihres Berufs, kurz: von der professionellen Seite ihrer Profession, so “schalteten“ die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer ziemlich bald im doppelten Wortsinne ab; diese Schauspielerin hätte gegen ein Grundgesetz dieser Sendeform verstoßen, gegen eine Grundidee dieses Programmangebots, gegen die “Identitäts-Idee“ der Talkshows (ich komme darauf gleich noch zurück). Redet die nämliche Schauspielerin in der Talkshow aber von ihren drei Pudeln, von ihrem Mitleid für die hungernden Kinder in der Dritten Welt, von ihrem Lieblingsrezept, dann hört und sieht ihr das Publikum mit Interesse und wachsender Identifikation zu. Derart ist auch der Umstand zu erklären, daß dann etwa der Rennfahrer von seinem Faible für Rockmusik erzählt, der Rockmusiker von seiner Begeisterung für moderne Malerei, der moderne Maler von seinem Interesse an der Formel 1: jeder der eingeladenen Großen spricht weniger als Profi von seiner Profession denn als Laie von der Profession seines Nachbarn oder von seinen sonstigen Liebhabereien. Nur so verschmelzen “Größe“ und “Normalmaß“, “Nähe“ und “Distanz“ zum typischen Talkshow-Syndrom. Aber: mit seiner “Größen-Idee“ ist trotzdem noch jede Talkshow geeignet, bei den Zuschauern das latente Gefühl eigener Kleinheit zu vergrößern. Wir sind damit bei der “Identitäts-Idee“ dieser Talkshows angelangt; wir können sie, denke ich, in den folgenden Sätzen (und negativen Gegen-Sätzen) formulieren:

• Im Grunde mußt Du in dieser Welt groß und berühmt, reich oder erfolgreich sein. Wer “klein“ ist, weist ein Defizit auf, hat einen Makel, hat versagt, hat Anlaß, im Grunde beschämt zu sein, er ist nicht gefragt.

• Du mußt gut reden können; wer nicht gut reden kann, kann überhaupt nicht mitreden und sollte lieber den Mund halten.

• Du mußt selbstsicher sein und selbstbewußt auftreten können; wer das nicht ist und nicht kann, darf sich über seine Mißerfolge oder seine Kleinheit nicht wundern.

• Du mußt witzig, lustig, gut drauf sein; wer das alles nicht ist, sollte sich lieber versteckt halten, auch vor sich selbst – oder er muß auf besonders telegene Weise seinen Ernst präsentieren können.

• Du mußt an der Oberfläche bleiben; wer den Dingen auf den Grund geht oder auf den Grund zu gehen versucht mit Ernst und Akribie, der langweilt im allgemeinen nur, nervt und fällt sehr schnell aus der Akzeptanz der anderen heraus.

Die Identitäts-Idee der Prominenten-Talkshows operiert ganz offenkundig mit einer Gruppe von Identitäts-Idealen. Berühmtheit, Beredtheit, Gutgelauntheit, Oberflächlichkeit – das sind (beim letzten Punkt womöglich überraschend) die zentralen Sollvorstellungen, die von unseren heißgeliebten Talk-Shows ausgehen. Und diesen “hellen“ Vorstellungen auf der Sonnenseite des Lebens entspricht das Schattenreich verpönter Zustände: Mißerfolg, Unvermögen, Depression, Besorgtheit. Was Horst-Eberhard Richter in seinem Buch “Umgang mit Angst“ unter dem Begriff “O.K.-Gesellschaft“ analysiert hat, mit all den negativen Selbstabspaltungstendenzen für uns, das sehe ich zur Zeit am klarsten und mächtigsten von den Talk-Shows in Szene gesetzt. Mit den Stärken der Starken zeigen die Talk-Shows zugleich den Schwachen ihre Schwächen. Die “O.K.-Gesellschaft“ wirkt wie eine “K.O.-Gesellschaft“. Betont sei freilich dabei: auch völlig unabhängig vom Willen und Bewußtsein der Beteiligten selbst. Es handelt sich, wenn man so will, um den “heimlichen Lehrplan“ der Talk-Shows. Kurz: Je bedrückter wir sind, desto sehnsüchtiger halten wir nach solchen kontrastierenden Beispielen Ausschau; je mehr diese imposanten Identitäts-Ideen abheben, desto niedergedrückter empfinden wir uns, potentiell jedenfalls. Und das wichtigste, das im Wortsinn zentrale Merkmal all dieser Identitäts-Ideen mit ihren Größenansprüchen ist:

Das, was wir sein sollen, sollen wir ganz sein, ohne Rest und inneren Widerspruch, ohne Zwiespältigkeit, innere Vielfältigkeit oder Ambivalenz. Noch jede Identitäts-Idee besitzt insofern einen inhumanen, auf Selbstverdrängung hin angelegten Zug: nie kann der Mensch ganz sein, was er ist, immer nur soll er ganz sein, was er sein soll. Das Grundmerkmal aller Identitäts-Ideen ist mithin, daß sie wirkliche Identität gar nicht wollen, Identität also, die nicht nur aus “idealen“
Anteilen besteht (stattdessen: sehr realen und menschlichen Anteilen). Anders gesagt: jede Identitäts-Idee, die Ideale präsentiert, ist zugleich auch eine Identitätsvernichtungsidee. – Doch immer noch dürfte eine entscheidende Frage offen sein: Wieso eigentlich sind Identitäts-Ideen so attraktiv für uns?

Die Anziehungskraft der Identitäts-Ideen
Zum Vorbild wird, was sich die Menschen zum Vorbild nehmen. Und mittlerweile haben wir feststellen können: die Identitäts-Ideen formulieren fast durchweg Vollkommenheitsfantasien, Größen-Ideale, Allmachtsvorstellungen, denen gegenüber eigentlich noch jeder versagt. Wieso dann deren Mächtigkeit? Wieso dann Zustimmung zu diesen beschämenden Idealen statt heftiger Abwehr?

Ich denke, der mächtigste psychische Mechanismus, der uns solche Identitäts-Ideen nicht nur ertragen, sondern sogar suchen läßt, ist der Mechanismus der Identifikation. Wenn wir uns in die Situation hineinfantasieren, der über all die Größe, Schönheit und Potenz scheinbar oder tatsächlich verfügt, wie es uns die jeweilige Identitäts-Idee vorgaukelt, haben wir ja innerlich Anteil daran: wir treten gleichsam an die Stelle des anderen, sind mit ihm, wie die Psychoanalyse sagt, narzißtisch identifiziert. Eine Art Verschmelzung des Ichs mit diesen Idealen findet statt, wir fühlen uns sicher, Selbstkritik verstummt, innere Zerrissenheit scheint beseitigt, und es scheint Übereinstimmung erreicht mit den Wertvorstellungen und Geboten der Umwelt; im Ideal stellt diese Verschmelzung mit dem Ideal den Himmel auf Erden dar. Und ich behaupte: es ist eines der zentralen Versprechungen aller Identitäts-Ideen überhaupt, gleichsam zurückkehren zu können ins Paradies. Und zweitens: in ein Paradies zurückkehren zu können, das mit seinen Sicherheits- und Größen“garantien“ gleichzeitig eine Festung ist, in der uns nichts und niemand mehr was anhaben kann. In Glück zu leben und in Sicherheit! Geborgenheit: wer wollte das nicht?

Die Verbotswelt der Identitäts-Ideen
Wo reife Identität die Integration auch der eigenen Schwächen miteinschließt, das Akzeptieren der eigenen Kleinheit und Zerbrechlichkeit, wo reife Identität also ebenso realistisch in der Selbstwahrnehmung ist wie human in der Selbstannahme dieser Begrenztheiten, da verharren diese narzißtischen Identitäts-Ideen mit ihrer Maßlosigkeit im Grunde auf einem infantilen Niveau. Die Identitäts-Ideen stellen Gebots- und Verbotskataloge auf, denen wir entnehmen können, wie wir sein sollten und wie nicht. Da aber keiner von uns diesen Geboten und Verboten ganz entsprechen kann (da er dann kein Ganzer mehr wäre), ist bei Identifizierung mit diesen Ideen das “Versagen“ und Verheimlichen gleich mitprogrammiert. Scham nach innen hin, Verachtung nach außen hin sind die Folge. Die Identitäts-Ideen, die den paradiesischen Frieden versprechen, sind Unruhestifter par excellence. Sie bieten auch nicht die festungsgleiche Sicherheit, die wir bei ihnen suchen, sondern sie holen die identitätszerbrechenden Truppen gleichsam ins eigene Haus. Und schließlich:

Das Autonomie- und Echtheits-Versprechen, das noch mit jeder Identitäts-Verheißung verknüpft ist, erweist sich bei den Identitäts-Ideen als Lockruf in die Abhängigkeit (Heteronomie) und in die Gefilde eines “Als-ob“, als Wegweiser gerade in die Ausbildung eines “falschen Selbst“. Die Formel könnte lauten: wir müssen überall Rollen spielen, um überhaupt eine Rolle spielen zu können. Wir tauschen unsere eigene, unsere individuelle, unsere im unmittelbaren Austausch mit anderen Menschen entwickelte Identität gegen eine fremde, gegen eine normierte, gegen eine von außen und oben aufgenötigte Identität ein. Persönliche Selbstentfremdung und politische Entmündigung gehen Hand in Hand. Damit aber zerstören die Identitäts-Ideen wirkliche Identität – Identität, die auch unsere „nicht-idealen“ Seiten umfaßt und etwas zu tun hat mit den wirklichen Menschen in unserem Leben.

Ich denke, es paßt zu dieser Infantilisierungsfunktion der Identitäts-Ideen, daß sie zumeist auch in anderer Hinsicht die Entmündigung des Individuums auf ihre Fahnen geschrieben haben. Überall nämlich wird den Individuen Selbstveränderung, nicht Gesellschaftsveränderung als zentrales Gebot suggeriert; und bei vielen Identitäts-Ideen meint Selbstveränderung nicht so sehr den aktiven, den produzierenden Menschen, sondern den passiven, den konsumierenden Zeitgenossen. Die Glückssuche im Bereich der Identitäts-Ideen hat deshalb auch durchweg diesen ausschließlich psychologisch-individualistischen Zug, und die Identitäts-Ideen besitzen dementsprechend den Charakter von Vereinsamungsprogrammen. Wo das gemeinschaftliche globale Projekt einer friedlichen, gerechten und gesunden Welt gescheitert oder unrealisierbar erscheint, wo Arbeitslosigkeit und Sozialabbau zunehmend mehr Menschen auch in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit ängstigen und kein Experte eine Lösung weiß, bleibt nur eines noch übrig: man ändert sich selbst, nicht die Welt, zieht sich zurück statt auf andere zuzugehen, sucht nach Ersatz und reduziert Selbstverwirklichung zunehmend auf ein isoliertes narzißtisches Projekt.

Zur politischen Unterdrückungsfunktion der Identitäts-Ideen
Insofern ist das gesamte Thema “Identität“ Ersatz für das andere große fallengelassene Thema, nämlich das Thema “Realität“; “Realitäts-Ideen“ haben ausgedient, “Identitäts-Ideen“ sind “in“. Der eigenen realen Hilflosigkeit wird begegnet durch eine Art kompensatorischer Vorwärtsverteidigung, durch Identifizierung mit der Größe der Identitäts-Ideen. Die narzißtische Funktion der Identitäts-Ideen hat in Wirklichkeit fiktiven Charakter, sie kreisen um eine Fantasie der Entrinnbarkeit aus den Fängen der Wirklichkeit. Dies ist die neue vorherrschende Ideologie: Ich-Veränderung statt Gesellschaftsrevision. Oder anders gesagt: es geht nicht mehr um die
Utopie einer angstfreien Welt, sondern nur noch um die Utopie eines angstfreien Ichs. Eine Art Privatisierung des Identitäts-Verständnisses hat eingesetzt, eine Psychologisierung auch, und eine Art von Rückzugs-Identität hat sich in den Köpfen der Menschen als einzig noch realisierbar erscheinende Form von Identität etabliert. Doch ob die Surrogate zu leisten vermögen, was einem im Original verwehrt ist? Ob der Ehepartner an Selbstwertgefühl wiederzugeben vermag, was einem die Berufstätigkeit vorenthält? Das dürfte wohl sehr fraglich sein. Gleiches gilt für den Konsumbereich, bei allen Genüssen, die es dort geben kann: ein westdeutscher Büroangestellter aus Gürzenich wird nicht zum Südstaatenrancher, bloß weil er einen Landrover fährt – schon die blauen Jeans hatten keinen von uns zum Cowboy auf dem Pferderücken gemacht; und die Löwenmähne des Tina-Turner-Fans Ursula aus Heidelberg macht diese noch lange nicht zum Rockstar, ebensowenig wie die erste Zigarette den zwölfjährigen Jungen zum Erwachsenen macht. Mit anderen Worten: verschoben auf Freizeit und Konsum, läßt sich an identitätsstiftender Wirkung nur ein Bruchteil dessen erreichen, was in früheren Zeiten – potentiell zumindest und zumindest für die privilegierteren Schichten – die eigene berufliche Selbstverwirklichung bot.

Apropos: natürlich rede ich damit nicht einer freudlosen Arbeitsmoral das Wort und kritisiere den “Konsumismus“ gleichsam von einer antihedonistischen Warte aus. Im Gegenteil, ich versuche damit, gerade auf der Basis berechtigter hedonistischer Interessen des Menschen, den “Konsumismus“ zu kritisieren, nämlich als oftmals versagende, bestenfalls halb funktionierende Form der Bedürfnisbefriedigung. Wer mit seiner “Harley-Davidson“ über die Landstraßen brettert, weil sonst seine Welt mit Brettern vernagelt ist, wer nur noch seine Maschine, nicht aber mehr sein Leben wirklich bewegen kann, lebt trotz aller äußeren Mobilität längst schon in einem Zustand innerer und äußerer Erstarrung.

Was bedeutet es in diesem Zusammenhang aber, daß intensiver als jemals zuvor den Menschen Bilder dieses gelingenden Lebens, zumindest am Beispiel von Medienstars, ins Haus geliefert werden? Welche Schere zwischen eigenem Leben und Prominentenwelt tut sich da auf, welche Lücke beginnt da im eigenen Innern zu klaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit? Und wie sieht es – nicht zuletzt – mit der finanziellen Realisierung der verschiedenen Lebensstilangebote aus?

Nun, viele “Lebensplan“-Forscher, viele Pädagogen und Psychologen stimmen darin überein:
Die Veränderungsprozesse in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, in Technologie und Arbeitsplatzorganisation, nehmen von Jahr zu Jahr an Tempo und Radikalität zu – und damit der Zwang für den einzelnen Menschen, durch permanente Selbstveränderung, durch Lernen des Neuen und Lernen des Veralteten, Schritt zu halten mit diesen Prozessen. “Longlife-Learning“, “Bildungs-Vorlauf“, “Flexibilisierung“, “Weiterqualifikation“, “Mobilität“ sind Stichworte dazu, die fast täglich in den Medien zu lesen sind und diesen Anpassungszwang auf verdeckte Weise beschwören. Der Mensch, der einmal “ausruhen“ möchte, ist sehr schnell abgehängt, das Individuum, das nicht mehr mithalten kann, erst recht. Und wie gesagt: dies alles vollzieht sich unter den Bedingungen weltweiter Konkurrenz – Stichwort “Globalisierung“ – und weltweit anwachsender Arbeitslosigkeit. Spätestens an dieser Stelle tritt für die Menschen neben der Unruhe und Hektik auch noch die Angst hinzu, die Furcht, im Konkurrenzkampf um den Arbeitsplatz den Job zu verlieren, wenn man nicht mehr mithalten und durchhalten kann. Man könnte sagen: untergründig haben auch Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarkt – die in diesem Falle nicht voneinander zu trennen sind – ihre “Identitäts-Idee“ entwickelt, und das träfe sogar zu, wenn wir diese Identitäts-Idee nicht täglich in den Stellenangeboten auf höchst anspruchsvolle Weise ausformuliert fänden. Diese Identitäts-Idee fordert den konkurrenzbereiten und aufs äußerste belastbaren Einzelkämpfer – gleichzeitig soll diese Arbeitskraft natürlich teamtauglich sein -, diese Identitäts-Idee fordert die möglichst allround-qualifizierte und mit permanenter Weiterqualifizierung beschäftigte Arbeitskraft, die aber gleichzeitig, bei aller Intelligenz, die ihr abverlangt wird, nach dem Sinn ihrer Arbeit und der Zumutbarkeit der Arbeitsbedingungen nicht mehr fragt. Identität, das ist hier nur noch Unterwerfungsbereitschaft unter die “Marktgesetze“, das ist unaufhörliche Bereitschaft zur Selbstanpassung, Selbstverleugnung und Selbstrevision. – Die “tätige Aneignung der Welt“, wie das der Berliner Identitätsforscher Peter Lohauß einmal formuliert hat, taugt in vielerlei Hinsicht nicht mehr zur Realisierung der eigenen Identität. Das betrifft den beruflichen Alltag. Das betrifft aber auch, wie ich finde, in anderer Weise die Politik. Was meine ich damit?

Nun, abkürzend gesagt: wir leben in einer Phase zunehmender Destruktivität – und die konstruktiven Ressourcen der Menschen scheinen gleichzeitig dabei zur Neige zu gehen. Wir sehen uns nicht nur mit einer immer rabiater um sich schlagenden Weltwirtschaft konfrontiert, sondern wir erleben gleichzeitig auch, daß die Lösung ihrer Probleme von Wirtschaftsgipfel zu Wirtschaftsgipfel vertagt werden muß, da die versammelten Spitzenpolitiker der Welt keinen Ausweg finden, keinen Konsens. Wir erleben das gleiche deprimierende Schauspiel, wenn es um ökologische Fragen oder Fragen der Friedenspolitik geht: auch hier jagen sich die Konferenzen, die Spitzengespräche und zumeist auch hier ohne Ergebnis.

Nun dürfte sicherlich zutreffend sein, daß dies alles so neu gar nicht ist. Aber neu an den destruktiven Problemen, die ihrer konstruktiven Lösung harren, ist, so scheint mir, deren Ausmaß und deren globale Relevanz. Es ist eben ein Unterschied, ob man “nur“ vom Smog in London reden muß und nur dort eine neue Beheizungsverordnung zu beschließen hat (was vor einiger Zeit geschah – mit wahrnehmbaren Erfolgen schon jetzt) -, oder ob man sich der Erwärmung der Erdatmosphäre wegen weltweit einigen muß, da sie das Leben auf diesem Planeten insgesamt bedroht. Nachrichten zu diesen Bedrohungen erreichen uns täglich, aber wenn mein Eindruck nicht täuscht, so haken sehr viele Menschen in ihrem Innern diese Nachrichten nur noch ab. Die anderen, die sich von diesen Problemen noch aufrütteln lassen und zum Beispiel in Bürgerinitiativen Einfluß zu nehmen versuchen, trifft der Spott, “Apokalyptiker“ zu sein oder zur Gruppe der hämisch verlachten “Gutmenschen“ zu gehören. Resignation scheint aufgekommen zu sein, die bei vielen wirkliche Angst gar nicht mehr zuläßt – vom eigenen Engagement gar nicht zu reden.

Was bei so viel Verleugnung von Realität oder Verdrängung der ihr entsprechenden Gefühle übrigbleibt, das ist eine Art von Rückzugs-Identität (und zur Abwehr dieser echten Gefühle und dieser Probleme in der Wirklichkeit dienen unter anderem die Identitäts-Ideen). Deren Botschaft ließe sich aus diesem Enttäuschungszusammenhang deshalb auch folgendermaßen formulieren: nur der Weg nach innen suggeriert noch einen Weg in die Sicherheit. Die Resignation richtet sich auf alle “großen“, auf alle öffentlichen Dinge, auf Politik und Gesellschaft. Zuversicht bleibt einzig noch vorbehalten dem Einzelnen, dem vom anderen isolierten Ich, das an keine echte Solidarität oder Wirksamkeit gemeinsamen Handelns mehr glauben kann (vor allem Jugendliche führen uns diese Selbstspaltung vor). Hat eine Achtundsechziger-Bewegung womöglich mit zuviel Politik das Persönliche verdrängt, so verdrängt die heutige Generation mit zuviel Persönlichem die Politik. Es scheint, daß die hier diskutierten Identitäts-Ideen nur zu begreifen sind, wenn sie als falsche Antworten auf falschgelaufene Geschichte verstanden werden. Es scheint, in den Identitäts-Ideen träumen wir unrealistisch gegen diese Realitäten an. Man könnte aber auch formulieren: in den falschen Träumen der Identitäts-Ideen ist es die falsche Welt selber, die in uns träumt. Das Selbstbewußtsein aber dürfte gleich doppelt beeinträchtigt zu sein: es ist kein Bewußtsein des tatsächlichen Selbsts mehr, und es ist schon gar nicht das Bewußtsein eines tatsächlich guten Selbsts. Kurz: wer auf diese Identitäts-Ideen eingeht, der geht ihnen in Wahrheit auf den Leim. Ob es deshalb ein Zufall ist, daß es einer gigantischen Beschwichtigungsindustrie bedarf, um die damit eingekapselten Gefühle der Leere und Unruhe, der Isolation, Angst und Verzagtheit in Schach zu halten.
Das Paradies- und Festungsversprechen der Identitäts-Ideen taugt nicht dazu, dieses Glück und diese Sicherheit zu produzieren. Allerdings arbeiten große Teile der Bewußtseins-Industrie an diesem Projekt, das persönliche Projekt eigener Identität zu zerstören. Denn das ist die Grundforderung noch jeder Identitäts-Idee an das einzelne Individuum: werde ein anderer, als Du bist! Realisiere durch Identifizierung mit uns bestimmte – von uns bestimmte – Anteile Deiner Persönlichkeit, indem Du andere – von uns verworfene – Anteile Deiner Persönlichkeit verwirfst! Kurz: strebe nach unserem Diktat nach Selbstverwirklichung – – – durch Selbstvernichtung nach unserem Diktat!

Literaturangaben:

Brockhaus, Der große. In 12 Bänden. Wiesbaden 1977
Goldner, Colin: Meiser, Fliege & Co: Ersatztherapeuten ohne Ethik. In Psycho¬logie heute 6/1996
Lohauß, Peter: Moderne Identität und Gesellschaft. Opladen 1995
Platta, Holdger: Identitäts-Ideen. Gießen 1998
Richter, Horst-Eberhard: Umgang mit Angst. Hamburg 1992

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