Manche sind eben gleicher als Andere!

 In Monika Herz, Politik (Inland), Wirtschaft

Eine der hartnäckigsten und im negativen Sinn folgenreichsten Ungerechtigkeiten unseres Wirtschaftssystems wird so gut wie nicht beachtet. Die Grünen interessiert es nicht, SPD-Messias Martin Schulz interessiert es nicht, und auch die Linke hat das Thema bisher nicht für sich entdeckt. Von neoliberalen Betonköpfen ganz zu schweigen. Wahrscheinlich haben auch Sie über dieses Thema noch nie nachgedacht. Dabei ist es ganz einfach: Lohn- und Rentenerhöhungen werden in Prozenten berechnet. Das heißt im Klartext: Bedürftige bekommen nicht etwa mehr Geld als Leute, die sowieso schon in Geld schwimmen. Bedürftige bekommen auch nicht das gleiche wie Reiche (z.B. jeder 100 Euro mehr pro Monat) – nein: Bedürftige bekommen WENIGER als ihre wohlhabenden Mitbürger. So öffnet sich die sattsam bekannte “Schere” zwischen Arm und Reich immer weiter – und keiner beschwert sich. Warum eigentlich nicht? Kann keiner rechnen oder schlicht ein bisschen nachdenken? Es bedurfte wohl des gesunden Menschenverstandes von Franz Herz, Bergmann aus Hohenpeißenberg, um den Skandal aufzudecken. Seine Tochter rechnet es der offenbar des Rechnens nicht mächtigen Arbeitsministerin vor. (Monika Herz)

Sehr geehrte Frau Nahles,

auf der Suche nach positiven, guten Nachrichten ist mir heute eine Meldung ins Auge gefallen, die zunächst recht positiv anmutet. Die rund 21 Millionen Rentner in Deutschland erhalten vom 1. Juli an mehr Geld. Ihre Bezüge werden im Westen um 1,9 Prozent und im Osten um 3,6 Prozent angehoben.

Hurra! Frau Nahles tut etwas gegen die Armut! Bekanntlich gibt es ja inzwischen jede Menge Armuts-Rentner. Arm ist, wer in Deutschland weniger als 60 % des Netto-Durchschnitts-Verdienstes hat. Der durchschnittliche Netto-Verdienst eines Single-(NICHT Familien!)-Haushalts beträgt ca. 1600,- Euro. 60% davon sind 960 Euro. Arm ist also, wer weniger als 960 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. Dies nur nebenbei. Ich kenne tatsächlich einige Leute, die den Durchschnitts-Verdienst von 1600,- nett noch nie im Leben erreicht haben. Als reich gilt übrigens, wer als Single mehr als doppelt so viel wie der Durchschnitt zur Verfügung hat. Monatlich also mehr also 3200,- Euro. Netto. Als Single wohlgemerkt.

Auf den ersten Blick erscheint es ja so, als wollten Sie, verehrte Frau Nahles, die Armuts-Rentner mit Ihrer Erhöhung beglücken und außerdem für einen Ausgleich zwischen den Ost und Wests sorgen. Weil die ehemaligen Ost-Deutschen weniger Rente kriegen als die ehemaligen West-Deutschen. So heißt es jedenfalls in der Nachricht von heute morgen.

Klingt erst mal gut. Jedoch: Adlerauge sei wachsam! Ist es wirklich ein gutes Werk der Bundesregierung? Oder ist es eine Täuschung? Bei genauerer Betrachtung kommt nämlich heraus, dass mit der Rentenerhöhung nicht die Armut der RentnerInnen bekämpft wird, sondern dafür gesorgt wird, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch ein Stück weiter aufgeht. Das glauben Sie nicht, Frau Nahles? Ich kann es Ihnen ganz einfach beweisen.

Ich hätte es übrigens schon als Kind gekonnt. Damals, ich war vielleicht 8 oder 10 Jahre alt: Mein Vater stand am Gartenzaun und unterhielt sich mit dem Nachbarn über die geplante Lohnerhöhung. Er war ärgerlich. „Die sollen doch einmal jedem 100 Mark mehr geben! 100 Mark sind für jeden 100 Mark! So aber kriegen wir Prozente! Wir beide kriegen 50 Mark, und derjenige, der jetzt schon mehr hat, als er ausgeben kann, kriegt 250 Mark….“ So ungefähr redete mein Vater. Mir ist seine Rede in Erinnerung geblieben, als wäre sie besonders bedeutsam für mein Leben. „Mit der ständigen Prozent-Erhöhung werden die Reichen immer reicher“ sagte mein Vater.

Und er rechnete es mir vor: „Der X, der heute 5000 Mark verdient und 5 % Lohnerhöhung kriegt, ist dann bei 5250 Mark. Der Y, der 1000 Mark verdient, kommt danach auf 1050. Im nächsten Jahr gibt’s wieder 5 %. X ist dann bei 262,50 Mark Erhöhung und trägt bereits 5.512,50 Mark nach Hause. Y ist bei 52,50 Mark Erhöhung und kommt mit 1102,50 Mark heim zu Frau und Kindern. Nach zwei Jahren hat der reiche Herr X bei „gleicher Lohnerhöhung für alle von 5%“ 512,50 Mark mehr bekommen und der arme Herr Y hat 102,50 Mark mehr in der Tasche. Und so geht es Jahr für Jahr weiter! Das kann nicht gut gehen…“

Mein Vater hatte recht. Das ist tatsächlich nicht gut gegangen. Ein Heer von Armutsrentnern ist entstanden. Mehr als 10 Millionen Menschen! Wenn die sich alle erheben würden – nicht auszudenken!

Ich kann es Ihnen auch etwas genauer ausführen. Das Einfache ist ja oft viel zu schwierig für Leute wie Sie, die viele Jahre brauchen, um Rentenerhöhungen zu berechnen und damit das Problem verschärfen, anstatt es zu lösen. Lassen Sie mich etwas weiter ausholen, und bevor ich mir selbst die Mühe mache, nach Worten zu suchen, lasse ich mal das schlaue Wikipedia sprechen:

„Die Durchschnittsrente ergibt sich aus dem Quotienten der jeweiligen gruppenbezogenen Gesamtzahlung und der Anzahl dieser betrachten Gruppe. In der allgemeinen Rentenversicherung lag die durchschnittliche Altersrente am 31. Dezember 2011 für Männer in den alten Bundesländern bei 1052 €, in den neuen Bundesländern bei 1006 €, Frauen in den alten Bundesländern bekamen im Durchschnitt eine Altersrente in Höhe von 521 €, in den neuen Bundesländern von 705 €.[2] 3,7 Millionen Rentner leben in Deutschland mit einer gesetzlichen Rente von unter 300 Euro im Monat. Sechs Millionen Rentner erhalten eine bis zu 500 Euro. 13 Millionen Senioren, rund 72 Prozent, erhielten 2012 eine Rente von bis zu 1000 Euro im Monat.“[3]

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzliche_Rentenversicherung_%28Deutschland%29#H.C3.B6he_der_Renten

Neuere Zahlen stehen mir im Moment nicht zur Verfügung. Es wird sich auch grundsätzlich nicht allzu viel verändert haben, weil die Weichen nicht richtig gestellt worden sind! Der Zug fährt schon seit meines seligen Vaters Zeiten immer in die gleiche Richtung. Das Credo lautet: Man gebe denjenigen, die schon mehr als genug haben, immer noch mehr und nehme es denen weg, die zu wenig haben.

Etwa 10 Millionen Rentner und Rentnerinnen befinden sich also weit unterhalb der Armutsschwelle! 10 Millionen alte Menschen kriegen weniger als 300,- bzw. 500,- Euro Rente! Wenn ich diejenigen, die unterhalb der Armutsschwelle von 960,- Euro herumgurken, noch dazurechne, dann sind wir bei weit mehr als der Hälfte aller Rentner (21 Millionen). Sie glauben doch nicht etwa im Ernst, liebe Frau Nahles, dass Sie an der Armut einer Rentnerin, die weniger als 300,- oder 500,- Euro Rente bekommt, mit einer Erhöhung von 1,9% oder auch von 3,6% etwas wirklich Substanzielles ändern können? Können Sie denn nicht rechnen? Oder geht es Ihnen gar nicht wirklich um die Beseitigung der Armut? Wieviel Rente bekommen Sie selbst eigentlich?

Hören Sie ruhig auf meinen guten Rat, Frau Nahles. Pfeifen Sie einfach die ganze Rentenerhöhung zurück. Sie können das, Sie sind doch immerhin die Ministerin. Sagen Sie: „Tut mir leid, Leute, ich habe mich geirrt. Um die Altersarmut zu beseitigen, müssen wir die Art zu rechnen ändern. Die Prozentrechnung hat sich in diesem Fall als falsch erwiesen! Ganz falsch! Wir müssen stattdessen dafür sorgen, dass jeder Rentner und jede Rentnerin mindestens auf die Schwelle gehoben wird, an der die Armut aufhört.“ So müssten Sie sprechen! Die Schwelle, das sind derzeit diese oben erwähnten 960,- Euro. Am besten machen Sie eine schöne runde Zahl draus. Mindestrente: 1000,- Euro.

Das können Sie auch gleich dem Herrn Schulz ins Ohr flüstern. Mein Rat könnte ihm immerhin mehr als 10 Millionen Stimmen zuspielen. Ich meine das im Ernst. Wie Sie die Mindestrente bezahlen sollen, wissen Sie nicht? Wie war das gleich wieder mit der damals abgeschafften Vermögenssteuer? Ist nur ein spontaner Einfall. Es gibt viele Möglichkeiten. Sie müssen mich nur fragen!

Wer mehr als doppelt so viel Rente hat wie diese 1000,-, bekommt jetzt erstmal keine Erhöhung mehr. 2000,- Euro Rente – als Single wohlgemerkt –, da braucht es jetzt nicht unbedingt eine Erhöhung. Das gilt übrigens auch für die Pensionen. Eine weitere Baustelle! Die werde ich ein anderes Mal betreten.

Ich höre mich gerade tief seufzen. Ach, Frau Nahles, wenn Sie doch auf mich hören würden!

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Monika Herz

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