Nachbemerkungen zu einem Jahreszeitenzyklus

 In Holdger Platta, Poesie

Zum ersten Mal seit einem Jahr erscheint an diesem Montag auf unserer Seite kein Gedicht von Holdger Platta. Der Grund: sein schöner Jahreszeitenzyklus “Kastanien – ihr rasendes Blühen” ist abgeschlossen. Ein Jahr voll kluger, sprachmächtiger Betrachtungen, in denen neben Natur- und Menschenschilderung auch Zeitkolorit einfloss, geht zu Ende. Und wieder stehen wir kurz vor dem Winter – auch politisch, könnte man ergänzen. Zeit für eine abschließende Reflexion des Autors. (Holdger Platta)

Merkwürdig genug: wieder und wieder werden “Heimat”-Gedichte geschrieben, auch heute noch, aber oft mit dem Rücken zum Fenster – und häufiger noch mit dem Rücken zur Geschichte.

Und merkwürdig auch dieses: die “Heimat”-Gedichte beschwören fast immer nur eine „schöne“, eine widerspruchsfreie, eine ausschließlich „gute“ Welt.

Da leuchten dann Sommerwolken über dem Tal, da biegen sich dunkle Alleen in die Landschaft hinein, da fällt Schnee über die Häuser, bis sie fast ersoffen sind, doch eigentümlich harmlos bleibt das alles, ohne Zerrissen-heiten und Tiefe, menschenleer bleiben diese Landstriche, eigentümlich geschichtenlos ganze Provinzen, eigentümlich ungegenwärtig auch die Zeiten außerhalb der Jahreszeiten. Naturgedichte und Heimatgedichte: immer noch das Genre völliger Ahnungslosigkeit, eine Welt ohne schmerzhafte Ambivalenzen und Tod?

In „Kastanien, ihr rasendes Blühen“ versuche ich, “Heimat” doppelt zu sehen: auch in diesen Gedichten gibt es Jahreszeiten, riecht es nach Heu oder Holunder, auch in ihnen ziehen Wolken über die Gärten schön weg, auch in ihnen verschlafen Schafe mit ihren Gesangbuchgesichtern ganze Sommertage auf einer üppig blühenden Wiese. Aber es leben auch Menschen hier, saufen sich in dunklen Häusern zu Tode; es gab auch hier mal was anderes, alte Geschichten am Wirtshaustisch prahlen davon; und von den Fernsehmattscheiben her berichten auch hier Nachrichtenagenturen aus den Welten hinter dieser Welt. Während in den Bäumen vorm Fenster der Regen vor sich hin flüstert, sinken auf dem Bildschirm zwei Häuser in Zeitlupe zusammen. Und die Wolken leuchten am anderen Morgen wie immer und anders über dem Tal.

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