Ohne Wenn und Aber: ein Meisterwerk

 In CD-Tipp, Roland Rottenfußer

OhneWarumCoverKonstantin Weckers neue Aufnahme „Ohne Warum“ entwirft ein anspruchsvolles und dabei tief bewegendes „Programm“, das auf Wiederbeseelung einer verhärteten, einseitig dem Zweckdenken verfallenen Welt abzielt. Politische Kritik, Utopie und mystische Öffnungen gegenüber dem „Wunderbaren“ fließen dabei in eines. Dieses reife Spätwerk bündelt viele der Lebensthemen Weckers und hebt sie auf eine neue, bewusstere, poetisch vertiefte Stufe. „Easy Listening“ für Denk- und Hörfaule ist das freilich nicht; wohl aber wird man mit seltenen und überraschenden musikalischen Schönheiten sowie mit Erkenntnisgewinn belohnt. (Roland Rottenfußer)

Nach der sehr wirkungsvollen und erfolgreichen CD “Wut und Zärtlichkeit” aus dem Jahr 2011 hätte man befürchten können, dass als nächstes ein “kleineres” Werk folgen würde. Aber nichts davon. „Ohne Warum“ erfüllt nicht nur die Sehnsucht des unverbesserlichen “Altfans”, dass quasi ein neues “Liebesflug” (mit Cello!) entstehen möge; es wird auch nichts von der politischen Aktualität und Brisanz der Vorgänger-CD weggenommen. “Mystik und Widerstand” könnte das Werk auch in Anlehnung an ein berühmtes Buch von Dorothee Sölle heißen. Oder “Kultur und Rebellion” – der Slogan dieses Webmagazins „Hinter den Schlagzeilen“.

Interessanterweise drängt sich als drittes Stichwort „Romantik“ auf – im Sinne eines umfassenden Wiederverzauberungsversuchs für eine in vieler Hinsicht ausgedörrte und Not leidende Welt. Politische Romantik, wie sie tatsächlich schon in der Frühromantik angedacht war. So ist es nur konsequent, dass eine Passage auftaucht, die aus Versen von Novalis und Wecker zusammengemischt wurde:

Erst wenn Gedichte und Geschichten
das Herz wieder gerade richten,
wenn wir den eignen Melodien
nicht mehr so hilflos taub entfliehen,
wenn nicht das Streben nach Gewinn
des Lebens kläglich karger Sinn
und wir an Zins und Dividenden
keinen Gedanken mehr verschwenden,
wenn die so singen oder küssen,
mehr als die Tiefgelehrten wissen,
dann fliegt vor einem geheimen Wort
das ganze verkehrte Wesen fort.

Wecker ist es dabei gelungen, ein spirituelles Programm ohne Verwendung der Worte “Spiritualität” oder “Mystik” und (fast) ohne das Wort “Gott” zu schaffen, das somit (hoffentlich) auch für Nicht-Spirituelle zugänglich ist. Unglaublich (und derzeit mein Lieblingslied), ist „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“, in dem es u.a. heißt:

Ja, es ist der unbekannte Morgen
und das unerschloss’ne Paradies,
nicht zu kaufen und nicht mal zu borgen,
dieser Schlüssel zu dem dunkelsten Verlies,
das dein Herz und deine ungesung’nen Lieder
fest gefangen hält durch Wahn und Zwang.
Wenn du ihn gefunden hast – nie wieder
wirst du fremd dir sein. Dann bist du dein Gesang.

Da wandelt sich das bekenntnishafte “Ich”-Lied zu einem beschreibenden “Es”-Lied (“Es ist kein Traum und auch kein Ort …”) und schließlich zum ermutigenden “Du”-Lied, das zur Befreiung von Zwängen und zur „Selbst-Identität“ aufruft. Dabei bleibt der Text immer poetisch-vage, so dass gerade das Unausgesprochene darin eine unbestimmte Sehnsucht wach ruft und zum Weiterdenken animiert. Das Lied tröstet und fordert dazu auf, eine verlorene Heimat in sich selbst wieder zu finden, aus der wir (wie man ahnen kann) auch durch politische und ökonomische Fehlentwicklungen vertrieben wurden.

Generell ist die CD radikal anspruchsvoll gehalten und nimmt Verständniswiderstände in Kauf, deren Überwindung sich aber für den beharrlichen Hörer lohnen. Dieser kann sich besonders tiefgründige Sätze noch nach mehrmaligem Hören immer wieder neu deuten, erschließen und genießen. Nicht einmal bei Konstantin Wecker war der Ausdruck immer derart „dicht“ gewesen. Die eingestreuten “Fremdtexte” von Heym, Novalis und Hofmannsthal legen die Frage nahe, wie weit neuere Liedermacherkunst an die “Großen” der Vergangenheit anknüpfen kann. Hat der moderne Hörer etwa nur noch zwischen völlig unzugänglicher neuer „E-Musik“ und den Seichtgebieten der Pop-Kultur zu wählen? Oder könnte eine alt-neue, romantisch-literarische Kunst entstehen, die Geist und Seele in gleicher Weise sättigt und inspiriert? „Ohne Warum“ vermittelt eine Ahnung davon, wie eine solche Kunst aussehen könnte.

Dabei wird die politische, die Zeitströmungen kritisch beleuchtende Funktion der Kunst nie zugunsten schwärmerischer Naturromantik geopfert. Vielmehr ergänzen sich beide „Seiten einer Medaille“ bestens. Das System von „Wahn und Zwang“ wird als Gegenspieler des „Wunderbaren“ entlarvt, letzteres wiederum als Heilmittel gegen das seelenmörderische Wirken des politischen Irrsinns empfohlen. Wecker greift auf verschiedene „Schichten“ der von ihm begeistert rezipierten deutschsprachigen Kulturgeschichte zurück. Gerade “Der Krieg” (nach Stefan Heym) ist im musikalischen und textlichen Aufbau grandios.

Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
Bleiche Kinder fleh’n uns händeringend an:
Macht ein Ende mit dem Irrsinn irgendwann.
Irgendwann? Nein jetzt. Wir müssen seh’n,
wie wir den Gewalten widersteh’n.
Denn sonst heißt es wieder eines Tages dann:
Seht euch diese dumpfen Bürger an.
Zweimal kam der große Krieg mit aller Macht.
Und sie sind zum dritten Mal nicht aufgewacht

Der ganze politische Teil der CD ist eine eindringliche Warnung, dabei sowohl die Oberfläche der Tagespolitik erschließend als auch die Tiefenstrukturen der Misere, die auf Zweckdenken und der Abgeschnittenheit vom mitfühlenden Herzen beruht. Daher auch die “Gegenmittel”: Utopie und kreativer Traum, ein Handeln “ohne „Warum”, ein Wiederbeheimatetwerden im Herzen als einem Ort des Wunderbaren, Göttlichen und Schönen. Da gibt es dann auch keine künstliche Spaltung mehr zwischen Meditation und Revolution, zwischen Quantenphysik und Romantik, zwischen hoher Kunst und einer gewissen, vermeintlich naiven “Einfachheit”. Auch die berüchtigte (und künstliche) Spaltung zwischen politischem Aktivismus und spiritueller Innenschau ist im künstlerischen Programm der CD aufgehoben. Beide Pole stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern ergänzen und durchdringen einander an verschiedenen Stellen. So sind Herzoffenheit und Mitgefühl Voraussetzungen für ein „ganzes“ Menschsein, das sich Verhärtungs- und Umerziehungstendenzen durch das System wirksam zu widersetzen vermag. Etwa im Lied „An meine Kinder“:

Ihr seid ein Wunder, wie jeder Mensch
geboren aus dem absolut Schönen.
Und die Welt sähe so viel friedlicher aus,
könnt’ man sich daran gewöhnen.

Könnte man in jedem Menschen das unendlich Kostbare – wenn man so will: das Göttliche – erkennen, so wären Menschenverachtung, Ausbeutung und Mord schlechthin undenkbar. Also ist derjenige, der spirituelle Herzöffnungsarbeit an sich betreibt, kein wolkiger Weltflüchtling, vielmehr kann er, so sensibilisiert, zur aktiven Keimzelle einer liebevolleren Welt werden und wird sich gegen Vereinahmung durch destruktive Wahnsysteme sträuben. Oberst Klein, der Befehlshaber des Massakers von Kundus, landete (ungenannt) auf der CD wie Pilatus im Credo. Er hat sich seine Menschlichkeit ganz offenbar wegerziehen lassen und dient in „Die Mordnacht von Kundus“ zu Recht als Negativbeispiel.

Ich frage Sie, Herr General:
Wenn sie die Augen schließen,
sind Ihnen die Mütter dann egal,
oder seh’n Sie die Tränen fließen?
Sie haben ein Herz, wie andere auch.
Was ist denn da nur passiert?
Hat man es mit Gehorsam und Drill
Ihnen aus dem Leib exerziert?

Musikalisch beeindrucken die Reichhaltigkeit, die überraschenden Wendungen, die sich in den einzelnen Liedern auftun, so dass sich nach zwei Minuten Laufzeit mitunter noch längst nicht alle musikalischen Geheimnisse eines Liedes erschlossen haben. Zwischenspiele und Einschübe, ein plötzlicher Wechsel in der Liedstimmung wie in “Sunder Warumbe” tragen den Hörer in immer neue musikalische „Welten“. Sehr liebevoll und überraschend arrangiert ist z.B. “Ich habe einen Traum”, die große Utopie auf der CD, angelehnt natürlich an Martin Luther Kings große Rede und gleichsam Weckers „Imagine“:

Ihre Kinder werden unsere sein,
keine Hautfarbe und kein Zaun,
keine menschenverachtende Ideologie
trennt uns von diesem Traum.
Vielleicht wird es eng, wir rücken zusammen,
versenken die Waffen im Meer,
und wir reden und singen und tanzen und lachen
und das Herz ist uns nicht mehr schwer.

Hier bringt die Studioaufnahme verglichen mit einer Klavierfassung noch einiges an Zusatzgewinn, indem sich „Ethno-Elemente“ mit beinahe Hubert-von-Goisern-haft alpinen Akkordeon-Klängen mischen – völkerverbindend schon in der Musik. Cello, Akkordeon, Kinderchor und die Stimme der famosen Jungliedermacherin Cynthia Nickschas bringen neben immer wieder wechselnden Instrumenten einen ungeheuren Reichtum an Stimmungen hervor. Auch sind viele der Melodien ausgesprochen schön. Für den “Softie” ist einiges an Zarttönendem geboten wie im sehr bewegenden, familiären Lied „An meine Kinder“, das Altfans an die geliebte Hildi-Hadlich-Cello-Phase des Meistern erinnern dürfte. Auch die sperrigen, schroffen Musiken wie in “Kundus” passen bestens zum jeweiligen Liedcharakter.

Damit ist die CD eine schlüssige Antwort auf die Wunden unserer Gegenwart (was etwa Reinhards Mey letzte CD kaum gewesen ist) und schlägt zugleich Brücken in die Vergangenheit, während als drittes philosophische Tiefen ausgelotet werden, in die selbst die Liedermacherszene selten vordringt. Etwa im munter-rhythmischen Lied „Heiliger Tanz“:

Alles fließt und nichts endet,
nichts bleibt je unbewegt,
außer der ruhenden Mitte,
die sich im Tanze erlebt.
Alles muss heiliger Tanz sein,
Rausch und Sehnsucht nach Sinn.
Wir trinken zusammen das Leben
und ertrinken nicht darin.

 

Konstantin Wecker: Ohne Warum, Label: Sturm und Klang zu bestellen im Shop auf www.wecker.de

 

Nächste Woche wird sich Roland Rottenfußer in diesem Magazin des Titelslogans „Ohne Warum“ und seiner vielen philosophischen Bedeutungsschattierungen widmen.

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