Produktionsfaktor Schuldgefühl

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Roland Rottenfußer

Ekel-Chef Stromberg (Christoph Maria Herbst)

“Besonders oft werden Schuldvorwürfe in Arbeitsverhältnissen von oben nach unten erhoben. Durch die stärkere Machtstellung des Chefs erhalten die Vorwürfe dann eine besondere Brisanz. Das Grundgefühl „Ich bin nicht gut genug“ wird in manchen Betrieben dauerhaft im Geist des Angestellten verankert. Ständig muss er so seinem Chef-Ankläger Besserung geloben und sich selbst zu immer noch hingebungsvolleren Arbeitsleistungen anspornen. Je weniger ein Vorgesetzter bereit ist, seine Mitarbeiter auf natürliche und freundliche Weise zu motivieren, z.B. durch angemessene Bezahlung, desto eher wird das Schüren von Versagensängsten zu seinem bevorzugten „Werkzeug“ der Verhaltenssteuerung.” (Roland Rottenfußer. Auszug aus dem Buch “Schuld-Entrümpelung” von Monika Herz und Roland Rottenfußer)

In der Arbeit sind Schuldvorwürfe gang und gäbe – auch wenn „Schuld“ als Wort nicht ganz so oft zur Anwendung kommt wie in der kirchlichen Liturgie. Sigi, freiberuflicher Redakteur eines Monatsmagazins, schien auf einmal alles falsch zu machen. Hatte er noch kurz zuvor mit Chefredakteur Ron ein gutes, ja freundschaftliches Verhältnis gepflegt, so schien es jetzt, als sei ein Schalter umgelegt worden. Seine Artikel waren dem Chef zu lang, seine Sätze zu kompliziert, Themen, die er vorschlug, wurden kurzfristig aus dem Layout-Plan gestrichen, Autoren, die er akquiriert hatte, ignoriert. Besuche in der Redaktion wurden gecancelt, weil Sigis Übernachtungen nahe dem Firmensitz angeblich nicht mehr finanziert werden konnten. Verbunden waren die Herabsetzungen durch Ron immer mit dem Vorwurf, er, Sigi, gefährde durch seine Arbeit den wirtschaftlichen Erfolg der Zeitschrift. Wenn Leser abwanderten, sei dies seine Schuld. Die Ursache für den rätselhaften Sinneswandel des Chefredakteurs war wohl, dass ihm Sigi, durch Rons joviales Verhalten leichtsinnig geworden, unziemlich oft widersprochen hatte. Am Ende fühlte sich der Jungredakteur in seinem Selbstbewusstsein so beeinträchtigt, dass er den Job aufgeben musste. Bis es so weit war, hatte er in der Hoffnung, die Gnade Rons wiederzuerlangen, jedoch noch eifriger und bis zum drohenden Burnout gearbeitet

Wenn Sie in der Arbeit mehr als recht und billig mit Schuldvorwürfen konfrontiert werden, ändern Sie einmal versuchsweise die Fragestellung. „Was habe ich falsch gemacht?“ führt oft zu keinem sinnvollen Ergebnis. Wir machen Fehler, weil wir Menschen sind, und ob die unseren besonders „schlimm“ sind, vermögen wir oft nicht objektiv zu sagen. Außerdem zählt für den Erfolg im Job die Einschätzung des Chefs mehr als unsere. Wenn wir in einer Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten unterliegen, kann es sein, dass wir unsere Arbeit verlieren; gewinnen wir dagegen im rhetorischen Wettstreit, kann dasselbe passieren. Wer lässt schon gern eine Niederlage gegen einen Untergebenen auf sich sitzen. Diese Unsicherheit macht uns manipulierbar.

Was, wenn wir trotz vorhandener Qualifikation und redlichen Bemühens aus dem Kreuzfeuer der Vorwürfe nicht herauskommen? Manche Vorgesetzte scheinen immer neu Scheite nachzulegen, um das Feuer unseres Versagensgefühls ständig am Brennen zu halten. Die Frage, die Sie dann stellen sollten, lautet: „Was hat mein Vorgesetzter davon, wenn sich seine Angestellten klein, fehlerbehaftet und schuldig fühlen?“ Chefs halten sich mit Lob teilweise sehr zurück, denn der Untergebene soll sich nicht zu sicher fühlen. Das unausgesprochene Motto schlechter Vorgesetzter lautet: „Wenn ich dich so gut behandle, wie du es verdienst, arbeitest du womöglich so schlecht, wie ich dich bezahle.“

Natürlich gibt es in der Firma auch unter Gleichrangigen das „Management by Schuldgefühl“. Auch soll nicht verschwiegen werden, dass Angestellte ihren Chefs nicht selten durch betonte Leidensmiene und Klagen über Überarbeitung oder Unterbezahlung ein schlechtes Gewissen zu machen versuchen. Auch dies kann nerven und in bestimmten Fällen ungerecht sein. Besonders oft werden Schuldvorwürfe aber in Arbeitsverhältnissen von oben nach unten erhoben. Durch die stärkere Machtstellung des Chefs erhalten die Vorwürfe dann eine besondere Brisanz. Das Grundgefühl „Ich bin nicht gut genug“ wird in manchen Betrieben dauerhaft im Geist des Angestellten verankert. Ständig muss er so seinem Chef-Ankläger Besserung geloben und sich selbst zu immer noch hingebungsvolleren Arbeitsleistungen anspornen. Je weniger ein Vorgesetzter bereit ist, seine Mitarbeiter auf natürliche und freundliche Weise zu motivieren, z.B. durch angemessene Bezahlung, desto eher wird das Schüren von Versagensängsten zu seinem bevorzugten „Werkzeug“ der Verhaltenssteuerung. Auf subtile Weise sitzt bei häufig gemaßregelten Mitarbeitern die Angst mit an der Werkbank oder am Monitor.

Zu den perfiden Methoden der Manipulation durch Schuldvorwürfe am Arbeitsplatz gehört die wirklichkeitsfremde Annahme, eine fehlerlose Performance sei der Normalfall. Als ich einmal einen Aushilfsjob beim Arbeitsamt hatte, bekam ich am Monatsende eine Abrechnung über abgeleistete Arbeitszeiten. Die durch Nutzung einer Stechuhr zu dokumentieren Zeiten des Kommens und Gehens waren dort akribisch verzeichnet. Einmal war ein Zuspätkommen (08:11) mit einem roten Kreis markiert. Dieses Rot stach aus dem Einheitsgrau meines ansonsten mustergültigen Verhaltens in alarmierender Weise hervor. Es fühlte sich an wie ein anklagend gegen mich gerichteter Zeigefinger. Einmal im Monat 10 Minuten zu spät – na und?

Wir haben oft nicht die Macht, uns in allen Punkten gegen unseren Vorgesetzten durchzusetzen. Aber wenn wir uns nicht ins Bockshorn jagen lassen, treten wir in nötigen Gesprächen wenigstens mit geradem Rücken auf – und notfalls dann eben aus der Firma aus. Der Gewissenswurm jedenfalls kann, wo es eigentlich nur das Erzwingen von immer mehr Leistung geht, zuhause bleiben.

Bearbeiteter Auszug aus dem Buch von Roland Rottenfußer und Monika Herz: „Schuld-Entrümpelung. Wie wir uns von einer erdrückenden Last befreien“, Goldmann Verlag, 254 Seite, € 9,99

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