«The sound of money» – Anmerkungen zu einer Sendung über das Bienensterben

 In FEATURED, Umwelt/Natur, Wirtschaft

Plötzlich tut allen das Bienensterben furchtbar leid. Aber nicht, weil man den Tieren irgendeinen Eigenwert zugestehen würde – nein, tote Bienen sind nicht mehr in der Lage, als Dienstleister für uns Brotaufstrich herzustellen und Obst zu bestäuben. Hierzu meint der Autor: “Das Nützlichkeitsdenken und die ökonomische Vernunft, die verantwortlich sind für die Misere, werden nun noch einmal beschworen, um die Misere zu beheben.” Es kommt in der jetzigen brandgefährlichen Situation nicht darauf an, Ökonomie durch ein paar ökologische Beimischungen noch smarter zu gestalten; vielmehr geht es darum, der Ökonomie als ganzes die Herrschaft über unsere Welt und unsere Köpfe zu entreißen. Das geht nur durch Selbstermächtigung, Selbstbeschränkung, Selbstbesinnung… (Götz Eisenberg)

Am Montagabend ging es in der Sendung “Hart aber fair” um die prekäre Lage der Bienen und den Einsatz von giftigen Spritzmitteln in der Landwirtschaft, in dem Fachleute eine Hauptursache für das Bienensterben sehen. Herr Plasberg, der Moderator der Sendung, entschuldigte sich mehrfach dafür, dass man sich in einer politischen Talkshow mit einem derartigen Thema befasse und bat die Zuschauer, trotzdem dranzubleiben und nicht wegzuzappen. Als gebe es etwas Politischeres als das Thema Bienensterben! Vermeintliche Naturkatastrophen sind schon lange keine unpolitischen Ereignisse mehr. Heutige Wirbelstürme und Überschwemmungen sind so natürlich wie ein Börsencrash. Die Schicksalhaftigkeit solcher Ereignisse ist bloßer Schein, in Wirklichkeit sind sie gesellschaftlich produziert und von Menschen gemacht. Als Begründung, warum man sich des Themas annehme, wurde darauf hingewiesen, dass die Bienen neben Schweinen und Kühen die wichtigsten Nutztiere seien, die als Nebeneffekt ihrer Nahrungssuche massenhaft Pflanzen bestäubten. Nur dadurch könnten diese überhaupt Früchte ausbilden. Nutzen wird natürlich sofort in Geld umgerechnet, und so hieß es, die „Wirtschaftsleistung der Bienen“ belaufe sich in der EU auf 22 Milliarden Euro jährlich, in Deutschland auf rund 2 Milliarden.

Wir neigen dazu anzunehmen, Flüsse und Bäche seien dazu da, Mühlräder und Kraftwerke anzutreiben. Dabei mäandern die Bäche, wenn man sie lässt, einfach so vor sich hin. Karl Valentin: „Das machen sie gern, die Bäch.“ Statt auf dem kürzesten Weg von A nach B zu fließen, erlauben sich Bäche und Flüsse den Luxus, sinnlos durch die Gegend zu mäandern. Bis der Mensch kommt und sie begradigt – mit den inzwischen bekannten Folgen. Herbert Achternbusch: „Früher hat man einen Bachlauf nicht verstanden, heute wird er begradigt, das versteht ein jeder.“ Die ökonomische Vernunft kommt erst zur Ruhe, wenn alles ihrer Logik unterstellt ist. Sie sieht in einem alten Baum nur die Festmeter Holz, die man aus ihm gewinnen kann, um Bauholz, Möbel oder Papier zu produzieren.

In den USA ist man bereits dazu übergegangen, Bienenvölker auf LKWs zu verladen und wie Leiharbeiter dorthin zu karren, wo ihre Arbeitsleistung gebraucht und bezahlt wird. Das Bienensterben wird zu einem einträglichen Geschäft für die sogenannten Wanderimker. Ein Imker aus South Dakota soll 23.000 Völker besitzen und mit ihnen ständig auf den Highways unterwegs sein. In einem Einspieler sah man einen Besitzer von mobilen Bienenvölkern in seinem Truck sitzen. Durchs geöffnete Fenster drang der Summ- und Brummton seiner Bienen, die dabei waren, eine Mandelplantage zu bestäuben. Der Besitzer der Bienen sagte zu dem Reporter, der ihn begleitete: “Do you hear that? It’s the sound of money.” Und während seine Bienen durch die Mandelbaumplantage schwärmten, geriet er beim Denken an sein Bankkonto selber ins Schwärmen. In China werden bereits Arbeiter in Obstplantagen geschickt und bestäuben dort die Blüten per Hand. In Maja Lundes sehr lesenswertem Roman “Die Geschichte der Bienen” ist von dieser Praxis die Rede. Soll das unsere Zukunft sein? Am Ende bestäuben Roboter Pflanzen, die auf Styropor wachsen und mit Kunstlicht bestrahlt werden? Plastikgemüse für Plastikmenschen?

Der Status des Nutzlosen

Alle an der Sendung Beteiligten waren sich einig, dass man etwas zur Rettung der Bienen unternehmen müsse. Sogar Agrarminister Schmidt, der gerade in Brüssel für die Verlängerung des Einsatzes des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat gestimmt hat, das maßgeblichen Anteil am Insekten- und Bienensterben hat, ließ sich zu einigen vagen Lippenbekenntnissen hinreißen. Die Sendung war geprägt von der Argumentation: Man muss die Bienen retten, weil sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Außerdem geriete das Überleben der Menschheit in Gefahr, stürben die Bienen vollends aus. Das Nützlichkeitsdenken und die ökonomische Vernunft, die verantwortlich sind für die Misere, werden nun noch einmal beschworen, um die Misere zu beheben. Diese Perversion fiel keinem an der Sendung Beteiligten auf, weil sie eine der Grund-Perversionen unserer Kultur ist. Auch die freundliche Imkerin und der am Tisch sitzende Grüne nahmen keinen Anstoß an dieser Argumentation. Was wäre denn, wenn die Bienen nutzlos wären? Kein Hahn würde nach ihnen krähen. Wie ist der Status des Nutzlosen in einer Welt der Nützlichkeit? Mir sind keine Proteste gegen das Verschwinden der Glühwürmchen, der Ringelnattern, des Neuntöters und des Schwalbenschwanzes bekannt. Wer und was zu nichts nutze ist, hat kein Bleibe- und Existenzrecht in einer Kultur, die unter dem Diktat der Nützlichkeit steht. Da sind die Bienen beinahe noch gut dran mit ihrem sprichwörtlichen Fleiß und ihrer Rolle als Bestäuber und Honiglieferanten. Gut, dass die meisten Leute nicht wissen, dass es sich hierbei um einen „Kollateralnutzen“ handelt und die Bienen keineswegs von der Intention angetrieben werden, den Menschen einen Brotaufstrich und Obst zu bescheren.

Der Griff nach der Notbremse

Wir müssen das Regime der ökonomischen Nützlichkeit, das die bürgerliche und leider auch die sich sozialistisch/kommunistisch nennende Welt beherrscht, beenden, wenn wir ernsthaft versuchen wollen, einen Ausweg aus dem globalen Krisenzusammenhang zu finden. Mit kosmetischen Korrekturen und ein paar neuen EU-Richtlinien ist langfristig nichts gewonnen.

Wir alle sind bereits in der Wolle mit Wachstumsideologie eingefärbt und können uns, wie Hartmut Rosa gesagt hat, „eher das Ende der Welt vorstellen als ein Leben ohne Wachstum“. Wenn das Rad der Geschichte in eine falsche Richtung gelaufen ist, kann eine zur Vernunft gekommene Menschheit sehr wohl in die Speichen greifen und das Rad zurückdrehen bis zu einem Punkt, der vor der falschen Abzweigung liegt. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung antwortete Harald Welzer auf die Frage, wie er sich einen Ausweg aus den Krisen der Gegenwart und eine andere Zukunft vorstelle: „Es geht nur mit so intelligentem wie radikalem Rückbau: weniger Produkte, weniger Mobilität, anders ist es nicht zu machen.“ Auch der späte Heiner Müller teilte diese Sichtweise: „Der poetische Satz von Marx, die Revolutionen seien die Lokomotiven der Geschichte, ist sicherlich falsch. Revolutionen sind eher der Versuch, die Zeit anzuhalten, die Beschleunigung der Geschichte zu bremsen. (…) Die totale Beschleunigung führt zum Nullpunkt, in die Vernichtung.“ Wir sind auf dem besten Weg dorthin. Walter Benjamin, auf den Müller hier Bezug nahm, schrieb in seinen “Geschichtsphilosophischen Thesen”, Revolutionen seien nicht die Lokomotiven der Geschichte, sondern der Griff des im Zug des Fortschritts „reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“. Es wird höchste Zeit, dass wir sie ziehen.

Ein Volk von digitalen Fellachen

Wir sollten also fragen: Warum müssen 114 Millionen US-Haushalte 80 Millionen Bohrmaschinen besitzen, die im Schnitt jeweils 13 Minuten benutzt werden? Also weg mit ihnen. Es reicht eine pro Straße. Schluss mit dem Individualverkehr, weg mit diesen idiotischen SUVs, mit denen Mütter aus den besseren Stadtteilen ihre hochbegabten Kleinen über vierspurige Stadtautobahnen zur Schule fahren und auf dem Rückweg, nachdem sie den 150-Liter-Tank gefüllt haben, nochmal kurz in der zweiten Reihe vorm Bio-Laden anhalten. Braucht jeder von uns seine eigene Waschmaschine? Weg mit diesen Fastfood-Lokalen und dem im Stehen und Gehen hinuntergeschlungenen Scheißfraß; weg mit den ganzen Fernsehprogrammen mit hohem Verblödungskoeffizienten; weg mit den lärmenden Quads, den Smartphones und Spielekonsolen; weg mit diesem ganzen digitalen Geraffel, ab in den nächsten Container mit Sondermüll! Wie Hanswurste rennen die Leute hinter ihren Geräten her. Wir sind im Begriff, uns in ein Volk digitaler Fellachen verwandeln zu lassen. Weg mit dem Coffee to go in diesen plastikbeschichteten Bechern, von denen in Deutschland stündlich 320.000 verbraucht werden; weg mit den Laubbläsern und Hochgeschwindigkeitszügen und der ganzen sinnlosen Fliegerei von einem gesichtslosen Ort zum anderen. Schluss mit diesem grässlichen, krank machenden Lärm. Das Recht auf Stille wird eine entscheidende Qualität einer neuen Gesellschaft sein, die sich vom Fetisch Wachstum verabschiedet hat und ihren Zusammenhalt nicht auf Konsum gründet.

Lob der Faulheit

Statt des unablässigen Tuns benötigen wir Tugenden des Unterlassens, Prämien aufs Nichtstun, Kontemplation statt Produktion, Faulheit statt rastlosem Tun. „Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und lässt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“, schrieb Adorno in seinem Buch “Minima Moralia”. Rund einhundertzwanzig Jahre früher lässt Büchner in “Leonce und Lena” den Valerio, einem Gefährten von Leonce, der eigentlich ein Vagabund und früher Anarchist ist, sein Programm in deftiger Sprache und ohne akademische Krawatte so formulieren: „Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht.“ Valerio setzt hinzu: „Und ich werde Staatsminister, und es wird ein Dekret erlassen, dass, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; dass, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; dass jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft für gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion!“

Wenn wir aus der bloßen Negation der sinnlosen Geschäftigkeit und des verblödenden Konsums herauskommen wollen, benötigen wir allerdings noch etwas anderes, das der eben propagierten Haltung des Nichtstuns zu widersprechen scheint und das man als den Versuch der Wiederaneignung von Lebensbedingungen kennzeichnen kann. Beides könnte sich aber zu einer dialektischen Einheit verbinden lassen. Faul nach oben, den Verhaltenszumutungen der herrschenden Gesellschaft gegenüber, und rege im Bestreben der Selbstermächtigung und nach unten, unseren Mitstreitern und Genossinnen gegenüber.

Kleiner Exkurs über Macht

Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Universalgeschichte der Enteignung – zuerst Enteignung von Produktionsmitteln, dann von Lebensbedingungen, Wissen und Fähigkeiten. Macht besteht im Kern aus diesen Enteignungsprozessen. Es beginnt mit der Expropriation der Arbeiter von ihren Arbeitsbedingungen im Zuge eines geschichtlichen Prozesses, den Marx als ursprüngliche Akkumulation bezeichnet hat, und endet (vorläufig) bei der Dating-App “Tinder”, die Menschen per Algorithmus den passenden Partner auswählt. Keine Lebensäußerung soll mehr außerhalb des Ware-Geld-Nexus verbleiben, nichts der autonomen Kontrolle der Menschen unterliegen. Am Gipfelpunkt der Entfremdung werden innerhalb der nächsten Jahrzehnte Massen von Menschen von Robotern und Algorithmen aus der Arbeitswelt verdrängt werden. „Der Mensch wird – in dieser Gesellschaft – überflüssig, vorher schwinden seine Fähigkeiten“, notierte Max Horkheimer bereits Mitte der 1950er Jahre.

Birgit Vanderbekes Roman “Das lässt sich ändern” erzählt von dem Versuch, diese Enteignung zu stoppen und sich Lebensbedingungen wieder anzueignen, die unter die Kontrolle von Herrschaft und Profit gebracht worden sind. Adam, eine der Hauptfiguren des Romans, war „schon immer draußen“ und zieht ein Leben im Abseits einer Existenz mit Normalarbeitstag und geregeltem Einkommen vor. Er bereitet auf, was andere wegwerfen, und repariert, was kaputt gegangen ist. „Adam fand immer etwas Vernünftiges, das er der Vergänglichkeit entreißen und in eine Zukunft mitnehmen musste, die seiner festen Überzeugung nach dem heillosen Wahnsinn geweiht und ein Desaster würde, weil sie uns bis dahin so weit hätten, dass wir zu blöd zum Kartoffelschälen wären und nicht mal mehr einen Knopf würden annähen können.“ Fassungslos berichtet mir vor ein paar Tagen meine Gemüsehändlerin davon, dass eine Kundin auf einen Wirsingkopf gedeutet und gefragt habe, „was man denn damit machen und wie man den zubereiten“ könne.

Wenn Macht auf Enteignungen basiert, gilt im Umkehrschluss: Macht erlischt in wiederangeeigneten Lebensbedingungen. Aneignung ist Selbstermächtigung und Aufhebung von Macht und Entfremdung. Schon Rousseau wusste das, als er fragte: „Welches Joch kann man Menschen auferlegen, die nichts brauchen?“ Wer nach nichts verlangt, worüber die Macht verfügt, über den hat keiner und niemand Macht. Besinnen wir uns darauf, was wir können oder mal konnten, bevor die neue große Enteignungswelle einsetzte, die den Durst in Nachfrage nach Coca Cola und den Hunger in das Bedürfnis nach Hamburgern verwandelt hat. Vielleicht liegt in diesem am Alltagsleben ansetzenden Projekt die Chance, einer perspektivlosen und staatsfixierten Linken wieder Leben einzuhauchen und Strahlkraft zu verleihen.

In der Sci-Fi-Serie “Black Mirror” übernehmen künstliche Bienen das Bestäuben – ist das die Zukunft?

Wir werden uns sputen müssen, denn wenn alles homogenisiert und pasteurisiert, verkabelt, digitalisiert, modularisiert und vernetzt sein wird, wenn alle Flüsse begradigt, Straßen betoniert, alle alten Bahnhöfe unter die Erde verlegt sind, wenn allen menschlichen Wünschen und Bedürfnissen eine Warenhaut übergezogen worden ist, wenn Eltern ihre Kinder als Bio-Aktien betrachten und behandeln, von denen eine gute Performance erwartet wird, wenn auch die Liebe ökonomisiert ist und wie eine Ware gehandelt und getauscht wird, könnte es zu spät sein. Wir wären dann ins von Herbert Marcuse beschriebene Zeitalter der Eindimensionalität eingetreten, das keine Opposition mehr kennt und aus dem kein Weg mehr herausführt.

 

 

 

 

Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitete mehr als drei Jahrzehnte lang als Gefängnispsychologe im Erwachsenenstrafvollzug. In der „Edition Georg Büchner-Club“ erschien im Juli 2016 unter dem Titel »Zwischen Arbeitswut und Überfremdungsangst« der zweite Band seiner »Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus«. Der erste Band „Zwischen Amok und Alzheimer“ ist 2015 im Verlag Brandes & Apsel erschienen.

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