Theodorakis kritisiert Europa und Syriza

 In GRIECHENLAND

Mikis Theodorakis

89. Bericht zu unserer Spendenaktion “Helfen wir den Menschen in Griechenland”. “Nicht nur aufs Notenschreiben versteht sich der große alte Mann der griechischen Musik, auch in politischer Hinsicht gibt dieser tapfere Mann des griechischen Widerstands noch immer den richtigen Ton an. Hochachtung für Mikis Theodorakis, der uns allen zu zeigen vermag, dass man in Politik und Musik gleichermaßen zuhause sein kann, dass Verstand und Leidenschaft keinesfalls immer nur Gegensätze sind!” In seinem dieswöchigen Griechenland-Bericht würdigt Holdger Platta vor allem einen Mann, dem viele von uns gern den Friedensnobelpreis zuerkannt hätten. Aber er geißelt auch eine neoliberale Politik, die bewirkt, dass immer Menschen aus sozialen Gründen auf “Gnade” angewiesen sind – um diese dann gnadenlos im Stich zu lassen (Holdger Platta)

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

vorgestern teilten wir Euch mit, dass wir für den diesjährigen Friedensnobelpreis Mikis Theodorakis vorgeschlagen hatten. Selbstverständlich sind wir sehr zufrieden mit der Tatsache, dass in diesem Jahr die Genfer Bürgerrechtsorganisation ICAN gegen Atomwaffen den Preis bekommen hat – nach diversen Skandalentscheidungen des Osloer Komitees in den Jahren zuvor, unter anderem für die Europäische Union und den Guantanamo-Weiterbetreiber Obama, eine Wohltat! Aber selbstverständlich hätten wir auch dem mittlerweile 92jährigen Komponisten aus Griechenland diesen Preis von Herzen gegönnt. Um so mehr, als Mikis Theodorakis – darin dem großartigen Stéphane Hessel vergleichbar, der mit 92 Jahren sein „Empört Euch!“ veröffentlicht hatte – auch jetzt, in seinem hohen Alter, keine Ruhe gibt, sich weiterhin in die europäischen und griechischen Dinge einmischt und damit so manchen Jungpolitiker in unseren Breitengraden sehr alt aussehen lässt. Konkret:

Ein weiteres Mal hat Mikis Theodorakis, “unser” Nobelpreiskandidat, seine Stimme erhoben und in einem Offenen Brief die Politik der Eurostaaten gegenüber Griechenland in Frage gestellt sowie auch die Politik der eigenen Regierung.

„Unser Land befindet sich in Auflösung“, schreibt Theodorakis in seinem Offenen Brief. SYRIZA/ANEL hätten eine „katastrophale Politik zu Lasten des Volkes umgesetzt“, sie hätten Verträge unterzeichnet, „mit denen die Zukunft des Landes für viele Jahrzehnte den Ausländern ausgehändigt worden ist“, sie hätten – gleich zahlreichen anderen Parteien in Griechenland – die „Spar- und Reformprogramme der internationalen Geldgeber“ akzeptiert und sich diesen „im Wesentlichen unterworfen“. Es mag für uns Auswärtige dahingestellt bleiben, ob Mikis Theodorakis mit seiner historischen Reminiszenz Recht hat, daß mit SYRIZA und ANEL „die schlechteste aller Regierungen Griechenlands seit 1831“ an der Macht sei – da erinnere ich den seinerzeit zwangsexilierten Theodorakis an das Obristenregime von 1967 bis 1974! –, Recht hat Nichtpolitiker Theodorakis auf jeden Fall mit dem Kern seiner Kritik am Kaputtmacherkurs des neoliberalen Europas gegenüber Griechenland und am Mangel an Widerstand der griechischen Regierung gegenüber diesem Kaputtmacherkurs der Euro-Staaten gegenüber Griechenland. Ganz unverkennbar: nicht nur aufs Notenschreiben versteht sich der große alte Mann der griechischen Musik, auch in politischer Hinsicht gibt dieser tapfere Mann des griechischen Widerstands noch immer den richtigen Ton an. Hochachtung für Mikis Theodorakis, der uns allen zu zeigen vermag, dass man in Politik und Musik gleichermaßen zuhause sein kann, dass Verstand und Leidenschaft keinesfalls immer nur Gegensätze sind!

Deutlich wird der Umstand, daß Mikis Theodorakis damit gerade auch für die jungen Menschen in Griechenland die Stimme erhoben hat, auch vor dem folgenden Hintergrund:

Mehr und mehr Griechinnen und Griechen aus den nachwachsenden Generationen verlassen ihr Heimatland. Vor einigen Wochen schon teilte ich Zahlen zu diesem gigantischen „Brain-Drain“ mit: 600.000 Menschen haben mittlerweile, aus blanker Not heraus, Griechenland den Rücken gekehrt. Und nicht zuletzt die Abwanderung junger Leute mit hohem Bildungsniveau hält weiterhin an. Zwar hat die griechische Regierung propagandistisch verkündet, der „Auswanderung der Talente“ ein „Brain-Gain“ entgegenzusetzen, Rückkehr der Talente mithin. Doch angesichts der Tatsache, dass in Griechenland die Arbeitslosenquote nach wie vor über 20 Prozent liegt, die der jungen Menschen weit über 40 Prozent, verfängt bislang diese Politik – ist es eine? – nicht. Aus einer Studie des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE geht hervor, dass fast ein Drittel der griechischen Hochschulabsolventen Arbeit annehmen müssen, die weit unter ihrem Bildungsniveau liegt, 30,4 Prozent. Ein weiteres Viertel der Hochschulabsolventen ist arbeitslos. Kaum verwunderlich deshalb, dass der griechischen Tageszeitung „Kathimerini“ zufolge mehr als zwei Drittel der ausgewanderten Griechinnen und Griechen bei einer Befragung angegeben haben, nicht nach Griechenland zurückkehren zu wollen, selbst dann nicht, wenn ihnen eine “sichere” Stelle im Staatsdienst angeboten würde. 71,66 Prozent aller Befragten waren das. Zuversicht sieht anders aus, Vertrauen in die jetzige Regierung auch. Durchaus denkbar mithin, dass all diesen Auswanderern Mikis Theodorakis aus der Seele gesprochen hat. Wobei wir nicht übersehen sollten: Nutznießer dieses griechischen „Brain-Drain“ sind vor allem jene Staaten, die für diese Notauswanderungen verantwortlich sind – Deutschland vor allem! Heißt:

Brutal exekutierter Neoliberalismus hilft stets nur jenen, die eh schon die Stärkeren sind, das gilt landesintern, das gilt auch im internationalen Wettbewerb. Konkurrenz ist nicht zu haben ohne Verlierer. Und Verlierer im ökonomischen Konkurrenzkampf zu sein, das heißt am Ende, niedergestreckt auf dem Boden zu liegen und auf Gnade angewiesen zu sein, die es in dieser kapitalistisch deformierten Welt grundsätzlich nicht gibt. Ein solidarisches, ein humanes Europa sähe wahrlich anders aus. Und nebenbei: auch ein christliches Europa zeigte ein ganz anderes Gesicht!

Eines lasst mich noch nachtragen zu meinem letzten Bericht: wir müssen weiterhin warten auf gute Neuigkeiten aus Athen, was die Nierentransplantation bei Katherina K. betrifft. Die für den 28. September geplante Operation musste verschoben werden, weil nach einem neuen Organspender gesucht werden muss. Aus medizinischen Gründen kam die Spenderniere des Vaters von Katherina nicht in Frage, und nunmehr ist die Mutter der Patientin als Organspenderin im Gespräch. Selbstverständlich halte ich Euch auf dem Laufenden, wie es für Katherina in den nächsten Tagen und Wochen weitergeht.

Und damit, abschließend, zum neuesten Spendenstand bei uns. Während der letzten zehn (!) Tage gingen insgesamt 787,50 Euro auf unserem Hilfskonto ein, überwiesen von 23 SpenderInnen an uns (in den sieben Tagen davor hatten 4 UnterstützerInnen 170,- Euro bei uns eingezahlt). Erneut danke ich, auch im Namen aller anderen Mitglieder in unserem Team, den SpenderInnen sehr. Besonders gefreut haben wir uns dabei über die Mitteilung der Unterstützerin Petra J.: „In tiefer Verbundenheit mit den GriechInnen und für eine solidarisch ausgerichtete Politik in Europa und überall“. – Wir glauben, liebe Petra J., dem ist nichts hinzuzufügen. Außer: von ganzem Herzen merci!

Damit, wie immer, zu meinen obligaten Schlusshinweisen:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:

Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE

Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):

Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de

Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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