Unbeholfenheit als Weg – die Weisheit des Clowns

 In Roland Rottenfußer

Bei den “Klinikclowns” ist Konstantin Wecker schon lange Pate

“Die Kunst des Scheiterns” ist ein Buch Konstantin Weckers, und der Clown Johannes Galli trat mit einem ganz ähnlichen Werk an die Öffentlichkeit: “Die Lust am Scheitern”. Grund genug, einmal den verdammten Perfektionsanspruch in Frage zu stellen, mit dem wir uns und andere so oft quälen. Humor befreit und führt in die Weite. Richtig verstanden (und einmal abgesehen von wirklich destruktivem Sarkasmus) ist er auch mit der Liebe verwandt. Teilweise autobiografischer Essay von Roland Rottenfußer

Was macht ein Clown, wenn er zum Dialyse-Patienten wird? Witze über Dialyse – und ein ganzes Kabarettprogramm zu diesem Thema. Der Clown-Therapeut und Theatermann Johannes Galli praktizierte einen derart schrägen Humor in seinem Theaterstück „Blutbad“. Mittlerweile blind und im Rollstuhl, nahm Galli auf der Bühne den Klinikalltag und vor allem sich selbst auf die Schippe. „Es ist ein Lachen, das befreit und heilt, weil es aus tiefster Freude und einem inneren Verständnis für gemeinsame menschliche Schwächen kommt“ schrieb Galli in seinem Buch „Die Lust am Scheitern“.

Diese „Lust“ beginnt schon lange bevor es an die wirklich ersten Themen wie Krankheit, Alter und Tod geht. Die Figur des Clowns stellt sogar die Grundlagen jeder Selbstoptimierung in Frage, das Bemühen, alles richtig zu machen. „Da der unerträgliche Druck, immer das Richtige tun zu müssen, alles Lebendige abtötet, hat der Clown den Käfig des Hochmuts für immer verlassen“ (Galli). Wir merken beim Lesen, wie sehr uns der Versuch, Fehler zu vermeiden, einengt und oft die Lebensfreude vermiest.

Sicher meint Johannes Galli damit nicht, dass es egal sei, ob man sich ethisch oder völlig unethisch verhält. Vielmehr weist er auf den Charme und die befreiende Wirkung von Fehlern hin. Wir bekämpfen sie oft an uns selbst, während wir sie bei anderen – speziell auch bei Komikern im Kino – liebenswert finden. Versuchen wir doch, uns selbst mit derselben augenzwinkernden Liebe zu betrachten wie unseren Lieblings-Verlierer im Film – dann ist viel gewonnen.

Kann Humor denn auch liebevoll sein? Ist er nicht oft destruktiv und sarkastisch? Und steht er im Widerspruch zur Religion, die ja meistens ernst einherschreitet, um ihre Ergriffenheit durch das Göttliche zu demonstrieren? Richtig verstanden, haben Humor und Spiritualität sogar vieles gemeinsam. Distanz zur eigenen eingebildeten Wichtigkeit zum Beispiel.

Der auf  liebevoll Humorvolle versucht den Gegenstand seines Witzes nicht „anzuschwärzen“, sondern ihn im Gegenteil zu beleuchten. Alles und jeder ist für ihn auf einer tieferen Ebene zu respektieren. Aber nichts ist völlig frei von komischem Potenzial. Humor ist im besten Fall kritisches Mitgefühl. Er deckt einen Missstand niemals auf, ohne ihn im gleichen Atemzug zu vergeben. Humor befreit den fehlerhaften Menschen von der Last unbarmherziger Selbstvorwürfe. Er macht zugleich jene Verdrängungsmechanismen überflüssig, mit denen wir heilsame Selbsterkenntnis abzuwehren versuchen. Die Wahrheit aufdecken, um sie zu vergeben – ist das nicht auch eine gute Definition für Psychotherapie?

In jedem Fall ist dies der Weg des Clowns, der nicht von ungefähr besonders bei Kindern beliebt ist. Einmal, als meine Frau mir vorhielt, bei einer anstehenden Reparaturarbeit unbeholfen zu wirken, antwortete ich spontan: „Wer sagt denn, dass ich immer und überall beholfen sein muss?“ Darüber mussten wir beide lachen, und die Spannung war aus der Situation verschwunden. Natürlich bin ich nach wie vor in praktischer Hinsicht nicht besonders geschickt. Aber es macht mir nicht mehr so viel aus.

Lachen, wenn es nicht aus Verbitterung kommt, ist zweifellos ein Aufleuchten der Seele. Es lässt die Menschen im Licht eines auch ihre Schwächen heiter erlösenden Mitgefühls erscheinen. Kann Humor aber auch zu Erleuchtung führen oder das Ergebnis von Erleuchtung sein? Zweifellos gibt es Parallelen zwischen Erleuchtung und dem Hellwerden der Seele durch die Kraft eines liebevollen Humors. Der Humorvolle distanziert sich von seinem eigenen Schicksal. Er wechselt aus der Position des Mitspielers im Lebensdrama in die Position des Beobachters. Der Räuberhauptmann Matthias Kneißl soll etwa bei seiner Hinrichtung gesagt haben: „Der Tag fängt schon gut an“.

Jeder noch so ernsten Situation kann etwas Heiteres abgewonnen werden. Ebenso wie jeder wirklich gute Clown (man denke etwa an Chaplin, Roberto Benigni oder Robin Williams) eine berührende Ernsthaftigkeit ausstrahlt. Damit ähnelt Humor dem spirituellen Erwachen, das häufig als Heraustreten aus der Identifikation und Einnehmen einer Zeugenrolle beschrieben wird.

Humor bejaht das Unvollkommene, ohne es zu leugnen. Darin ist er der Liebe ähnlich. Denn auf dieser Daseinsebene gilt Liebe immer dem Unvollkommenen – oder es ist keine Liebe. Mag diese Liebe nun einem Menschen, einer etwas „zickigen“ Katze oder der rasch verblühenden Cosmea im Garten gelten. Wir bewundern den Balletttänzer, der in jedem Moment volle Kontrolle über seinen Körper hat. Wir wollen so sein wie er und fühlen uns ihm gegenüber vielleicht klein, weil selbst weniger trittsicher. Aber ist das tapsige Kind, das bei seinen ersten Gehversuchen immer wieder hinfällt, um sich unbeholfen wieder aufzurichten, nicht viel liebenswerter?

Der Idee nach ist Gott vollkommene Bejahung, und wir werden ihm ähnlich durch schrittweise liebevolle Zustimmung. Wenn uns diese Bejahung nur im Paradies möglich ist, so ist unsere Fähigkeit, glücklich zu sein, begrenzt. Ratsam wäre also, unsere Glückskompetenz ausdehnen auf Umstände, unter denen dies viel schwieriger ist. In der Dunkelheit müssen wir unser eigenes Licht stärker leuchten lassen. Wir üben uns in unserer Leuchtkraft. Und genau darin besteht vielleicht ein Sinn unseres Erdendaseins. Humor ist so eine „Taschenlampe“, die wir in einem nächtlichen Garten anzünden, um wenigstens einen Ausschnitt davon deutlicher und heller erkennen zu können.

Vor allem aber erlaubt uns Humor, unseren Perfektionsanspruch loszulassen. „Sobald der Mensch sein Scheitern aus tiefstem Herzen annimmt, und das schafft er nur mit dem eigenen inneren Clown, hat er jederzeit die Chance eines kraftvollen Neubeginns und genau darin liegt auch die visionäre Kraft des Clowns“, sagt Johannes Galli. Paradoxerweise lässt uns gerade das Loslassen des Perfektionsanspruchs der Perfektion näher kommen, weil es unser Herz weitet.

Wann immer wir uns dabei ertappen, unser Verhalten (oder das eines anderen Menschen) zu streng und „bierernst“ zu beurteilen, halten wir inne und schicken ein inneres Lächeln. Fehler geben uns Anreize zu vergeben. Sie sind insofern nichts anderes als ein Lockruf in die Weite.

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