V.C. Herz: Nächstenliebe

 In FEATURED, Umwelt/Natur

Getötet werden müssen sie ganz dringend (was soll sonst Weihnachten auf den Tisch), aber vielleicht gibt man ihnen größere Käfige…

Tierschutz ist schön und gut – wenn nicht manche der Tierschützer so radikal wären! Man soll doch nicht übertreiben. Ein bisschen Maß und Mitte hat noch keinem geschadet. Also nur noch jeden zweiten Tag Leberkässemmel und als Kompromiss zwischen dem Freiheitsbedürfnis der Schweine und dem Verzehrbedürfnis der Menschen gibt man ihnen halt 1,8 qm-Käfige statt unmenschlichen 1,6 qm. V.C. Herz schleicht sich wie so oft über einen Umweg an sein Thema heran – um dann um so Erhellenderes über die Halbherzigkeit mancher “Aktivisten” auszussagen. (V.C. Herz)

Seit fünf Stunden stehe ich nun hier. Es ist kalt, eisig kalt. Ich bin dick eingepackt in einer warmen Jacke; Schal, Mütze und Handschuhe sorgen für zusätzliche Wärme. In einer Thermoskanne habe ich heißenTee dabei, um mich warm zu halten. Ein junger Mann kommt mir entgegen. Ich spreche ihn an: „Hallo! Haben Sie schon …“. Er winkt sofort ab. Das machen fast alle.

Die Menschen schlendern durch die Innenstadt, trinken Glühwein und freuen sich auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Sie schleppen schwere Tüten voll mit Geschenken nach Hause, als hätte nicht längst jeder genug von allem. Alle sind fröhlich, alle haben Spaß. Zumindest bis sie mich sehen. Dann verziehen sie ihre Miene. Sie wechseln die Straßenseite. Tun so, als würden sie mich nicht hören. Oder winken einfach nur ab, wie der junge Mann eben.

Wo ist er, der Geist der Weihnacht? Feiern wir nicht ein Fest der Nächstenliebe? Hiervon ist jedenfalls wenig zu spüren in der Einkaufspassage? Oder doch. Es heißt schließlich „Fest der Nächstenliebe“, nicht „Fest der Menschenliebe“. In Wahrheit kümmern sich die Leute aber – wenn überhaupt – nur um die Menschen, die ihnen am nächsten stehen. Was außer Hör- und Sichtweite ist, interessiert niemanden.

Aber ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Es gibt auch solche, die stehen bleiben, die sich anhören, was ich zu sagen habe. Viele sind entsetzt, viele fassungslos. Und dann kommt immer wieder die Leier um’s Geld. Jeder kann ein paar Euro im Monat spenden, um etwas Gutes zu tun. Menschen mit vollen Einkaufstaschen erzählen mir, dass sie keine fünf Euro im Monat entbehren können. Die meisten können das sehr wohl, es will nur kaum jemand. Aber es gibt auch ermutigende Fälle: Menschen, die sich anhören, was ich zu sagen habe und dann spenden. Das Thema ist einfach viel zu unbedeutend, kaum jemand kennt sich damit aus. Alle sind entsetzt, wenn sie die Bilder sehen. Wir brauchen aber dringend mehr Spendengelder, um die Leute besser informieren und den Missständen entgegen wirken zu können.

Mir kommt eine junge Frau entgegen. In einer Hand hält sie eine volle Einkaufstasche mit dem Logo einer teuren Modekette. „Hallo! Haben Sie schon vom Menschenschutzverein gehört?“, frage ich sie.

Sie bleibt stehen. „Ja, flüchtig. Aber detailliert habe ich mich noch nicht damit beschäftigt.“

„Na dann kommen Sie mal mit, ich zeige Ihnen, worum es geht!“, antworte ich der jungen Dame und schleife sie mit an meinen Informationsstand. Dort hole ich einen schmalen Ordner hervor und schlage diesen auf.

Die junge Frau betrachtet ein wahrhaft eisiges Bild. Darauf zu sehen ein Mensch, der zusammengekauert unter einer Brücke liegt, um ihn herum Schnee. Man sieht sogar die Wolke seines warmen Atems vor seinem Mund. „Knapp 40.000 Menschen haben in Deutschland kein Dach über dem Kopf“, erzähle ich der Frau. Sie ist ernstlich entsetzt. Ich erkläre ihr, dass der Menschenschutzverein Spenden unter anderem dafür verwendet, solchen Personen ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit zu beschaffen.

Ich blättere um. Auf einem weiteren Bild sieht man traurige Kinder vor einem Weihnachtsbaum. „Knapp zwei Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut – diese Kinder können sich nicht auf ein Weihnachten freuen, wie es ihre Altersgenossen gewohnt sind. Wir besorgen diesen Kindern Geschenke, damit auch sie am Weihnachtsabend wieder lachen können!“, erzähle ich der Frau. Sie ist hellauf begeistert und erzählt mir, dass auch sie Menschen in Armut kennt und das Projekt super findet.

„Aber das ist noch nicht alles!“, fahre ich fort und blättere um. „Wir dürfen an unseren Grenzen nicht stehen bleiben, wir müssen auch darüber hinaus schauen.“ Die junge Dame nickt zustimmend. Auf dem dritten Bild sieht man eine sehr enge Zelle in einem Gefängnis. Ich erzähle der Frau, dass wir dafür sind, dass Terrorverdächtige nur noch human gefoltert werden dürfen. Waterboarding soll verboten werden; wir möchten, dass nur noch das Ausreißen von Fingernägeln erlaubt bleibt, um Terroristen geständig zu machen. Außerdem fordern wir, dass jeder potentielle Terrorist in seinem Gefängnis Anspruch auf zusätzliche zwei Quadratmeter erhält.

Die junge Frau schaut mich ungläubig an. „Waterboarding ist noch erlaubt?“, fragt sie mich voll Zweifel. „Ja, das ist sogar tagtägliche Praixs!“, erwidere ich. „Also, das geht meiner Meinung nach echt zu weit. Warum reißt man den Gefangenen nicht einfach die Fingernägel aus, so wie in der guten alten Zeit? Mein Opa hat das damals auch noch gemacht, als er Gefängniswärter war …“, erzählt die junge Dame. „Das stimmt, und das ist auch viel angenehmer für die Terroristen“, erkläre ich. „Leider dauert das bis zu zwanzig Minuten länger, bis man einen Gefangenen zu einem Geständnis gebracht hat. Zeit ist natürlich Geld, deshalb wenden die Sicherheitskräfte heute quasi nur noch Waterboarding an.“ Entsetzt schüttelt die junge Frau den Kopf.

Ich blättere um. Als nächstes sieht man einen toten Mann am Boden liegen. „Die Todesstrafe ist unserer Meinung nach in ihrer aktuellen Form inakzeptabel. Wir fordern, dass die zum Tode verurteilten Menschen vor ihrer Hinrichtung noch ein gutes Essen bekommen. Außerdem müssen sie vor der endgültigen Tötung betäubt werden.

„Was? Die bekommen kein gutes Essen vor der Hinrichtung?“, fragt mich die junge Frau. „Normalerweise nur Brot und Wasser. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Menschen, bevor man sie umbringt, noch eine letzte warme Mahlzeit erhalten!“ Die junge Frau nickt zustimmend.

Ich blättere auf die letzte Seite: dort sieht man einen großen Haufen mit aufeinander gestapelten toten Menschen. „Außerdem sind wir dafür, dass Flüchtlinge nicht mehr an der Grenze erschossen werden. Bei vielen ist der erste Schuss nicht tödlich, weshalb sie oft langsam und qualvoll verbluten. Wir möchten, dass Flüchtlinge professionell unter Verwendung von Giftgas hingerichtet werden, um das Leid dieser Menschen so weit wie möglich zu reduzieren.“

„Ich dachte, die sind dann immer gleich tot“, meint die junge Passantin. Aber das mit dem Giftgas hört sich nach einer super Lösung an“. Sie strahlt jetzt über ihr ganzes Gesicht und freut sich, auf einen Verein gestoßen zu sein, dem Menschen wirklich am Herzen liegen. Während die meisten Leute nach einem solchen Gespräch erzählen, dass sie erst noch einmal darüber schlafen müssen oder dass sie sich 5 Euro im Monat nicht leisten können, macht die junge Frau Nägel mit Köpfen und unterschreibt sofort den Mitgliedsantrag für den Menschenschutzverein. Mit 20 Euro monatlich will sie künftig unsere Arbeit unterstützen, zum Wohl aller Menschen.

So, genug für heute! Ich packe meine Sachen zusammen und mache mich auf den Heimweg. In einer Nebenstraße sehe ich einen weiteren Stand einer gemeinnützigen Organisation, der Spenden sammelt. Die junge Frau dort kommt auf mich zu. Ich lächle sie freundlich an. Sie fragt mich, ob ich schon vom Menschenrechtsverein gehört habe. Ich lache, winke ab und gehe weiter. Von diesen Spinnern habe ich schon einiges gehört. Die wollen zwar auch Obdachlosen helfen, aber gleichzeitig möchten sie die Folter komplett verbieten. Ginge es nach dem Menschenrechtsverein, so dürfte man in Zukunft überhaupt keine Flüchtlinge mehr umbringen. Auch die Todesstrafe soll, wenn es nach diesem Verein ginge, komplett abgeschafft werden. So ein Schwachsinn. Mit solchen Fanatikern habe ich nichts gemeinsam. Es gibt leider immer Menschen, die es übertreiben müssen.

 

Weitere Kurzgeschichten von V.C. Herz findet Ihr in seinen bisher drei Büchern. Ihr findet alle Angaben dazu (und weitere Leseproben) auf dieser Seite:

http://pflanzliche-kurzgeschichten.de/autor.php

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