Volkstrauertag – als Aufruf zum Frieden nutzen!

 In Ellen Diederich

Fasia Jansen

Ein Tag im trüben Monat November, ein Tag, “offiziell” dazu bestimmt, der Kriegstoten zu gedenken. Früher waren damit überwiegend unsere gefallenen “Ahnen” im Ersten und Zweiten Weltkrieg gemeint. Heute ist uns der Krieg entsetzlich nahe gerückt. Überall auf der Welt marschieren wieder deutsche Soldaten, so als wollten die Kriegstreiber sicher stellen, dass es bis in alle Ewigkeit Anlass zum Trauern geben wird. Ellen Diederich macht sich höchst politische Gedanken zum Volkstrauertag 2014 und erinnert an die tapfere Friedensarbeit ihrer Freundin Fasia Jansen.

Ein Sonntag im November 2014 in Oberhausen. Volks-Trauer-Tag. Das Wetter machte an diesem 16. November dem Ruf des Monats alle Ehre – es regnete in Strömen, war dunkel und ungemütlich.

„Im traurigen Monat November wars,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riss von den Bäumen das Laub,
Da reist’ ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt’ ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar,
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute:
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.“

(Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen, Caput 1, Heines gesammelte Werke, S. 94)

An diesem Morgen gab es eine Veranstaltung zum Volkstrauertag in der Gedenkhalle am Schloss Oberhausen. Schön wäre es, die Gedenkhalle umzubenennen in Denkhalle.

Hauptinhalt der Veranstaltung war eine „Festrede“: „Frieden – Von Fasia Jansen lernen“. Festreden sind eigentlich etwas, was so gar nicht zu Fasia passte. Es sind gewöhnlich Rituale, die folgenlos sind. Wo man sich trifft, in feierlicher Atmosphäre zuhört, etwas beklagt, oft ohne den Bezug zur gegenwärtigen Realität zu ziehen, dann wieder nach Hause geht und alles bis zum nächsten Jahr an die Seite tut. Es nützt nichts, sich der Toten der Weltkriege zu erinnern, wenn die Partei, in der man Mitglied ist, heutigen Kriegseinsätzen zustimmt und man seine Stimme dagegen nicht erhebt.

In diesem Fall ist alleine durch die Umbenennung einer Schule in Fasia-Jansen Gesamtschule die Folge für Friedensarbeit gegeben. Die Kinder können von Fasia lernen, was Friedensarbeit ausmachen kann und dass sie weitergehen muss. Das ist gut so.

Ich kam kurz vor Beginn der Veranstaltung an diesem 16.11.2014 an der Gedenkhalle an. Vor der Halle gibt es eine große Figur: Die Trauernde. Um diese Figur gruppierten sich fünf Soldaten der Bundeswehr in Uniform, stellten sich in Positur und fotografierten sich gegenseitig. Sofort kam das Gefühl hoch: „In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge in eigenen Haus“.

Clemens Heinrich, Leiter der Arbeit der Gedenkhalle, sagte, in der Veranstaltung solle in erster Linie der Opfer der Kriege gedacht werden, nicht, wie gewöhnlich am Volkstrauertag, der Soldaten, obwohl diese zumeist neben Tätern auch Opfer sind.

Ich war sehr erstaunt, dass Soldaten der Bundeswehr in Uniformen teilnahmen. Die Bundeswehr ist eine Armee, die seit 1990 an so genannten „friedenserhaltenden und friedenssichernden Maßnahmen“ außerhalb des Nato-Einsatzgebietes an Einsätzen beteiligt ist. In Deutschland wurde das Wort „Krieg“ für den Zustand in Afghanistan lange umgangen. Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnete ihn als „kriegsähnlichen Zustand“, später sagte er: „Man könne umgangssprachlich vom Krieg reden.“

Frau von der Leyen ist die erste in der langen Liste der VerteidigungsministerInnen, die diese Kriege auch Kriege nennt und nicht mit verschleiernden Begriffen umschreibt. Sie ist Kriegsministerin, selbst der Stern macht mit diesem Begriff seinen Titel vom 28.8.2014 auf. Wahrlich, für uns Frauen ist die erste Ernennung einer Frau zur Kriegsministerin kein Erfolg, vor allem nicht im Kampf um die Emanzipation der Frau. Der Krieg wird nicht durch die Einbeziehung von Frauen weiblicher und damit menschlicher, wie ich es vor kurzem bei einer Debatte über die Einbeziehung von Frauen in die Bundeswehr hörte.

In den Bundestagsdebatten, die vor der Entscheidung geführt wurden, waren SPD und Grüne zunächst gegen die Beteiligung. 1992 mit der „Petersberger Wende“ kam die Zustimmung.

Im Jahr 1999, bei der 50sten Jahrestagung der Nato in Washington D.C., wurde die neue Strategie auch offiziell beschlossen. Nicht mehr eine reine Verteidigungsarmee des Gebietes ihrer Mitgliedsstaaten sollte sie sein, sondern: „Die Nato ist auch dafür da, jederzeit den Zugang zu den Ressourcen der Mitgliedsländer zu sichern.“ Oder wie der frühere SPD-Verteidigungsminister Peter Struck es ausdrückte: „Unsere Freiheit wird auch am Hindukush verteidigt!“ Besteht diese Freiheit darin, die Ressourcen Afghanistans ausbeuten zu können?

Neben riesigen Gasvorkommen sind vor kurzem in Afghanistan Bodenschätze von nahezu einer Billion Dollar entdeckt worden. Da ist Lithium, ein heiß begehrter Stoff, der wegen seiner Energiedichte in Batterien als Anode verwendet wird. Es wird für Mobiltelefone, Laptops und in der Autoindustrie gebraucht. „Jetzt könnte das kriegsverwüstete Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Welt, zum „Saudi-Arabien des Lithiums“ werden.“ Das schreibt das Pentagon in einem internen Bericht zu gewaltigen Mineralvorkommen im Land am Hindukush, aus dem die „New York Times“ zitiert. Darin geht es um unberührte Bodenschätze im Wert von nahezu einer Billion Dollar (825 Milliarden Euro), die amerikanische Geologen in Afghanistan entdeckt haben. Neben dem begehrten chemischen Element, das in ähnlicher Masse bislang nur in Bolivien gefördert wird, handelt es sich unter anderem um Eisen, Kupfer, Kobalt und Gold. „Das Potenzial ist atemberaubend“, sagte General David H. Petraeus, Oberkommandierender der US- und Nato-Truppen und Chef des Central Command dem Blatt.“ (Die Welt vom 14.6.2010)

Inzwischen ist eine lange Liste von Einsätzen der Bundeswehr in direkten Kriegsgebieten oder durch Bedrohungen betroffene Gebiete in verschiedenen Kontinenten Realität:

Der Beginn war am
16.8.1990. Er ging bis zum 13.9.1991 während des 2. Golfkrieges im Mittelmeer
1991 in Diyabarkir – Türkei
1993 in Pnom Penh in Kambodscha
1992–1996 in der Adria und auf dem Balkan – IFOR und SFOR
1993–1995 in Somalia
1999 im Kosovo, ein höchst umstrittener Krieg, was Verfassung und Völkerrecht betrifft
Ab 2001 Dschibuti – Horn von Afrika
2002–2003 Enduring Freedom, Kuwait
2003 Mazedonien
2006 Kongo, Gabun
2000–2008 Äthiopien und Eritrea
1994–2008 Georgien
2002–2010 Enduring Freedom, Arabische Halbinsel, Mittel- und Zentral-Asien, Nordost-Afrika
2001–2002 Militärtransporte nach Istanbul
Ab 2002 Afghanistan
Ab 2005 „Luftraumsicherung“ über dem Balkan
Ab 2006 Seeraumüberwachung Küste vor Libanon
Ab 2008 Darfur
Ab 2008 Somalia
Ab 2010 „Luftraumsicherung“ über Island
Ab 2011 Südsudan
Ab 2012 Verteidigung Nato-Partner Türkei
Ab 2013 Mali
Ab 2014 Zentralafrikanische Republik
Ab 2014 Trainings Mission Afghanistan

In vielen Konflikten dieser Liste gab und gibt es Tausende Tote. Auch unter Beteiligung der Bundeswehr (Stichwort Oberst Klein). So u.a. in Afghanistan, dem Land, in dem jetzt seit 32 Jahren Krieg ist. Heute ist die Bundeswehr eine Freiwilligen-Armee. Jede/r der/die dort hingeht, ist sich also bewusst, dass er/sie eingesetzt werden kann, um zu töten.

Die Aussage meines Lieblingsdichters Kurt Tucholsky: „Soldaten sind Mörder“ ist nach wie vor richtig.

Karl-Heinz Burkart, Leiter der neu nach Fasia benannten Gesamtschule, hielt die Rede und gedachte auch der Opfer der heutigen Kriege.

Herr Burkhart sagte sinngemäß u.a.: Es sei ihm schwer gefallen, in dieser aktuellen Lage, in der es unendlich viele Tote gibt, eine Rede zum Frieden zu machen. Aber gerade der Volkstrauertag sei ein Tag der Mahnung, unabhängig von Systemen für Frieden einzutreten. Unsere Strategie müsse in Kriegsvermeidung bestehen, ohne Gewalt zu versuchen, Lösungen zu finden. Ein Begriff wie „Kollateralschäden“ versuche nur, das Leid in einer technischen Form zu beschreiben.

Herr Burkhart forderte Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Diese Haltung habe Fasia Jansen vorgelebt. An der Schule, die jetzt ihren Namen trägt, sind Kinder aus 25 Nationen, da ist Toleranz und Verständnis anderen Kulturen gegenüber eine absolute Notwendigkeit.

Fasia habe, nach ihren schrecklichen Erfahrungen in der Kindheit während des Faschismus – Diskriminierung, Behinderung der Ausbildung, Zwangsverpflichtung in der Küche des Außenlagers Neuengamme, medizinische Versuche an ihr – ihr Leben eingesetzt, um gegen Kriege und Bedrohungen aller Art zu kämpfen. Gegen den Vietnamkrieg, den Irrsinn der atomaren Bedrohung, sie habe trotz aller Angriffe standgehalten, von Anfang an die Ostermärsche mit getragen. So weit Herr Burkart

Zwei Jugendliche, die zur Fasia Jansen Gesamtschule gehen, lasen Texte aus dem 1. Weltkrieg über den Versuch feindlicher Soldaten, sich näher zu kommen und Verständigung über die Gräben hinweg zu erreichen.

Deutschland steht, wie allgemein bekannt ist, an dritter Stelle der Weltrangliste für die Lieferung von Waffen und anderen Kriegsmaterialen. Es wäre gut gewesen, auch der vielen Tausend Toten, die Opfer der Rüstungsfirmen aus der Bundesrepublik Deutschland und deren genehmigte Waffenlieferungen in viele Länder, Kriegs- und Krisengebiete, geworden sind, zu gedenken und die Politik dieser Art der Beteiligung zu kritisieren.

Die Umbenennung der Schule hat mich gefreut. Fasia war für uns alle ein Vorbild in ihrer Friedensarbeit. In der Wohnung über mir wohnt eine afrikanische Familie mit vier Kindern. Die Kinder haben bereits einiges an Diskriminierungen erfahren. Ich habe den Kindern viel über Fasia erzählt, auch um ihnen Mut zu machen. Wir überlegen zusammen, wie sie sich gegen Diskriminierungen wehren können. Die älteste Tochter geht in die Fasia Jansen Schule. Sie freut sich sehr darüber, jetzt in einer Schule zu sein, deren Namensgeberin eine Frau mit dunkler Hautfarbe ist.

Ich bin in viele Kriegesgebiete gefahren, habe die Friedensarbeit nie aus dem sicheren Abstand der Theorie gemacht. 1944 in Dortmund in der Zeit der großen Angriffe auf das Ruhrgebiet in einer Bergmannssiedlung geboren, habe ich die Angst meiner Mutter vor den Bombardierungen, den Nächten im Bunker, den Hunger und die Verzweiflung sehr früh mitbekommen. Hier liegt die Wurzel meines lebenslangen Engagements für Friedensarbeit. Ich wusste sehr früh: „Das darf nie wieder passieren.“

Bei der Friedensarbeit wollte ich genau wissen: Was bedeutet Krieg, was heißt es für die Menschen, die das heute aushalten müssen? So fuhr ich während der Kriege nach El Salvador, Nordirland, Bosnien, Palästina und Israel, nach Chiapas in Mexiko, wo die mexikanische Armee die befreiten Dörfer der UreinwohnerInnen bekämpft, in das Atomtestgebiet nach Nevada, wo 14.000 mal die Sprengkraft von Hiroshima getestet wurde, und an viele Stationierungsorte von Atomwaffen. Ich wollte sehen, lernen und Widerstand leisten, vor allem auch den betroffenen Menschen zeigen: Ihr seid nicht allein. In diese Kriegsgebiete ist Fasia nicht mitgegangen. Sie hatte in ihrem Leben bereits so viele Erfahrungen von Krieg und Gewalt gemacht, dass sie das nicht aushalten wollte. Das habe ich gut verstanden.

Fasia war meine Freundin und, wie die WAZ zu ihrer Beerdigung schrieb, „meine Kampfgefährtin“. 16 Jahre lang bis zu ihrem Tod haben wir gemeinsam Friedensarbeit in verschiedenen Teilen der Welt und in Oberhausen gemacht. In hunderten von Veranstaltungen haben wir versucht, Aufklärung über die wahren Hintergründe von Kriegen zu machen. Aktionen für den Frieden bestimmten unser Leben.

Auch wenn wir aus unterschiedlichen Bewegungen kamen, Fasia aus der traditionell kommunistischen Linken, die sich an der Sowjetunion orientierte, ich aus der 68er-, der Frauen-, Friedens, und Ökologiebewegung, haben wir in unserer Beziehung und Zusammenarbeit Toleranz als notwendige Basis gelebt. Was Rosa Luxemburg in ihrem berühmtesten Satz gesagt hat: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ war die Basis unserer gemeinsamen Anstrengungen. Wir bemühten uns, herauszufinden: Was aber denkt die andere und wie frei kann sie denken? Das war mit vielen Diskussionen und Auseinandersetzungen verbunden. Wir haben es geschafft, große Achtung und Respekt voreinander und eine tiefe Liebe zueinander zu bewahren und gemeinsam produktiv und in einigen Punkten auch erfolgreich uns für Frieden einzusetzen.

Ich habe Fasia gestern vermisst, ihre politische Klugheit, ihre Klarheit in den Forderungen, ihre Stimme, ihren Humor. Ich bin sicher, gestern hätte sie über das Lob an ihrer Person gesagt: „Ist ja schon gut, wir wissen, dass wir gut sind!

Lasst uns lieber mal überlegen, wie diese ganze Misere entstanden ist, das Kriegsgeschrei, die realen Kriege in Syrien, Palästina, der Ukraine und an vielen Orten. Warum tauchen Begriffe auf wie die Benennung der Bundeswehrangehörigen als „Mutbürger in Uniform“ (Gauck), die Forderung nach einer familienfreundlicheren Bundeswehr der Kriegsministerin von der Leyen. Das ist doch wohl der Gipfel, jetzt sollen Kinder von Bundeswehrangehörigen hier besser versorgt werden, damit ihre Eltern ruhigen Gewissens los fliegen können um andere Kinder, Väter und Mütter zu zerbomben?

Lasst uns zusammen überlegen, was wir machen können, wie Ihr Euch in Euren Parteien für Frieden einsetzen, wie wir das in unseren Gruppen tun können.

Die Friedensbewegung in Deutschland hat einen Friedenswinter mit vielen Aktionen beschlossen. Er ist angebrochen. Es gibt viel zu tun! Los, kommt mit!

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