Wer nach oben buckeln muss, tritt gerne nach unten

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Erdogan mitlerweile nicht mehr nur geografisch nahe: Alexis Tsipras

97. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Alexis Tsipras hat in seiner politischen Laufbahn eine Wende vollzogen, mit der verglichen ein Joschka Fischer und Gerhard Schröder geradezu überzeugungstreu anmuten. Zwar sind die sozialen Verheerungen, die derzeit in Griechenland angerichtet werden, nicht “auf seinen Mist gewachsen” – diese “Ehre” muss man den EU-Politikern um Wolfgang Schäuble zubilligen – doch bemüht sich der Ex-Idealist nun doch auffallend eifrig, den Prozess der Verelendung und Knechtung des griechischen Volkes voranzutreiben und vor allem unumkehrbar zu machen. Seine jüngsten Maßnahmen: Ausweitung von Wohnungsräumungen, Einschränkung des Streikrechts und Polizeiknüppel gegen Streikende. Gnadenloser Neoliberalismus und Diktatur – da wächst zusammen, was zusammen gehört. Zum Glück bleiben unsere Spenderinnen und Spender solidarisch. (Holdger Platta)

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

ob mein letzter Bericht einige LeserInnen aufgerüttelt hat – wir wissen es nicht. Jedenfalls steht dem Null-Ergebnis der Vorwoche dieses mal ein Spendenbetrag gegenüber, der wieder hoffen lässt – selbst wenn man in Betracht zieht, dass zum Monatsbeginn der Geldeingang regelmäßig über den Durchschnittswerten liegt. Sei es, wie es sei: 1.292,- Euro gingen während der letzten sieben Tage auf unserem Hilfskonto ein, 26 Spenderinnen und Spender sorgten zu unserer großen Erleichterung für dieses ermutigende Zeichen. Ich danke im Namen aller OrganisatorInnen den UnterstützerInnen sehr! Damit sind nicht nur jene Hilfsaktionen sichergestellt, über die ich Euch in meinem letzten Bericht informiert habe. Das war ja schon vor einer Woche der Fall. Nein, wir alle können nunmehr mit etwas Zuversicht darauf bauen, daß sich weitere Hilfsmöglichkeiten auftun für uns – präziser formuliert: für notleidende Menschen in Griechenland!

Womit, aber selbstverständlich, die Situation in Griechenland insgesamt  nicht schöngeredet werden kann. Gestern schon veröffentlichten wir dazu einen ausführlicheren Text bei uns, den Beitrag des Journalisten Wassili Aswestopoulos, eine Analyse, die ursprünglich auf „Telepolis“ zu lesen war, auf der Website von www.heise.de (= „Alexis Tsipras: Vom Revolutionär zum Konservativen“). Doch auch in meinem Bericht heute will ich einige Punkte noch einmal aufgreifen aus diesem Text, ergänzt durch Informationen aus anderen Quellen.

Beginnen wir mit Zahlen, die in der neuesten Ausgabe der „Griechenland Zeitung“ nachzulesen sind. Aus Anlass einer europäischen Konferenz zur „sozialen Ungleichheit“, die in der letzten Woche im Athener Konzerthaus Megaro Moussikis stattfand, teilte der stellvertretende Direktor der Bank von Griechenland, Theodoros Mitrakas, seinen Zuhörerinnen und Zuhörern die folgenden Tatsachen mit: über 2 Millionen Menschen in Griechenland seien von Armut „bedroht“, das entspreche einem Anteil von 22 Prozent der Bevölkerung; 3,8 Millionen Menschen (= 35,6 Prozent) lebten in sozialer Ausgrenzung schon jetzt; und die Kinderarmut liege bei 26 Prozent. Bemerkenswert sei dabei, dass sich die Armut mehr und mehr auch auf junge Paare erstrecke, auf hochqualifizierte Arbeitskräfte, und daß die Armut mehr und mehr auch in den Städten anzutreffen sei.

Nun, berücksichtigt man, dass die Vertreter der Bank von Griechenland eher zur Beschönigung der wahren Verhältnisse in Griechenland neigen – grober Unfug ist zum Beispiel, dass 2 Millionen Menschen bedroht seien von Armut, in Wahrheit sind sie von Armut bereits betroffen – leben jetzt also schon in bitterster Not –, dann alarmieren solche Zahlenangaben um so mehr! Und weisen ein weiteres Mal darauf hin, dass 8 Jahre Politik der Euro-Staaten gegenüber Griechenland 8 Jahre Politik dieser Staaten gegen Griechenland gewesen sind. Die „humanitäre Katastrophe“, von der hin und wieder die Rede ist, wenn man von Griechenland spricht, ist, was deren Verursachung betrifft, vor allem eins: Resultat – und ich füge hinzu: beabsichtigtes Resultat! – der Euro-Staaten-Politik. Bei aller Schuld oder Mitschuld, die mittlerweile auch Syriza an dieser Misere trägt, an der Spitze Tsipras, der griechische Ministerpräsident, sollte dies niemals übersehen werden! Man hat Griechenland kleingekriegt, und Griechenland hat sich kleinkriegen lassen! Aber kleingekriegt haben die Schäubles und Dijsselbloems dieses Griechenland, nicht ein Tsipras oder Tsakalotos (= der griechische Finanzminister), die seit langem und immer stärker ihre Schwäche zeigen. Gleichwohl:

Verstehen und nachvollziehen kann ich die Politik der griechischen Regierung schon seit längerem nicht mehr. Was mit dem „Umfaller“ von Alexis Tsipras am 13. Juli 2015 in Brüssel begann, mit der Kapitulation vor einem Europa, das Griechenland – als Gegengabe für neue Kredite – erneute Zustimmung zur Austeritätspolitik abverlangte, noch mehr Zustimmung zu Sozialstaatszerstörung, noch mehr Zustimmung zum Abbau von Arbeitnehmerrechten und zu Privatisierungen, was mit dieser Selbstunterwerfung Griechenlands begann unter die Diktate einer rundum menschenfeindlichen und einer ökonomisch-idiotischen Kaputtmacherpolitik, die niemals etwas anderes als weiteren Niedergang generieren konnte, niemals aber Erholung, Wiederaufschwung, Konjunktur, diese Kapitulation setzt sich nun fort in einer Politik der Willfährigkeit, die nur noch brutal und erschreckend ist mit ihrem zerstörerischen Charakter. Ein paar Beispiele mögen genügen:

Die griechischen Unterhändler haben am Montag dieser Woche den Finanzministern der Eurozone zugestimmt,

– dass die Zwangsräumungen in Griechenland ausgeweitet werden sollen,

– dass die Streikrechte für die Gewerkschaften eingeschränkt werden sollen,

– dass, auf dem Wege von Privatisierungen, noch mehr Profite als bisher bei ausländischen Konzernen landen sollen und

– dass Löhne und Renten noch stärker abgesenkt werden sollen in Griechenland.

Konkreter gesagt: Griechenland hat bei seinen jüngsten Übereinkünften mit den EU-Institutionen zugestimmt, dass Eigentümer von Wohnraum, die sich aus Geldnot haben verschulden müssen, rausgeworfen werden aus ihren Wohnhäusern und der Zwangsversteigerung ihres Eigentums zusehen dürfen. Ein Gesetz, das bis dato die Zwangsversteigerung einer Wohnung verbat, die als Erstwohnung genutzt wurde, läuft nunmehr zum Jahresende aus. „Damit wird es möglich, die Menschen im großen Stil in die Obdachlosigkeit zu treiben“, so die Website „www.german-foreign-policy.com“.

Des weiteren hat Athen der EU zugesagt, das Streikrecht einzuschränken. Streiks sollen nur noch erlaubt sein, nachdem es Urabstimmungen gegeben hat und mindestens 51 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik gestimmt haben. Auch hierzu zitiere ich aus „German-Foreign-Policy.com“: „Bei der Maßnahme handelt es sich um den Versuch, den Widerstand gegen die von Berlin und Brüssel oktroyierten  Austeritätsdiktate schon im Keim zu ersticken“.

Des weiteren wird auch die Privatisierungspolitik fortgesetzt: diesesmal trifft es vier Braunkohlekraftwerke des (noch?) staatlichen Stromversorgers DEI sowie den Hafen von Thessaloniki, nach dem Verscherbeln der 14 Flughäfen in Griechenland, die Gewinne erzielten (Griechenland blieb auf den nichtprofitablen sitzen) und nach der Veräußerung der Hafenanlage in Piräus an eine chinesische Betreibergesellschaft.

Und schließlich auch dieses noch: Syriza rühmt sich großer Erfolge beim Abbau der Arbeitslosigkeit (Rückgang in den drei ersten Quartalen des laufenden Kalenderjahres 2017: 0,7 Prozent, 0,8 Prozent, 0,3 Prozent), verschweigt jedoch, dass ein Großteil dieser “Positiv”-Entwicklung darauf zurückzuführen ist, dass die Zahl der Teilzeitjobs von 99.000 im Jahre 2008 auf mittlerweile 267.000 angewachsen ist und dass sich das durchschnittliche Teilzeiteinkommen mittlerweile nur noch auf 397,- Euro pro Monat beläuft.  Oder noch anders gesagt: von denen, die in diesem Jahr 2017 eine neue Arbeitsstelle bekamen, erhielten weniger als die Hälfte einen regulären Vollzeitjob. Auch dazu nochmal der Kommentar von „German-Foreign-Policy.com“: „Damit wird die Verarmung der Bevölkerung weiter vorangetrieben, ohne als Arbeitslosigkeit kenntlich zu sein“.

Und was ist mit der von mir angesprochenen „Brutalität“, mit der all dieses durchgesetzt wird? – Nun, auch hierzu möge ein einziges Beispiel genügen:

Am Mittwoch der vergangenen Woche kam es in Athen und Thessaloniki zu Protesten gegen die neuen Vereinbarungen Griechenlands mit der EU. Nun, die vormals (?) sozialistische Syriza-Regierung scheute sich nicht, diese Proteste brutal niederknüppeln zu lassen, wobei in Athen gegen die Demonstranten sogar in geschlossenen Räumen Tränengas eingesetzt wurde. Tsipras, Syriza, der griechische Staat, allesamt niedergeknüppelt worden, wieder und wieder, von der Euro-Staaten-Politik, sie alle knüppeln nun ihrerseits los und dreschen auf die eigene Bevölkerung ein. Griechenland, der in die tiefsten Elendszonen herunterreglementierte Staat, wird nunmehr auch noch zum autoritären Staat. Das alte Bild vom Radfahrer bewahrheitet sich: man buckelt nach oben und tritt um so stärker nach unten. Griechenland scheint unterwegs zu sein auf dem Weg zur Abschaffung der eigenen Demokratie. Es wäre nicht das erstemal in der Geschichte Europas, dass der Abschaffung der Demokratie die Zerstörung der sozialen und ökonomischen Grundlagen der Demokratie vorausgegangen ist. Doch nochmals wiederhole ich: die eigentlichen Urheber dieser unheilvollen Prozesse, die agieren nicht in Athen, die agieren – vor allem und zuallererst – in Brüssel und Berlin!

Damit, wie immer, zu meinen sonstigen Schlusshinweisen:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:

 

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

 

Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):

 

Peter Latuska

Theodor Heuss Str. 14

37075 Göttingen

Email: latuskalatuska@web.de

 

Mit herzlichen Grüßen

Euer Holdger Platta

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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