Wohnen mit Flüchtlingen

 In Politik (Ausland), Spiritualität
Ein Mythos innerhalb der Szene aufgeklärter Spiritualität: das connection-Haus

Ein Mythos innerhalb der Szene aufgeklärter Spiritualität: das connection-Haus

Innerhalb der linken Peer-Group weiß man, dass man das Flüchtlingsthema irgendwie wichtig finden und Flüchtlinge gegen Rechte in Schutz nehmen “muss”; das bedeutet aber noch längst nicht, dass man wirklich welche kennt. Wolf Schneider, verantwortlicher Manager des connection-Hauses, das bis vor kurzem Hort einer wichtigen Zeitschrift war, hat elf Flüchtlinge buchstäblich an sich herangelassen und in dem großen ehemaligen Gaststätten-Gebäude aufgenommen. Sein Bericht über den Erstkontakt ist ermutigend und herzöffnend.

Diese Woche sind elf Flüchtlinge bei uns im Connectionhaus eingezogen. Zuerst kam eine vierköpfige Familie aus Afghanistan, dann eine eben so große Familie aus Syrien, gestern noch drei Männer aus Afghanistan. Von einigen haben wir schon die ihre Geschichten gehört, wie sie hergekommen sind und warum. Mit den vier aus Syrien ist gestern und heute so viel Nähe entstanden, dass Inge vorhin sagte: “Es ist wie Familie mit ihnen.” Wir laden uns gegenseitig zum Essen oder Teetrinken ein und verständigen uns so gut wir können. Mit den Syrern geht das einigermaßen in gebrochenem Englisch, mit den Afghanen mehr körpersprachlich, pantomimisch. Besonders die beiden kleinen Familien haben wir schon jetzt tief ins Herz geschlossen; sie leben mit uns auf einer Etage und sie waren die ersten. Jetzt sind sie zwei und drei Tage hier im Haus. Die Kinder fassen am schnellsten Vertrauen, dann die Frauen, dann die Männer.

Als ich gestern mit all den Eindrücken von unseren neuen Hausbewohnern ins Bett ging, waren mir die Reisen wieder präsent, die ich mit 18 und 22 in diese Länder (Türkei, Iran, Afghanistan, Syrien) unternommen hatte. Ich war dort als allein reisender Tramper fast immer in Familien, radebrechend mit meinen damaligen Grundkenntnissen in Türkisch und Persisch, die jetzt partikelweise wieder hochpoppen. Alle unsere neuen Bewohner haben Handys und halten auf die Weise mit ihrer Heimat Kontakt. Nicht alle der elf mögen einander von Anfang an, sie kommen aber dann doch miteinander aus, verständigen sich und helfen sich gegenseitig. Mit uns im Gespräch und bei der pantomimischen Verständigung entspannen sich die Gesichter und zeigen sich in ihrer umwerfenden Schönheit, so dass wir alle vergessen, dass hinter ihnen Krieg, Flucht und Entbehrung liegen. Die junge Frau aus Kabul zeigt auf ihre Augen und sagt sowas wie “schischm”; ich sage “Auge” oder “Augen”, wir sprechen einander nach und sind glücklich. Ihr Mann kann ein paar Brocken Englisch und wundert sich, wie nah das Englische dem Deutschen ist: good, gut, persisch chub, auch das Persische ist ja eine indoeuropäische Sprache, so wie Sanskrit.

Der Sohn der beiden Afghanen (bald ist er drei Jahre alt) macht mit. Er redet, spielt, wirft sich auf den Teppich, lässt sich von mir jagen und quiekt, wenn ich ihn fange. Dann holt er sein Handy raus, klickt dort auf ein paar Zeichen in arabischer Schrift, bis ein Computerspiel sich öffnet und Menschen mit Gewehren auf Ziele schießen: Peng! Er will, dass auch ich die Stelle drücke, auf der es dann Peng! macht, immer wieder. Gestern hatte er ein Spielzeuggewehr in der Hand und schoß damit auf dem Gang der Wohnung rum, in der ich bis vorige Woche fast zwanzig Jahre gelebt habe mit meiner Katze Luzi, die er auch schon kennengelernt hat. Seine Oma ist von den Taliban erschossen worden, sagen die Erwachsenen. Wirklich? Erstmal glaube ich ihnen. Sie wirken ehrlich, manchmal weinen sie. Tod und Leben, Krieg und Frieden, Heimatverlust und neues Ankommen liegen sehr nahe beieinander.

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