Zwischen Zweckoptimismus und Wirklichkeit: Erwartungsstarre in Griechenland

 In FEATURED, Holdger Platta, Über diese Seite

71. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ “Politik hat human zu sein, wenn sie Legitimität beanspruchen möchte; Humanität hat politisch zu sein, wenn sie relevant sein will!” So das treffende Resümee von Holdger Platta zu unserer Griechenland-Spendenaktion. Relevant bleibt leider auch die Inhumanität der EU-Akteure, die Griechenland weiter in eine neoliberale Hölle aus Elend, Rechtlosigkeit und Privatisierung treiben wollen. Da hilft es auch nicht, auf den boomenden Tourismus hinzuweisen, also darauf dass sich eine Minderheit von Dienstleistern in den Küstenregionen über Wasser halten kann, indem sie Touristen zu (für diese) günstigen Konditionen bedienen – nicht wenige von ihne Schäuble-Wähler. (Holdger Platta)

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

darf man das schreiben zu Beginn eines Berichtes: in diesem Artikel wird nichts wirklich Neues stehen? – Nun, leider verhält es sich diesesmal so. Denn eigentlich ist, abgesehen von der neuesten Spendenzahl, nur von einem angstvollen Stillstand in und um das kaputtgesparte Griechenland zu berichten. Gleichwohl zur Erinnerung und zur Übersicht:

Die griechische Regierung hat bei den letzten Verhandlungen mit den Euro-Staaten allen Forderungen der sogenannten „Geberländer“ zugestimmt. Das war bereits am 22. Mai dieses Jahres der Fall. Über das Ausmaß der Zugeständnisse habe ich ausführlich berichtet, mehrfach sogar. Ausführlich habe ich auch dargelegt, daß Griechenland noch tiefer in die Verelendung hineinmanövriert werden soll, noch tiefer in Arbeitnehmerentrechtung, in Zwangsenteignung von Staatsbetrieben, die für die öffentliche Daseinsvorsorge zuständig sind, und und und

Doch die „Troika“ – nebst IWF – hat erneut die Bewilligung weiterer Gelder für Griechenland vertagt, die Bewilligung von rund 7,5 Milliarden Euro Neukrediten zur Tilgung von rund 7,5 Milliarden an Altkrediten.

Entschieden werden soll nun endgültig über die Verhinderung des griechischen Staatsbankrotts am 22. Juni, auf einem EU-Gipfel, der erneut in Brüssel stattfinden soll. Und Vorgespräche – Vorklärungen? – soll es dazu geben am 15. Juni, eine Woche davor, bei einem Treffen der griechischen Regierung mit der sogenannten „Euro-Gruppe“. Und was geschieht inzwischen? Wie sieht derzeit die Situation in Griechenland aus?

Nun, Regierungsvertreter wie Euklidis Tsakalotos, Finanzminister in Griechenland, haben sich offenbar darauf verlegt, den Hauptkontrahenten Wolfgang Schäuble in eine Menschlichkeit hineinargumentieren zu wollen, für die ich keinerlei Anhaltspunkte erkennen kann: „Ich bin sicher, er arbeitet bereits an einer Lösung, egal, was er am 22. Mai beim Euro-Gruppen-Treffen gesagt hat“, so Tsakalotos vor wenigen Tagen in einem SPIEGEL-Gespräch. Und die Griechenland-Zeitung vom Mittwoch dieser Woche, dem 31. Mai, teilt auf der Titelseite ihren LeserInnen mit, dass sich Griechenlands Tourismusbranche auf einer „Rekordjagd“ befände: „Konnte bereits im Vorjahr mit 27,8 Millionen Besuchern aus dem Ausland ein deutlicher Rekord erzielt werden, sollen es in diesem Jahr gar 30 Millionen werden“.

Zahlen, die ich nicht in Zweifel ziehe, eine Entwicklung, die zweifellos erfreulich für Griechenland ist. Aber man muss kein Volkswirtschaftler sein, um für blanken Unfug zu halten, wenn die Griechenland-Zeitung gleich anschließend schreibt: „Der griechischen Wirtschaft soll das endgültig dazu verhelfen, auf Wachstumskurs zu gehen“. Leider: das ist allzu große Hoffnung auf allzu kleinem Terrain. Griechenland ist nicht zur Gänze Tourismusland, Griechenland kommt dadurch aus seiner Riesenverschuldung um über 300 Milliarden Euro nicht heraus, keine Steuerlasten werden gemindert dadurch (vor allem im Bereich der Mehrwertsteuer), kein Beschluss zu weiteren Rentenkürzungen rückgängig gemacht, keine Kolonialisierungsmaßnahme gegenüber Griechenland. Kurz: die überwiegende Mehrheit der Griechen hat gar nichts davon, der Staatshaushalt Griechenlands ebenfalls nicht, und das riesige Ausmaß der Arbeitslosigkeit – fast 25 Prozent bei den erwerbsfähigen GriechInnen insgesamt, fast 50 Prozent bei den jungen GriechInnen bis zum 25. Lebensjahr – wird bestenfalls um ein paar Punkte hinter dem Komma zurückgehen. Die Grausamkeiten der Euro-Staaten-Politik schlagen auch weiterhin voll durch in dem kaputtgeretteten Griechenland, das Elend der Griechinnen und Griechen hat kein Ende, auch bei allem Zweckoptimismus nicht! Und niemand weiß das besser als eben die Griechinnen und Griechen selbst.

Fast vier von fünf GriechInnen sind zum Beispiel der Ansicht, dass ihre Regierung am 28. Mai – dem Tag der Parlamentsabstimmung über die Brüsseler Beschlüsse vom 22. Mai – ein neues, ein weiteres (insgesamt: viertes!) Verelendungsprogramm abgesegnet hat – 78 Prozent aller befragten GriechInnen stimmten bei einer Umfrage der Universität Makedonien dieser Einschätzung zu. Weitere 40 Prozent der Befragten vertraten die Ansicht, dass die Regierung Syriza/Anel seit 2015 härtere Maßnahmen durchgesetzt hat als alle Regierungen zuvor seit 2010! Und lediglich 12 Prozent aller GriechInnen glauben noch, dass man mit den neuen Beschlüssen aus der Krise kommen kann. Sieht so Hoffnung aus? Darf man das Zustimmung nennen oder gar Zuversicht? – Mir scheint, im Blick auf die beiden Termine 15. und 22. Juni formuliert: Erwartungsstarre, bestenfalls, ist da wohl das treffendere Wort! Und wenigstens bei einigen Politikern ganz oben an der Staatsspitze sieht es mit der entsprechenden Einschätzung kaum anders aus. So legte Giorgos Chondros, Mitglied im Zentralkomitee der Syriza, in einem Beitrag für die „Frankfurter Rundschau“ vom 27. Mai die folgende Analyse vor:

Trotz Brexit, trotz Trump-Wahl und Le-Pen-Wahlergebnis in Frankreich verfolge Europa weiterhin seinen „austeritätspolitischen Kurs“ und Europas „Hauptsorge“ gälte auch weiterhin nur der Frage, wie „diese menschen- und europafeindliche Politik“ weitergeführt werden könne. Und Chondros ergänzt – angesichts der begrenzt zu nennende Wahlniederlagen von Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden sowie des Rechtsextremen Norbert Hofer in Österreich beim Duell mit dem Grünliberalen Alexander Van der Bellen ums Bundespräsidentenamt: „Mir scheint dies ein abgekartetes Spiel zu sein. Dieses Wechselbad zwischen Angst und Erleichterung ist ein nützliches politisches Instrument der neoliberalen Eliten, um die Wahl des kleineren Übels verdaulich zu machen“. Und Giorgos Chondros spezifiziert dieses „kleinere Übel“ auch noch – mit klarer Kritik übrigens auch an Martin Schulz, den Sprechblasen-Produzenten und Kanzlerkandidaten der SPD: „Der Süden Europas, allen voran Griechenland, leidet am stärksten unter den Folgen der Politik des Sozialabbaus. Demokratie, Sozialstaat, Arbeitsrechte und öffentliches Vermögen stehen im Visier der neoliberalen Eliten“. Da, scheint mir, hat ein Politiker der griechischen Syriza durchaus auf den Punkt gebracht, was konzeptionell der Vernichtung Griechenlands und anderer Länder, vor allem in Südeuropa, zugrunde liegt, und ebenso plausibel fällt deshalb auch das Gesamtfazit von Chondros aus, zumindest meiner Meinung nach:

„Europa braucht dringend eine Politik jenseits und weit weg von Neoliberalismus und extremer Rechter. Europa braucht Reichtumsumverteilung und Sozialtransfer in jedem Staat und EU-weit. Europa braucht Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Frieden und offene Grenzen, Umweltschutz und Rechte für alle. Politik für und von Menschen und nicht von und für die Märkte. Sonst kann Europa nicht existieren.“

Gern gebe ich zu: Analysen wie dieser werden wir auf HdS immer wieder Platz zur Verfügung stellen. Das zu tun, halten wir ebenso für unsere Pflicht wie unsere Hilfe für notleidende GriechInnen vor Ort. Menschlichkeit und Politik lassen wir nicht auseinanderdividieren, eine Polarisierung von beidem gibt es für uns nicht! Politik hat human zu sein, wenn sie Legitimität beanspruchen möchte; Humanität hat politisch zu sein, wenn sie relevant sein will!

Womit ich, abschließend diesmal, auch bei unseren neuen Spendenzahlen bin:
Nun, wie in der Vorwoche auch überwiesen 5 UnterstützerInnen Hilfsgelder an uns, doch diesesmal war’s wieder nur ein kleinerer Betrag: 155,- Euro gegenüber 330,- Euro in den sieben Tagen davor. Selbstverständlich danke ich trotzdem allen SpenderInnen sehr herzlich, und selbstverständlich auch in dieser Woche im Namen des gesamten HelferInnenteams!

Und damit zu meinen obligaten Schlusshinweisen:
Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „HDS“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE

Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):
Peter Latuska
Theodor Heuss Str. 14
37075 Göttingen
Email: latuskalatuska@web.de
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

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