Alexanders Albumtipp der Woche: Anna Gourari – Elusive Affinity

 In CD-Tipp

Meditieren mit Klaviermusik kann man vielfach mit dahinplätschernder Minimal Music. Dass es erst recht hochambitioniert anspruchsvoll geht, beweist die Pianistin Anna Gourari mit ihrem 2019 bei ECM erschienenen Album. (Alexander Kinsky)

Das Album reizt, zweifach gehört zu werden – „wissend“ und „einfach so“.

Wissend:

Anna Gourari, die 1972 in Kasan (Sowjetunion) geborene Konzertpianistin, spannt auf „Elusive Affinity“ einen symmetrischen Bogen, dessen Eckpfeiler Johann Sebastian Bach Bearbeitungen venezianischer Vorlagen sind (zu Beginn Antonio Vivaldi, Largo aus dem Concerto No. 4 g-Moll BWV 975 – Original für Violine, am Ende Alessandro Marcello, Adagio aus dem Concerto d-Moll No. 3 BWV 974 –  Original für Oboe).

Drei eher unbekannte Klavierzyklen werden im Inneren vorgestellt: Five Aphorisms (1990) des aus Russland stammenden Alfred Schnittke (1934-1998), die Diarys (Seven pieces, 2002) des ebenfalls russischen Rodion Shchedrin (geb. 1932) und Zwiesprache, 5 Stücke in memoriam verstorbener naher Bezugspersonen (Alfred Schlee, Paul Sacher, Heinrich Klotz, Hans Heinz Eggebrecht und Hermann Wiesler, 1999) des 1952 in Karlsruhe geborenen Wolfgang Rihm.

Eingeflochten sind auch zwei kurze Piano pieces, die Nos. 15 und 23 des georgischen Komponisten Giya Kancheli (1935-2019).

Und im Zentrum gibt es dazu die Variationen zur Gesundung von Arinuschka (1977) des ebenfalls 1935 geborenen estnischen Komponisten Arvo Pärt.

Das liest sich klug durchdacht.

Einfach so:

So wie Anna Gourari die Stücke nämlich anordnet, ergibt sich die Möglichkeit, die Musik völlig ohne „Wissen“ als Aneinanderreihung unterschiedlichster meist sanfter Stimmungsbilder durchzuhören und sie so als reine anregende Meditationsmusik aufzunehmen.

Es beginnt sanft perlend, ehe ein paar freitonale Charakterzeichnungen wie Standbilder im Raum stehen, sich eine sanft lächelnde Salonmusik-Miniatur zeigt, einige weitere schon eher tonale prägnante, markante Charakterbilder auftauchen, die Welt dann für einige Minuten still steht in glasklarer Transparenz, um sich ganz sanft neu zu beleben, nun großteils harmonisierendere, ins Kontemplative tendierende Charakterbilder folgen und eine sanft elegische Miniatur zur himmlischen Finalträumerei leitet.

Die „diffuse Affinität“ die der Albumtitel vorgibt mag den Bezug der Interpretin zu den Komponisten und gespielten Werken, die Reihenfolge der Stücke und die Bezüge die sich daraus ergeben oder das was die Hörerschaft mitnehmen könnte betreffen, man kann es sich aussuchen.

Eine Entdeckung für sich wert (eventuelle Anspieltipps) sind vor allem die Stücke von Rodion Shchedrin, etwa das zweite (L´istesso tempo, wie auf einer geraden Straße), und ganz speziell das abschließende himmlisch schöne Marcello-Bach-Adagio.

Ein Meditations-, ein Innehaltalbum mit großteils zeitgenössischer Klaviermusik – Anna Gourari hat es vorgelegt, mit berückender empfindsamer Anschlagskultur.

Die im Mai 2019 erschienene CD (ECM New Series 2612 4818131) hat Anna Gourari im Jänner 2018 im Historischen Reitstadel in Neumarkt aufgenommen.

Die Homepage von Anna Gourari: http://gourari.com/

Kommentare
  • Herbert P.
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    Ein wunderbares Album! Ich liebe Brodsky. Schnittkes Musik reflektiert meinem Gefühl nach Brodsky lyrische Farben einmalig.
    Diese Musik öffnet Türen, auch zu zeitgenössischer Musik. Super gespielt.

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