Auf Seiten der Menschlichkeit: Theo Breuer
Stimmt, liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser: lange habt Ihr unter diesem Titel „Auf Seiten der Menschlichkeit“ nichts mehr lesen können bei uns! – Gedichte also, die wahrhaft dieser Überschrift entsprechen, Gedichte, die zudem von hoher Qualität sind. Heute will ich Euch endlich wieder einmal ein solches Gedicht vorstellen – und den Autor dieses Gedichtes selbstverständlich gleich mit. Holdger Platta
Theo Breuer? – Kennt ihn jemand von Euch? Vielleicht persönlich sogar? Ich befürchte: eher nicht. Denn seit längerem ist es so, dass die bundesdeutschen Verlage – die großen, die starken, die renommierten, früher mal bekannt dafür, dass sie zeitgenössische Lyrik verlegten, nicht nur Bestseller-Literatur – Gedichte heutiger AutorInnen nicht mehr veröffentlichen. In den Führungsetagen der Buchveröffentlicher haben die Betriebswirte Einzug gehalten. Gedruckt wird nur noch, was Einnahmen verspricht (und selbst die LektorInnen leiden darunter). Wer von den schreibenden Mitmenschen keinen Profit verspricht, bleibt auf der Strecke. Und sei deren Literatur auch noch so gut!
Für mich gehört Theo Breuer zu diesen AutorInnen. Und ich denke, sein langes Gedicht zehn verbote wird das unter Beweis stellen! Aber vorher noch einige Informationen zum Autor, dessen Name vermutlich nur Eingeweihten bekannt ist:
Theo Breuer wurde am 30. März 1956 in Bürvenich geboren – das liegt in der Nordeifel bei Euskirchen (Nordrhein-Westfalen). Breuer hat von 1974 bis 1980 Germanistik und Anglistik in Köln studiert, wurde dann Lehrer und begann, 1987 als Autor, Herausgeber, Kleinverleger, Lektor und Übersetzer tätig zu werden.
Das Ausland beachtete ihn dabei durchaus. Seine Gedichte zum Beispiel wurden ins Arabische und Englische übersetzt, ins Französische, Georgische und Italienische, ins Polnische, Rumänische und Russische. Aber hier, in der Bundesrepublik, ist lediglich der POP Verlag aus Ludwigsburg bereit, seine Lyrik zu veröffentlichen (siehe: https://wp.pop-verlag.com/?page_id=1087 !). Zugegeben: ein guter Verlag, aber das ist es ja: leider auch nur ein kleiner Verlag, ein Verlag mithin, der nur über eng begrenzte Möglichkeiten verfügt, für seine AutorInnen Werbung zu machen oder für größere Auflagen sorgen zu können. Unendlich schade, dieser Umstand!
Denn Theo Breuer schreibt Lyrik von großartiger Qualität. Breuer – ohnehin ein eminent informierter Autor, was die Weltliteratur im Bereich der Lyrik betrifft (und nicht nur im Bereich der Lyrik) –, Breuer versteht sich auf witzige und ernste Gedichte, Breuer beherrscht das Wortspiel, die Parodie, die Pointe und die Schreibweisen eines Eugen Gomringer, einer Friederike Mayröcker und eines Paul Celan. Wunderbar hat das einmal Christoph Leisten auf den Punkt gebracht, ein Poet wie Breuer und Lehrer auch und nicht zuletzt Kritiker zeitgenössischer Literatur: „Wenn Theo Breuer Gedichte schreibt, dann schwingt die Geschichte der Lyrik mit“. Freilich füge ich hinzu: immer ist da auch ein ganz eigener Sound, eben Breuers Sound, zu vernehmen. Ein bloßer Nachahmer, ein Epigone, ist Theo Breuer in keinem seiner Gedichte! Der Autor, der seit langem in Sistig, im Nationalpark Eifel, lebt, holt das alles in seine Sprache, in seine Poetologie hinein. Großartig, wie gesagt! Und ich denke, sein langes Gedicht zehn verbote stellt das unter Beweis!
Die Anspielung liegt auf der Hand (und wiederum ist ja auch Spiel im Spiel – ein durchaus ernstes Spiel jedoch, mit sehr viel bitterer Ironie): selbstverständlich weist dieser Titel auf die Zehn Gebote im Alten Testament zurück. Aber was stellt Breuer dieser Verbotswelt entgegen? Ein Plädoyer fürs Träumen, Singen und Dichten, aber auch ein Plädoyer für Menschennähe und Liebe, fürs Denken und Wuthaben, fürs „Wuseln auf Wiesen“ und – Gedrucktwerden nicht zuletzt. Der ganze Mensch ist erfasst in diesem Gedicht – der private wie der politische Mensch, der verständige Mensch wie der empfindende, der Einzelne wie der Mensch in der mündigen Gemeinschaft mit anderen Menschen. Rotzig und inständig zugleich, in Alltagssprache und zuweilen in hohem Ton wirbt dieser reiche Text – ja, ich riskiere es zu sagen – für gute Menschlichkeit (es gibt auch eine andere!) schlechthin!
Lektüre seiner Gedichte und Kauf seiner Bücher seien hiermit dringend empfohlen.
Und nun Theo Breuers zehn verbote, einschließlich eines Zitates, das der Lyriker diesem Text vorangestellt hat:
“It is forbidden to dream”
Richard Burns, The Easter Rising 1967
zehn verbote
1 ES IST VERBOTEN ZU TRÄUMEN
(arbeit allein bloß macht euch frei
wer träumt den keilen wir entzwei
es ist verboten zu träumen
nein kein traum darf dusel säumen
wolkenkuckucksheim bauen ist vorbei
es ist verboten zu träumen
staat gewalt ist weg zu räumen
verboten ist logieren auf bäumen
gerstensaft darf nicht überschäumen
es ist verboten zu träumen
wen polizei beim träumen fängt
wird an den nächsten ast gehängt
es ist verboten zu träumen)
2 |: ES IST VERBOTEN ZU SINGEN : |
(ja horcht nur es ist verboten
wer gekascht wird mit gitarre
schaut stracks in den lauf der knarre
es ist verboten zu singen
ihr dürft für die auf die pauke schlagen
ihr dürft auch ›ja und amen‹ sagen
es ist verboten zu singen
es ist verboten zu tanzen
in jedem ballsaal sind wanzen
es ist verboten zu singen)
3 ES IST VERBOTEN ZU DICHTEN
(denk immer an deine pflichten
es ist verboten zu reden zu meinen
mut zu geben zu warnen zu weinen
freigeist ist per se suspekt
mandelstam ist kalt verreckt
es ist verboten zu dichten
lyrik ∙ am leben sein ∙ lotterie
dergleichen mochten die noch nie
es ist verboten zu dichten)
4 ES IST VERBOTEN SICH ZU VERSAMMELN
(will man verhindern daß weib und mann rammeln
bewegung sieht behörde nicht gern
und läßt das freudenhaus schließen
sich zu versammeln sei nichts als gammeln
ach drum ist es wohl verboten …
dann laßt uns die füße verknoten
und beim ersten schritt bereits fallen
mit kopf beinhart auf basaltsteine knallen
tot finden wir schon eher gefallen
beim general und dessen vasallen
wer leben will pariert
alles andre ist verboten)
5 ES IST VERBOTEN ZU LIEBEN
(nein anders – du mußt dir die liebe
vom verwalter bewilligen lassen
es ist gestattet zu hassen zu tren-
nen zwischen rassen und gesellschaftsklassen
es ist verboten zu lieben
ein pfaffe hat sich mit denen getroffen
hört hört es wurde mächtig gesoffen
es ist verboten zu lieben
ramm den schädel gegen wände
es bleibt verboten zu lieben)
6 ES IST VERBOTEN ZU – – – DENKEN
(das würde big brother kränken
gedanken kann er nicht erschnüffeln
fürs denken wird der brüsk dich rüffeln
es ist ja im endeffekt verboten –
hören wir auf zu denken lassen wir uns lenken
hirn verrenken denen schenken
es ist verboten zu denken
muß doch die fahne schwenken
denken ist dabei verboten ist ja verboten zu
denken)
7 ES … IST VERBOTEN WUT ZU HABEN
(… ist verboten glut zu haben
… ist verboten mut zu haben
… ist verboten blut zu haben)
8 ES IST VERBOTEN ZU WUSELN AUF WIESEN
(zu erzählen von rehen und riesen
es ist verboten zu scheißen
zu schäkern witze zu reißen
es ist verboten zu lesen
zu hantieren mit ursprung und wesen
wer twittert das im grunde noch
rinks und lechts velwechsern wir doch
wiewohl: das ist auch verboten
es ist verboten über glotze zu lästern
zugelassen sind darin western
faßbinderstreifen sind alle verbrannt
keiniemand hat sie je gekannt
das ist verbotenverboten)
9 ALLES IST VERBOTEN
(wir leben ∙ immerhin ∙ in freiem land
das ist sehr hinlänglich bekannt
wer hier die wahrheit sagt der lügt
es ist verboten zu lügen
merkt nur auf und merkt es nicht
alles ∙ ist ∙ verboten)
10 ES IST VERBOTEN ZU DRUCKEN
(auf fieses gedicht wird man spucken
fast alle wollen mucken wollen wieder drucken
es scheint ja alles anders zu sein
es sieht glatt aus als gäb’s kein verbot
die das gegenteil weinten sind längst lausetot)
ES IST VERBOTEN ZU TRÄUMEN
Ich gehöre wahrscheinlich zu den wenigen, die fast alles von diesem großartigen Autoren gelesen haben … und schätze mich glücklich, zudem in einem regen Gedankenaustausch mit ihm zu stehen.
Vielleicht ist von Interesse, daß vor etwa zwei Jahren diese “Zehn Verbote” im Rahmen der von mir veranstalteten Reihe WORTKLANGRAUM in Bonn gelesen wurden. Der Video-Livemitschnitt ist über folgendem Link einsehbar: https://www.youtube.com/watch?v=9wiF_cZD6jg&t=2240s
Weitere Breuer-Texte – gelesen beim WORTKLANGRAUM:
“Überschwemmt, die Lust am Taumel“: https://www.youtube.com/watch?v=KQNhILCRPLU&t=2334s
“here is the good news – pour on water pour on water“: https://www.youtube.com/watch?v=lAh1VHmS5po&t=2345s
das Gedicht sau – gut, sau – aktuell !!! …. eben Theo Breuer
Norbert Scheuer
Werner Bliß
Theo Breuer: Das gewonnene Alphabet. Gedichte. POP Verlag Ludwigsburg 2012 (121 Seiten, 12,- €)
Erkennens net monchmal doch, wies ausschaun, die Fösseln? Könnens net doch sprechen, wollens net auch wos lesen, donn und und wonn?
Und wenn sie es können, wozu werden sie dann? Zu Sprechenden! Zu Lesenden! Juchhu, zu Bürgerinnen und zu Bürgern, zu Gestaltenden, zu Tanzenden, a bisserl auch per Theo Breuers Lyrikcoup!
Bedankt!
Rainer Strobelt