Betäubungslose Kastration – die Ferkeleien der Politik

 In FEATURED, Monika Herz, Politik (Inland), Umwelt/Natur

Es ist eine böswillige Unterstellung, dass Politik nichts Konkretes zustande bringen würde. In der letzten Woche haben es die Volksvertreter nämlich geschafft, dass Ferkel zwei weitere Jahre betäubungslos kastriert werden. Das war Politikern mehrerer Parteien wichtig. Rund zwei Drittel stimmten dafür. Eigentlich hätte diese schmerzhafte Form der Kastration ab 1.1.2019 Geschichte sein sollen. Aber auf einmal wurden die Abgeordneten von tiefem Mitgefühl ergriffen – mit der Fleischindustrie, für die jede Abmilderung von Grausamkeit unzumutbar und geschäftsschädigend ist. Und wo ein politischer Wille ist, ist auch ein Weg. Schweine können nicht zur Wahl gehen, Schweinefleischesser schon.  Monika Herz

Sehr geehrter Herr Dobrindt,

Sie sind ja sozusagen „mein“ Abgeordneter im Bundestag, deshalb bitte ich darum, mit ein paar Fragen zu beantworten. Es gibt da nämlich etwas, das verstehe ich einfach nicht. Und zwar das hier:

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben heute um 21.46 Uhr für die Fristverlängerung beim Thema betäubungslose Ferkelkastration um zwei Jahre gestimmt. Insgesamt wurden 652 Stimmen abgegeben. 422 Parlamentarier stimmten für die Änderung des Tierschutzgesetzes, 142 stimmten mit Nein, 88 Abgeordnete enthielten sich.“
(Quelle: https://www.topagrar.com/schwein/news/kastration-bundestag-stimmt-fristverlaengerung-zu-10119363.html)

Vor der Abstimmung habe es noch eine lebhafte Debatte gegeben und Renate Künast habe darauf hingewiesen, dass hinreichend bekannt sein müsse, dass die derzeitige Praxis gegen das Grundgesetz verstoße und dass Kastration eine Straftat sei.

Im Grundgesetz heißt es in Art. 20a:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

In Kraft getreten am 01.08.2002 – das Ziel des Staates war damals der Tierschutz. Ich bin ja keine Juristin, aber so viel weiß ich doch, dass die Aufnahme des Tierschutzes in den Verfassungsrang damals recht bedeutend war. Höher geht’s nicht.

Das Tierschutzgesetz selber wimmelt dann auch von schönen Worten und guten Absichten:

„Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Klingt gut, finde ich. Leben und Wohlbefinden schützen. Was das mit der gestrigen Abstimmung zu tun hat? Ja, Herr Dobrindt, das wollte ich Sie eben fragen. Ich versteh das nämlich wirklich nicht. Die Gesetze sind doch eindeutig formuliert. Hat denn irgendeiner der Abgeordneten Zweifel darüber geäußert, ob eine Kastration ohne Betäubung für ein frisch geborenes Lebewesen Schmerzen, Leiden und Schäden bedeutet? Sie waren ja sicher dabei, gestern bei der Abstimmung. Hat irgendjemand während der Debatte tatsächlich bestritten, dass eine Kastration sehr schmerzhaft ist? Oder wurden vernünftige Gründe vorgetragen?

Dann möchte ich gerne die vernünftigen Gründe hinterfragen. Die Mastbetriebe hatte vier Jahre Zeit, die Umsetzung dieser Auflage vorzubereiten. Was ist so schwer daran? Die Beschaffung der Medikamente? Die Ausbildung des Personals? Ist das zu teuer? Und das müsste dann der Verbraucher bezahlen? Der will aber billiges Fleisch. Oder geht es darum, dass 5 % der nicht kastrierten Mastschweine einen sog. „Eber“-Geschmack im Fleisch hinterlassen. Das schmeckt dem Verbraucher nicht. Und dann kauft er es nicht mehr. Deshalb werden vorsorglich alle Schweine kastriert. Sind das die vernünftigen Gründe?

Ich verstehe es halt einfach nicht. Bestimmt können Sie es mir erklären. Vielleicht waren die Begründungen ja auch ganz anders. Vielleicht gibt es ja wirklich vernünftige Gründe, die sogar mich überzeugen würden. Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber vielleicht können Sie mir da weiterhelfen. Ich weiß ja nun nicht, wie Sie gestimmt haben, aber selbst wenn Sie gegen die Verlängerung gestimmt hätten, könnten Sie mir doch ein wenig die Auseinandersetzung im Parlament schildern. Das wäre nett, vielen Dank.

Ein letztes muss ich noch fragen: Was ist so schwer daran, einen einmal gefassten Beschluss auch durchzuziehen? Die Tier-Industrie hatte vier Jahre (!) Zeit sich umzustellen. Sie hat es nicht getan. Das Gesetz hätte auch verabschiedet werden können. Dann wäre es ab dem 1. Januar 2019 strafbar, ein Tier ohne Betäubung zu kastrieren. Wer sich nicht dran hält, muss dann eben mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Früher hätte man die Täter vielleicht auch kastriert, aber so barbarisch ist heute kein Mensch mehr. Eine ordentliche Geldstrafe, die den Gewinn der Unternehmen so schmälert, dass man dann doch lieber die Medikamente einkauft und das Personal ausgebildet wird, das würde es auch tun.

Nun ja. Es ist früh am Morgen. Mein Appell kommt zu spät. Ich kann nichts mehr ändern. Und mein Brief hätte auch nichts am Ergebnis der Abstimmung geändert, wenn er rechtzeitig bei Ihnen angekommen wäre. Glaube ich. Aber über eine Antwort ich mich dennoch sehr freuen.

Monika Herz

PS: Doch eine allerletzte Frage ist mir gerade noch eingefallen: Können Tiere Ihre Rechte eigentlich einklagen? Weil wenn das nicht möglich ist, dann wäre ja das ganze schöne Gesetzeswerk für die Katz. Weil, wo kein Kläger da kein Täter.

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