Buchstäblich: Obdachlose und Ausgesteuerte zählen in Griechenland nicht mehr

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

261. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Natürlich warten wir darauf: endlich mal wieder Gutes berichten zu können aus Griechenland! Aber leider: es wird nicht besser in diesem drangsalierten Mittelmeerstaat. Und auch von unserer Hilfsaktion ist kaum echter Aufstieg zu vermelden. Hoffen wir also auf gute Nachrichten demnächst! Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

stimmt: seit längerem habe ich Euch nicht mehr mitgeteilt, was verarmte und verelendete Griechinnen und Griechen an Arbeitslosengeld erhalten. „Sozialhilfe“ gibt es in Griechenland ja eh nicht! Zeit also, diese Wissenslücke wieder zu schließen! Hier also die Antwort, wobei eines noch vorauszuschicken ist: längst nicht alle Anspruchsberechtigten erhalten diese Zahlungen. Zum Teil liegt das am Versagen der Behörden, zum Teil auch daran, dass die Betroffenen nicht mal in der Lage sind, solche Anträge zu stellen. Es fehlt an Kenntnissen und behördlicher Unterstützung, es fehlt nicht selten sogar an ganz banalen Voraussetzungen dafür, daran zum Beispiel, noch über Schreibmaterial zu verfügen, über einen Platz, an dem der Berechtigte seine Formulare ausfüllen könnte, am Geld fürs Porto sogar. Aber hier die Antwort! Auch diese ist bereits erschreckend genug:

Im Maximum bekommen erwerbslose gewordene Griechinnen und Griechen eine staatliche Unterstützung, genannt „Arbeitslosenhilfe“, von 200,- Euro pro Monat. Niemandem muss ich erläutern, dass dieser Betrag nicht mal für die Kosten der Wohnung reicht, für Miete also, Strom, Wasser, Beheizungskosten. Allein diese Tatsache sorgt dafür, dass es immer mehr Obdachlose unter den verarmenden und verelenden Griechinnen und Griechen gibt (darüber, freilich, haben wir bereits vielfach berichtet).

Der zweite Mangel bei dieser „Arbeitslosenhilfe“ ist: sie wurde vom griechischen Staat auf maximal 1 Jahr begrenzt. „Aussteuern“ nennt man das, was dann folgt: der Staat hilft mit keinem einzigen Cent mehr! Bedeutet konkret: hat ein Betroffener – gleich, welchen Geschlechts er ist, egal, ob wohnungslos oder nicht – „seine“ 2.400,- Euro vom Staat bekommen, fürs Überstehen eines ganzen Jahres, ist Schluss auch mit dieser Schwundstufe von Existenzsicherung. Die „natürlich“, diese „Existenzsicherung“, vorher schon keine Existenzsicherung mehr war. Der Obdachlose, der vorher schon unter freiem Himmel zu schlafen hatte, mit einer Habe, die in zwei, drei Plastikbeutel passt, mit verrottender Kleidung, die ihn auch, sichtbar für die anderen Menschen, mehr und mehr zum Aussätzigen gemacht hat, dieser Obdachlose hat keine andere legale Möglichkeit mehr, als sich mit Betteln über Wasser zu halten (nebenbei: in vielen griechischen Kommunen unter Strafe gestellt!).

Das alles passiert in einem angeblich zivilisierten Staat des 21. Jahrhunderts, das alles passiert in diesem unseren Europa, unter Mitwisserschaft aller EU-Staaten, die immer mal wieder ihren Charakter als „Wertegemeinschaft“ hinauszutrompeten wagen. Dies geschieht auch unter Mitwisserschaft aller großen Fernsehanstalten und großen Printmedien in diesem Europa, in einer angeblich demokratisch-menschenrechtlich orientierten Informationswelt, die in Wirklichkeit keine Zeile und keine Sendeminute mehr für diese Verelendungspolitik in Griechenland übrig hat.

Wer sich im Internet einen Überblick verschaffen will, wie viel Obdachlose es in Griechenland derzeit insgesamt gibt, wie viel Ausgesteuerte auch, der scheitert übrigens völlig. Was immer die Ursache für diese Informationslücken im Internet ist: es scheint unverkennbar zu sein, dass es in Griechenland selbst keinerlei zuverlässiges Zahlenmaterial gibt, den Gesamtumfang dieser beiden Problembereiche auch nur annähernd zu bestimmen. Buchstäblich also: wer in Griechenland „sein“ Arbeitslosengeld von maximal 2.400,- Euro pro Jahr erhalten hat, wer in Griechenland sogar obdachlos geworden ist, der zählt buchstäblich nicht mehr!

So kann ich hier nur zwei – höchst unzureichende – Schätzungen vorbringen:

Erstens: Wenn das Programm zur Zwangsversteigerung von 130.000 Häusern in Griechenland inzwischen realisiert worden ist und die Anzahl der in diesen Häusern beheimatet gewesenen Menschen mit 3 Personen “unterstellt” wird – ganz gewiss keine zu hoch gegriffene Zahl! –, dann dürften heute fast 400.000 Menschen in Griechenland von Obdachlosigkeit betroffen sein. 400.000 Menschen in einem Staat mit rund 11 Millionen Einwohnern, das entspräche bereits jetzt einem Bevölkerungsanteil von ca. 3,6 Prozent. Darin nicht enthalten: Menschen, die „nur“ zur Miete gewohnt hatten und wie die vormaligen Hausbesitzer seit ihrem Rausschmiss auf der Straße stehen. Nebenbei:

Ich vermute, dass die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe regelmäßig unberücksichtigt bleiben, wenn die Meinungsforschungsinstitute ihre famosen Umfrageergebnisse veröffentlichen und mitzuteilen wissen, welche Partei zur Zeit die meisten Sympathien genießt. Solche Umfragen finden fast immer per Telefon statt. Es ist jedoch zu bezweifeln, daß die Obdachlosen noch über registrierte Festnetzanschlüsse verfügen.

Zweitens: Wenn die Obdachlosenzahl von Athen mit seinen rund 664.000 EinwohnerInnen sich derzeit auf rund 23.000 Menschen beläuft – das sind die aktuellen Zahlen für die beiden letzten Jahre 2020 und 2021; von ihnen 12.000 Einheimische, 11.000 anerkannte Asylbewerber –, dann gelangen wir fast zu demselben Prozentsatz, wie oben unter Erstens errechnet, nämlich bei 3,5 Prozent. Geht man davon aus, dass dieser Prozentsatz so einigermaßen repräsentativ eingeschätzt werden kann fürs gesamte Griechenland, dürften es inzwischen um 385.000 Menschen sein, die über kein eigenes Dach mehr über dem Kopf verfügen. Natürlich: gegen die Höhe dieser Zahlenangabe spricht, dass in Großstädten wie Athen und Thessaloniki besonders viele Obdachlose Zuflucht suchen; für die Höhe dieser Zahlenangabe spricht allerdings, dass die meisten obdachlosen Flüchtlinge vor allem auf den ostägäischen Inseln wie Lesbos, Samos, Chios undsoweiter auszuharren haben. So oder so:

Die Bedürftigsten der Bedürftigen kommen in der griechischen Politik nicht einmal am Rande mehr vor, sie tauchen ja nicht einmal in ihren Statistiken als relevante Gruppierung auf. Und dasselbe gilt, wenn man nach den „ausgesteuerten“ Arbeitslosen fragt – gleichviel, ob wohnungslos oder nicht. Die ultrakonservative Regierung beschäftigt sich lieber – wie ich bereit in meinem letzten Bericht schrieb – um riesige Aufstockung ihrer Polizeikader und um riesige Aufstockung ihres Militäretats. Und nicht zuletzt, ich betone es ein letztes Mal:

Den Sozialstaat Griechenland – einen Staat, der seinen unverschuldet in Lebensnot geratenen Bürgerinnen und Bürgern mit Sozialhilfe das Überleben sichert –, diesen Sozialstaat Griechenland gibt es überhaupt nicht. Stattdessen sorgt die Mitsotakis-Regierung der „Neudemokraten“, dieser Menschenrechtsvernichter mit christlichem Anstrich, lieber dafür, dass die erwähnten Zwangsversteigerungen von Häusern ordentlich vonstattengehen: unter Polizeischutz (sehen wir einmal davon ab – eine Trickserei, die erst seit einiger Zeit für unbehelligten Ablauf sorgt –, dass immer häufiger Zwangsversteigerungen per Computer durchgezogen werden: im virtuellen Raum findet statt, was die betroffenen Menschen ganz realiter ins Unglück stürzt. Digitalisierung: ein Hilfsmittel zur Steigerung der Unmenschlichkeit und zur Verhinderung von BürgerInnenprotest!). Wessen Regierung ist die Regierung in Griechenland? – Die der Griechinnen und Griechen jedenfalls nicht, sieht man von den Oberklassen, den herrschenden Klassen, in Griechenland ab!

Gern hätte ich nun, am heutigen Tag, vor dem Hintergrund dieser Nachrichten voller Bösartigkeiten, wenigstens einigermaßen Gutes zu unserer Spendenaktion mitteilen wollen. Aber leider: auch bei uns hält die Krise eigentlich an.

In der Vorwoche gingen lediglich 25,- Euro bei uns ein, überwiesen von 1 Spender an uns. Nun, zum Monatswechsel März auf April kamen nur 65,- Euro an Neuspenden hinzu – wobei sich auch dieser Geldbetrag ausschließlich DauerspenderInnen verdankt (Dank an die Getreuen!), 5 an der Zahl.

Nachdem die 1.500,- Euro für Lauras Fußprothesen, für Nacharbeiten daran, an das Orthopädische Institut in Athen überwiesen worden ist, nachdem auch Panagiota K. aus Megara mit ihren drei Töchtern 220,- Euro für ihre Miete bekommen hat, beläuft sich der Stand auf unserem Konto für unsere GriechInnenhilfe also gerade mal auf knapp über 400,- Euro. Zuversicht, dass wir unsere anderen Hilfszuwendungen aufrechterhalten können – nun ja, ein bißchen Zeit verbleibt uns noch –, mag also immer noch nicht so recht aufkommen bei uns. Ein wenig ist es schon so: je schlechter es vielen Griechinnen und Griechen geht, desto schlechter geht es auch unserer Hilfsaktion.

Möge sich das ändern, zumindest was unsere GriechInnenhilfe betrifft! Von ganzen Herzen jedenfalls spreche ich erneut diese Bitte aus. Wie immer also:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Inhaber: IHW

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Ulrike Spurgat
    Antworten
    Heute werde ich mein Versprechen einlösen können und einen Beitrag für eure Hilfe für Griechenland überweisen.  Kleinvieh macht schließlich auch Mist.

    Die vielen sozialen Probleme auch in unserem Land machen es für viele Menschen sehr schwer helfen zu können da ihnen der Strick um den Hals immer enger gezogen wird. Wie gerne würde auch ich mehr geben.

    Egal wie schlecht es den vielen Menschen hier geht. Niemals darf man die Internationale Solidarität vergessen. Sie ist und bleibt, wie der große Che wusste die “Zärtlichkeit der Völker.”

    So habe ich die Möglichkeit genutzt Freunde und Bekannte die zu Ostern was springen lassen wollten zu bitten Geld statt Schokoeier, Blumen und Osterhasen.

    Bitte um Nachsicht, dass es nicht eher klappen konnte, da ich online Bank nicht nutzen will und wie meist gesundheitliche Probleme mich beim Handeln wollen ausbremsen.

    Danke in dem Zusammenhang für die vielen interessanten wichtigen Artikel, Beiträge, Buch Empfehlungen, für gute Mucke und die vielen teils wichtigen kontroversen Kommentare.

     

     

     

     

  • Holdger Platta
    Antworten
    Liebe Ulrike,

    einfach nur: Dankeschön!!!!!!

    Holdger

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