Christoph Butterwegge: Polemik, Agitation und Propaganda der AfD

 In Buchtipp, FEATURED, Politik (Inland)

Christoph Butterwegge, Bildquelle: Westend Verlag

Viele versuchen derzeit, das Phänomen AfD zu verstehen. Bei nicht wenigen Politikern und Kommentatoren läuft dies aber darauf hinaus, sich dem Shooting-Star unter den Parteien anzubiedern und Teile ihrer Weltanschauung zu übernehmen. Auch, wie im Fall der CSU, um deren Wählerpotenzial für sich selbst nutzbar zu machen. Die AfD wirklich zu verstehen, bedeutet jedoch oft, noch stärker abgestoßen zu werden von einem Politikprojekt, das sich auf dem Rücken ausgegrenzter Zuwanderer zu profilieren sucht und alles andere ist als eine “Alternative” für die so genannten kleinen Leute. Gut, dass Christoph Butterwegge genauer hinsieht. Der Politikwissenschaftler, Armutsforscher und ehemalige Bundespräsidentschaftskandidat der Linken, analysiert in seinem Buch “Rechtpopulismus im Parlament” Ideologie und sozialpolitische Hintergründe des Aufstiegs der AfD.

Thesen auf der Grundlage meines zusammen mit Gudrun Hentges und Gerd Wiegel verfassten Buches „Rechtspopulisten im Parlament“, erschienen am 2. Oktober 2018 im Westend Verlag (Frankfurt am Main)

1. Rechtspopulistisch ist eine Partei, wenn sie die durch sozioökonomische Herrschaftsverhältnisse und politische Machtungleichgewichte im Rahmen der Globalisierung bzw. der neoliberalen Modernisierung verursachte Zerklüftung unserer Gesellschaft ignoriert und deren Widersprüche bzw. Klassengegensätze auf die verkürzte Frontstellung zwischen „Volk“ (lat. populus) und „korrupter Elite“ reduziert. Dabei wird auf (standort)nationalistische, rassistische, sozialdarwinistische und wohlstandschauvinistische Ideologieelemente zurückgegriffen, für die erfahrungsgemäß besonders Menschen in der Mittelschicht anfällig sind, die Angst vor dem sozialen Abstieg und/oder dem Verlust ihrer „kulturellen Identität“ haben.

2. Wenn man so will, ist der moderne Rechtspopulismus eine Folge und gleichzeitig ein Krisensymptom des Finanzmarktkapitalismus, weil Letzterer nicht mehr auf der politisch-ideologischen Grundlage des Neoliberalismus allein funktioniert, sondern wachsende Bevölkerungsteile damit kaum noch an sich binden kann. Offenbar bedarf das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einer zusätzlichen Legitimationsbasis, welche der Rechtspopulismus im Rahmen seines kleinbürgerlich-rebellischen Konformismus liefert. Indem rechtspopulistische Parteien wie die AfD den Wettbewerbsfetisch im Finanzmarktkapitalismus ethnisch-nationalistisch, rassistisch und sozialdarwinistisch aufladen, erweitern sie dessen Handlungsspielraum im Sinne eines aggressiven Wohlstandschauvinismus.

3. Als typische Mittelschichtideologie konstruiert der Rechtspopulismus einen Gegensatz zwischen „korrupten Eliten“ und „arbeitsscheuen Unterschichten“, welchen er dem „fleißigen (deutschen) Volk“ als Hauptwiderspruch der gegenwärtigen Gesellschaftsentwicklung präsentiert. Daraus resultiert ein Großteil seiner Überzeugungskraft, weil heute scheinbar nicht mehr der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit als Triebkraft der Geschichte wirkt, sondern die Symbiose zwischen einer politischen Klasse, deren Handeln sich nur an ihrem eigenen Nutzen orientiert, und einer mächtigen Finanzoligarchie dominiert, die nötigenfalls zum Hilfsmittel des Lobbyismus greift, um sich den Staat untertan zu machen. Schließlich wird der laut Marx für moderne Industriegesellschaften typische Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat vom Gegensatz zwischen Arm und Reich überlagert. Auch die ethnische Unterschichtung der Gesellschaft, die hierzulande seit der vermehrten Fluchtmigration droht, erleichtert der AfD die rechtspopulistische Ansprache von Mittelschichtangehörigen und bestätigt scheinbar rassistische Ressentiments.

4. Hinsichtlich ihrer Organisation, ihres Funktionärskörpers, ihrer Programmatik und ihrer Anhängerschaft wiesen fünf Parteien größere Ähnlichkeiten mit der AfD auf, weshalb man sie als ihre Vorläufer und – neben ausländischen Parteien wie der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), dem Front Natio-nal (FN) in Frankreich und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) – als Vorbilder bezeichnen kann: die REPublikaner, der Bund Freier Bürger – Die Freiheitlichen (BFB), die PRO-Bewegung, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) sowie die Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie (DIE FREIHEIT). Als wichtigster geistig-politischer Wegbereiter, ja als ideologischer Ziehvater der AfD kann Berlins ehemaliger Finanzsenator und anschließender Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) gelten.

5. Dass die AfD mittlerweile im Europäischen Parlament, in fast allen Landtagen und im Bundestag vertreten ist, bedeutet einen epochalen Umbruch des Parteiensystems. Seit den 1950er-Jahren ist noch keiner Partei der Parlamentseinzug gelungen, die als rechtspopulistisch oder rechtsextrem etikettiert wird, weil sie einen rückwärtsgewandten Nationalismus vertritt sowie Protagonisten eines biologistischen Rassismus und eines offenen Antisemitismus als Mitglieder, Funktionäre und Mandatsträger duldet.

6. Dass ihr wie bisher noch keiner Rechtsaußenpartei in der Bundesrepublik mit den Parlamenten ein Podium für die politische Meinungsbildung, die mediale Verbreitung völkisch-nationalistischer Bot-schaften und die Beeinflussung des öffentlichen Diskurses zur Verfügung steht, nutzt die AfD für eine gezielte Verschiebung der politischen Achse des Landes nach rechts.

7. Erfolgreicher als ihre Vorläufer war und ist die AfD, weil sie nach der globalen Finanz-, der europäischen Währungs- und der Weltwirtschaftskrise 2008/09 günstigere Rahmenbedingungen vorfand, die Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich weiter fortgeschritten war, die soziale Polarisierung den Boden für eine Fragmentierung des Parteiensystems bereitete, die politische Repräsentation in eine Krise geriet und eine zunehmende Angst vor dem sozialen Abstieg in der Mittelschicht die rechtspopulistische Agitation erleichterte. Verschwiegen werden soll auch nicht, dass die AfD einen attraktiven Parteinamen wählte, ein seriöseres und erfahrenes, teilweise in anderen Partei erprobtes Führungspersonal besaß, ein geschicktes Agenda-Setting betrieb und über ein professionelles Management verfügte.

8. Sobald sich eine Partei wie die AfD im Parlamentsbetrieb über mehr als ein, zwei Legislaturperioden hinweg fest etabliert hat, tritt ein Normalisierungseffekt ein. Anträge, Anfragen und Reden ihrer Abgeordneten werden nicht mehr wie zu Beginn kritisch unter die Lupe genommen werden, sodass Programm, Ideologie und Politik, die sich darin manifestieren, erheblich an normativer Kraft und allgemeiner Legitimität gewinnen. Stigmatisierung, Ausgrenzung und Isolierung der AfD dürften schon jetzt nicht mehr gelingen, werden dann aber völlig kontraproduktiv.

9. Zentraler Anspruch der AfD-Fraktionen ist es, sich in Auftreten und Inhalt von den anderen Parlamentsfraktionen abzuheben, um darüber den Anspruch, anders als die von ihr so titulierten „Altparteien“ zu sein, vor ihren Anhänger(inne)n zu dokumentieren. Insofern zielen die Inszenierungen und gezielten Regelverletzungen der AfD-Fraktionen immer auf das eigene Publikum, dem man beweisen will, dass man die eigene Überzeugung auch in einer parlamentarischen Funktion nicht aufgibt.

10. Der Einzug in fast alle Landesparlamente und den Bundestag hat nicht etwa zu einer „Zähmung“, Zivilisierung bzw. Disziplinierung der AfD beigetragen. Umgekehrt verstärkt sich seit dem Sommer 2017 der Eindruck, dass sich die Partei in einer politischen Radikalisierungsspirale befindet. Denn die AfD muss ihren Wähler(inne)n beweisen, dass ihre Abgeordneten sich vom parlamentarischen Repräsentativsystem weder vereinnahmen oder korrumpieren noch „bändigen“ lassen.

11. Die parlamentarische Arbeit der AfD in Berlin, den Bundesländern und den Kommunen ist aber weder zentral gesteuert, noch wird sie vernünftig koordiniert. Monothematisch wirkt die Parlamentsarbeit der AfD insofern, als sämtliche Probleme, mit denen sich die Anfragen, Anträge und Reden ihrer Abgeordneten beschäftigen, auf die Flüchtlings- bzw. Migrationsfrage und das angebliche Versagen der Bundesregierung zurückgeführt werden.

12. Die AfD-Fraktionen nutzen alle Privilegien des Parlamentarismus, aber auch seine Kampfmittel. Es gibt allerdings deutliche Unterschiede im Grad ihrer Professionalisierung. Während aus einigen Landtagen über eine nur sehr begrenzte Mitarbeit der AfD-Abgeordneten in den Fachausschüssen berichtet wird, betreibt die Bundestagsfraktion diesen Teil der Arbeit routiniert. Die eindeutige Aufmerksamkeit der Fraktion liegt jedoch auf den Reden im Plenum, weil nur diese über Social-Media-Kanäle unmittelbar und (scheinbar) unverstellt dem eigenen Publikum präsentiert werden können. Während die Sacharbeit in den Ausschüssen ein hohes Maß an Fachlichkeit und auch Differenzierungsvermögen voraussetzt, bevorzugen die AfD-Fraktionen vor allem Plenarreden, mit denen die Abgeordneten insbesondere an die Emotionen der Zuhörer/innen appellieren.

13. „Massenmigration“ und „Flüchtlingsströme“ bilden das Schlüsselthema der AfD, mit dem sie alle sozialen Probleme in Verbindung zu bringen sucht. Inhaltlich stellt sich die AfD als „Partei der kleinen Leute“ (Alexander Gauland) dar, ihre Parlamentspraxis weist sie jedoch als Partei des großen Geldes aus. Neoliberale Lobhudeleien auf den Markt und knallharte Interessenpolitik für den gehobenen Mittelstand finden sich in der Alltagspraxis von AfD-Parlamentariern ebenso wie eine völkische Thematisierung der sozialen Frage. Gegen die wachsenden sozialen Probleme (deutscher und nichtdeutscher Unterschichtangehöriger) wie Armut und Wohnungsnot empfiehlt der Rechtspopulismus nationale Lö-sungen, die in aller Regel zu Lasten der Menschen- und Bürgerrechte von Nichtdeutschen gehen.

14. Die jüngsten (Wahl-)Erfolge der AfD basieren nicht zuletzt auf dem Bemühen, die soziale mit der nationalen Frage zu verknüpfen. Analysiert man die Parlamentspraxis der AfD, gewinnt man allerdings nicht den Eindruck, dass sozialpolitische Initiativen ein Herzensanliegen ihrer Abgeordneten sind. Manchmal drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass die Beschäftigung mit der Sozialpolitik nur eine Pflichtaufgabe für die Partei wie für ihre Parlamentsfraktionen darstellt, geboren aus der Notwendigkeit, sich der Ängste und Sorgen bestimmter Wählerschichten anzunehmen. Durch publikumswirksame Anträge, Anfragen und Reden zu dem besagten Politikfeld wird schließlich mit darüber entschieden, ob sich größere Bevölkerungsgruppen, die sozial benachteiligt sind oder das Gefühl haben, es zu sein bzw. in absehbarer Zeit werden zu können, als Unterstützer gewinnen lassen und bei Wahlen für die AfD entscheiden.

15. Ohne an irgendeiner Regierung beteiligt zu sein, beeinflusst die AfD schon heute den Gesetzgebungsprozess. Besonders deutlich spürbar ist das in der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie im Bereich der Inneren Sicherheit. Falls sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertieft, eine schwere Wirtschaftskrise das Vertrauen in die bestehenden Institutionen zerstört und ein Klima der Angst und der Verunsicherung entsteht, in dem die AfD einflussreichen Kreisen als Hoffnungsträger erscheint und als Machtfaktor erstarkt, ist die Demokratie sogar akut bedroht.

16. Momentan scheint der AfD weniger Gefahr von ihren politischen Gegnern oder einer kritischen Öffentlichkeit als von Reibungsflächen, Spaltpilzen und Sprengsätzen innerhalb der Partei selbst zu drohen. Denn hier sind die politisch-ideologischen Gegensätze und persönlichen Animositäten nach wie vor groß. Die den Aufstieg der AfD begleitenden harten innerparteilichen Auseinandersetzungen haben ihren Niederschlag auch in den meisten Parlamentsfraktionen gefunden und dort zu zahlreichen Austritten, Ausschlüssen und Abspaltungen geführt. Dies gilt besonders für die ostdeutschen Landtage, wo die Arbeit der AfD-Fraktionen von ständigen Personalquerelen beeinträchtigt wurde.
17. Sobald die Erfolgsserie der AfD bei Parlamentswahlen endet oder der Partei gar empfindliche Niederlagen drohen, dürften auch die innerparteilichen Bau- und Bruchstellen wieder stärker hervortreten. Der labile Zustand zahlreicher Landtagsfraktionen und die latent vorhandenen Konflikte innerhalb der AfD-Bundestagsfraktion legen dafür Zeugnis ab. Vieles deutet darauf hin, dass in der AfD teilweise mit noch härteren Bandagen um Einfluss, Ämter und Mandate gekämpft wird als in anderen Parteien.

 

 

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Heute (bezogen auf Dienstag, den 2. Oktober) ist sein Buch „Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD“ bei Westend (Frankfurt am Main) erschienen.

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