Die Botschaft der schlimmen Bilder

 In FEATURED, Monika Herz, Politik

Menschen leiden und sterben, weil Krieg ist – überall auf der Welt. Die Bilder der Toten aus Butscha in der Ukraine haben viele erschüttert. Es ist schlimm, dass so etwas passiert. Aber passiert es nur dort, und geschieht es nur durch die Hand von Russen? In der Absicht, der Globalisierung der Politik gerecht zu werden, sehen viele Kommentatoren die Dinge sehr global. “Putin in seine Schranken verweisen”, “Nationale Selbstbehauptung”, “Die unipolare Weltordnung durch eine multipolare ersetzen”… Für all das kann man Verständnis haben, wenn es einem in so allgemeiner Form präsentiert wird. Aber wie ist es mit dem Leiden und Sterben eines Mädchens, das nie die Chance hatte, glücklich und unbeschwert groß zu werden, das auf grausame Weise aus seinem noch kurzen Leben gerissen wurde? Haben wir dafür auch noch so viel Verständnis? Und welche strategischen Erwägungen der Täter können seinen Tod rechtfertigen? Die Autorin verlässt hier die überlegene Adlerperspektive und zoomt nah heran – bis dorthin, wo es wehtut, wo wir die Bilder gequälter Kinder nicht mehr einfach wegwischen können von unserer Seele. Sie gesteht Ratlosigkeit, Hilflosigkeit ein – und steht gerade dadurch stellvertretend für uns alle. Monika Herz

 

Diese Bilder!

Was macht das mit mir?

Zuerst einmal spüre ich Wut, wenn ich an die Bilder denke. Die Bilder von – wie heißt der Ort gleich wieder? Butscha, irgendwo in der Ukraine. Ein Foto habe ich gesehen von Toten, die auf der Straße lagen. Es waren keine Soldaten, sondern Zivilisten, so hieß es. Und dass das ganz besonders schlimm sei. Ein Völkermord! Ein Kriegsverbrechen! Der Schuldige muss vor das Höchste Gericht gestellt werden! Alle Zahlen, Daten, Fakten und Bilder müssen auf den Tisch. Dann muss geprüft werden, was wahr ist und was nicht.

Die Frage ist für mich: Wer sitzt eigentlich auf dem Richterstuhl? Sind die Richter vertrauenswürdig, oder sind sie verblendet oder gar gekauft? Wenn ja, in welcher Form und von wem? Wenn nicht, dann ist ja alles gut.

Wenn ich zulasse, dass Bilder mich berühren, dann denke ich oft zuerst an das Bild des Mädchens von Odessa. In meinem inneren Auge habe ich das Bild gespeichert. Eine heroinsüchtige, minderjährige Prostituierte. In meiner Welt ist dieses kleine Mädchen aus Odessa die Wiedergeburt einer großen Heiligen, Rabia vielleicht. Wer Rabia ist? Oh, Rabia – sie war die schönste Frau weit und breit, nachdem sie die Freiheit geschenkt bekam von ihrem Herrn, einem reichen Kaufmann. Sie war nämlich als kleines Mädchen in die Sklaverei verkauft worden. Sie wanderte dann hinaus in die Wüste und lebte von Almosen. Sie rannte mit einer Fackel und einem Eimer Wasser durch die Stadt und rief: Ihr seid wahnsinnig! Seht ihr denn nicht, dass Allah in allem ist? ER überflutet eure Hölle mit Wasser und zündet eure Himmel an!

So jemanden konnte man natürlich in der Stadt nicht frei herumlaufen lassen. So jemand wie Rabia würde auch heute noch besser unauffällig in der Wüste leben. Wenn es jemanden gäbe, der Almosen vorbeibringt. Was das wohl für ein Leben war?

Wie komme ich von diesem Ort in der Ukraine im Jahr 2022 über ein kleines Mädchen in Odessa zu Rabia? Ich suche nach dem Foto. Es ist lange her…

Nein, nicht dieses. Das ist ein syrisches Mädchen. 2017. Das könnte allerdings auch meine verehrte Rabia sein. Rabia hat in Kairo eine große Kathedrale, eine Moschee…

https://media1.faz.net/ppmedia/aktuell/3205620124/1.5352993/twitter_teaser/das-siegerfoto-des.jpg

Warum ist dieses Bild eigentlich nicht um die Welt gegangen, immer wieder, so wie diese Bilder aus Butscha? Warum hat es nicht ebenso eine Welle von Entrüstung und Hilfsbereitschaft ausgelöst?

Und dann gibt es noch das „Gewinner“-Foto aus dem Jahr 2018 über einen Jungen aus Togo, dem wohl ein Soldat die Beine weggeschossen hat.

https://www.bo.de/nachrichten/unicef-foto-des-jahres-zeigt-jungen-aus-togo#

Togo. Nicht Ukraine. Warum hat wegen Togo keine Ministerin den Internationalen Strafgerichtshof angerufen. Darf man das einfach so tun, kleinen Buben Beine wegsprengen? Ist das kein Verbrechen gewesen, damals?

Jetzt hab ich sie! Hier ist sie! Das Mädchen von Odessa. Odessa in der Ukraine.

https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/foto-des-jahres/wettbewerb-2005

Der Vater Alkoholiker, früh gestorben, die Mutter im Gefängnis, ein Straßenkind, das mit 13 Jahren ausgemergelt in einem Mauerloch erfriert. Meine Jana! Vielleicht war sie die Inkarnation einer großen Heiligen. Rabia oder Elisabeth oder wer auch immer. Sie hat es jedenfalls als Foto des Jahres 2005, posthum, nach ihrem Tod noch geschafft, in vielen Menschen etwas zu berühren. Ich habe das Foto gesehen und konnte es nie mehr vergessen!

Was ist damals eigentlich passiert in diesen Staaten, als sich die Sowjetunion auflöste und einzelne Staaten zurückblieben? Was ist nach der Auflösung dieser Union mit der Ukraine passiert, dass meine Jana dort so erbärmlich zugrunde gehen musste? Waren die Menschen nach dem Zerfall des großen Landes besser oder schlechter dran als zuvor? Wer weiß da etwas darüber? Ich weiß nur, dass meine Schwester mit ihrem Mann einmal in Odessa war und mit eigenen Augen gesehen hat, wie viele so junge Menschen – Jungen und Mädchen – dort drogensüchtig als Prostituierte arbeiten. Mit einer wie hohen Lebenserwartung?

Wer ist schuld? Ist es eine einzelne Person oder ein anderer Staat oder „das System“ oder Gott – oder was? Warum war die Mutter im Gefängnis? Was war so unerträglich, dass der Vater Alkoholiker geworden ist? Wer ist schuld daran? Jana?

Wenn die Fragen mit mir durchgehen, dann muss ich mich immer wieder runterholen von meiner Empörung. Draußen ist der Himmel so schön.

Das Böse ist mitten unter uns. Unsichtbar regiert es uns, und wir merken es nicht. Das Böse ist fürchterlich. Es tötet gerne und freut sich sogar noch darüber. Es ist grob und dumm. Und noch was: Es mag Sex mit Kindern, mit Opfern, und schneidet kleinen Ferkeln gerne die Schwänzchen ab. Und im Fall der kleinen Schweinchen war unsere ehemalige Ministerin, die hübsche, damit sehr einverstanden und verlängerte die Tortur um Jahre. Möge sie nicht als Schweinchen wiedergeboren werden, so viele Male, wie sie verantwortlich ist.  Das Böse ist wirklich abscheulich.

Und es gibt nur eine einzige Medizin, die das Böse wirklich nachhaltig zähmt. Aber es ist ein geheimes Rezept, und ich werde es euch nicht verraten.

Was wollte ich erzählen, heute morgen, wo draußen der Himmel doch so leuchtet, wie er es später am Tag nicht mehr tun wird? In meiner Welt ist die Sonne meine Große Göttin. Gerade ist sie aufgestanden. Meine Göttin ist so wunderschön. Wie viele Tage werde ich sie noch aufstehen sehen?

Aufstehen, Auferstehen, Ostern! Ich habe gestern einen Vortrag dazu gehalten.

Stunden später.

Jetzt habe ich ein zweites Foto von Butscha gesehen, diesem Ort in der Ukraine. Ein Foto von zerstörten Panzern der russischen Armee. Soldaten im Hintergrund, offenbar ukrainische Soldaten oder Söldner, die auf der Seite der Ukraine kämpfen. Dazu die Überschrift: „Diese Wunde wird nie heilen“ – ein Zitat der 62-jährigen Ljuba. Der Präsident der USA fordert, Putin von Gericht zu stellen. Als Verantwortlicher für Kriegsverbrechen. Komisch, dass noch nie ein US-Präsident als Verantwortlicher vor Gericht gestellt wurde. Ach so. Die USA, das sind ja „die Guten“ – die haben niemals und nirgendwo Kriegsverbrechen begangen. Komisch, dass noch nie Botschafterinnen oder Botschafter der USA des Landes verwiesen worden sind. Ach so. Ich hab’s schon wieder vergessen: Weil die USA doch die Guten sind! Die Chorknaben unter allen Soldaten der Welt.

Amerikanische Soldaten und Soldatinnen würden niemals töten oder gar foltern. Oder etwa Kinder in Foltergefängnisse stecken. Niemals!

Und überhaupt: Ist nicht Krieg von Haus aus ein irrsinniges, ein aberwitziges und vor Dummheit und Bosheit nur so triefendes Verbrechen? Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vielleicht?

Wer will Krieg? Kann man da mal eine Volksabstimmung machen? Wer braucht so was?

Und wie sieht so ein Krieg eigentlich aus der Perspektive des Geldes aus?

Was kostet Putin der Krieg?

Und was kostet „uns“ der Krieg.

Also, mich bitte rausrechnen. Ich will da nicht mitmachen. Keinen Cent geb ich dafür!

Angeblich kostet so ein Krieg mit allem Drumrum bis zu einer Milliarde pro Seite und pro Tag. Kann das stimmen? Aber selbst wenn es nur eine Million wäre, das wäre immer noch sehr viel. Man stelle sich vor, die Million, die an das Kriegs-Monster verfüttert wird, würde stattdessen ein lebendiger, junger Mensch als lebenslanges Grundeinkommen bekommen. Das würde reichen. Jeden Tag wieder einer Mensch.

Gestern ist mir übrigens ein schöner Text in die Hände gefallen, über die elf Stufen oder Prinzipien, die ein Sufi durchlaufen muss. Rabia, die Heilige aus Ägypten, sie war ja eine Sufi. Eine Scheicha. Bevor Sufis die Erleuchtung erlangen, durchschreiten sie das Zahlen-Bewusstsein und das Zeit-Bewusstsein.

Angeblich soll es der Menschheit ja gerade daran mangeln. Das sei der Grund, warum „man“ die zahlreichen Probleme verschiebe und verleugne: weil man sich keine großen Zahlen vorstellen kann und nicht weit in die Zukunft hinein schauen kann.

 

Quellen:

https://taz.de/Finanzielle-Folgen-des-Ukraine-Kriegs/!5835637/

https://www.ewigeweisheit.de/sufismus/elf-prinzipien-des-sufi-weges?mc_cid=91ba583b3a&mc_eid=5b6c973b19

 

 

 

 

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Ulrike Spurgat
    Antworten
    Vielleicht lösen die Bilder vom Donbass seit vor ACHT JAHREN dort auch Kinder mit ihren Eltern und Großeltern bestialisch ermordet worden sind von faschistischen Nationalisten in der Ostukraine  genau solch ein überbordendes Mitgefühl wie hier aus.

    Leider schweigt der Westen bis auf ganz Wenige  wie z.B. der Ausnahmejournalist Gellermann zu diesen schrecklichen Verbrechen.

    Meine Freunde in der Ostukraine sind seit 2014 traumatisiert und das nehme ichg mehr als zur Kenntnis. Da leiden große und kleine Menschen nicht minder.

     

  • Mensch ohne Welt
    Antworten
    rabia–Tollwut? ansteckend. Beißwütig…ach was vielmehr träume ich lieber:

    https://soundcloud.com/davidrovics/we-are-everywhere

    Krieg ist unerträglich. Diese Regierung ist unerträglich. Der General a.D. gestern im Radio, der meint, dass wenn Deutsschland schwere Waffen liefert und Russland (DLF. https://www.deutschlandfunk.de/schwere-waffen-fuer-ukraine-interview-egon-ramms-ex-nato-general-dlf-1c76f1af-100.html)dann angreift, dass dann ja die Nato wiederum das Recht hätte einzugreifen (die Nato ist schon lange in der Ukraine manövermäßig und zur Ausbildung präsent! inkl. dt. Eurofighter zur “Aufklärung”)… und ich dann nur noch denke, wie , kaltblütig kann so ein General a.D. eigentlich sein, dass er die Ausweitung (Zerstörung Mittleuropas) die Verlängerung des Krieges bis zum letzten Ukrainer…(ist das die Rache, wie gegen Belgrad, wg. der Partisanen, die Bombardierung), so auch die toten Wehrmachtssoldaten (mein Opa auch) am Dnjepr….? Niemand will das, aber das passiert halt so?!

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