Die neue rechte (Un-)Kultur

 In FEATURED, Kultur, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

Bildquelle: archiv.linksfraktion-hamburg.de

Nicht alle reden heutzutage rechts, aber alle reden fast nur noch über rechte Themen. Autoritäres Denken, Sicherheitsfetischismus und Fremdenfeindlichkeit haben sich bis in die Mitte der Gesellschaft hinein breit gemacht – und stoßen auf immer weniger Widerstand seitens der humanen und emanzipatorischen Kräfte. In Fernsehspielen, Talkshows und Musiktiteln, in Stammgesprächen, Webkommentaren und Reden etablierter Politiker wird heute kräftig rechts geblinkt. Auch das Scheitern des Versuchs, eine Jamaika-Koalition zu bilden, ist eine bedenkliche Spätfolge dieser Entwicklung. Rechte und Rechtsliberale treiben das Land vor sich her. Wenn wir nicht aufpassen, wird vor lauter Abendlandverteidigung die Sonne der Vernunft bald untergehen. (Roland Rottenfußer)

Jetzt haben wir den Salat: drei Parteien im Parlament, die sich rechts vom Nachkriegskonsens platzieren: AfD, CSU und FDP. Wobei ich mit „Nachkriegskonsens“ etwas eher Atmosphärisches meine – die unausgesprochene Übereinkunft, dass keine demokratische Partei mit Ausländerfeindlichkeit Wahlkampf machen sollte – mit Rücksicht auf die deutsche Geschichte und im Interesse des inneren Friedens. Als Roland Koch 2009 einmal dagegen verstieß, bekam er auf breiter Front Gegenwind. Heute haben wir uns gewöhnt. Deutschland ist durch drei neonationalistische Fieberschübe hindurchgegangen: 2006 (Fußball-WM), 2010 (Sarrazin-Welle) und 2015 (Pegida-Gründung, Höhepunkt der Flüchtlingskrise). Vergessen der Grünen-Boom von 2011, als Fukushima die Ökoneoliberalen von Wahlergebnissen über 20% träumen ließen. Das interessiert heute nicht mehr. Die Grünen haben sich passabel gehalten, mehr nicht. Als menschliches Pendant zur Atomkatastrophe verstört jetzt „die Flüchtlingsflut“, und der Volkswille, hiergegen Dämme zu errichten, erzwingt sich seine eigenen parlamentarischen Brückenköpfe.

Diese Wahl hat die „Mitte“ weiter nach rechts verschoben und den Aufmerksamkeitsfokus weiter im Richtung „Ausländerproblematik“. Keine Talkshow mehr ohne Rechtsausleger – das ist schon heute Realität. Und künftig wohl keine Parlamentsdebatte, ohne dass ein Deutschalternativer gegen Ausländerkriminalität oder übermäßiges Holocaust-Gedenken wettert. Und dies zeitlich unbegrenzt, denn die AfD, das ist keine politische Eintagsfliege, keine Piratenpartei. Im Gegensatz zu deren Themen – Grundeinkommen und Widerstand gegen Überwachung – zielen die xenophoben Reflexe, die Gauland, Weidel und KameradInnen bedienen, unmittelbar in die Volksseele hinein. Ein Blick auf das europäische Umland und die dortigen schon lange etablierten brauen Bewegungen zeigt: Deutschland ist ein Nachzügler, ein kurios Spätberufener gewesen, den nur die durch den Schatten der Nazi-Diktatur bedingte Vorsicht lange am Ausgieren seiner „natürlichen“ Selbstbehauptungsreflexe gehindert hat. Dieser Damm ist jetzt gebrochen, wohl für lange.

Die AfD regiert immer mit

Vereinfacht gesagt, wird Deutschland bis auf weiteres immer von der AfD regiert werden – die entsprechenden Positionen werden dann nur von der CSU übernommen, die bei zwei Sondierungen mit am Tisch saß und ungeachtet dessen, dass sie die kleinste der Parteien ist, ungewöhnlich selbstgewiss auftrat. Oder von der FDP, deren smarter (und einziger) Star schon vor der Wahl massiv rechts blinkte. Im Widerspruch zu seinem weltoffenen Image forderte Lindner die schnell Rückführung von Flüchtlingen in ihre Länder sobald der Krisenherd dort befriedet sei. „Nicht jeder kann sich seinen Standort auf der Welt selbst aussuchen.“ Lindner repräsentiert die Sakko-Version einer Fremdenfeindlichkeit, die in Springerstiefeln und mit Pegida-Gebrüll für viele gepflegte Bürger denn doch zu befremdlich daherkäme. Warum sich mit Neoliberalismus begnügen, wenn man doch Neoliberalismus und Fremdenfeindlichkeit haben kann, scheint diese rundumerneuerte FDP ihren Sympathisanten zurufen zu wollen. Viele werden die Botschaft hören, und auch der Glaube wird ihnen nicht fehlen, denn eine langweilige, in Routine erstickte Große Koalition ist idealer Nährboden für politische Hasardeure und Extremisten.

Die Rechten, deren Positionen von etablierten Politikern und einer krawallhungrigen Presse beflissen übernommen wurden, haben mit Sicherheit zu einer Verhärtung der Fronten bei den Sondierungsgesprächen beigetragen – und zwar sowohl bei „Jamaika“ als auch bei den darauf folgenden Versuchen, eine zweite GroKo auf die Beine zu stellen. Besonders versteifte sich die CSU, die von der Furcht umgetrieben wurde, für zu viel Menschlichkeit von ihrer Basis und ihren Wählern abgestraft zu werden. Wie u.a. das „Kanzlerduell“ gezeigt hat, zählt ja außer „Sicherheits-“ und „Ausländerthemen“ mittlerweile fast nichts mehr in Deutschland. Ohne dass den Akteuren die Angst vor der AfD im Nacken gesessen wäre, hätte man vielleicht wenigstens die Frage des Familiennachzugs human regeln können.

Der Nachkriegskonsens wird abgewickelt

Wie konnte es so weit kommen, und wann hat das alles angefangen? Vielleicht 2006, als selbst kritische Zeitgenossen die fahnenselige Fußballhysterie bei der WM im eigenen Land als wieder gewonnene „Normalität“ priesen. Vielleicht aber auch 2010, als der unbedarfte Talkshow-Zuschauer einer Hinrichtung beiwohnen durfte. Hinrichtungsstätte war die Sendung „Menschen bei Maischberger“. Der Delinquent war Christian Ströbele, wackerer Exponent der Protestkultur, hier als Vertreter einer „naiven Ausländerfreundlichkeit“ zum Abschuss freigegeben. Zum Thema „Schleier und Scharia“ diskutierten neben einer zaghaften Kopftuchträgerin Alice Schwarzer, Heinz Buschkowsky (SPD) Joachim Herrmann (CSU) und die „moderne“ Türkin Güner Balci. Ströbele, schon recht kraftlos und eingeschüchtert, hatte nur auf einige Selbstverständlichkeiten hingewiesen. Z.B. darauf, dass Ehrenmorde nur Einzelfälle sind. Die Vier stürzten sich daraufhin keifend auf ihn und unterbrachen ihn bei jedem Versuch, zu Wort zu kommen. Schwarzer sprach von „Kitsch“, wenn es darum ging, Musliminnen selbst bestimmen zu lassen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen. Balci warf Ströbele vor, er habe dazu aufgerufen, auf Migranten zuzugehen (!).

Mir schien damals, als solle mit Ströbele eine ganze Kultur in Nachkriegsdeutschland mundtot gemacht werden: ein Grundkonsens, der besagt: „In Verantwortung vor der Geschichte bekennen wir uns zur Toleranz und zum Schutz von Minderheiten vor Diskriminierung. Wir hüten uns vor Verallgemeinerungen und suchen den Fehler im Zweifelsfall auch bei uns.“ Ein solcher Geist wurde in der Talkshow mit Billigung der Moderatorin als rückwärtsgewandt und naiv abgekanzelt. So als seien Toleranz und Minderheitenschutz skurrile Privat-Marotten einiger Alt-68er, die heute so deplatziert so wirken wie Ho Chi Minh-Rufe. So ging und so geht es weiter – bis heute. Auch unterhalb der Eskalationsstufe neonazistischer Krawalls machte sich ein autoritärer, gegenüber Migranten zumindest sehr skeptischer Geist breit. Er äußerte sich u.a. auch in Fernsehspielen wie „Wut“ (2005) und „Das Ende der Geduld“ (2014) mit Martina Gedeck, die suggerieren, Ausländer führten sich mittlerweile in Deutschland allzu frech auf. Nicht mehr mit humanistischer Milde, nur noch mit Härte und (Staats-)Gewalt käme man ihnen bei.

Die Rechten „bekämpfen“, indem man wird wie sie

Thilo Sarrazin, der etwas steif wirkende brandstiftende Biedermann, hatte mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ 2010 die Büchse der Pandora geöffnet. Sarrazin, der Nachfolger eines überwunden geglaubten Geistesrichtung, die unbedarft mit „Judengenen“ und der These agierte, der islamische Glaube sei eine Form vererbbarer Geistesschwäche. Sarrazin, der Vorläufer des Rechtsrucks ab 2015. Eine weitere verheerende Folge der „Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen“-Debatte liegt in der Aufwertung rechter Themen und Argumentationsstrategien. Alice Schwarzer sagte bei „Maischberger“: „Je mehr wir das berechtigte Unbehagen der Bevölkerung ignorieren, umso mehr werden wir die Menschen in die Arme der Rechtspopulisten treiben.“ Wer also ist schuld, wenn Rechtspopulisten und Neonazis wieder mehr Zulauf bekommen? Nicht die Rechten selbst, sondern deren Gegner! Um also ganz sicher zu gehen, dass rechtspopulistische Parteien keinen Zulauf bekommen, müssen wir uns deren mögliche Parolen schon präventiv aneignen: die Methode Strauß.

Diese Strategie, aufgegriffen von allen CSU-Leithammeln bis hin zu Seehofer und Söder, ging jedoch nicht auf. Warum nicht? Erstens wird Rechtsextremen so ein übermäßiger Einfluss, ja die Meinungsführerschaft zugestanden. Selbst Menschen, die von Natur aus gar nicht ausländerfeindlich denken, übernehmen vorsichtshalber ein paar ihrer Parolen, um zu zeigen, dass sie auf der Höhe der Debatte sind. Zweitens werden durch den Zuspruch aus dem Mainstream echte Rassisten und Xenophobiker ermutigt, zu glauben dass ihre Zeit nun endlich gekommen sei. Die Debatte, die von auf Krawall gebürsteten Medien teilweise geführt wurde, um mehr „Farbe“ in ein eher blasses Politpanorama zu bringen, fachte das Feuer, das man angeblich auspusten wollte, nur noch mehr an. Lange schwelte in Deutschland eine Ausländerfeindlichkeit (fast) ohne Ausländer. Die Bilder anbrandender Flüchtlinge seit dem Jahr 2015 diente dann endgültig als Zündfunke.

Auslaufmodell Freiheit

Wir sind angekommen in einer national-neoliberalen Republik, die sich die meisten von uns noch vor wenigen Jahren nicht hätten vorstellen können. Angegriffen wird die Freiheit aber nicht nur von Glatze und Springerstiefeln, sondern auch von Sakko und Krawatte. Bezüglich der Liebe zu Ordnung und Autorität haben wir schon jetzt, was es parlamentarisch wohl nicht so schnell geben wird: die schwarzbraune Haselnuss-Koalition. Das gemeinsame „Supergrundrecht“ dieses nach der Mitte greifenden, angeschwollenen rechten Rands heißt Sicherheit. Können Sie sich erinnern, dass Politiker in jüngster Zeit „Freiheitspakete“ geschnürt oder „Freiheitsgesetze“ erlassen hätten? Wäre doch angemessen für unsere Hemisphäre, die sich „freie Welt“ nennt. Stattdessen will man die Überwachung auf öffentlichen Plätzen ausweiten, als würden sich todesbereite Amokläufer davon abschrecken lassen. Und man will die ärztliche Schweigepflicht einschränken, als würden Terroristen mit den Worten „Herr Doktor, ich habe Kopfschmerzen, außerdem plane ich ein Attentat“ beim Arzt vorsprechen. Das Ganze ist so durchsichtig und so perfide, die Reaktionen in Presse und Öffentlichkeit sind so lau und devot, dass man das Fürchten kriegt. Aber nicht vor dem unwahrscheinlichen Fall, von einem Amokläufer erwischt zu werden, sondern vor dem sehr wahrscheinlichen, dass die Politik dabei ist, unserer Freiheit den Todesstoß zu versetzen.

Die Äußerungen Alexander Gaulands, Björn Höckes und Frauke Petrys, die sich z.B. um übermäßiges Mitgefühl mit Flüchtlingskinder, um schändliche Holocaust-Mahnmale und um die Rehabilitierung von Nazi-Vokabular drehten, sind zwar entrüstungsroutiniert medial beschrien worden; sie haben aber – das ist entscheidend – der AfD im Ergebnis nicht geschadet. Die jüngsten Umfragen geben den Rechtsalternativen noch immer 14 Prozent der Stimmen. Milieus und Denkgewohnheiten haben sich herausgebildet, denen durch gut gemeinte Appelle an Vernunft und Menschlichkeit nicht mehr beizukommen ist. Rechte bleiben – wie Linke und andere Gruppierungen – in der Filterblase ihrer eigenen Gesinnungsgemeinschaft. Eine eigene rechte Infrastruktur sorgt für immerwährende Bestätigung des einmal Geglaubten – von der Szene-Webseite über den rechten Krawallrock bis hin zum „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“-Aufkleber.

Der Wind dreht sich – und wird zum Sturm

Eine diesbezügliche „Subkultur“ gibt es hierzulande schon lange, ihre Protagonisten agierten aber bislang weitgehend als Parias, immer am Rand der strafbewehrten Volksverhetzung. So gaben die „Zillertaler Türkenjäger“ mit szenetypischer Menschenfresserstimme zum Besten: „Pass mal gut auf, da steht ein Sonderzug nach Mekka. Da musst du jetzt hin, raus aus unserem Berlin. Wir wollen euch hier nicht, niemand will euch hier mehr sehen. Mit eurer fremden Kultur, mit der da stört ihr uns nur.“ Andere einschlägige Bands und Sänger wie die „Faschistischen 4“, „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ oder „Die Böhsen Onkelz“ („Deutschland den Deutschen“) agitierten in die gleiche Richtung. Die letzteren gelten als Urgesteine und ehemaliger Klassenprimus der rechten Musikszene, distanzierten sich jedoch später vom Rechtsradikalismus. Ähnlich bekannt wurde der Liedermacher Frank Rennicke („Wenn der Wind sich dreht“). Der kam zwar mit seiner Kandidatur als Bundespräsident für die NPD (2009) nicht durch, jedoch kann er heute mit Befriedigung feststellen, dass sich der Wind tatsächlich gedreht hat.

Er ist speziell auch im Internet zum (Shit-)Sturm geworden, der jedem ins Gesicht bläst, der sich in Deutschland antifaschistisch äußert. Konstantin Wecker, der gegen Neonazis bekanntlich kein Blatt vor den Mund nimmt, bekommt dies als Reaktion auf seine facebook-Einträge regelmäßig zu spüren, speziell wenn er sich für Flüchtlinge einsetzt. Über 1000 Kommentare kassierte der Liedermacher für eines dieser Postings, davon zwei Drittel negativ. Mit Klarnamen versehen, finden sich darunter Stilblüten wie diese: „Die bekommen über 600 Euro pro Flüchtling, das sind bei einer Familie über 2000 Euro fürs nichts tun, das sind Steuergelder, wo ich jeden Tag mich abrackern muss. Tickst du Spinner nicht mehr richtig oder was!??!! Du Pfeife kannst froh sein das ich dich nicht anscheisse du Penner, du Volksverräter, du Judas.“ (Rechtschreibfehler hier aus dem Original übernommen). Mächtige Pressure-Groups schicken ihre Trolle regelmäßig in linke und antifaschistische Blogs und sorgen dort in den Kommentarspalten für Zoff. Das schürt nicht nur Angst, es erweckt auch den Eindruck, dass man mit einer humanen Weltanschauung isoliert wäre – ein peinliches Relikt aus einer vergangenen, sozial- und menschenrechtsromantischen Ära.

Die Normalität des Unmenschlichen

Dass die AfD- und Pegida-Anhänger „normale“ Bürger sind, Leute, die nicht nur bei uns nebenan wohnen könnten, sondern dies auch tatsächlich tun, ist wahr; es ist aber keineswegs beruhigend. Jede Diktatur hat ihre Machtbasis bei einer Mehrheit von „Normalen“, deren latent vorhandene Wesensmerkmale sich schrittweise in Richtung Unmenschlichkeit verschoben haben; deren Unmenschlichkeitspotenzial also von Politik, Presse und vom privaten Umfeld „erweckt“ wurde. Man darf vieles unterschätzen, nur niemals das Bedürfnis von Menschen, „dazuzugehören“ – im Geborgenheitsraum der Mehrheit, des Normalen und Wohlanständigen aufgehoben zu sein. Sag den Menschen, es sei normal, schon beim Anblick eines „arabisch aussehenden“ Menschen einen Hass zu kriegen, ihn anzuspucken und anzupöbeln, dann wird dergleichen Alltag auf deutschen Straßen.

Wenn es normal wird und sich die Menschen daran gewöhnen, dass es in Deutschland Zonen reduzierter Menschenwürde gibt – Asylbewerber- und Obdachlosenunterkünfte, Auffanglager, Kasernen, Gefängnisse und die öden Wartezonen der Hartz IV-Behörden –, dann geht hierzulande tatsächlich das Licht aus. Wir geraten dann auf eine abschüssige Ebene, und den Trend dann noch umzulenken würde dem Versuch gleichkommen „auf der Schussfahrt zu wenden“ (Herbert Grönemeyer). Drehen wir also den Zeitgeist und die gesellschaftliche Realität, so lange es noch geht!

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