Die verhärtete Republik

 In FEATURED, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

Annegret Kramp-Karrenbauer markiert die Eiserne Lady und will den Rechtstrend der letzten Jahre in den Rang von Regierungspolitik erheben. Harte Zeiten verlangen harte Maßnahmen. Und Politiker, die stark genug sind, diese zu exekutieren, notfalls gegen die Bevölkerungsmehrheit. Schließlich ist das hier eine Demokratie, kein Wunschkonzert. Wieder einmal soll den Deutschen der Dämon weichlicher Rücksichtnahme auf die Schwachen der Gesellschaft ausgetrieben werden. Und wieder einmal dienen Flüchtlinge als Versuchsgruppe, um den Härteregler hochzustellen und den Rest der Bevölkerung daran zu gewöhnen, dass künftig ein schärferer Wind bläst. An der Spitze der Bewegung: Annegret Kramp-Karrenbauer. Die will partout den Eindruck vermeiden, keine Merkel 2.0 zu sein – indem sie ihre Vorgängerin rechts überholt.  Roland Rottenfußer

„Hart im Hirn, weich in der Birne“ ist eine schöne Formulierung, die Herbert Grönemeyer in seinem Lied über Rechtsradikale gefunden hat. Leider hat die Mentalität, die damit charakterisiert ist, viele Metastasen gebildet, die auch in unseren geschätzten „Volksparteien“ gestreut haben.

Der Rechtsruck, der uns in den Jahren zwischen 2015 und 2018 in Atem gehalten hat, schien in der letzten Zeit zwar nicht gestoppt, er schien aber an Fahrt verloren zu haben. Die Umfragen für die AfD stagnierten oder gingen leicht zurück, Wahlergebnisse blieben, wie in Bayern, hinter den Erwartungen zurück. Rechts blinkende „Mitte“-Politiker wie Horst Seehofer bekamen für ihren Kuschelkurs mit den Rechtspopulisten derart viel Gegenwind, dass in nicht wenigen Medien die Parole ausgegeben wurde: Schluss mit der einseitigen Dominanz der Flüchtlingsfrage im öffentlichen Raum. Zu lange wurde der Eindruck erweckt, diese sei das brennendste, ja nahezu einzige politische Thema in Deutschland. Jetzt wird vielfach gnädiger Weise sogar über Themen wie Rente und Hartz IV diskutiert, wenn auch eher im Sinne systemerhaltender Reförmchen.

Sogar der neue Bayerische Ministerpräsident Markus Söder will seine Partei thematisch breiter aufstellen, schlicht weil allmählich sogar der Dümmste gemerkt hat, dass er mit der Anbiederung der Altparteien an die Rechten gelinkt werden sollte. Nicht nur lenkte diese einseitige Debatte von weitaus brennenderen Problemen ab, es wurde auch offenkundig, dass eben jene Maßnahmen, die die AfD „klein halten“ sollten, sie eher immer größer gemacht haben. Parolen, die vorher in der politischen Schmuddelecke platziert waren und dort auch hingehörten, wurden von den Stützen der Gesellschaft mit einem Persilschein versehen und mit dem Nimbus mainstreamfähiger Wohlanständigkeit ausgestattet. Das half nicht, den Rechtsruck einzudämmen, vielmehr kam es vielerorten zu Dammbrüchen. Auch Sahra Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“ stagniert nach furiosem Start und enthält mittlerweile sich allzu sehr nach „Querfront“ riechender Statements. Ist das Schlimmste nun vorbei?

Retterin des Rechtsrucks

Gerade zu einem Zeitpunkt, da die lange fast unbesiegbare Rechte den Zenit ihrer Wirksamkeit scheinbar überschritten hat und spürbar schwächelt, kommt Rettung von unerwarteter Seite. Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte mehr Härte in der Flüchtlingspolitik zur Chefinnensache. „Wir müssen Humanität und Härte vereinen“, heißt es im Ergebnisprotokoll eines „Werkstattgesprächs“ zur Migrationspolitik im Februar. Und die neue Parteichefin erklärte: „Wir müssen alles daransetzen, dass sich so etwas wie 2015 nicht wiederholt“. Sie fügte hinzu: „Wir müssen deutlich machen: Wir haben unsere Lektion gelernt.“ Warum sieht AKK bei ihrer eigenen Partei Bußbedarf und erklärt deren Mitglieder quasi zu Schülern, die eine Lektion zu lernen hätten? Und wer sind – um in diesem Vergleich zu bleiben – die Lehrer? Etwa die Unmenschlichkeits-Avantgardisten von der AfD, denen im letzten Jahr halb Deutschland blind und taub hinterherstolperte?

Klar, nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur für zu große Nähe zu Merkel verspottet wurde, „musste“ sie sich mit Absetzbewegungen profilieren. Und die konnte – ebenso klar – nur in eine Richtung gehen: nach rechts. Im Dezember 2018 verkündete sie. „In der Inneren Sicherheit vertrete ich eine harte Linie. Meine Erfahrung als Innenministerin ist: Die Leute erwarten konsequente Politik ohne schrille Töne.“ Man fragt sich, wie eine harte Hand in der Sicherheitspolitik aussehen wird. Man hätte ja annehmen können, Deutschland sei nach dem harten Anti-Terror-Paket von 2016, nach dem harten Polizeieinsatz beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg und nach einer Serie von harten Polizeigesetzen in den Bundesländern schon hart genug. Allzu große Weichlichkeit wäre auch ohne die jüngste Erklärung der Kandidatin nicht zu befürchten gewesen.

Auf der Zielgerade zum wahrscheinlichen Parteivorsitz hielt es „AKK“ überdies für nötig zu betonen, sie stehe für eine harte Haltung in der Einwanderungspolitik. „Wir brauchen ein intelligentes Grenzregime: Transitzentren, Schleierfahndung, bilaterale Abkommen zur schnellen Rückführung.“ Das wird sie jetzt – ausgestattet mit größerer Macht – auch umsetzen. Reichte es noch nicht, dass der Rechtsruck Deutschland schon seit mindestens drei Jahren schwarz-braun überschattet? Musste auch noch die vermeintlich moderateste Kandidatin um den CDU-Vorsitz mit ihren Gegnern in einen Wettbewerb um den härtesten migrationspolitischen Spruch treten, während Menschen in vielen Teilen der Welt so dringend der Milde, der Hilfe und einer freundlich ausgestreckten Hand bedürfen?

Härte als Regierungsprogramm

Wir müssen uns der Wahrheit stellen: Der Rechtsruck ist nicht zu Ende, wir erleben nicht einmal den Anfang seines Endes; allenfalls ist die Zeit seiner alleinigen Dominanz im öffentlichen Raum vorbei – und auch das wahrscheinlich nur, damit ihn seine Hauptakteure besser im Verborgenen vorantreiben können. Was anfangs nur Nischenpolitik am radikalen Rand des politischen Spektrums gewesen war, ist seit 2015 zu einer Bewegung angeschwollen, die 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung und ein noch weit größeres Sympathisantenumfeld erfasste. Diese relativ große Minorität bliebt aber immer noch von Regierungsverantwortung ausgeschlossen, so lange Merkel und die SPD bremsten. Annegret Kramp-Karrenbauer nun schickt sich an, den gefährlichen Trend gerade in dem Moment, in dem er abzuebben versprach, in den Rang von Regierungspolitik zu erheben.

Ihr Diktum „Humanität und Härte“ klingt für viele plausibel, besagt aber vor allem zweierlei:

  1. Humanität sei bei weitem nicht mehr unantastbar und unteilbar. Vielmehr müsse eine „gesunde“ Balance zwischen Menschlichkeit und ihrem Gegenpol hergestellt werden.
  2. An der bisherigen Regierungspolitik in Deutschland unter Merkel sei ein Mangel an Härte zu beklagen, den eine „verbesserte“ Politik unter AKK beheben müsse.

Dies ist in Anbetracht des noch vor Jahren undenkbaren Humanitätsverfalls in Deutschland und Europa gefährliche Augenwischerei. Ich zitiere hierzu aus dem hervorragenden Buch „Die Inszenierung der bedrohten Republik“ von David Goeßmann: „Das gut recherchierende Projekt ‚Migrant Files‘ geht davon aus, dass in den letzten 15 Jahren weit mehr, bis zu 80.000 Flüchtende, allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl infolge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen. Die Erosion des Flüchtlingsschutzes schreitet derweil weiter voran, inklusive ‚KZ-ähnlichen‘ Zuständen wie in Libyen, Versklavungen, dauerhaften Internierungen und den ‚Höllenexperimenten‘, denen Flüchtlinge in den Lagern im Globalen Süden ausgesetzt werden.“

Sie schämen sich der Menschlichkeit

Hierzu ließe sich noch vieles sagen, HdS-Lesern haben wir 2018 dazu eine ganze Reihe von Denkanstößen gegeben, die alle auf eines hinausliefen: Das „christliche Abendland“, das ja eben aus seine „Werten“ ein Bollwerk gegen vermeintlich abzuwehrende unchristliche Barbarenstürme zu machen versuchte, befindet sich auf der abschüssigen Ebene in Richtung Barbarei. Von der ungeheuren Heuchelei abgesehen, die darin liegt, dass gerade der „Westen“, die Weltgegend also, die die meisten Verantwortung für Kriege, Umweltzerstörung und globale Ausbeutung trägt, meint, er müsse Gäste aus Afrika und der muslimischen Welt über „Kultur“ belehren.

Härte nach Europa zu bringen bedeutet – in einer alten Redewendung gesprochen – Eulen nach Athen zu tragen. Es ist erschreckend, dass gerade die Frau, die mit größter Wahrscheinlichkeit die nächsten Bundeskanzlerin Deutschlands sein wird, mit Härte-Rhetorik zu punkten versucht. Dabei galt AKK im Vergleich zu ihren Rivalen Merz und Spahn noch als die mildere Kandidatin – was ja relativ gesehen vielleicht stimmen mag. Auch dies wirft ein erschreckendes Licht auf unser derzeitiges politisches Personal. Das wirklich Schlimme an der absehbaren Entwicklung ist jedoch: Angela Merkel war entgegen ihrem milden Image durchaus schon eine Kanzlerin der inhumanen Entscheidungen. Dennoch scheint es, als ob wir eine menschlichere in absehbarer Zeit nicht bekommen werden – schon gar nicht von der SPD, die derzeit chancenlos ist und seit Schröder ohnehin eher eine Drohung als Chance darstellt.

Allenthalben wird Merkel gedrängt, zu widerrufen und Abbitte zu leisten. Nicht wegen ihrer in die soziale Katastrophe führenden Griechenlandpolitik oder ihrer Kriegspolitik an der Seite der USA, sondern wegen ihrer Entscheidung, 2015 relativ viele Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen. Das beherrschende Narrativ ist: „Es darf sich nicht wiederholen“, so als ginge es um Auschwitz und nicht um eine Willkommenskultur, die für hunderttausende bedürftige Menschen mit schweren Lebensschicksalen Überleben, Schutz und Würde gesichert hat. Die Deutschen sollten sich wegen so manchem schämen, und derzeit tun sie es tatsächlich: einer kurzen Episode „zu großer Menschlichkeit“.

Wofür Flüchtlinge wirklich „nützlich“ sind

Was soll es bedeuten, wenn Annegret Kramp-Karrenbauer betont: „Wir haben unsere Lektion gelernt“. Das scheint sagen zu wollen: „Nie wieder Gastfreundschaft, nie wieder Willkommenskultur“, was quasi nun an die Stelle des Nachkriegs-Schwurs „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ getreten ist.  Merkel duldet die Rückabwicklung ihrer Politik während der Schlussphase ihre Kanzlerschaft, entweder weil sie resigniert hat oder weil ihr Motiv auch „damals“ schon nicht Menschlichkeit war. Näher kommen wir der Lösung des „Rätsels“ 2015, wenn wir die enthusiastischen Reaktionen von Wirtschaftsvertretern zur Massenimmigration betrachten. Viele Flüchtlinge üben Druck auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt aus und machen deutsche Arbeits- und Wohnungssuchende auf diese Weise gefügig, weil angstgesteuert. Dies ist nicht die Schuld der Spielfiguren, zu denen Flüchtlinge gehören, sondern die der Spieler.

„Noch mehr“ Flüchtlinge dagegen hätten am rechten Rand Parteien gestärkt, die für die Union dann eine ernst zu nehmende Machtkonkurrenz wären. Die AfD ist das mit 15 Prozent bisher noch nicht. Dank eines Überangebots heiratswilliger neoliberaler Parteien muss die Union derzeit nicht um ihre dominierende Rolle in der deutschen Politik fürchten. Die nahe liegende Strategie für Wirtschaft und Union war also: viele Flüchtlinge, aber nicht zu viele. Sobald ein gewisses Kontingent erreicht war, gesellte sich Merkel zur Mehrheit derer, die wollten, dass Deutschland Not Leidenden ein unfreundliches Gesicht zeigte.

Hartz IV und Willkommenskultur als „Jugendsünden“

Ein gebräuchliches Narrativ in der Mainstream-Presse ist auch die Gleichsetzung der „Flüchtlingskatastrophe“ 2015 mit Hartz IV. Beide Ereignisse seien Traumata der Parteien gewesen, die dafür verantwortlich zeichneten. Mit Blick auf Wählerverluste hätte die SPD nun begonnen, sich von Hartz IV zu distanzieren, während die Union dabei sei aus den Fehlern einer übermäßig humanen Flüchtlingspolitik zu lernen. Auf diese Weise zeigen beide Parteien Kante und machten kenntlich, dass zwischen ihnen dramatische Unterschiede bestünden – für das Wahlvolk eine echte Alternative, die das Abschweifen in die „Extreme“ (Linke und AfD) unnötig mache. Die politische Diskussion, so hatte Kurzzeit-Messias Friedrich Merz gefordert, solle auf diese Weise wieder in die politische Mitte geholt werden. Dürfen wir jetzt wieder einem dramatischen Showdown zwischen extremen Antipoden entgegenfiebern – wie einstmals bei der Bundestagswahl Kohl gegen Rau?

Diese Pressekampagne bedeutet vor allem zweierlei:

  • Hartz IV, das Verelendungsprogramm, Synonym für soziale Unmenschlichkeit wird verglichen mit der Willkommenskultur, einer Episode der Menschlichkeit in der jüngeren deutschen Geschichte
  • Es wird der völlige Zynismus politischer Programmatik deutlich. Offenbar muss politische Identität erst konstruiert werden, müssen künstliche Abgrenzungen zwischen neoliberalen Glaubensgeschwistern kreiert werden, um zu suggerieren, dass es eine ungeheuer spannende Frage sei, ob wir es künftig nun mit einer Kanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer oder Andrea Nahles zu tun haben werden.

Vor allem aber bringt Kramp-Karrenbauers Diktum „Humanität und Härte“ einen enormen Imagegewinn für die Härte mit sich. Wie im Übrigen schon der Talkshow-Titel „Hart aber fair“ oder die Redewendung „Hart aber herzlich“ die einst eher unbeliebte Vokabel in ein rosiges Licht tauchen. Wir wissen, dass Superman, die Symbolfigur des überhöhten amerikanischen Selbstbilds, den Beinamen „Der Stählerne“ trägt. Der Name „Stalin“ bedeutet dasselbe. Und Hitler versuchte den Härtegrad der zu schmiedenden Vorzeigearier an den Erzeugnissen eines bekannten deutschen Stahlproduzenten zu messen. Nicht zu vergessen natürlich „Iron Man“ und dessen weibliches Pendant, die „Eiserne Lady“.

Die Austreibung des Weichen

Wir leben ohnehin schon in einer Epoche, in der das Wort „cool“ zum Inbegriff des Erstrebenswerten geworden ist. Nun kommt „hart“ als Modewort hinzu. Die gegenteiligen Begriffe können im Volksbewusstsein kaum mehr punkten. „Warm“ kennt man fast nur noch in Wortwendungen wie „warmer Bruder“, und „weich“ allenfalls an Potenzprobleme, an die nicht wenige Männer mit Schrecken denken. Ansonsten verschwimmt der Begriff mit verachtenswerten Vokabeln wie „weichlich“, „Weichling“, „Weichei“ oder „Softie“. Keinesfalls taugt er zum Kulturideal, eher zum Stigma derer, die zu schwach sind, sich dem rauen Wind des Lebens gestählt und ertüchtigt entgegenzustemmen. Gerade auch, dass alle Deutschen „hart arbeiten“ müssen, ist Politikern enorm wichtig. Nicht zuletzt auch „Sozialdemokraten“ wie Schulz und Heil, die sich damit vor dem Vorwurf schützen wollen, das Recht auf ein Existenzminimum auch auf Faulenzer ausdehnen zu wollen.

Dabei würde der Produktionsfortschritt, der uns heutzutage vor allem unter dem Stichwort „Digitalisierung“ verkauft werden soll, schon längst auch „weiches“ Arbeiten erlauben. Also Berufstätigkeit, die auf die Leistungsgrenzen, individuellen Rhythmen und Lebensbedürfnisse der Menschen Rücksicht nimmt, anstatt sie unter der Knute der Profitgier zum Äußersten anzutreiben. Dabei wissen wir alle, wie angenehm das Weiche ist: das Fell eines Tieres, leiser Wind auf der Haut, der schmelzende Klang einer Opernarie, Schokoladenpudding, der auf der Zunge zergeht, der Körper des oder der Geliebten… Kinder haben noch diese gesunde Affinität zum Weichen, bevor ihre Sozialisation, sprich: Verhärtung, weiter fortgeschritten ist. Und es tut gut, dass Konstantin Wecker als schon erwachsener Mann ganz offen bekannte: „Es kann nicht gut sein, wenn man friert, jetzt muss was Weiches, Warmes her.“

Am Ende ist es Liebe selbst, die als weich erlebt wird. Hart dagegen sind die Selbstkasteiung, die Mitleidslosigkeit, der triumphierende, andere unter seinen Stiefeln zertrampelnde Gestus der Macht. „Der Pharao verhärtete sein Herz“, heißt es in der Bibel, wo geschildert wird, dass der ägyptische Machthaber die Befreiung der Israeliten immer wieder zu verhindern suchte. Bei modernen Pharaoninnen und Pharaonen ist dies nicht anders. Sie müssen erst das Weiche in sich selbst niedergekämpft haben, bevor sie Härte gegen andere exekutieren können. Letztlich läuft es darauf hinaus: andere Menschen ohne „falsche“ Skrupel, ohne Zögern und erweichende emotionale Einfühlung schlecht behandeln zu können.

Imagekampagne für die Unmenschlichkeit

Mit „Humanität und Härte“ ist es ähnlich wie bei dem Gegensatzpaar „Fördern und Fordern“, mit dem vor allem Hartz IV-Betroffene beglückt werden. Fordern bzw. Härte ist dabei das eigentlich Gemeinte, Fördern bzw. Humanität nur das Verkaufsargument, mit dem man die Empfindsameren unter den Wählern zu beschwichtigen sucht. „Humanität“ ist der Tarnbegriff, mit dem das eigentlich Gemeinte, die notwendige Verhärtung, weichgezeichnet werden soll, mit dem Unmenschlichkeit politisch marktgerecht geschwätzt werden soll. In der Praxis ist ohnehin vor allem dies gemeint: Humanitäre Hilfe, ja, aber sie soll nur noch den „wirklich Bedürftigen“ zukommen. Droht dir bei Abschiebung in die Heimat Verhaftung – herzlich willkommen; droht dir „nur“ der Hungertod – raus mit dir!

Es ist ja richtig, dass es kriminelle Flüchtlinge gibt, auch solche – eine Minderheit sicher –, die sich auf gewiefte Weise Vorteile zu verschaffen suchen, ohne in wirklich bedrängender Not zu sein. Selbst als machtkritischer Mensch fordere ich nicht, die Gemeinschaft müsse Migranten „alles“ durchgehen lassen. Aber sehr häufig läuft die Diskussion doch darauf hinaus, nicht vollzogene Abschiebungen zu skandalisieren, ein Vollstreckungsdefizit zu konstatieren, und hartes „Durchgreifen“ zu fordern. Die Allmacht des Staates, die an einigen Stellen bröckelt, wenn ein rechtskräftig von Ausweisung bedrohter Flüchtling „untertaucht“ oder sich der Abschiebung mit allerlei Tricks widersetzt, muss um jeden Preis wiederhergestellt werden. Um „ernst genommen“ – sprich: gefürchtet – zu werden, dürfen sich die Behörden nicht „auf der Nase herumtanzen“ lassen.

Dabei würde eine nähere Auseinandersetzung mit den Schicksalen der Betroffenen oft ergeben, dass sie ihre Abschiebung aus purer Verzweiflung hinauszuzögern suchen: aus Angst davor, was ihnen in der Heimat droht. Einer Verzweiflung, die so groß ist, dass es als das geringere Übel erscheint, in Deutschland straffällig zu werden. Einem Land, nebenbei bemerkt – dass schon durch sein Mitwirken in der NATO, bei der Umweltzerstörung und dem finanziellen Aderlass der ärmeren Länder mitschuldig ist an vielen der aktuellen globalen Fluchtbewegungen.

Selbstfeier der Verhärteten

Der Härte-Slogan dient somit der Selbstfeier der Verhärteten, die ihr emotionalen Defizite zum Kulturideal erheben wollen. Der Psychotherapeut Wilhelm Reich sprach in diesem Zusammenhang auch vom „Charakterpanzer“, einem mentalen Exoskelett, unter dem sich das notgedrungen immer auch weiche und erweichbare Innenleben jedes Menschen verbirgt. Durch schleichende Gehirnwäsche versichern sich die Härte-Prediger so der Mitwirkung der Opfer bei ihrer eigenen Viktimisierung.

Denn wo man mit Migranten schlecht umgeht, haben auch einheimische Randgruppen meist nichts zu lachen. David Goeßmann schreibt in seinem Buch: „Die negative Gegenüberstellung Deutsche vs. Flüchtlinge im Zuge der ‚Krise‘ ist nur der Kulminationspunkt in einer Reihe von politischen Diffamierungen von ‚Out-Groups‘, um unpopuläre Politiken durchzusetzen. Sie reicht von den ‚Sozialschmarotzern‘ im Zuge der Agenda-2010-Debatten über die ‚Schurkenstaaten‘ wie Afghanistan, Irak oder Russland (um geopolitisch Kriege und Eskalationen durchzusetzen) bis hin zum ‚Schuldenstaat‘ wie Griechenland, um damit den Wohlfahrtsstaat in der EU zu attackieren.“

Humanität ist unteilbar, aber Härte ist es im Normalfall auch. Sie wird selten nur in einem Fall angewandt und in allen anderen Fällen unterlassen. Einmal zum „In“-Wort erkoren, wird sie gegen alle „Out“-Gruppen und – mit Abstufungen – gegen die ganze Bevölkerung angewandt. Das Ergebnis ist eine verhärtete Republik, wie sie sich auf den Schlacht- und Kasernenhöfen, in den Gefängnissen und Flüchtlingslagern, in den Obdachlosenasylen und den Wartezonen der Hartz IV-Behörde manifestiert.

Zeit der Betongemüter

Der großartige kritische Liedermacher Heinz Ratz singt in seinem Lied „Hartschalenkostüm“:

Du sprichts von den immer härteren Zeiten,
den harten Methoden und Notwendigkeiten,
den harten Fragen, den harten Gesetzen,
den Realitäten, die nun mal verletzen.

Es ist als wollte man Härte nur preisen
und alles was sanft ist verächtlich zerreißen.
Und doch von Betongemütern umgeben
blüht noch immer das zärtliche Leben.

Er sagt auch: „Die Härte biegt sich nicht, sie bricht“. Damit wird dem Härteideal auch eine Grenze aufgezeigt, die schon Jean de La Fontaines Fabel „Die Eiche und das Schilfrohr“ thematisiert: Was sich zu sehr versteift, kann brechen, was sich rechtzeitig beugt, überlebt. So sind auch die weicheren Entscheidungen nicht selten die Weiseren, weil sie den ganzen Menschen in seiner Bedürfnislage zu sehen versuchen. Weil sie die „Kleidung“ der Politik an die tatsächliche Menschenform anzupassen versuchen, anstatt umgekehrt den Menschen ins Korsett ideologischer Maximalforderungen zu pressen – dem zutiefst menschenfeindlichen Ansinnen, wir alle hätten uns bedingungslos den „Apparaten“ und ihrem Effizienzdenken zu unterwerfen.

Der Generalangriff auf das „Weiche“ ist letztlich der Versuch, den menschlichen Wunsch nach einem guten Leben zu delegitimieren, weil Menschen, denen es gut geht, die ihre Bedürfnisse kennen und ihnen nachgeben, als Konsumenten, Produzenten und Untertanen weniger gut verwertbar sind.

Haben wir den Mut, zu unseren weichen Anteilen zu stehen und wehren wir uns gegen die Verhärter mit aller gebotenen Konsequenz!

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen