Freiheit als Verpflichtung

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Peter Fahr, Philosophie, Politik

 

Sind wir wirklich so frei, wie wir uns fühlen? Woher kommt unsere Freiheit? Worin besteht sie? Worauf richtet sie sich? Könnte es sein, dass uns die neoliberale Freiheit abhängig und unfrei macht? Der alte Begriff der Freiheit muss im Zeitalter der Umweltzerstörung neu gedacht und gedeutet werden.  Peter Fahr

Es gibt Begriffe, die Grundbedingungen des Menschseins bezeichnen und deshalb im Machtkampf von Menschen mißbraucht, vergewaltigt, pervertiert werden. Begriffe, die im Lauf der Zeit ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren. Sie verkommen zu wertlosen, sinnentleerten Schlagworten, zu Hüllen für beliebige und vor allem zweckdienliche Inhalte. Ein solcher Begriff ist die „Freiheit“.

Dennoch glaube ich an die aufbauende Untersuchung und Erweiterung von Begriffen. Sich zu beschränken auf einmal festgelegte Bedeutungen, hieße geistiger Stillstand. Untersuchungen und Erweiterungen bedürfen aber der Aufrichtigkeit.

Im Fluß der Geschichte

Altertum

Freiheit von Behinderung durch Zwang, Kausalität, Schicksal. Freiheit als Unterwerfung der vernunftfeindlichen Triebe und Leidenschaften durch den Geist. Freiheit von politischer Gewaltherrschaft. Freiheit von den Übeln des Daseins.

Mittelalter

Freiheit von Sünde und Verdammnis durch die Kirche. Freiheit als gesellschaftliche Stellung.

Renaissance und Folgezeit

Freiheit als ungehindert allseitige Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit.

Französische Revolution

Freiheit als politische Identität, gewährleistet durch die Menschen- und Bürgerrechte.

Marxismus

Freiheit als Fiktion. Der Mensch denkt und handelt trieb- und milieubedingt, wobei in seinem Milieu die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Klassenkampflage die Hauptrolle spielen. Freiheit wird es erst geben in einer klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft.

Existentialismus

Freiheit als Grundstimmung des Daseins. Sie ist nicht eine Eigenschaft des Menschen, sondern seine Substanz. Der Mensch ist immer auf der Höhe dessen, was ihm zustößt. Es gibt für ihn keine Entschuldigungsgründe.

Neoliberalismus

Freiheit als Entfremdung durch Abhängigkeit. Der Mensch wird kommerzialisiert. Freiheit als digitale Unfreiheit.

Im Spiegel der Gegenwart

Möglichkeit

Freiheit im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich aufgrund sozialer Gleichheit. Freiheit als Würde des Menschen.

Wirklichkeit

Freiheit als Abschluß menschlichen Strebens und geschichtlicher Entwicklung. Freiheit als Flucht vor der Freiheit, als ein Ausweichen vor der freien Willensentscheidung in die Unmündigkeit des Konsumzwangs einer Zivilisation, die sich mittels Umweltzerstörung selbst vernichtet.

Wie Freiheit zu Unfreiheit wird

Die meisten politischen Systeme, einschließlich Kommunismus und Kapitalismus, sind überholt, da ihre Wirtschaftsordnungen dem Wachstumsdenken verpflichtet sind. Wirtschaftliches Wachstum heute ist angewiesen auf den massiven Einsatz von Technologie, die sich letztlich als lebensfeindlich erweist. Die überbordende Herstellung von Produktions-, Wirtschafts- und Konsumgütern stört den Haushalt der Natur. Die Befriedigung wachsender Bedürfnisse geht auf Kosten der Materie. Der neoliberale Kapitalismus bewahrt den Menschen kurzfristig vor dem Mangel an Gütern, begünstigt aber den ökologischen Kollaps.

Wir bestellen den Acker des Lebens und säen den Tod.

Menschliche Freiheit umfaßt eine innere und eine äußere Dimension. Die subjektive Freiheit – ein innerer, geistiger Wert – bildet zusammen mit der äußeren, objektiven Freiheit ein Ganzes. Die subjektive Freiheit objektiviert sich in der Materie, das heißt: die Vorstellung verwirklicht sich im Gegenstand. Die subjektive Freiheit bedient sich des Willens, der seinem Wesen nach stets freier Wille ist, um die Vorstellung in reales Sein umzusetzen. Wir sind angewiesen auf die Materie, sie ist eine wesentliche Grundlage der Freiheit.

Wir bestimmen Form und Qualität der Materie, die ihrerseits durch die Art der Beschaffenheit unseren freiheitlichen Handlungsspielraum einschränkt oder erweitert. Wir gestalten die Dinge, deren Sachzwänge Grenzen setzen oder sprengen. Subjektive und objektive Freiheit bedingen und prägen einander.

Die Wohlstandsgesellschaft hat ihren Preis: das Land wird überdüngt, Schwermetalle und Plastik geraten ins Meer, die Atmosphäre wird verseucht, saurer Regen fällt zur Erde, die Tropenwälder lichten sich, die Tiere werden ausgerottet, die atomaren Fässer lecken, das Klima wird aufgeheizt. Indem wir einem maßlosen Konsum frönen, zerstören wir die Umwelt. Indem wir derart selbstherrlich über die Materie verfügen, setzen wir eine Entwicklung in Gang, an deren Ende die Bankrotterklärung der Freiheit stehen muß. Denn die geschaffenen, natürlichen Wirklichkeiten wie Smog-Alltag, Zunahme der Atemwegs-, Krebs- und Kreislauf-Erkrankungen, Treibhauseffekt mit Waldbränden, Dürren und Überschwemmungen, Sondermüll-Berge u.a. werden drastische Maßnahmen provozieren wie Einschränkungen des Treibstoff- und Lösungsmittelverbrauchs, Benzinrationierung, Stopp des Wirtschaftswachstums und Behinderung der freien Marktwirtschaft durch staatliche Eingriffe.

Subjektive Freiheit ohne Verantwortungsbewußtsein endet in objektiver Unfreiheit.

Freiheit und Umwelt

Freiheit, verstanden als Verwirklichung des Machbaren, behindert sich selbst.

Freiheit, gelebt aus Furcht vor Verantwortung, führt zum hemmenden Sachzwang.

Freiheit, begründet in der Verdrängung ihrer Folgen, ist Flucht vor der Freiheit.

Freiheit um der Freiheit willen gipfelt in der Sklaverei von morgen.

Der Anspruch, frei zu sein und es zu bleiben, verpflichtet zu verantwortlichem Handeln. Es geht nicht darum, zu tun, was machbar, sondern zu lassen, was nicht zu verantworten ist. Wissen und Gewissen verschmelzen: Die Verantwortung im Jetzt bewahrt die Freiheit vor künftigen Beeinträchtigungen. Der verantwortungsvolle Mensch ist sich bewußt, daß er nicht milieu- oder situationsbedingt handelt, sondern die Wahl hat, so oder anders zu handeln. Er ist sich bewußt, daß die Folgen seines Tuns ihm nicht nur zugerechnet werden können, sondern müssen. Das Bewußtsein der Freiheit macht seine Würde aus. Der verantwortungsvolle Mensch berücksichtigt die Folgen, Nebenfolgen und nicht vorausbedachten Wirkungen seines Handelns. Die durch Betrachtung gewonnenen Erkenntnisse beeinflussen das weitere Vorgehen. Die Ethik der Freiheit macht sein Engagement aus. Die Freiheit des verantwortungsvollen Menschen setzt eine gesellschaftliche Vision voraus.

Freiheit sich selbst gegenüber ist grenzenlos.

Freiheit dem andern gegenüber hört auf, wo dessen Freiheit verletzt wird.

Freiheit der Umwelt gegenüber beschränkt sich selbst, wo diese zerstört wird.

Im Zeitalter der Umweltzerstörung wird Freiheit zur Verpflichtung zu umweltfreundlichem Handeln. Die Verantwortung ist die angemessene Antwort des Menschen auf das Sein.

Freiheit und Schuld

Die Frage nach der menschlichen Freiheit ist eine Frage jenseits aller ideologischen Färbung. Freiheit hat mit Mündigkeit, Ethik und Engagement zu tun. Sie verpflichtet zu verantwortungsvollen Entscheidungen. Ihre Begleiterin ist nicht die satte Zufriedenheit, sondern das Unbehagen. Freiheit ist die größte menschliche Herausforderung.

Am einfachsten und verlockendsten ist es, den Anderen für den Zustand der Welt verantwortlich zu machen. Eigene Opportunität, innere Korruption, Selbstzensur und vielerlei Möglichkeiten, sich den Forderungen des Gewissens durch Selbstbetrug zu entziehen, werden dadurch vertuscht, daß der Andere lautstark zum Sündenbock gestempelt wird. Die Schuld wird delegiert. Schuld setzt Verantwortungsbewußtsein voraus. Da die Freiheit in der bewußten Wahl und der Verantwortung des Gewählten und seinen Folgen besteht, ist Schuldzuweisung ein Verrat an sich und dem Anderen: sich selbst wird die Freiheit – und somit die Menschenwürde – aberkannt, dem Anderen wird sie aufgebürdet. Dieser vom Einzelmenschen täglich begangene Verrat ist ein Hauptpfeiler der Suizidgesellschaft: das wirtschaftliche Wachstum wird gutgeheißen, der Wohlstand genossen und seine Voraussetzung, die Umweltzerstörung, entweder an Andere oder das anonyme System delegiert.

Natürlich kann man der Meinung sein, daß jene, die für die herrschenden Zustände verantwortlich sind, Namen und Adressen haben. Aber Aufklärung zu betreiben, bedeutet nicht nur, nach Macht, Unterdrückung und Abhängigkeit zu fragen, sondern vor allem, sich zum eigenen Namen, zur eigenen Adresse zu bekennen. Jeder Einzelne ist mitverantwortlich für die herrschenden Zustände; dafür sorgt schon seine Anwesenheit, sein Dasein: jeder Einzelne ist ein Baustein im Fundament der Gesellschaft, in der er lebt.

Existenz an und für sich beinhaltet auch Mitschuld am Bestehenden. Wir haben jedoch die Möglichkeit, diese Hypothek im Verlauf unseres Lebens zu tilgen oder zu vergrößern. Wir werden frei im Akt der Auflehnung gegen die kollektive Unschuld. Das Brecheisen, das die Ketten sprengt, heißt Eigenverantwortung. Wir werden unfrei im Akt der Schuldzuweisung. Resignation vor der Mitschuld macht uns zu Ideologen.

Freiheit und Demokratie

Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Volksherrschaft“. In der Demokratie bestimmt das Volk direkt oder indirekt, nach welchen Ordnungs- und Gemeinwohl-Vorstellungen es leben und regiert werden will. Eine Hauptaufgabe der Demokratie ist es, die Entwicklung des Menschen zu mehr Freiheit zu ermöglichen; sie tut dies durch den Schutz der Grundrechte. Die Grundrechte ihrerseits schützen den Menschen vor Übergriffen des Staates und mächtiger Institutionen, Gruppen oder Einzelpersonen. Sie sollen dem Individuum jenen Freiraum garantieren, der notwendig ist, um in freier Entfaltung der Persönlichkeit seine Selbstbestimmung zu verwirklichen. Sie sichern unter anderem das Recht auf Gleichheit, Unversehrtheit, Eigentum, Privat- und Familienleben, frei gewählte Wohnung, freie Bewegung, Meinungs- und Glaubensfreiheit – ja sogar das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.

Die Verbände- und Parteidemokratie ist angewiesen auf Ideologen, auf der Ebene der Wähler wie auf jener der Repräsentanten. Ideologen sind ängstlich und feige; sie fürchten die Freiheit und verstecken ihr Gesicht hinter dem weltanschaulichen Visier. Sie verweigern sich der Mitschuld am Bestehenden und delegieren sie an Andere. Schablonen und Feindbilder sind viele zur Hand: Die Anderen sind Freunde oder Fremde, Linke oder Rechte, Unternehmer oder Arbeiter, so oder anders – in jedem Fall aber verantwortlich, also schuldig. Um den Preis der eigenen Verantwortung wird das Unbehagen, das ein freies Leben beschert, überwunden. Ideologen fristen ein behagliches, verantwortungsloses und daher menschenunwürdiges Dasein. Das Ideologische ist der Gegenpol zum Absoluten, Menschlichen.

Die Demokratie, deren politische Praxis im Ideologischen gründet, wird als Schutzpatronin der Grundrechte unglaubwürdig. Freiheit des Individuums im kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich wird zur Farce. In einer solchen Demokratie vom eingelösten Versprechen der menschlichen Selbstbestimmung zu sprechen, ist blanker Zynismus. Die Gesetze, die erlassen werden, können dem demokratischen Anspruch kaum noch genügen und verlieren ihre Verbindlichkeit. Pflichten wie Rechte sind ethisch oft nicht mehr verantwortbar.

Die Demokratie, die Umweltzerstörung weiterhin billigt, statt zu verantworten, führt in die totalitäre Sackgasse. Denn früher oder später wird sie den individuellen Spielraum umweltschädigenden Handelns mit Zwangsmaßnahmen, Verboten und Strafen einschränken müssen. Spätestens dann wird sich die Demokratie in eine Oligarchie verwandeln. Die freiheitliche Verpflichtung des Menschen zu Eigenverantwortung steht weit über der demokratischen Verpflichtung zu Gesetzesgehorsam: die Mißachtung eines Gesetzes kann unter Umständen der Gesellschaft langfristig mehr dienen als seine Befolgung. Illegalität wird so zum Grundrecht auf Widerstand gegen die Unmenschlichkeit einer Demokratie im Verfall.

Anzeigen von 10 Kommentaren
  • Gerold Flock
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    Den Text mußte ich jetzt klauen. – Ich weiß nur noch nicht wohin mit der Beute.
  • heike
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    Das ist das Beste, was ich jemals über Freiheit gelesen habe und wird es wohl für immer bleiben. Die in dem Artikel beschriebenen Grundsätze zu berücksichtigen, wird der Weg zur Freiheit sein und werden.

    Das Verständis dafür haben bisher nur sehr wenige Menschen.

    Gewalt führt nicht in die Freiheit, sondern in die Unterdrückung des Anderen.

    Deshalb ist der Weg zur Freiheit Geduld (nicht Dummheit oder Unmündigleit) – aus der Geduld sollte Kraft erwachsen – die Kraft sollte nicht durch sie geraubt werden. Ein friedliche Kraft.

    Ich selbst hatte diese Kraft nicht. Und leider fehlte mir Erfahrung.

    Mein Leben: ich hatte ein paar schöne Augenblicke. Meine Trauer: mein Sohn (auch meine Schuld).

    Die meisten Täter sind unfähig zur Schuldempfindung. Wann wird sich das ändern?

     

     

  • heike
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    Noch eine Ergänzung:

    Manche Menschen tragen diese Sehnsucht nach Freiheit in ihrem Inneren. Für mich war das Streben nach Freiheit nie Antrieb meines Handelns. Ich habe das, was ich getan habe, stets gern getan. Ich war gerne in der Schule, ich habe gerne meine Kinder bekommen und großgezogen, ich habe meinen Beruf geliebt. Ich wollte einfach nur besser sein. Besser helfen können. Das wollte ich.

    Jetzt bin ich an einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem Menschen Hilfe von mir einzufordern scheinen, denen ich bereits geholfen habe. Ich fühle mich in meiner Freiheit stark und zu Unrecht eingeschränkt und frage mich, mit welchem Recht sie das tun.

    Viele Jahre habe ich meine Arbeit für wenig Anerkennung getan. Mir geht es auch nicht mehr darum, mehr Anerkennung zu bekommen. Mir geht es darum, dass diese Menschen erkennen, dass sie jetzt selbst an der Reihe sind, etwas für sich zu tun. Das ist meine ehrliche Meinung. Ich bin nicht schuld an allem Elend, das irgend jemanden widerfahren ist. Die Umstände, die zur Zeit herrschen, haben viele zu verantworten.

    Ich möchte gerne meinen Beitrag leisten, der Menschheit etwas Gutes zu tun. Aber ich lasse mich nicht festbinden.

    (Im übrigen habe ich in den letzten Jahren auch sehr viele gut Menschen kennengelernt. Menschen, die aufgeschlossen sind und verstehen wollen. Menschen, die wirklich lieben können. Menschen, die mutig genug sind, ihre Lügengebäude fallen zu lassen. Das freut  mich, und das macht mich glücklich.

    Konstantin hat in einem Lied so schön gesungen: “Wer frei sein will, befreie, liebe, dann wirst du geliebt, und willst du Vergebung verzeihe und (beschenkt?) wird nur wer gibt.”)

    Viele liebe Grüße.

  • heike
    Antworten
    Aber es gibt auch noch sehr vieles, das mich ärgert. Zum Beispiel, wenn die Menschen nicht erkennen wollen, dass die Lösung nicht sein kann, immer noch mehr Natur zuzubauen und eine Ortsumgehungsstraße mit Brücke befürworten, die eine schöne Flussaue durchschneiden wird. Sie sind der Meinung: “Mensch geht vor Natur.” Das ist doch dumm, oder? Wie soll man das sonst nennen? Man könnte z.B. die Ortsdurchquerung für LKWs sperren. Ohne Umgehungsstraße. Dann wird man sich Alternativen überlegen müssen und doch wieder mehr Gütertransport von der Straße auf die Schienen verlegen. Und grundsätzlich weniger Transport.

    Immer noch mehr Verkehr und noch mehr Straßen und noch mehr Gewerbezentren (weil diese über Pachtgebühren  Geld in die Stadt- und Gemeindekassen spülen) – das ist doch dumm.

     

  • Ich
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    Die Freiheit der Entscheidung

    Nicht der Mainstream,
    nicht die Anpassung,
    nicht der Konsens ist Freiheit.
    Die Freiheit liegt in der Entscheidung
    und in dessen Konsequenz,
    EIGENE Wege zu gehen,
    und seien sie auch unbequem.

    https://lyricstranslate.com/de/robert-frost-road-not-taken-lyrics.html

  • heike
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    Ich habe mir noch ein paar Gedanken zu folgenden Abschnitten gemacht:

     

    Die Verbände- und Parteidemokratie ist angewiesen auf Ideologen, auf der Ebene der Wähler wie auf jener der Repräsentanten. Ideologen sind ängstlich und feige; sie fürchten die Freiheit und verstecken ihr Gesicht hinter dem weltanschaulichen Visier.

    Eine Ideologie ist ein Konglomerat aus einer Weltanschauung (einer Meinung, wie die Welt idealerweise zu sein hat) und Wertungen, die bestimmten Gruppen von Menschen zugewiesen werden.

    Die Ideologie des Neoliberalismus ist die Ansicht, dass Konkurrenzkampf und Druck notwendig für die Weiterentwicklung der Menschheit sind, dass das Leben ein Kampf ist und der Stärkere – zu recht – gewinnt.

    Die Ideologie der Marxisten ist, dass der Weg hin zu einer klassen- (damit ist gemeint eine herrschaftsfreien) Gesellschaft über einen Kampf zwischen den Klassen erfolgt. (Vielleicht stimmt das nicht, und der Weg ist eine Annäherung der Klassen durch ein verändertes Bewusstsein aller Beteiligten. Vielleicht ist dieser Kampf auch ein Kampf des Bewusstseins der Beteiligten. Selbstbewusstsein wird der Schlüssel sein.)

    Haben Pazifisten und Anarchisten keine Ideologie? Was ist der Unterschied von Wertvorstellungen, die man als Ideologie bezeichnet und solchen, die es nicht werden? Ich glaube, Peter Fahr hat recht. Eine Ideologie ist ein Schutzschild, da sie zwischen unmittelbarem Handeln und Erleben eine Theorie stellt. Lebe ich von meiner Essenz her, dann geht das ohne theoretisches Grundgebäude und landet im direkten Kontakt mit der Wirklichkeit.

     

    Sie verweigern sich der Mitschuld am Bestehenden und delegieren sie an Andere. Schablonen und Feindbilder sind viele zur Hand: Die Anderen sind Freunde oder Fremde, Linke oder Rechte, Unternehmer oder Arbeiter, so oder anders – in jedem Fall aber verantwortlich, also schuldig. Um den Preis der eigenen Verantwortung wird das Unbehagen, das ein freies Leben beschert, überwunden.

     

    Ja, aber so machen das die meisten. Und auch diejenigen, die ein freies, selbstbestimmtes Leben in einer beruflichen Selbstständigkeit führen, weisen die Schuld am Bestehenden anderen zu. Jemand, der kein Fleisch isst, ist ja nicht schuldig an dem dadurch erzeugten CO2-Anteil – muss aber ebenfalls mit den dadurch hervorgerufenen Klimaveränderungen leben.

    Allerdings machen ständige Schuldzuweisungen den Menschen auf Dauer sehr unzufrieden und kraftlos. Es ist einfach ungesund, immer in solch einem Zwiespalt zu leben. Man hat keine klare Energie mehr und wird zum Opfer der Umstände. Aus dieser Opferrolle heraus sind Veränderungen schwer bis nicht durchführbar.

    Ideologen fristen ein behagliches, verantwortungsloses und daher menschenunwürdiges Dasein. Das Ideologische ist der Gegenpol zum Absoluten, Menschlichen.

    Das würde ich so nicht sehen. Das nackte, unmittelbare Erleben kostet sehr viel Kraft (meiner Erfahrung nach). Um sich dazwischen auszuruhen, aber sine Ideale nicht zu verlassen und nicht im Brei der Umgebung zu verschwinden, sind Ideologien vielleicht so etwas wie ein roter Faden.

     

    Die Demokratie, deren politische Praxis im Ideologischen gründet, wird als Schutzpatronin der Grundrechte unglaubwürdig. Freiheit des Individuums im kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich wird zur Farce.

    Eine Demokratie, die eine Ideologie durchsetzen will kann Grundrechte der Bürger nicht durchsetzen? Aber wenn die Ideologie, die sich innerhalb einer Demokratie durchsetzt besagt, dass sie die Freiheit der Bürger hinsichtlich Meinungsäußerung, Sicherung der Grundbedürfnisse wie bezahlbaren Wohnraum, gesundes Essen, wenig Umweltverschmutzung, Kindergeld, Renten, Gesundheitsversorgung usw. gesetzlich schützt, dann tut sie doch eben genau das. Oder nicht?

     

    In einer solchen Demokratie vom eingelösten Versprechen der menschlichen Selbstbestimmung zu sprechen, ist blanker Zynismus. Die Gesetze, die erlassen werden, können dem demokratischen Anspruch kaum noch genügen und verlieren ihre Verbindlichkeit. Pflichten wie Rechte sind ethisch oft nicht mehr verantwortbar.

    Die Demokratie, die Umweltzerstörung weiterhin billigt, statt zu verantworten, führt in die totalitäre Sackgasse. Denn früher oder später wird sie den individuellen Spielraum umweltschädigenden Handelns mit Zwangsmaßnahmen, Verboten und Strafen einschränken müssen. Spätestens dann wird sich die Demokratie in eine Oligarchie verwandeln. Die freiheitliche Verpflichtung des Menschen zu Eigenverantwortung steht weit über der demokratischen Verpflichtung zu Gesetzesgehorsam: die Mißachtung eines Gesetzes kann unter Umständen der Gesellschaft langfristig mehr dienen als seine Befolgung. Illegalität wird so zum Grundrecht auf Widerstand gegen die Unmenschlichkeit einer Demokratie im Verfall.

    Wenn die Bevölkerung nicht durch verantwortungsvolle selbstgewählte Beschränkung bzw. Änderung ihres Konsumverhaltens die laufende Umweltzerstörung abbrechen kann, dann sind entsprechend erlassene Gesetze zum Umweltschutz ein Merkmal von wahrgenommener Verantwortung.

  • heike
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    Ich habe an mir selbst erlebt, wie mir der Atem zum Sprechen genommen wurde. Real und physisch (aber ohne äußere sichtbare Gewalteinwirkung). Auf diese Weise werden Menschen sprachlos gemacht. Und wer seine Wahrheit nicht mehr aussprechen kann, der wird ein Sklave seiner Herren. Das ist Faschismus. Und er wird angewandt an Menschen, die linkes Gedankengut in sich tragen. Das dürfen sie, solange sie damit die gegenwärtige Regierung schwächen. Das dürfen sie nicht mehr, wenn sie sich damit gegen die AfD stellen. Und das ist die AfD im Kern: eine faschistische Partei, die Andersenkende unterdrückt – möglichst ohne viel Aufsehen dabei zu erregen, aber wirkungsvoll.

     

  • mome
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    Fahr spricht mir einmal mehr aus dem Herzen:

    Freiheit bedingt verantwortliches Handeln.

    Verantwortlichkeit eines jeden Einzelnen.

    Bedingungslos.

     

    Sind wir so frei,

    in Verantwortung zu Handeln?

    Wir sind es je länger,

    desto weniger!

     

    Ideologien und Mainstream sind in,

    scheinen uns Sicherheit zu vermitteln.

    Geborgen in dieser Scheinsicherheit

    betrügen wir uns selbst und werden zu Mitläufern.

     

    Niemand will die (Schein-)Harmonie stören,

    niemand will herausfallen aus der Gemeinschaft

    und so machen alle reinen Gewissens mit,

    so, wie die anderen es ja auch tun.

     

    Menschlichkeit und Verantwortung der Umwelt gegenüber

    sind zu vernachlässigbaren Faktoren geworden.

    Warum über Verantwortung nachdenken und danach handeln?

    Solange kein Gesetz etwas verbietet, ist alles in Ordnung.

     

    Unter dem Deckmantel des Neoliberalismus

    lässt sich Unverantwortlichkeit gut verstecken:

    Solange die Kasse stimmt, scheint es

    keinen Grund zu Veränderung zu geben.

     

    Der Traum von Freiheit könnte für uns alle

    in einem Albtraum enden.

    Nicht nur gut, sondern absolut not-wendig,

    dass wir aufwachen!

     

    Nutzen wir unseren freien Willen, seien wir so frei,

    im Sinne wirklicher und nachhaltiger Freiheit

    dem Menschen und der Umwelt zuliebe

    verantwortlich zu handeln.

     

    Frei-willig.

    Selbst-bestimmt.

    Für ein befreites Morgen.

    Jetzt.

  • heike
    Antworten

    Willkommen

    Wir liefern Waffen
    den Kämpfenden
    und gnadenlos
    treiben sie euch
    zur Flucht

    Ihr rudert in Booten
    übers Meer
    manche ertrinken
    manchen gelingt
    das Unfassbare

    Seid willkommen
    Überlebende
    hier seid ihr sicher
    wir umarmen euch
    öffentlich

    Hier seid ihr frei
    selbstlos
    beherbergen wir euch
    in Zelten
    und Baracken

    Wir lehren euch
    Redlichkeit
    Genügsamkeit
    Bescheidenheit
    Zufriedenheit

    Seid dankbar
    Elende
    verdient euer Brot
    demütig
    in den Fabriken

    Baut die Waffen
    die wir liefern
    ohne Hass
    vergesst die Heimat
    für immer

    Seid willkommen
    Fremde
    seid willkommen
    Freunde
    willkommen

    (Peter Fahr)

     

    Das Gedicht drückt meine Gedanken zu den Flüchtlingen aus und bei manchen von ihnen tut es mir leid, dass sie hierher gekommen sind, weil sie in ihrer Heimat vielleicht ein menschlichere Leben hätten führen können.

    Ich liebte an ihnen die Unverdorbenheit und die Ehrlichkeit und hoffe, dass sich viele etwas davon bewahren können.

  • heike
    Antworten
    Noch ein paar Gedanken und Beobachtungen zum Menschsein und seinen Qualitäten. Lebensqualität wird zu einem ganz entscheidenem Ausmaß von der Qualität des Bewusstseins bestimmt. Kann ich ich lieben? Kann ich Musik lieben, Kunst lieben, Pflanzen lieben, Menschen lieben? Wenn mir das nicht möglich ist, dann verliert das Leben des Individuums seine Schönheit. Wenn vorgeschrieben wird, wen man lieben darf, dann auch.

    Gegenwärtig wird das Bewusstsein der Menschen zunehmend erfasst und möglichst “regierbar”, steuerbar gemacht. Das ist eine enorme Einschränkung der Freiheit des Einzelnen und führt in einen geistigen Krieg.

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