Kein Pardon für Mautpreller

 In FEATURED, Kurzgeschichte/Satire, Roland Rottenfußer

Nach der Privatisierung der städtischen Bürgersteige wollen die Betreiber schärfer gegen Personen vorgehen, die sich der Mautpflicht zu entziehen versuchen. Strenge Verhaltensregeln sollen die Benutzung so genannter PayWalks sicherer machen. Roland Rottenfusser

Das so genannte Maut-Pickerl muss von den Bürgersteigbenutzern künftig deutlich sichtbar an der Brust, also auf Jacke, Mantel, Hemd oder Pullover, angebracht werden. Wer seine Gehsteigsbenutzungsberechtigungsplakette (wie das Pickerl offiziell heißt) ordnungsgemäß erworben, jedoch zu Hause vergessen hat, kann künftig nicht mehr mit der Nachsicht der Behörden rechnen. Vergessen wird so streng geahndet wie Mautprellen» sagt der Leiter der Sonderkommision «Mautverbrechen» Karlheinz Hartmann. «Am Anfang, als die Maut noch neu war und die Bürger teilweise noch uninformiert, haben wir den Mautsündern ein Schreiben mit der Aufforderung geschickt, das Pickerl binnen einer Woche auf dem Polizeirevier vorzuzeigen. Sie kamen dann mit einem Verwarnungsgeld von 150 Euro davon. Abgesehen von dem vermeidbaren Verwaltungsaufwand für die Polizeireviere liegt darin aber auch eine ungerechtfertigte Begünstigung der Mautpreller gegenüber Schwarzfahrern, Raubkopierern und anderen Verbrechern, die ja auch nicht auf Milde hoffen können. Ab jetzt wird hart durchgegriffen.»

Seit der Privatisierung von 52 Prozent aller städtischen Bürgersteige im Mai 2011 hat sich im Sprachgebrauch eine Zweiteilung in «PayWalks» auf der einen, «FreeWalks» auf der anderen Seite durchgesetzt. Der Verkauf der öffentlichen Gehwege war wegen der angespannten Kassenlage der Kommunen nötig geworden und wurde von Städtetagspräsident Friedrich Moltke als «Befreiungsschlag» gelobt. Neuer Besitzer der Bürgersteige ist jetzt das global operierende Unternehmen HappySidewalk «Mit der Einführung der Kostenpflicht für Gehsteige führen wir den Benutzern zugleich vor Augen, dass deren Bereitstellung einen Wert darstellt, der bisher zu fahrlässig als selbstverständlich betrachtet wurde», erklärt HappySidewalk-Pressesprecher Urs Zwingli. «Wirkliche Wertschätzung bringen die Menschen doch nur Dingen entgegen, für die sie bezahlen müssen. Die Privatisierung hat also den Nebeneffekt, die Bürger zu mehr Achtsamkeit zu erziehen.»

Privatisiert wurden vor allem Wege mit einem hohen Aufkommen an Fußgängern an belebten Strassen sowie in der Nähe wichtiger Arbeitsplätze und Einkaufszentren. «FreeWalks», also gebührenfrei begehbare Wege, befinden sich vornehmlich in «toten» Gegenden der Städte, wo das Betreiben von PayWalks nicht rentabel erschien. In der Folge klagten Anwohner von FreeWalks zunehmend über mangelnde Pflege durch die Stadtreinigung, über stinkende Müllberge, Schlaglöcher und durch den Asphalt brechenden Pflanzenbewuchs. «Von dem Geld, das der Stadtrat von HappySidewalk bekommen hat, hätte er einen Bruchteil in die Pflege der FreeWalks investieren können», kritisiert Petra Luther vom Verein gegen Privatisierung. Tatsache ist aber, dass die Geldspritze für die städtischen Kassen ein Schlag ins Wasser war, da die Einnahmen gleich wieder in Zinszahlungen an die Gläubigerbanken flossen. «Wer sicher und sauber gehen will, benutzt PayWalks», heisst es denn auch in der Werbung von Happy Sidewalk.

Über «noch immer mangelndes Unrechtsbewusstsein» unter so genannten «Mautprellern» klagte auch der örtliche Gesteig-Überwachungsverein (GÜZ). «Mautpreller» ist der volkstümliche Begriff für Personen, die sich der «Erschleichung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Fussgängerwegen» schuldig gemacht haben (wie es im Amtsdeutsch heißt). Der Verein kündigte mehr Überwachungskameras sowie drastisch härter Strafen für Mautmuffel an. Ausserdem startet HappySidewalk in dieser Woche eine aufwändige Medienkampagne unter dem Motto «Ich zahle meine Maut, na klar». Darin erklären sympathisch wirkende junge Menschen, dass der Erwerb des Gehsteig-Pickerls für sie eine ebenso große Selbstverständlichkeit darstelle wie die Bezahlung der Semmeln beim Bäcker. Eine mahnende Off-Stimme appelliert im Anschluss an die Zuschauer: «Mautpreller berauben keine Banken, Mautpreller berauben keine hilflosen alten Damen. Mautpreller rauben den rechtmäßigen Gehsteigbesitzern ihre Einkünfte.»

Für Unmut in der Bevölkerung, die ansonsten keinen nennenswerten Widerstand gegen die Mautpflicht erhoben hatte, sorgte unlängst die Einrichtung von Mautstationen an Gehwegen mit besonders lebhaftem Personenverkehr. «Die Identifizierung von Mautprellern anhand der fehlenden Pickerl ist bei so dichtem Personenverkehr kaum mehr möglich», erklärte HappySidewalk-Pressesprecher Urs Zwingli. «Rechtsbrecher können sich so realistische Chancen ausrechnen, ungestraft zwischen den ehrlichen Gehsteigbenutzern durchzuschlüpfen. Daher ist die Einzäunung der Gehwege und die Einrichtung von Mautstellen analog zu der Vorgehensweise bei mautpflichtigen Autobahnen für uns alternativlos.»

Wegen Wartezeiten von bis zu 13 Minuten vor den Mauthäuschen war es am vergangenen Sonntag zu Rangeleinen zwischen verärgerten Bürgern und Kassierern gekommen. Einige versuchten die Absperrung zu überklettern, andere gingen, um sich der Mautpflicht zu entziehen, ungeniert am Rand der angrenzenden Autostrassen entlang und verursachten damit beinahe Unfälle mit Kraftfahrzeugen. Die Polizei griff mit Gummiknüppeln und Wasserwerfern hart durch. «Zu hart» meinten Bürgerrechtler, die auf die stattliche Zahl von 21 Verletzten und sieben Schwerverletzten hinwiesen. «Wir durften keine Präzedenzfälle zulassen», verteidigte sich Einsatzleiter Bohrmann, «Es war wichtig, klar zu stellen, dass es in Deutschland keine rechtsfreie Räume gibt, in denen das Privateigentum keine Achtung genießt.»

Eine für Anfang September angesetzte Demonstration der Bürgerinitiative «Freies Gehen für freie Bürger» auf dem Rathausplatz wurde indes mit nur sieben Teilnehmern ein kolossaler Flop. Als Grund für den ausbleibenden Demonstrantenzustrom, gab Organisatorin Petra Luther an: «Die Wut gegen die Abzocker in der Bevölkerung wächst. Viele, die gern demonstriert hätten, scheuten aber die hohe Bürgersteigmaut, die auf dem Weg von der eigenen Wohnung zum Rathausplatz angefallen wäre. Bei mir waren es z.B. 115 Euro bei 8 Cent pro Meter. Das überlegt man sich dann schon.» Auf allen Bürgersteigen, die sich im Besitz der HappySidewalk AG befinden, sind öffentliche Kundgebungen ohnehin verboten.

Untersagt sind außerdem Essen, Trinken und Rauchen. Die Verbote waren notwendig geworden, nachdem der Bürgersteiganbieter über explodierende Reinigungskosten, z.B. durch Zigaretten-Kippen, geklagt hatte. Ein privater Sicherheitsdienst greift seither gegen Schmutzfinken mit aller gebotenen Härte durch. Personen, die mit nacktem Oberkörper auf dem Bürgersteig erwischt werden oder in anderer Weise unangemessen gekleidet sind, werden von den Ordnungshütern zum nächsten Safety-Point geleitet. Dort werden die Personalien aufgenommen und ein gebührenpflichtiges Ersatz-Shirt ausgeteilt, das die Weiterbenutzung des PayWalks erlaubt. Lautes Reden und Schreien sowie unmotiviertes Stehenbleiben und Versammlungen von mehr als zwei Gehsteigbenutzern werden nicht geduldet.

Auch eine allgemeine Höchst-Gehgeschwindigkeit von 5 km/h gilt ab 1. Januar auf allen HappySidewalk-Anlagen. Die Betreiber begründen dies mit dem unverantwortlichen Verhalten jugendlicher Raser, das in der Vergangenheit zu mehreren Rempeleien geführt hatte. Wer die Geschwindigkeitsregelung ignoriert, findet wenig später schon mal ein Knöllchen mit Bußgeldforderungen in dreistelliger Höhe in seinem Briefkasten. Per Lautsprecher werden die Gehenden zudem laufend an die geltenden Gehregelungen erinnert. Das kann z.B. so klingen: „Wir machen unsere Kundinnen und Kunden darauf aufmerksam, dass auf sämtlichen PayWalks der HappySidewalk AG die Benutzung von Citybikes, Skateboards, Kickboards und Online-Skates untersagt ist. Zuwiderhandlungen können mit Geldstrafen sowie einem unbefristeten Hausverbot bestraft werden.“ Da ein Hausverbot für die Delinquenten mit erheblichen Einschränkungen verbunden ist, setzt Pressesprecher Zwingli auf die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme.

Allgemeines Aufsehen erregte unlängst der Fall der 17-jährige Carla M. Carla wurde beim Verlassen ihrer Wohnung von einer Streife kontrolliert und wegen unerlaubtem Betreten eines Privatgrundstücks zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Das Problem: Für Carla gibt es keine andere Möglichkeit, ihre Wohnung zu verlassen, außer durch Betreten eines PayWalks. Sie befindet sich seither in einer Situation, die einem unbefristeten Hausarrest gleichkommt. Als Wiederholungstäterin mit Hausverbot muss sie bei Betreten eines Bürgersteigs eine Gefängnisstrafe befürchten. Freunde haben sich bereit erklärt, die Eingesperrte mit den notwendigen Lebensmitteln versorgen. In eine ähnliche Situation können sozial schwache Personen geraten, die sich ihren Zahlungsverpflichtungen mit dem Hinweis auf ihre finanzielle Notlage entziehen wollen. Urs Zwingli lässt Ausreden nicht gelten «Unsere strenge Vorgehensweise betrachten wir zugleich als Appell an die Bereitschaft der Bürger zu mehr Eigenverantwortung. Wer in seinem Job etwas leistet, braucht nicht zu befürchten, sich die Bürgersteigmaut nicht mehr leisten zu können.» Vorwürfe, ein solches Vorgehen sei unmenschlich, beantwortete Zwingli mit dem Hinweis: «Niemand kann verpflichtet werden, auf seinem privaten Grund Personen zu dulden, die sich nicht an seine Regeln halten.

Vom Tisch ist vorerst der Vorschlag, jeder PayWalk-Benutzer müsse sich künftig einen Chip unter die Kopfhaut implantieren lassen. Eine solche Regelung hätte es dem PayWalk-Betreiber ermöglicht, Mautpreller mühelos mit Hilfe elektronischer Scanner dingfest zu machen. Jeder Chip hätte dann nach einigen hundert Gehsteig-Kilometern an einer Ladestation kostenpflichtig neu aufgeladen werden müssen. Wäre ein Geher ohne aktivierten Chip angetroffen worden, hätte der Scanner Alarm geschlagen und die Bürgersteig-Security unverzüglich informiert. Der Vorschlag scheiterte vorerst an logistischen Problemen, die die lückenlose Erfassung aller Bürger mit sich gebracht hätte. «Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben», meint Urs Zwingli augenzwinkernd. «In ein paar Jahren soll niemand einen Meter auf einem Gehsteig zurücklegen können, der nicht bei HappySidewalk ordnungsgemäß bezahlt ist».

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