Neuwahlen in Griechenland: und was soll sich ändern dadurch?

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta

169. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ / Holdger Platta

Noch einmal richte ich mein Augenmerk auf das Ergebnis der Europawahlen in Griechenland und damit auf die Frage nach den Gründen für das miserable Abschneiden der SYRIZA. Was bedeutet das für die Zukunft dieses Mittelmeerstaates? Und: ist die Fortsetzung der Katastrophe für die Menschen in Griechenland durch den Ausgang der Europawahlen vorprogrammiert? HP

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

da meine Schmerzerkrankung noch immer nicht überwunden ist und zwei weitere Arztbesuche erforderlich waren, erscheint auch mein heutiger Bericht mit Verspätung – und gewisse Beeinträchtigungen beim Erstellen dieses Artikels bitte ich erneut in Kauf zu nehmen.

Heute Mittag – den 5. Juni – konnte mir Henry Royeck nochmals den allerneuesten  Stand beim Spendeneingang mitteilen (Dank ihm dafür!). Das gute Ergebnis ist also auch darauf zurückzuführen, daß zwei weitere – also zusätzliche – Spendentage erfaßt werden konnten. Nun, von einem guten Ergebnis ist gleichwohl zu berichten, um so mehr, als auch der Monatswechsel (mit seinen DauerspenderInnen jeweils zu Beginn des neuen Monats) zu einem guten Ertrag bei den Geldzahlungen beigetragen hat. Hier also, im Vergleich zur Vorwoche, der neueste Spendenzuwachs:

Gab’s in der Vorwoche (bis zum 27. Mai) lediglich eine Überweisung – in der Höhe von 300,- Euro, von einem regelmäßigen Großspender uns als Hilfszahlung zur Verfügung gestellt) -, gingen während der letzten 9 Tage 502,20 Euro auf unserem Konto ein, überwiesen von 13 UnterstützerInnen an uns, wiederum also ein stattlicher Betrag! Wir danken allen Spenderinnen und Spendern sehr, und mein Eindruck ist, daß gewisse Mängel bei meinem letzten Bericht nicht zu einer wahrnehmbaren Spendeneinbuße geführt haben!

Unsere ‚AußenhelferInnen‘, die Griechenlandreisenden Uschi und Kalle sowie Evi und Tassos, konnten in der Zwischenzeit nicht über neue Hilfsaktionen berichten. Uschi und Kalle nicht, weil sich Uschi nach ihrem schweren Knochenbruch noch in der REHA-Phase befindet. Und Evi und Tassos haben ebenfalls, in der eigenen Familie, ungute Geschehnisse heimgesucht. Auch bei ihnen standen schwere Erkrankungsfälle im Vordergrund.

Ich beschränke mich in diesem Bericht deshalb auf einige weitere Nachrichten, die zu tun haben mit der allgemeinen politischen und sozialen Lage in Griechenland. Zunächst aber eine zweite ‚Nachlese‘ zu den Europa- und Kommunalwahlen in dem südöstlichen Mittelmeerstaat: Vorweg:

An den Wahlergebnissen in Griechenland hat sich gegenüber der Vorwoche kaum etwas geändert. Auch nach Auszählung von nunmehr rund 92 Prozent aller Wählerstimmen rangiert die ‚Nea Dimokratia‘ (ND), die konservative Partei unter Führung von Kyriakos Mitsotakis, nach wie vor weit vor der „Radikalen Linken“, der SYRIZA. Die ND liegt derzeit bei 33,12 Prozent aller abgegebenen gültigen Stimmen und damit um fast 10 Prozentpunkte vor der SYRIZA, der lediglich 23,81 Prozent der griechischen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme gaben. Ähnlich unverändert die Situation bei den anderen Parteien, über deren Stimmenerfolg ich bereits im letzten Spendenbericht informiert hatte.

Klar auf dem dritten Platz liegt nach wie vor die Nachfolgepartei der PASOK mit einem Stimmenanteil von 7,69 Prozent, die „Sozialistische Bewegung zur Veränderung“ KinAL, gefolgt von der marxistisch-leninistischen KKE, die 5,39 Prozent aller Wählerstimmen für sich verbuchen konnte. Und auch bei den faschistischen Kleinparteien haben sich kaum Veränderungen gegenüber dem Auszählungsergebnis vor einer Woche ergeben. Die „Goldene Morgenröte“, die Chryssi Avgi, kam auf 4,8 Prozent, die sogenannte „Griechische Lösung“ auf 4,14 Prozent. Rund 9 Prozent aller Griechinnen und Griechen haben also rechtsextremistische Parteien gewählt – selbstverständlich kein erfreuliches Resultat, aber angesichts der enormen sozialen, ökonomischen und inhumanen Lebensverhältnisse in Griechenland eher ein niedriges Ergebnis, wenn man es etwa vergleicht mit den Wahlerfolgen, die in Deutschland rechtsextremistische Parteien in materiellen Notzeiten für sich ‚einzufahren‘ pflegen – egal, ob es sich um die Endphase der Weimarer Republik handelt oder um wirtschaftliche Rezessionsphasen im Nachkriegsdeutschland. Auch darüber berichtete ich ja in meinen Mitteilungen aus der letzten Woche schon.

Abschließend zu den Wahlergebnissen in Griechenland (dieser Punkt war letzte Woche noch offen und ist endgültig auch bis zur Stunde noch nicht geklärt): die Neugründung des ehemaligen Finanzministers Yanis Varoufakis, die „Mera25“, scheint ihren Einzug ins Europaparlament knapp verfehlt zu haben. Am letzten Dienstag rutschte sie unter die kritische Drei-Prozent-Hürde. Eines der vielen Ergebnisse, die Rätsel aufgeben und anzeigen dürften, wie verunsichert die Griechen derzeit sind. Denn andere Klein- und Kleinstparteien kamen immerhin auf 17,99 Prozent aller Wählerstimmen – die „Partei der Verunsicherten“ rangiert also, nach ND und SYRIZA, auf dem dritten Platz aller abgegebenen gültigen Stimmen, aber keine von ihnen dürfte noch die Drei-Prozent-Hürde nehmen zu können. Ein Stimmen-Splitting, das zeigt, wie groß die politische Ratlosigkeit im heutigen Griechenland ist! Und die Reaktionen darauf?

Nun, die „Wirtschaft“ in Griechenland, die Finanzwirtschaft vor allem, hat auf diese Wahlergebnisse hocherfreut reagiert – „enthusiastisch“ sogar, wie die „Griechenland Zeitung“ (GZ) in ihrer Ausgabe vom 29. Mai formuliert. An der Börse legten Bankaktien um 11,5 Prozent zu, der Generalindex kletterte auf 6 Prozent, und die Zinsen für zehnjährige Griechenland-Anleihen sanken zwischenzeitlich auf einen Wert um die Drei-Prozent-Marke. Heißt: je stärker der Stern der SYRIZA sinkt, je verunsicherter sich die Griechinnen und Griechen gezeigt haben bei diesen Doppelwahlen am 26. Mai, desto begeisterter zeigt sich die Finanzwelt in Griechenland. Fast als „pervers“ könnte man diese Reaktion bezeichnen, eine Reaktion, für die der weitere politische und soziale, der weitere reale und humane Niedergang in Griechenland, welcher die Menschen ganz unten betrifft, als Erfolg gefeiert wird.

Und was tut inzwischen die SYRIZA,  an ihrer Spitze Alexis Tsipras? – Nun, der griechische Premierminister kündigte noch in der Wahlnacht vom 26. auf den 27. Mai vorverlegte Neuwahlen an. Ursprünglich für den Oktober dieses Jahres geplant, sollen nunmehr die Griechen bereits in wenigen Wochen erneut an die Wahlurnen gehen – gesprochen wird vom 23. oder 27. Juni, doch auch der 7. Juli ist im Gespräch.

Kurzschlußreaktion eines Wahlverlierers? Oder Ausdruck eines demokratischen Bewußtseins, nicht mehr weiterregieren zu wollen in Griechenland, entgegen der realen Mehrheitsverhältnisse in Griechenland? Noch liegt mir eine entsprechende Erklärung der SYRIZA, dieser Partei im Sturzflug, nicht vor. Und einen Reim darauf machen – höchstpersönlich, wenn man so will – kann ich mir auch nicht. Fakt jedenfalls ist:

„Punkten“ mit seinen Wahlgeschenken vorm 26. Mai konnte Tsipras mit seiner SYRIZA offenkundig nicht. Weder die Zusage einer 13. Monatsrente für dieses Jahr – nebenbei: entgegen der Gepflogenheit bereits ausgezahlt an diese Wähler’klientel‘ und nicht erst in Aussicht gestellt fürs Jahresende – noch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf zahlreiche Dienstleistungen und Warengruppen (nicht zuletzt auf jene, die, etwa in der Gestalt von Lebensmitteln, für den Alltag der GriechInnen von großer Bedeutung sind) haben den Absturz der ehemals „Radikalen Linken“ in Griechenland aufhalten können. Aber verwundert das, wenn die generelle Arbeitslosenquote in Griechenland immer noch bei knapp 20 Prozent liegt – präziser: bei 18,5 Prozent -, und die Arbeitslosenquote bei den jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren immer noch bei fast 40 Prozent (genauer: bei 39 Prozent)? Verwundert das, wenn das Wirtschaftswachstum nach wie vor kaum spürbar ist und nach wie vor jeder vierte Beschäftigte in der griechischen Privatwirtschaft mit weniger als 500,- Euro brutto pro Monat über die Runden kommen muß, verwundert das, wenn die Zahl der Arbeitnehmer, die weniger als 250,- Euro pro Monat bekommen, von 64.110 im Jahre 2010 auf mittlerweile 251.020 im Jahre 2019 angestiegen ist, fast um das Vierfache also? Und letzter Punkt in diesem Zusammenhang:

Was hat jenes Drittel der Beschäftigten in Griechenland von der Einführung eines Mindestlohnes am 1. Februar dieses Jahres – in der Höhe von 650,- Euro pro Monat -, das gar nicht mehr vollzeitbeschäftigt ist? Und weniger als 400,- Euro pro Monat verdient? Bei den Neuanstellungen entfallen mittlerweile fast 60 Prozent auf Teilzeitjobs – so die GZ in seiner Ausgabe vom 29. Mai -, und immer mehr Vollzeitjobs werden von den Arbeitgebern umgewandelt in Teilzeit-Stellen – das betraf in den letzten Jahren fast 105.000 Jobs. Von einer 13. Rentenzahlung im Jahr haben all diese Menschen, „in Lohn und Brot“, gar nichts, und Herabsetzung der Mehrwertsteuer von 24 Prozent auf 13 Prozent helfen diesen Menschen fast gar nicht, obwohl dieser Schritt selbstverständlich und im Prinzip zu begrüßen ist.

Bestenfalls hat man es mit einer „Sozialdemokratisierung“ bitterster Armut zu tun, nicht aber mit deren Beseitigung. Bestenfalls sind das Viertelschritte, wo ganze Schritte vonnöten wären. Mit einem Wort (und gleiches ließe sich für manches in der Bundesrepublik sagen): Kompromisse sind Kompromißgeburten, wenn nicht grundlegend und – ja, ich riskiere dieses Wort! – radikal (im Wortsinn: „an die Wurzel gehend“!)  diese Elendsverhältnisse in einem Land beseitigt werden! Und mir scheint es genau diese „Selbstsozialdemokratisierung“ der vormals „Radikalen Linken“, der SYRIZA, zu sein, der ihren Absturz erklären hilft. Wem der Magen knurrt, bei dem schaffen auch zwei Brosamen auf dem Teller den Hunger nicht ab. Und die Zeiten sind noch längst nicht in Griechenland vorbei, daß Kinder in den Schulen ohnmächtig werden, weil sie wieder einmal das Klassenzimmer betreten mußten, ohne vorher irgendetwas gefrühstückt zu haben.

Mag sein, daß Tsipras & Co. derzeit in einer Blase leben, daß sie davon gar nichts wissen oder mitbekommen. Realitäten sind diese Realitäten gleichwohl – und mir persönlich fällt schwer, an diese „Blase“ – sprich: Realitätsverleugnung – glauben zu können. Dasselbe gilt für die eigentlichen, für die externen Urheber dieser Katastrophensituation in Griechenland, für Schäuble und Scholz, für Moscovici und Merkel im fernen Brüssel oder Berlin. Wer „Austerität“ befürwortet und durchsetzt, über viele Jahre hinweg, der meint eben auch „Austerität“. Und „Austerität“, das belegt noch jedes Fremdwörterbuch und jedes Fachbuch zur Ökonomie, das bedeutet eben nicht nur „Sparzwang“ (ausgeübt an den Ärmsten der Armen), sondern eben auch Verelendung und bitterste Not.

Da sollte keiner dieser Politiker sich selber belügen – und eine ganze Bevölkerung, in diesem Falle die griechische, schon gar nicht! Was gegebenenfalls, hie und da jedenfalls, Selbstbetrug sein mag, eines ist es auf jeden Fall: menschenfeindliche Drangsalierungspolitik in höchster Potenz und Humanitätsvernichtung mit brutalster Grausamkeit! Daran ändern auch Minimalverbesserungen nichts, die eine SYRIZA im Wahlkampfmodus beschloß.

Und damit erneut zu meiner abschließenden Bitte an Euch um Spenden zugunsten unserer Hilfsaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich -, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer, wie gesagt, noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e. V“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „GR-IHW“ versehen. Es sei wiederholt: wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

 

 

 

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