Parar heißt Stop!

 In FEATURED, Umwelt/Natur

Costa Vicentina, Portugal

Offshore-Fracking im Sonnenparadies Portugal? Das sonnenreiche Portugal pflegt gerne das Image, ein Vorreiter für erneuerbare Energien zu sein. Trotzdem gestattet die Regierung einigen Ölkonzernen, im kommenden Herbst vor seiner Küste nach Erdöl zu bohren – sogar ohne Umweltverträglichkeitsprüfung. Breiter Widerstand formiert sich dagegen, Hilfe kommt von indianischen Aktivisten aus Standing Rock/Nord-Dakota. (Leila Dregger)

Ob Surfer, Wanderer, Sonnenanbeter oder Ökotouristen: Immer mehr Menschen entdecken den Südwesten Europas. Zum Beispiel die spektakulären Steilküsten des Naturparks Costa Vizentina: Ein alter Fischerpfad, heute Fernwanderweg führt Hiker an einsame Strände, über hohe Klippen und manchmal durch ein Fischerdorf, wo es Muscheln oder Doraden frisch aus dem Meer gibt.

Portugal ist derzeit das erfolgreichste, sicherste und attraktivste Ferienziel Europas. Zwei von zehn Jobs im Land hängen am Tourismus. Wie lange das so bleibt, ist allerdings ungewiss. Denn die Regierung genehmigte kürzlich zwei Probebohrungen für Erdöl und Erdgas. Eine davon, ausgerechnet vor der Küste von Aljezur, der Costa Vizentina, will das Konsortium der Ölkonzerne GALP und Eni bereits im kommenden Herbst durchführen. Und im Landesinneren, in Alcobaça bei Fátima im Norden von Lissabon will Australis Oil im kommenden Jahr Erdgas fördern. Experten rechnen damit, dass das dort vorhandene Erdgas nur durch die umstrittene Methode Fracking abbaubar sein wird – somit droht das erste Fracking in Portugal, und das nahe einem der wertvollsten Grundwasserreservoirs Europas.

Am 16. Mai erklärte Nuno Lacasta, der Präsident der portugiesischen Umweltagentur (APA), eine Umweltweltverträglichkeitsprüfung der Probebohrungen sei nicht nötig. Die Empörung war groß. Keine Umweltprüfung für Ölbohrungen in einem Naturschutzgebiet? In einer Region hoher seismischer Aktivität? Wofür brauche das Land überhaupt noch eine Umweltagentur, wütete die Vorsitzende der Grünen Partei, Heloisa Apolónia. Und Catarina Gomes, Aktivistin der Campanha Linha Vermelha (Kampagne der roten Linie), klagt: “Es ist schwer, in diesen Zeiten nicht das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren.”

Die 42.000 Unterzeichner der Petition gegen Ölbohrungen hatten sich bereits als Sieger geglaubt. Jahrelang hatten sie mit juristischen, politischen, zivilen und kreativen Mitteln auf die Gefahren für die Natur, die Wirtschaft, den Tourismus, die Fischerei hingewiesen – z.B. auch auf die vermehrten Erdbeben in Erdölbohrgebieten. Das Argument, dass die Bohrungen mit 46 km Entfernung von der Küste von Touristen nicht wahrzunehmen seien, zog nicht angesichts realer Gefahren der Bohrungen für das fragile biologische Gleichgewicht der geschützten Küstenregion – von der Gefahr einer Ölpest erst gar nicht zu reden.

Bürgermeister aller betroffenen Landkreise des Südens beteiligten sich an Klagen gegen die Regierung. 67 Wissenschaftler des nationalen Klimabündnisses forderten in einem Offenen Brief den Stop der Ölbohrung, um “irreparable Schäden an der Wirtschaft, Umwelt und den Gemeinden zu verhindern”. Die Aktion Linha Vermelha – Rote Linie – schuf eine große Allianz aus Hausfrauen, Studenten, Aktivisten, die  ein 51 km langes rotes Band strickten – und damit symbolisch der Ölindustrie ein Stopp zu setzen. Immer wieder forderten Politiker aller Parteien, so wichtige Entscheidungen im Parlament zu treffen und nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Im Laufe des letzten Jahres gab die Regierung nach, bis Dezember waren zehn der fünfzehn Verträge mit Erdölfirmen aufgelöst. In der Algarve werde nicht nach Öl gebohrt werden, versicherte sie – wenn dann, nur mit Zustimmung der betroffenen Kommunen. Doch die Freude der Umweltbewegung währte nicht lang. Im Januar kündigte der Energiestaatssekretär an, zwei der verbleibenden fünf Verträge doch noch zu erfüllen.

2016 beim Klimagipfel in Marokko hatte sich die sozialistische Regierung unter António Costa mit ihrem Engagement für erneuerbare Energien gebrüstet. Bis 2050 will das sonnenreiche Land ganz auf fossile Brennstoffe verzichten. Schon heute wird ein großer Teil der elektrischen Energie solar oder durch Wind- und Wasserkraft erzeugt – und Experten sind sich einig, dass bei entsprechender Investition noch viel mehr möglich ist. Das Land könnte weltweit ein Vorbild für Klimaschutz und saubere Energie sein: Es besitzt keine Atomkraftwerke und hat noch nie Erdölbohrungen durchgeführt.

Aktivisten, Fischer, Klimaschützer, Hoteliers im ganzen Land verstehen nicht, warum jetzt doch noch die kostbaren Ressourcen des Landes aufs Spiel gesetzt werden. Catarina Gomes: “Warum investiert unsere Regierung noch einmal in das untergehende Schiff der Ölindustrie? An den geplanten Bohrungen verdient nicht einmal die Staatskasse, nur die Ölkonzerne, während die Bevölkerung vor Ort, das Meer, die Fischerei und der Tourismus nur das Risiko hat.”

Ausgerechnet Umweltminister João Matos Fernandes verteidigt die Ölbohrung: “Eine eigene Förderung fossiler Brennstoffe würde uns wirtschaftlich vom Ausland unabhängig machen. Denn auch wenn wir in Zukunft den Kohlenstoffausstoß reduzieren wollen: ohne Erdöl kommen wir nicht aus.”

Genau dem widerspricht das nationale Aktionsbündnis Parar o Furo. Martin Winiecki, einer seiner Wortführer: “Portugal verfügt über beste natürliche Bedingungen, um ein Pionierland für eine gerechte und regenerative Gesellschaft zu werden – ohne fossile Brennstoffe.”

In den Widerstandsaktionen dieses Sommers soll deshalb vermehrt auf Energie-Alternativen hingewiesen werden. Am landesweiten Aktionstag am 4. August werden am Strand von Cova da Vapor südlich von Lissabon einige tausend Menschen erwartet. Unter der Anleitung von Luft-Kunst-Aktivist John Quigley werden sie mit ihren Körpern eine Botschaft in den Sand schreiben, die von der Luft gefilmt und in alle Welt gesandt wird. Am selben Tag wird der Strand in eine Ausstellung solarer Alternativen verwandelt: Mit Solarkochern und Kollektoren sollen Mahlzeiten für alle Teilnehmer bereitet werden.

Dem Aktionstag geht eine mehrtägige Versammlung internationaler AktivistInnen in der Friedensforschungsgemeinschaft Tamera im Süden Portugals voraus. Auch erwartet: Initiatoren der Proteste von Standing Rock in Nord-Dakota. 2016 hatten etwa 30.000 amerikanische Ureinwohner und Unterstützer sich mit aller Macht gegen die Zerstörung ihrer heiligen Stätten durch eine Ölpipeline gewehrt, lebten monatelang in Camps, zündeten Gebetsfeuer und sagten der Welt: “Wir verteidigen das Heilige.” Fast hätten sie es geschafft – wenn Donald Trump die Entscheidung Obamas und den Baustopp nicht wieder rückgängig gemacht hätte.

Ladonna Bravebull Allard, die Gründerin des ersten Widerstandscamps, wird im August nach Portugal kommen, um am 4. August hoffentlich mit einigen tausend Menschen am Strand von Cova da Vapor bei Lissabon das “Heilige zu verteidigen”. Allard: “Trump steht nicht für die Zukunft, er steht für das Dinosaurier-System, das ohnehin untergehen wird. Damit wir nicht mit untergehen, müssen wir jetzt aktiv werden. Die Welt hat uns beigestanden, jetzt stehen wir euch bei.”

 

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