Sozialverträgliches Frühableben

 In Christine Wicht, FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik

Aufgrund von “Patientenverfügungen” sterben viele Menschen, die noch gerettet werden könnten – um dem Gesundheitssystem Kosten zu ersparen. Junge zahlen viel ins Gesundheitsystem ein und brauchen wenig ärztliche Versorgung. Bei Älteren ist das umgekehrt. Ein Krankenhaus ist ein Wirtschaftsunternehmen, und ein schneller Wechsel der “Fälle” bringt mehr Geld ein. Ein ökonomisch smartes System kann da auch ein bisschen nachhelfen, indem es Patienten wenn nicht tötet, so doch sterben lässt. Patientenverfügungen, die Kranke zunehmend aufgeschwatzt werden, sorgen dafür, dass dies oft sogar mit dem Einverständnis der Kranken geschieht. Aus Angst, endlos zu leiden, verzichten sie freiwillig darauf, dass alles medizinisch Mögliche für sie getan wird. Bei den Nazis war man wenigstens so ehrlich gewesen, zuzugeben, dass man Menschen loswerden wollte, die für die Gesellschaft ein Kostenfaktor waren. Diese Zusammenhänge wirken erschütternd, aber wird Zeit, sie sich bewusst zu machen. Interview mit dem Arzt Michael Skambraks, Autor von “Vorsicht! Patientenverfügung”. Christine Wicht

Herr Skambraks, Sie sind seit Jahrzehnten Arzt und haben ein kritisches Buch mit dem Titel „Vorsicht! Patientenverfügung“ geschrieben. Warum?

Ich warne deswegen davor, weil Patientenverfügungen zu sehr propagiert werden in einer Weise, in der den Leuten eine falsche Darstellung der Realität suggeriert wird. In der Propaganda wird dargestellt, als sei die moderne Medizin in der Lage, das Sterben auf sehr lange Zeit hinauszuschieben, man deshalb in der Gefahr sei lange zu leiden und nicht sterben zu dürfen. Um dies zu verhindern, wird empfohlen, Patientenverfügungen mit Therapieeinschränkungen zu verfassen, die im Endeffekt bedeuten, wenn ein Mensch in Lebensgefahr ist, ist es besser nichts mehr zu tun, um das Leben des Einzelnen zu retten, sondern ihn sterben zu lassen. Die Realität ist jedoch das Gegenteil. Wenn heute ein älterer Mensch, gebrechlich und mit stark eingeschränktem Gesundheitszustand in ein Krankenhaus kommt, dann wird zuerst nach einer Patientenverfügung gefragt. Wenn er eine übliche Patientenverfügung hat, dann bekommt er vermutlich nur noch Schmerzmittel. Schließlich hat er ja kundgetan, dass ihm unter gewissen dehnbaren Umständen, an lebenserhaltenden Maßnahmen nichts mehr liegt.

Und wenn jemand gar keine Patientenverfügung hat?

Dann werden Angehörige oft sehr suggestiv bedrängt. Es wird dargestellt, dass lebenserhaltende  Maßnahmen eine fürchterliche Qual seien, die man dem leidenden alten Menschen ersparen und ihn doch in Frieden gehen lassen und loslassen solle.

Was ist der Grund für diese fatale Entwicklung?

Der Grund für diese Propaganda ist meiner Ansicht nach ein rein wirtschaftlicher. Krankenkassen und Rentenkassen wollen zwar gerne Beiträge kassieren, aber möglichst wenig bezahlen. Im Prinzip war das auch früher schon so. Was sich aber in den letzten Jahren drastisch geändert hat, ist die Finanzierung der Krankenhäuser. Früher bekamen Krankenhäuser entsprechend der Dauer der Behandlung Krankenhaustagessätze, heute bekommen sie fixe Fallpauschalen. Ein Fall ist ein Patient mit einer bestimmten Diagnose, unabhängig von der Verweildauer oder des Alters. Dass ein 90jähriger logischer Weise länger zur Genesung braucht als ein 20jähriger ist offensichtlich, doch Krankenhäuser stehen unter massivem Druck Patienten möglichst schnell zu entlassen, denn sie leben finanziell davon, den nächsten, neuen Fall aufnehmen zu können. Dabei ist es für die Finanzen des Krankenhäuser gleich, ob der Patient gesund, krank oder tot entlassen wird. Diese Änderungen spüren auch jungen Leute, denn bei Operationen, bei denen man noch vor 20 Jahren gesagt hätte, sie müssen zu ihrer eigenen Sicherheit mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben, werden oft blutig entlassen. Die Nachsorge wird heute meist ambulant gemacht. Junge Patienten überleben diese ambulanten Nachbehandlungen im Allgemeinen. Ein alter Mensch jedoch, der beispielsweise für die Ausheilung einer Lungenentzündung zehnmal so lange brauchen würde, hat sicher weniger Überlebenschancen.

Ist das für einen Arzt, der in erster Linie Leben retten soll, nicht ein Gewissenskonflikt?

Es gibt in Krankenhäusern sicher Kollegen, die meiner Meinung sind. Die müssen sich jedoch im Allgemeinen ruhig verhalten, denn man hat bessere Aufstiegschancen, wenn man sich systemkonform und kostensparend verhält, indem man alte Menschen in Frieden sterben lässt und das Leiden nicht verlängert. Wirtschaftliche Gründe werden natürlich nicht genannt. Die Situation hat sich noch verschlimmert, seit der Sohn eines Patienten den Arzt seines Vaters verklagt hat, weil nach Ansicht des Sohnes sein Vater zu lange gelebt und gelitten habe. In erster Instanz kam der Sohn nicht durch, aber in zweiter Instanz verurteilte das OLG München den Arzt zu einer Schmerzensgeldzahlung an den Sohn, weil er den Vater zu lange leben ließ. Der Patient hatte keine Patientenverfügung, war dement und konnte seinen Willen nicht mehr äußern. Sein gesetzlicher Betreuer war mit der erfolgten Behandlung einverstanden. Das Urteil wurde glücklicherweise in dritter Instanz wieder aufgehoben, trotzdem schien es ein dreiviertel Jahr lang geltendes Recht zu werden, dass ein Arzt sich für eine Lebensrettung zivilrechtlich haftbar machen kann. Dieser juristische Fall bewirkte eine Panik unter meinen Kollegen in den Krankenhäusern.

Wie kommen Sie mit der veränderten Einstellung zurecht?

Wenn ich mich zurück erinnere wie ich als junger Arzt in Krankenhäusern gearbeitet habe, dann ist der jetzige Umgang mit Patienten und Angehörigen nicht mehr wieder zu erkennen. Ich bekomme das Gefühl in einem falschen Film zu sein. Wir haben uns damals immer bemüht Leben zu retten, ohne Ausnahme. Es wäre niemand auf die Idee gekommen, zu fragen, ob es sich noch lohnt für diesen oder jenen Patienten etwas zu tun. Heute hingegen ist die Frage gang und gäbe. Bei Alten und Gebrechlichen wird oft von lebenserhaltenden Maßnahmen abgeraten. Dabei wird den Patienten gerne unterstellt, dass sie bestimmt nicht weiterleben wollen, falls durch ihre Erkrankung ein Weiterleben nur mit einer Behinderung möglich wäre, was sicher bei manchen Menschen der Fall ist, aber nicht allgemein unterstellt werden darf.

Was kritisieren Sie am Inhalt der Patientenverfügungen?

Das Üble ist, man hat da eine Broschüre, in der ein langer ausschweifender Konditionalsatz steht, den keiner beim ersten Mal lesen verstehen kann. Es stehen Bedingungen und Wünsche drauf, die man ankreuzen kann, u.a. keine Beatmung, keine künstliche Beatmung etc., mit dem verschärfenden Zusatz „auch wenn es mein Leben verkürzt“. Wenn man tatsächlich schreibt, „Ich will keine künstliche Beatmung,“, dann kann man auch gleich sagen „bitte bringt mich um“. Mir gefällt auch nicht, dass Bewohnern in Altenheimen, die oftmals dement sind, Fragebögen aufgedrängt werden. Es wird ihnen gesagt, dass sie hier und da ein Kreuzchen machen und unterschreiben müssen. Die Leute ahnen nicht, dass sie so ganz schnell ihr Todesurteil unterschreiben mit der Folge, in einem Krankenhaus nicht mehr lebenserhaltend behandelt zu werden.

Können Sie einen Verbesserungsvorschlag machen?

Die Tendenz, dass man wünscht, dass alte Leute eher sterben, ist sicher in ganz Europa ähnlich, aber nicht so krass wie in Deutschland. In Österreich ist es Vorschrift, für eine verbindliche Patientenverfügung, dass man sich sowohl von einem Arzt als auch von einem Juristen beraten lässt. Beide müssen unterschreiben, dass der Patient verstanden hat, was er unterschreibt. In Deutschland kann man jeden Blödsinn unterschreiben und das gilt dann. In Österreich haben übrigens viel weniger Menschen eine Patientenverfügung als in Deutschland.

Es ist wichtig, öffentlich, darüber aufzuklären, dass die üblichen Patientenverfügungen oft dazu führen, dass ein Mensch wegen der unterlassenen Behandlung vorzeitig stirbt, obwohl er bei guter Behandlung mit lebenserhaltenden Therapien hätte genesen und lange weiterleben können. Viele Menschen sind durch die sehr erfolgreichen Propagandalügen, dass man angeblich in Gefahr sei, nicht sterben zu dürfen und sehr lange quälerisch am Leben gehalten zu werden, schon so suggestiv beeinflusst, dass sie völlig verblüfft sind, wenn ich Ihnen sage, dass die Realität das genaue Gegenteil ist.

Wenn schon von unserer öffentlichen Propaganda behauptet wird, dass die Gesetzesänderungen zu Patientenverfügungen ein großer Fortschritt für das Selbstbestimmungsrecht der Patienten sei, dann muss auch klar sein, dass der selbstbestimmte Patient das Recht hat, sich für sein Weiterleben auch bei Krankheit oder Behinderung zu entscheiden und dass es nicht in Ordnung ist, ihm dies in der geschwächten Position im Krankenbett oder einem sorgenden Angehörigen madig zu reden. Ich habe öfters erlebt, dass Angehörige in Krankenhäusern und auch in Pflegeheimen dumm angeredet wurden, weil bei der Frage nach einer Patientenverfügung nicht der übliche lebensverneidende Text sondern der von mir entworfene Alternativtext einer Patientenverfügung für das Leben vorgelegt wurde. Wenn es wirklich um das Selbstbestimmungsrecht ginge, dann dürfte so etwas nicht geschehen.

Warum sind Sie der Ansicht, dass es Patientenverfügungen der Politik und Wirtschaft bequem machen?

Ich glaube, es ist der unausgesprochene Wunsch, gebrechliche Menschen sterben zu lassen, weil es günstiger ist.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Satz „Ich möchte in Würde sterben“ gefährlich ist. Können Sie erklären warum?

In den üblichen Patientenverfügungen sollen die Leute einen Vordruck unterschreiben, bei dem sie Bausteine ankreuzen sollen. Meist ist der Satz „Ich möchte in Würde sterben“ schon in der Präambel zu lesen. Dieser Satz sagt sicher nichts aus, was an sich falsch wäre, aber er suggeriert den grundsätzlichen Gedanken, dass beispielsweise lebenserhaltende Maßnahmen, wie die maschinelle Beatmung unwürdig seinen. Aber genau solche Hilfen sind oftmals zeitlich begrenzt notwendig, um wieder fit zu werden. Bei jeder Operation hängt der Patient an Maschinen, manche Patienten brauchen eine künstliche Beatmung länger und werden wieder fit. Auch über Leute, die lebenslang eine künstliche Beatmung brauchen, darf man nicht von außerhalb entscheiden und unterstellen, er würde das nicht wollen. Ich möchte an Steven Hawking erinnern, der schwerer behindert war, als die meisten Rollstuhlfahrer, die wir auf der Straße sehen. Er brauchte ständig Beatmung, künstliche Ernährung und vollständige Betreuung. Er war froh, dass es diese Hilfen gab. Dank der technische Hilfsmittel, die heute möglich sind, konnte er trotz seiner schweren Behinderung sogar Bücher schreiben.

Waren Sie in einer Situation, in welcher Sie sich für lebensverlängernde Maßnahmen entschieden haben?

Ich wurde als Notarzt zu einem Patienten gerufen, er war schon alt, er ist nachts mit dem Kopf an die Wand gefallen. Seine Tochter fand ihn vor, mit sehr verlangsamten Herzschlag und Schnappatmung. Allem Anschein nach war er am Sterben. Die Tochter sagte mir, er habe eine Patientenverfügung, dass er nicht leiden wolle. Ich ließ mir die Patientenfügung zeigen. Es war der übliche Text, den ich für einen Unsinn halte, aber er hat einen Satz handschriftlich eingefügt, der ihm jetzt das Leben rettete. Er hatte handschriftlich hinzugefügt, „wenn es eine Chance auf Rettung gibt, will ich, dass man alles dafür tut“. Ich habe seiner Tochter gesagt, dass die Chance extrem gering, aber da ist. Gelitten hat sicher nicht, da er tief bewusstlos war. Wenn aber ich die geringe Chance, die es noch gibt, nutzen soll, dann müsse ich sofort handeln und dürfe nicht abwarten. Die Tochter fragte mich, was ich tun wolle und ich sagte ihr, er bekäme als erstes Sauerstoff an die Nase und einen Venenzugang für Medikamente und er brauche dringend Medikamente, dann müsse ich ihn intubieren, dann werde ich mit dem Rettungswagen auf eine Wiese fahren, auf der ein Hubschreiber landen kann, damit der Patient möglichst schnell in eine neurochirurgische Klinik komme, weil er wahrscheinlich Blutungen im Kopf habe. Die Tochter war einverstanden und bis wir mit dem Rettungswagen auf die Wiese gefahren sind, redete der Patient mit mir, ich musste ihn gar nicht mehr intubieren. Über den unerwarteten Erfolg war ich selbst überrascht.

In Ihrem Buch schreiben Sie von Propagandalügen und ziehen einen Vergleich mit dem „Gnadentod“ der Nazizeit und schreiben, dass Menschen zu Tode befördert werden, weil sie wirtschaftlich nichts mehr einbringen. Das fand ich erschreckend, können Sie näher darauf eingehen?

 Die Nazis haben zwar gelogen, dass sich die Balken biegen; aber in einer Hinsicht waren sie ehrlicher als unsere heutigen Politiker; Sie haben die Absicht „lebensunwertes Leben“ zu beenden nicht bestritten. Da gab es z.B. Plakate auf denen man einen gesunden jungen Mann sah, der einen Behinderten herumträgt. Darunter stand: „Du Volksgenosse trägst mit daran, wenn wir solche Krüppel durchfüttern.“

Damit war deutlich ausgedrückt, dass man Menschen loswerden wollte, deren Weiterleben der Gesellschaft etwas kostet. Heute besteht genau die gleiche Absicht. Sie wird jedoch viel besser kaschiert, als angebliches Mitgefühl mit den armen leidenden Menschen, deren Leid man nicht verlängern will.

In Hospizeinrichtungen wird vor der Aufnahme eine Patientenfügung verlangt, weil es dort keine lebensverlängernden Maßnahmen gibt. Wie stehen Sie dazu?

Wenn Hospize den Sinn haben todkranken Menschen die letzten Lebenstage durch Schmerzbehandlungen und seelische Zuwendung zu erleichtern, dann finde ich das auf jeden Fall sinnvoll. Wenn jedoch das Sterben künstlich beschleunigt wird. z.B. Medikamentenüberdosierung oder auch durch Nichtbehandlung von Begleitkrankheiten wie Infektionen, dann will ich dem nicht folgen. Auch ein Schwerkranker, der nahe am Tod ist, hat das Recht, dass sein Leben so lange erhalten wird, wie es eben möglich ist, wenn er dies wünscht.

Kann jeder, der bereits eine Patientenverfügung hat, eine neue Verfügung verfassen und ist diese auch gültig, wenn sie nicht juristisch abgesegnet und beispielsweise im Amtsgericht hinterlegt wurde?

Man kann jederzeit eine neue Patientenverfügung machen, wenn man noch denken und schreiben kann. Ich kenne Patienten, die gestorben sind, weil sie die Patientenverfügung nicht mehr ändern konnten.

In Ihrem Buch haben Sie ein Beispiel für eine Patientenverfügung aufgesetzt. Kann man diese übernehmen oder muss man diese noch durch einen Arzt oder Anwalt in einem gemeinsamen Gespräch individuell gestalten?

Man kann meinen Text ohne weiteres übernehmen. Oft wird man dann in Krankenhäusern oder auch Pflegeeinrichtungen dumm angeredet, dass dies noch nicht das Übliche sei und dann man sich nochmal überlegen solle, ob man nicht für bestimmte schlimme Situationen auf den Wunsch nach Lebenserhalt verzichten solle. So sieht es mit dem Einsatz für „Selbstbestimmung“ aus, der ja angeblich der Patientenverfügung dienen soll.

Ich hatte Diskussionen mit Kollegen von mir, welche die Gegenposition vertraten und einen Patienten sterben lassen wollten. Obwohl der von mir entworfene Text als unterschriebene Patientenverfügung vorlag, wurde der Wille des Patienten angezweifelt. Zum einen wurde argumentiert, die Schwere der Behinderung, die eventuell bei einem Überleben der akuten Lebensgefahr resultieren könne, sei sicher für den Patienten in gesunden Tagen nicht vorstellbar gewesen. Deshalb müsse man daran zweifeln, ob er die Durchführung lebenserhaltender Therapien auch unter diesen Bedingungen wirklich gewollt hätte – obwohl meiner Ansicht nach alles deutlich geschrieben war. Ich habe auf meinen Alternativvorschlag nun noch eine Ergänzung geschrieben, um den Lebenswillen noch mehr zu verdeutlichen.

Zum zweiten wurde ich auf das ominöse Wort „Würde“ angesprochen. Obwohl ich bisher geglaubt hatte, dass ich dieses meiner Ansicht nach in den üblichen Broschüren missbrauchte Wort wieder in seiner Bedeutung richtig gestellt hätte, wurde mir trotzdem vorgehalten, dass z.B. ein Weiterleben mit Dauerbeatmung unwürdig sei. Ich habe deshalb auch hierzu ein paar Sätze eingefügt um klarzustellen, dass meine Würde nicht gegen mein Lebensrecht ausgespielt werden dürfe und das dass ich Lebenserhalt auf keinen Fall unwürdig fände. Insofern habe ich den bisher veröffentlichten Alternativvorschlag noch ergänzt.

Natürlich kann jeder selbst einen Text schreiben. Gefährlich wird es, wenn man in ganz bestimmten Situationen noch auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichten will. Wenn einer meiner systemkonformen Kollegen das Leben eines Patienten beenden will, dann wird er sich bestimmt eine Begründung einfallen lassen, warum dieser Ausnahmefall jetzt gerade zuträfe und man deshalb die lebensnotwendige Behandlung beenden dürfe.

Eigentlich sollte es genügen, wenn man schreibt: „Ich möchte, dass in Lebensgefahr alles getan wird, um mein Leben zu retten.“ Doch die derzeitige Praxis zeigt, dass trotzdem bei allen möglichen notwendig werdenden Eingriffen gefragt wird, ob man das denn tatsächlich wolle. Oft wird dann sehr nachdrücklich von lebensnotwendigen Therapien abgeraten. Eine ausführliche Formulierung, dass man wirklich alles Lebensnotwendige möchte, ist deshalb sinnvoll.

Braucht es eine ausführliche Beratung?

Eine Beratung ist sicher sinnvoll. Eine notarielle Beglaubigung ist nicht notwendig, verleiht dem Lebenswunsch jedoch mehr Nachdruck. Für Menschen, die aufgrund einer Behinderung nicht mehr schreiben können, ist eine notarielle Beglaubigung die einzige Möglichkeit den Lebenswunsch rechtsverbindlich auszudrücken. Gerade für behinderte Menschen ist es umso wichtiger, ihren Lebenswunsch schriftlich auszudrücken, weil ihnen gern unterstellt wird, dass sie sowieso nur noch Leiden und der Tod für sie deshalb eine Erlösung sei.

Danke für das Interview

 

Buchempfehlung:

Vorsicht! Patientenverfügung

Taschenbuch Euro 8,90, ISBN: 978-3960143970

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Ruth
    Antworten
    Um meinen Widerspruch zum Artikel deutlich zu machen, dann ist es am anschaulichsten, wenn ich aus Angehörigensicht argumentiere!

    Eine unzweifelhaft, tödliche Krebserkrankung – zu weit fortgeschritten – eine vorliegende Patientenverfügung/Vorsorgevollmacht, dennoch unsagbares Leid und Operationen, die der Universitätsklinik einen immensen Gewinn bescherte, ca. 400 Tausend € für zwei große Operationen, die anderen Kosten sind darin noch nicht enthalten!

    So erlebt und erlitten!

    Die gesamte Qual dauerte sechs Wochen! Humanität und Menschenwürde, Mitgefühl keine Spur! Mein Mann wurde – weil Privatpatient – ausgebeutet für Profit und Eigenprofilierung  der Professoren!

    So sehe ich es heute! Zum Zeitpunkt der Erkrankung hofften und glaubten wir!

    Liegt keine Patientenverfügung vor, dann bist du bei einer lukrativen Erkrankung dem Profitdruck der Krankenhausträger noch stärker ausgeliefert und so wirst du gewinnbringend  behandelt!

    Gewinnmaximierung, das ist ihre oberste Maxime – die „Ware Mensch”, zynisch und unerträglich!

    Ich empfehle eine notariell beglaubigte, dezidierte Patientenverfügung/mit Vorsorgevollmacht!

     

     

    • Willi
      Antworten
      Leider sind die armen Reichen und Zusatzversicherten – wenn sie ihren Willen nicht rechtzeitig kundgetan haben und ihn nicht in eine überzeugende Patientenverfügung formuliert haben – besonders gefährdet erdulden zu müssen wozu Medizin imstande ist.
  • Volker
    Antworten
    Aber arbeiten sollen Menschen, solange sie verwertbar sind, bis zum Umfallen. Dann lässt man sie liegen und fragt, ob sie noch leben wollen.
  • Willi
    Antworten
    Danke für das Interview, das doch eine Blickweise eröffnet, die dem gelebten Alltag – wie ihn Ruth leider erfahren musste, und deshalb so treffend beschreiben kann – völlig konträr gegenübersteht.

    Der Kollege geht davon aus oder unterstellt Spitalsärzten gar, dass im Sie der Ökonomie lieber sterben lassen oder sogar deren Leben verkürzen wollten, als teuere Medizintechnik und teuere Medikamente einzusetzen. Genau so gut lässt sich aber beweisen, dass Ärzte wie auch Angehörige Angst davor haben, den Patientenwillen im Sinne der Patientenverfügung zu befolgen, weil sie sich dann möglicherweise wegen unterlassener Hilfeleistung vor dem Strafrichter verantworten müssen. Es ist der junge “ambitionierte” Kollege, der den Behandler anzeigen möchte, um sein eigens Werken in ein besseres Licht zu rücken.

    Hochwirksame, teuere Medikamente, welche für die alljährlich wachsenden Medikamentenkosten verantwortlich sind, werden ausschließlich in Kliniken verabreicht und untersucht.

    Trotzdem halte ich es für gut und richtig, dass Hr. Kollege Skambraks seine – übrigens in völligem Gegensatz zur Meinung von Prof. Borasio und Dr. M. Thöns stehende – Meinung publiziert.

    Der uneingeschränkte (Über)Lebenswille eines jungen, rüstigen mitten im Leben stehenden Arztes ist nicht zu vergleichen und schon gar nicht gleich zu stellen mit Wünschen eines alten, chronisch Kranken, hilfsbedürftigen älteren oder alten Menschen mit einer langen Biographie und seiner individuellen Perspektive.

    Deshalb ist die Patientenverfügung neu zu denken: Sie ist nicht als ein starres Dokument zu sehen, das einst errichtet wurde und im Bedarfsfall – womöglich erst Jahrzehnte später – eine eindeutige Wirkung entfalten kann.

    Die Patientenverfügung ist ein dynamisches Instrument, das den Verfügenden durch einen Entwicklungsprozess begleitet. Am Beginn steht ein Text, wie er von unterschiedlichen Verfassern propagiert wird. Durch regelmäßiges, alljährliches Überprüfen, Aktualisieren und Erneuern des Inhaltes wird der ursprünglich Text zum tatsächlichen und gut durchdachten Willen des immer noch gesunden Verfügenden. Diesen Meinungs- und Willensbildungsprozess bespricht er im Rahmen des jährlichen Erneuerns des Textes mit seinen Angehörigen und mit seiner Umwelt (Ärzte, Pflegepersonen).

    Mit diesem Instrument, das im gesetzlichen Korsette des Patientenverfügungsgesetzes den gewachsenen Patientenwillen dokumentiert, lernt der Verfügende sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben, indem er als Patient selbst umsetzen kann, was er im Falle der eigenen Entscheidungsunfähigkeit mittel Patientenverfügung von anderen verlangt zu tun.

    Indem ein vernünftiger Mensch mit offenen Augen durch das Leben geht und sich über die heutigen Bildungsmöglichkeiten im Internet mit dem Thema des eigenen Alterns und Altsein beschäftigt, wird er und werden seine Angehörigen gegenüber jedem paternalistischen Verhalten von Ärzten bestehen können.

    In einer aufgeschlossenen Welt, wie wir sie heute erleben, kommt die Verantwortung des Einzelnen mehr denn je zum Tragen, weil das Selbstbestimmungsrecht auch die Pflicht zur Selbstbestimmung impliziert. Wer nicht verfügt, bestimmt trotzdem – nämlich, dass andere für ihn oder über ihn werden entscheiden müssen.

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