«Fußball ist Krieg»
„Eine enthumanisierte Sprache ist das erste Indiz für eine enthumanisierte Gesellschaft.“ Speziell in Fußballzeiten wird verbal massiv aufgerüstet, wenn „Strategie“, „Kampf“, „Sieg“ und eiserner Durchhaltewille beschworen werden. Indem Sportler zudem zu Vertretern einer ganzen Nation stilisiert werden, deren Schicksal auf dem (Schlacht-)Feld zur Entscheidung ansteht, wird ein eigentlich harmloses Spiel zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen. Aber in anderer Hinsicht geben sich unsere Zeitgenossen, speziell Männer, derzeit martialisch. Stehen Zeiten bevor, in denen Krieg – wie vor dem Ersten Weltkrieg – als „reinigendes Gewitter“ angesichts einer dekadenten, verzärtelnden Friedensepoche herbeigesehnt werden? (Götz Eisenberg)
Es ist beängstigend, wie die öffentlich gesprochene Sprache verwildert und sich militarisiert. Am Dienstag in der ZDF-Talkshow „Lanz“ kritisierte Waldemar Hartmann die deutsche Fußballnationalmannschaft und einzelne ihrer Akteure. Diese Kritik ist wohlbegründet und nötig. Es fehle an Kampfgeist und Einsatzbereitschaft. Die Mannschaft sei lahm und ohne Enthusiasmus.
Dann aber kommt es knüppeldick: “Wie willst du mit so einem Mann den Krieg gewinnen”, fragte der 70-jährige und wohlbeleibte Waldemar Hartmann in Bezug auf Stürmer Mario Gomez. Es sei endlich Zeit, “die Wohlfühloase zu beenden und etwas mehr an den Krieg zu denken.„ Als es im Publikum ein paar ungläubige Lacher gab, setzte Hartmann nach und wiederholte: „Fußball ist Krieg”. Als der neben ihm sitzende Sportkommentator Patrick Wasserzieher vorsichtig zu widersprechen wagte, wurde er vom Altmeister der Sportreporter-Zunft zurechtgewiesen. „Leg das nicht auf die Goldwaage, du weißt, wie das gemeint ist.“
Hartmann genießt offenbar eine Art von Narrenfreiheit und kann sagen, was er will. Niemand in der Runde hakte nach und verbat sich diese Metapher. So war der Weg frei für Sami Khedira. Der Vize-Kapitän der deutschen Nationalmannschaft sagte zwei Tage vor dem Spiel gegen Schweden: „Das hat Deutschland immer stark gemacht, die Mentalität von elf Kriegern. Die müssen wir wieder reinbekommen.“
Es ist offenbar immer noch so, dass deutsche Männer, wenn sie an Begeisterung und Kampfgeist denken, sich das nur als Krieg vorstellen können. Gerade in Bezug auf Russland ruft eine solche Metaphorik üble Assoziationen und Erinnerungen wach. Es gibt kaum eine russische Familie, die nicht Tote zu beklagen hat, die auf das Konto von Deutschland ausgehender kriegerischer Invasionen gehen.
Durch solch scheinbar harmloses Talkshow-Geplauder wird der Krieg salonfähig gemacht. Unmenschlichkeit kündigt sich in der Sprache an. Eine enthumanisierte Sprache ist das erste Indiz für eine enthumanisierte Gesellschaft. Bevor der Krieg auf den Schlachtfeldern losbricht, beginnt er in der Sprache und fällt in die Köpfe und Seelen der Menschen ein. Irgendwann erhoffen diese sich von ihm eine „Reinigung der Atmosphäre“ und eine „Wiedergeburt als Nation und Gemeinschaft“. Der Krieg als „Willenstherapie“ und Gegengift gegen ein um sich greifendes Gefühl der Sinnlosigkeit.
Der „lange, satte und faule Friede“ hat die alten deutschen Tugenden und Werte zurückgedrängt, die Welt ist aus den Fugen, Deutschland ist nicht mehr deutsch, eine Sehnsucht nach Klärung erfasst das Volk: So oder so ähnlich hörte und las man es in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Im Zuge der Umwälzungen, die in der Zeit nach 1870 in Deutschland stattfanden, ist von Westen her die „undeutsche Sumpfpflanze der Zivilisation“ eingedrungen und hat die deutsche Kultur überwuchert. Die Folge ist, dass Gleichklang und Harmonie verschwunden sind und Spannungen den Sozialkörper durchziehen.
Der Krieg sollte das gestörte Gleichgewicht wiederherstellen und wie ein Stahlgewitter die Atmosphäre reinigen. Man braucht nur ein paar Begriffe austauschen und durch aktuelle ersetzen, und schon hat man die Rede der Rechtspopulisten und des „kleinen Mannes“ von heute. Es gibt in diesem Feld nichts Harmloses, und wer immer sich Wissen und Gewissen bewahrt hat, muss Alarm schlagen, wenn solche Reden öffentlich geschwungen werden.
Ich kann mich nicht dagegen wehren, in all diesen bärtigen jungen Männern, von denen es neuerdings nur so wimmelt, potenzielle Krieger zu sehen. Das Straßenbild in den Städten wird bestimmt von brutal wirkenden Jungmännern, die aussehen, als würden sie gleich in den Krieg ziehen wollen oder sich schon in einem befinden. Stefan Zweig hat in seinem autobiographischen Roman „Die Welt von gestern“ beschrieben, wie in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg junge Männer sich einen Bart stehen ließen, um entschlossen zu wirken, wild und bereit zum Kampf.
Bärte sind ein Attribut der Männlichkeit, das eine Weile beinahe ganz verschwunden war. In den 1960er und 70er Jahren wollten die Männer den Frauen nahe sein, und das zeigte sich auch optisch. Sie ließen sich die Haare lang wachsen lassen und trugen weite Hosen, die beinahe aussahen wie Kleider. Oder wie die weiten Hosen, die die Frauen damals anhatten. Die Bart-Mode von heute ist eine Kampfansage der Männer an die emanzipierte Frauenwelt. Sie dokumentiert ein Zurück zum männlichsten Männerbild, zu dem, was Männer und Frauen voneinander trennt.
Aus Anlass des „German Barber Awards“ in Nürnberg wurde der Barbier Windar-Abbas aus Aachen von der Süddeutschen Zeitung interviewt. Auf die Frage: Braucht ein richtiger Mann einen richtigen Bart? antwortete er: „Also, ich sag mal so: Ich bin Bartträger durch und durch und habe mich nicht mehr rasiert, seit ich 18 bin. Der Bart lässt einen auf den ersten Blick böser wirken, härter und männlicher.“
Kann man es deutlicher sagen, um was es geht? Die massive Wiederkehr der Bärte hat etwas Aggressives und könnte – sensu Stefan Zweig – etwas Ungutes und Gefahrvolles signalisieren. Eine Kultur, die das Männliche stark betont und demonstrativ hervorhebt, ist immer eine Kultur des Hasses und der Gewalt. Es liegt etwas in der Luft. Die Häufung von Kriegsmetaphern in der öffentlichen Rede unterstreicht das.
Es ist jedenfalls ein kulturgeschichtlich interessantes Phänomen, dass Männer sich zu bestimmten Zeiten verstärkt und massenhaft Bärte wachsen lassen. Es verweist auf eine Verunsicherung in der Männlichkeit, wenn sie dieses Alleinstellungsmerkmal so stark betonen, den Unterschied der Geschlechter äußerlich sichtbar machen müssen, der offenbar ansonsten eher verschwimmt. Möglicherweise sind Bärte ein Versuch, sich seiner angeschlagenen Männlichkeit zu vergewissern. Man sieht kaltblütig, wild und gefährlich aus, oder glaubt es doch zumindest.
Warum rennen Männer Tag für Tag ins Fitness-Studio und pumpen ihre Muskeln auf, die eigentlich gar nicht mehr gebraucht werden? Vor allem in Großstädten, in denen archaische männliche Eigenschaften ja nur noch gebraucht werden, wenn man beim Umzug helfen oder ein Motorrad auf einen Anhänger befördert werden muss. Männlichkeit ist allgemein auf dem Rückzug, traditionell für männlich gehaltene Eigenschaften sind in der Arbeitssphäre weitgehend überflüssig geworden. Beinahe alle heutigen Tätigkeiten können ebenso gut, wenn nicht sogar besser, von Frauen ausgeübt werden. Neun von den zehn besten Abiturienten eines Jahrgangs sind junge Frauen, über die Hälfte der Studierenden sind Frauen. Da soll den Männern nicht die Muffe gehen und die Unsicherheit grassieren? Angeschlagene, gekränkte Männer sind gefährlich und neigen dazu, ihre Kränkung durch Aggressivität abzuwehren.
Vor Jahren bin ich in der FAZ auf einen Bericht über einen russischen Autor gestoßen, der sich DJ Stalingrad nennt. Er erinnert in einer uns befremdenden Weise an die Funktion des Krieges als eine Form des gesellschaftlichen Aderlasses, der dazu dient, „schlechtes Blut“ aus dem Gesellschaftskörper abfließen zu lassen und ihn so zu reinigen. DJ Stalingrad lebt irgendwo und nirgends, niemand kennt sein Gesicht und seinen Aufenthaltsort. Er repräsentiert, so hieß es in dem Bericht, das Milieu radikaler Anarchisten oder anarchoider Faschisten, die sich gegen die aktuellen russischen Machthaber und die Miliz militant zur Wehr setzen.
Ich dachte bei der Lektüre mitunter, dass wir es mit einem Wiedergänger Ernst Jüngers zu tun haben. Ähnliche Sätze und Schilderungen finden sich auch in Jüngers Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“. „Wir sind geboren für den Krieg, dafür, in geschlossenen Reihen in die Schlacht zu ziehen, in den Kugelhagel, ins Minenfeld. In der menschlichen Gesellschaft sind immer überflüssige männliche Individuen aussortiert worden. Sie würden schlechte Ehemänner, Väter, Arbeiter oder Chefs abgeben. Sie haben einen Hang zur Zerstörung. Kluge Mechanismen der gesellschaftlichen Selbstregulierung sondern diese Individuen schon früh aus und entwickeln ihr einziges nützliches Talent, das darin liegt, Schmerzen zuzufügen und zu ertragen, um sie, wenn sie ‚fertig‘ sind, ihrem vorbestimmten Zweck zuzuführen, dem Krieg.
Im Verlauf der gesamten Menschheitsgeschichte ließ die Gesellschaft sich in regelmäßigen Zeitabständen zur Ader, um das überschüssige männliche Blut aus ihrem Organismus zu entfernen. Ein sehr weiser Mechanismus. Wenn die Gesellschaft auf Kriege verzichtet, füllen sich bisher friedliche und glückliche Länder mit Horden von Verbrechern, Halsabschneidern und Wahnsinnigen, Abenteurern, Heiligen – das nicht vergossene männliche Blut beginnt zu gären, alles um sich herum zu vergiften. Die inneren Mechanismen der Gesellschaft werden wieder aktiv, finden einen Kompromiss – der Krieg verlagert sich ins Innere. Die einen überflüssigen Männer werden Polizisten, andere Verbrecher. Das hilft ein bisschen, das Blut fließt wieder, als dünnes Rinnsal. Obwohl tatsächlich weder die eine noch die andere Seite zufrieden ist, in Wirklichkeit wollen alle einen echten Krieg, wo mehr als dreißig, vielleicht aber auch alle hundert Prozent der Beteiligten sterben.“
Inzwischen, hieß es in dem Artkel weiter, sei DJ Stalingrad, der in Russland mit Haftbefehl gesucht werde, nach Westeuropa geflohen. Dort, habe er über ein Internet-Portal verlauten lassen, komme er sich vor wie im „kapitalistischen Auschwitz des Konsums“. „Bald gibt es Krieg“, verkündet er beinahe sehnsuchtsvoll – und liegt damit vielleicht gar nicht so falsch.
In Emmanuel Carréres Buch über den „Nationalbolschewik“ Eduard Limonow gibt es ähnliche Passagen, die ein Denken und Fühlen schildern, das unter jungen russischen Männern im Schwange ist: „Der Krieg ist dreckig, das stimmt, der Krieg ist sinnlos, aber verdammt! Das zivile Leben ist genauso sinnlos, weil es öde und vernünftig ist und die Instinkte in Schach hält. Die Wahrheit, die niemand zu sagen wagt, ist, dass der Krieg eine Lust ist, die größte Lust sogar, sonst würde man ihn sofort beenden. Wer einmal davon gekostet hat, will mehr, das ist wie beim Heroin.
Die Rede ist hier natürlich vom echten Krieg, nicht von ‚chirurgischen Schlägen‘ und anderen Schweinereien, die für Amerikaner gut sind, die bei anderen Polizei spielen wollen, ohne ihren wertvollen Streiter in ‚Bodenkämpfen‘ zu riskieren. Die Lust am Krieg, am wirklichen Krieg, ist dem Menschen so natürlich wie die Lust am Frieden; es ist idiotisch, ihn dessen beschneiden zu wollen, indem man immer wieder tugendhaft behauptet: Frieden ist gut und Krieg ist schlecht. In Wirklichkeit ist es wie Mann und Frau, wie Yin und Yang: Man braucht sie beide.“
Sage niemand: Das gibt’s nur in der ehemaligen Sowjetunion. Man müsste mal die Texte gewisser hiesiger Rapper und das alltägliche Männer-Gerede auf aggressive Hyper-Virilität und kriegerische Metaphern durchmustern. Der amerikanische Psychohistoriker Lloyd deMause hat detailliert beschrieben, was Metaphern und Bilder über das Unbewusste einer Epoche verraten. Sie sind ein Menetekel, ein Vorbote kommenden Unheils. Die Zeichen stehen an die Wand geschrieben, wer will, kann sie lesen und erkennen und sich gegen das drohende Unheil zur Wehr setzen.