Hermann Hesse: Das Denken, das wir leben

 In FEATURED, Filmtipp, Roland Rottenfußer

Stefan Ruzowitzky („Der Fälscher“) legte eine aufwändige Verfilmung des Romans „Narziß und Goldmund“ vor. Der Mittelalterroman wirkt wie eine weitgehend zeitlose Dramatisierung gedanklicher Konzepte. Die beiden Titelhelden verkörpern gleichsam das kontemplative und das aktive Leben. Dennoch sind Roman und Film spannend und lebensprall wie nur wenige andere. Die Fragen, die sie aufwerfen, bleiben aktuell in Zeiten, in denen das Ausleben egoistischer Impulse ebenso en vogue scheint wie der Rückzug in die Innerlichkeit. Besteht das Glück darin, ganz in dieses schmerzhaft-schöne Leben einzutauchen? Oder soll man sich lieber aus allem raushalten? Hesses Romanfiguren stellen die richtigen Fragen – und deuten eine plausible Antwort an.  Roland Rottenfußer

„Ich hab mich ein Leben lang hinter meinen Büchern versteckt“, sagt der junge Mönch. „Ist es nicht mutiger, hinaus zu gehen, Fehler zu machen?“ Wenn es um die Filmtauglichkeit geht, scheint ein mutiges, ein wechselhaftes und sogar fehlerbehaftetes Leben allemal besser als ein langweiliges, nur dem Studium und dem Gebet gewidmetes. Beide Extreme werden aber in Stefan Ruzowitzkys Hesse-Verfilmung „Narziß und Goldmund“ ausgelotet. Die Geschichte einer Freundschaft, die deshalb so spannungsreich wirkt, weil das ganze Spektrum des Menschlichen in den beiden Figuren wie in zwei extremen, archetypischen Polen dargestellt wird: Der Mönch und der Lebemann. Welcher der beiden Wege macht glücklicher?

Der Film „Narziss und Goldmund“, der in opulenten Bildern schwelgt und der Mode historischer Romanverfilmungen zu folgen scheint – obwohl die Romanvorlage Hermann Hesses bereits 1930 erschien – hätte im Grunde nie entstehen dürfen. Jedenfalls wenn man dem Votum des Dichters selbst folgt. Hesse verwahrte sich zu Lebzeiten strikt gegen jede Verfilmung eines seiner Romane. „Eine Dichtung, die rein mit den Mitteln der Dichtung arbeitet, rein mit der Sprache also, darf nach meiner Auffassung nicht als Stoff verwendet werden und von einer anderen Kunst mit deren Mitteln ausgebeutet werden. Das ist in jedem Falle Degradierung und Barbarei.“ Der Literatur-Nobelpreisträger sah aber schon damals voraus, dass bewegte Bilder einmal eine solche Macht über die Menschen gewinnen könnten, dass „kaum noch jemand imstande sein wird ein Buch zu lesen“.

Hesses Verfilmungsverbot

Im Fall Hesse wäre das in der Tat schade. Dem Dichter war die Beschäftigung mit spirituellen Fragen quasi in die Wiege gelegt. Er entstammt einer bürgerlichen Missionarsfamilie, die geistige Atmosphäre im Elternhaus war geprägt vom „schwäbischen Pietismus“. Fremdheitsgefühle und Tendenzen zur Rebellion zeigten sich bei dem aufgeweckten Knaben schon früh. Sein Trauma, gleichzeitig aber auch sein Erweckungserlebnis, datierte auf das Jahr 1992. Im Jahr zuvor hatte Hermann ein Studium im evangelisch-theologischen Seminar von Maulbronn begonnen. Er entfloh aus der repressiven Enge des Klosters, wurde wieder eingefangen und in diverse Internate „gesteckt“. Hesse durchlebte eine depressive Phase und beging im Mai des Jahres einen Selbstmordversuch. Der Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt schloss sich an.

Immer wieder wird in der Literatur auf die Namensähnlichkeit zu Mariabronn, dem Kloster in „Narziß und Goldmund“, hingewiesen. Der Autor beschreibt das Mönchsleben dort aber versöhnlich, als eine nicht nur negativ zu sehende Lebensoption. Der junge Hesse haderte mit seinen Eltern und beklagte die Scheinheiligkeit ihres Milieus. Er absolvierte eine Buchhändlerlehre, las viel klassische Literatur und strebte bald eine Laufbahn als Schriftsteller an – seit „Demian“ (1917) mit Erfolg. Prägend war für ihn auch der Widerstand gegen die Kriegsstimmung im Land während des Ersten Weltkriegs, was ihn von seinem Umfeld weitgehend isolierte. Seit 1919 hatte Hesse seinen Lebensmittelpunkt im Tessin (Schweiz) gefunden, wo er auch die Wirren des Zweiten Weltkriegs überstand – immer wieder überschattet von psychischen Abstürzen.

Geist oder Leben?

„Narziß und Goldmund“ spiegelt viel von diesem lebenslang erlittenen Spannungsfeld zwischen Geborgenheit und Aufbruch, intellektueller Einkehr und schweren Schicksalsschlägen wider. Die Titelhelden lernen einander im Kloster Maulbronn kennen und werden Freunde. Bald aber wird Goldmunds mangelnde Eignung für den „Mönchsberuf“ überdeutlich. Nach einer überraschenden erotischen Erfahrung mit einem Mädchen entflieht er aus dem Kloster und begibt sich auf eine mehrjährige ereignisreiche Wanderschaft. Goldmund hat verschiedene Liebschaften, muss immer wieder als ein Vertriebener weiterziehen, erlebt Schuld, Krieg und Pest, schwere persönliche Verluste. Schließlich erfährt er durch den unauslöschlichen Eindruck, den eine Madonnenstatue auf ihn macht, seine Berufung zum Künstler. Wieder zurückgekehrt nach Mariabronn, arbeitet er dort an seinen Werken und findet – wiedervereint mit dem Freund – zu einem relativen seelischen Frieden.

Hermann Hesse dramatisierte seine eigenen inneren Konflikte, indem er die verschiedenen Wesensanteile auf scheinbar voneinander verschiedene Romanfiguren projizierte. Das ist nicht neu in der Literatur, aber es macht Hesses Bücher so ungemein eingängig und prägend – speziell für junge Menschen, die erstmals in seine Werke eintauchen. Das wichtigste Gegensatzpaar für Hesse war jenes zwischen Geist und Leben. Immer wieder sind seine Figuren versucht, sich in einem Fluchtraum reiner Theorie zu verlieren, in einem Lebens aus zweiter Hand. „Mindfuck“ würde man heute sagen. Dann ereilt sie ein „Call to Adventure“, ein Ruf, das Abenteuer des wahren Lebens auf sich zu nehmen – meist auch verbunden mit dem Entdecken der Sinnlichkeit. Sie folgen diesem Impuls und kehren nach vollzogener „Heldenreise“ zurück zu ihrem Ausgangsort – jedoch menschlich gereift.

„Maya! Maya!“

Der Mönch „Siddharta“ in Hesses indischer Legende widmete sich nach Jahren der Askese der Kurtisane Kamala und dem Kaufmannsberuf. Harry Haller im „Steppenwolf“ ist ein zwar im Gedanken rebellischer, jedoch zutiefst bürgerlicher Bücherwurm, der gerade in dem Moment, als er Suizid begehen will, von seiner Seelengefährtin Hermine ins Leben zurückgeführt wird. Auch er frönt den erotischen Freuden mit Maria, bevor in die psychedelische Traumwelt des „magischen Theaters“ abtaucht. Auch Josef Knecht in Hesses letztem großen Roman „Das Glasperlenspiel“ wählt am Ende das wahre Leben. Das Glasperlenspiel – Symbol zweckfreier, lebensferner Gedankenspielerei – genügt ihm am Ende nicht mehr. Die Versuchung bei Hesses Romanfiguren besteht immer in der Verachtung der materiellen Realität aufgrund von spirituellem Hochmut. Daraus erwachsen psychische Störungen, deren Heilmittel nur das Leben selbst sein kann. Mehr als einmal variierte der Dichter das Thema, das er als junger Mann im „Demian“ gefunden hatte: „Nur ein Denken, das wir leben, hat einen Wert.“

Normalerweise stellen wir die vordergründige Realität und ihre überragende Bedeutung ja nicht in Frage. Welt-Skepis, ja Weltverachtung lernte Hesse – zumindest als Idee – durch seine Begegnung mit dem Hinduismus während einer längeren Indienreise 1911 kennen. Sie findet ihren Wiederhall in mehreren Werken. Im „Glasperlenspiel“ gibt es eine eingebettete Legende, „Indischer Lebenslauf“. Darin begegnet der Jüngling Dasa einem als Eremit im Wald lebenden Yogi und berichtet ihm von seinem bisherigen, von Liebeslust, Kämpfen und Leiden geprägten Leben. Der Yogi lächelt darauf, schüttelt den Kopf und sagt nur zwei Worte: „Maya! Maya!“ Hermann Hesse beschreibt die Maya im Folgenden: „Das Leben und aller Menschen Leben, alles war in dieses alten Yogin Augen Maya, war etwas wie eine Kinderei, ein Schauspiel, ein Theater, eine Einbildung, ein Nichts in bunter Haut, eine Seifenblase, war etwas, worüber man mit einem gewissen Entzücken lachen und was man zugleich verachten, keinesfalls aber ernst nehmen konnte.“

Die Kraft des Erlebenkönnens

Die Geschichte scheint vor der „Anhaftung“ an weltliche Dinge zu warnen und das eigene Leben eher aus einem distanzierten „Zeugenbewusstsein“ heraus zu betrachten. Dadurch werde übermäßiges Leid durch die Identifikation mit dem Drama vermieden. Dasas Lebensbeschreibung, so könnte man auch sagen, ist ein Film gewesen – sein Lebensfilm. Erst am Ende erkennt er dies. Erst im Erwachen weiß man, dass man geschlafen hat. Die Geschichte von Goldmund, der auszieht, um gerade jene Anhaftung, jenes Drama zu suchen, von der die indische Philosophie abrät, erzählt vom Eintauchen in die „Maya“-Welt. Wenn man so will, verkörpern beide Freunde auch den westlichen (Goldmund) und den östlichen Weg (Narziß). Beide Wege erscheinen aber – das ist das Besondere am Roman – als gleichwertig. Beide Antagonisten betrachten das Leben des jeweils anderen insofern auch mit liebevoller Toleranz. Zu ganzen Menschen werden wir nur durch die Entfaltung beider Charakteranlagen.

Man kann hier auch den traditionellen Gegensatz zwischen den aktiven (Goldmund) und dem kontemplativen Leben (Narziss) heranziehen. „Die Naturen von deiner Art, die mit den starken und zarten Sinnen, die Beseelten, die Träumer, Dichter, Liebenden, sind uns anderen, uns Geistmenschen, beinahe immer überlegen. Eure Herkunft ist eine mütterliche. Ihr lebet im Vollen, euch ist die Kraft der Liebe und des Erlebenkönnens gegeben. Wir Geistigen, obwohl wir euch andere häufig zu leiten und zu regieren scheinen, leben nicht im Vollen, wir leben in der Dürre. Euch gehört die Fülle des Lebens, euch der Saft der Früchte, euch der Garten der Liebe, das schöne Land der Kunst. Eure Heimat ist die Erde, unsere die Idee. Eure Gefahr ist das Ertrinken in der Sinnenwelt, unsere das Ersticken im luftleeren Raum. Du bist Künstler, ich bin Denker.“

Aktives und kontemplatives Leben

Das Wort Kontemplation – aus dem lateinischen contemplatio, Anschauen, Betrachten – meint zunächst das konzentrierte Betrachten oder Nachdenken über einen Gegenstand, das Sich-Vertiefen in ein Objekt, um darüber Erkenntnisse zu gewinnen. Die mittelalterliche, katholische Tradition war durch eine für heutige Menschen eher befremdlichen Bevorzugung des Kontemplativen gegenüber dem Aktiven geprägt. Heute dagegen scheint klar, dass die vita activa in einem weitaus höheren Ansehen steht. Der moderne Mensch ist ein Macher, der die Welt unterwirft und sie seinem Willen gemäß formt. Dabei agiert er aber nicht besonnen, sondern – gerade im Hinblick auf das Ökosystem und die eigene seelische Gesundheit – geradezu besinnungslos. Unsere Zeit braucht Kontemplation dringender – nicht weil diese im Spannungsfeld „aktiv/kontemplativ“ den größeren Wert besäße, sondern weil sie aufgrund eines ökonomisch dominierten Zeitgeists ins Hintertreffen geraten ist.

Die heutige Zeit also scheint nach „mehr Narziß“ zu verlangen, und vielleicht könnte der Reiz des neuen Films für unsere Zeit gerade darin bestehen, den „Mönch“ – also einen Menschen, der sein Leben der Gottsuche, dem Studium und der Selbstbesinnung geweiht hat – als ernsthafte Alternative zum Tatmenschen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Goldmund scheint ja eher der Typus zu sein, der für unsere Zeit symptomatisch ist. Der (auch) erotisch leichtfertige, ganz dem besinnungslosen Lebensvollzug hingegebene Weltmensch, der sich fahrlässig in Leid und Schuld verstrickt. Damals, zu Hesses Lebzeiten, war eine religiöse Lebenseinstellung häufiger, Promiskuität wohl nicht so leicht realisierbar wie heute. Es mag sein, dass der Goldmund-Impuls frühere Leser stärker fasziniert hatte. Und dass die Hesse-Renaissance in den 60er-Jahren gerade auch daran andocken konnte: am Ideal radikaler Selbstverwirklichung und Befreiung von Zwängen.

„Ohne Mutter kann man nicht sterben“

Wer den Roman so einseitig liest, verkennt aber, dass Hermann Hesse unbedingt den Kompromiss zwischen den „Welten“ gesucht hat. Die Synthese lag für ihn letztlich in Goldmunds Hinwendung zum Künstlertum. Der junge Mann findet ja am Ende zurück ins Kloster und zu seinem Freund und Mentor, findet Erfüllung als Schöpfer religiöser Kunstwerke. Hesse beschreibt es so:

„Die Kunst war eine Vereinigung von väterlicher und mütterlicher Welt, von Geist und Blut; sie konnte im Sinnlichsten beginnen und ins Abstrakteste führen, oder konnte in einer reinen Ideenwelt ihren Anfang nehmen und im blutigsten Fleische enden. All jene Kunstwerke, die wahrhaft erhaben und nicht nur gute Gauklerstückchen, sondern vom ewigen Geheimnis erfüllt waren, zum Beispiel jene Mutter Gottes des Meisters, alle jene echten und unzweifelhaften Künstlerwerke hatten dies gefährliche, lächelnde Doppelgesicht, dies Mann-Weibliche, dies beieinander von Triebhaftem und reiner Geistigkeit.“

Letztlich ist das Fazit des Goethe-Kenners Hesse auch in diesem Roman der faustischen Weisheit ähnlich: „Das ewig Weibliche zieht uns hinan“. Goldmund stirbt in Gegenwart seines Freundes mit diesen letzten Worten auf den Lippen: „Ohne Mutter kann man nicht lieben und ohne Mutter kann man nicht sterben.“

Anzeigen von 5 Kommentaren
  • Bettina
    Antworten
    Es gibt viele Facetten, die Hermann Hesse beschreiben. Narziss und Goldmund halte ich eins für seiner Bücher, die ihn am besten beschreiben, im eigenen Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst, zwischen Ratio und Intuition. Seine inneren Verbindungen mit dem Buddhismus (der Mensch als Teil des Ganzen, im Prozess des ewigen Wandels) liest sich aus vielen seiner Bücher. Fast ist es erstaunlich, dass er Indien nie bereist hat.

    Eine Dimension findet bei der Betrachtungsweise von Hermann Hesse selten Beachtung: sein gesellschaftlicher Rückzug und damit verbunden seine Trauer. Das, was ihn zum Meister der Literatur gemacht hat, seine eigenwillige, von allen Normen abgekehrte Seite, war gleichzeitig das, was ihn als einsamen Steppenwolf durchs Leben ziehen ließ.

    .

    Hermann Hesse –

    Kennst du das auch?

    https://youtu.be/aQ_2lreqfKk

     

    • Piranha
      Antworten
      Siddhartha Gautama wurde in Nepal geboren. Es wird gesagt, der Buddhismus sei in Indien entstanden. Allerdings ist mir kein indischer Buddha bekannt – aber ich könnte mich hier irren.

      In Indien gehören etwa Dreiviertel der EW dem Hinduismus an.

      Zum Buddhismus bekennen sich nicht einmal 1 %

      Davon abgesehen, hat sich Hesse 1911 zu einer Indienreise aufgemacht (Großeltern und Eltern waren Missionare in Indien), es wurde jedoch eher eine Indonesienreise.

      Im Übrigen war Hesse durchaus auch ein aktiver politischer Mensch, wobei er politische Ämter stets abgelehnt hat. Bekannt sind seine kriegskritischen Aufsätze zwischen 1914 und 1918. In Bern baute er eine Zentrale für die Kriegsgefangenenfürsorge auf. Und schon früh kritisierte er den Nationalsozialismus, politische Emigranten hat er bei sich aufgenommen, Notleidenden finanzielle Unterstützung gewährt …

       

      Du siehst, Bettina, Hermann Hesse hatte auch andere Seiten als die des Einsamen, in sich Gekehrten, eines Harry Hallers,  des Patienten in Luzern  Sein Roman „Demian“ zeugt davon.

       

      Viele Grüße und ein frohes neues Jahr,

      P.

      • Bettina
        Antworten
        Ja, du hast recht, Piranha, Hermann Hesse als  melancholischen, einsamen Steppenwolf zu reduzieren, damit tut man ihm nicht recht. Seine Ablehnung von Untertänigkeit gepaart mit einer feinsinnigen Prise an Ironie drückt er wundervoll aus in seinem Buch „Eigensinn macht Spaß“ , mein Lieblingsbuch von Hermann Hesse.
        .
        Hermann Hesse, ein Steppenwolf mit scharfsinnigem Blick, gepaart mit feinsinniger Ironie, der  den Militarismus und dem damit verbundenen Befehlsgehorsam zutiefst ablehnt, der sich dem Indien zugeneigt fühlte, das er aus Büchern und von den frühen Missionars Aufzeichnungen aus seinem Elternhaus im beschaulichen, „kleinbürgerlichen“ Calw kannte, der vielleicht sogar gerne in Indien gelebt hätte, wenn es denn in der Schweiz gelegen wäre..? 🙂
        Ich wünsche dir ein schönes Neues Jahr,
        Bettina
        .
        Hermann Hesse: Eigensinn macht Spaß
        https://youtu.be/-3VrMnoIQl4
  • heike
    Antworten
    Mir gefällt an Hermann Hesse sein feines, genaues Beschreiben, das ich nie als abgehoben empfunden habe und dem ich folgen konnte.

    Konstantin hat schon öfter erwähnt, dass der Verstand „angebunden“ sein muss – eine Anbindung an den Grund des Seins der jeweiligen Person. Jeder Mensch kann in sich eine bestimmte Tiefe ausloten. Was begrenzt diese Tiefe? Das kann ich nicht genau beschreiben, aber es gibt Grenzen. Aber innerhalb dieser Grenzen gibt es immer noch einen Spielraum, den man nutzen und entdecken kann.

    Menschen, die ins Kloster gehen oder meditieren, tun das auch, um eine Verankerung zu finden, die über die persönlich gegebene hinaus reicht. Man bindet sich an etwas Höheres (und Tieferes) an.

    Martin Walser habe ich erst mit seinem Buch „Statt etwas oder Der letzte Rank“ kennengelernt. Ich liebe dieses Buch, weil es ein sehr ehrliches Buch ist und der Autor ein Mensch ist, der genau empfinden kann und sich bemüht, seine Empfindungen so genau wie möglich auszudrücken. Originalität entsteht hier aus der Bemühung und dem Selbstanspruch heraus genau zu sein. Er liebt die Sprache und die Menschen – das spürt man.

    Hermann Hesse ist kein Zeitgenosse, aber seine Bücher sprechen uns in der heutigen Zeit noch an – die Dinge, die dort aufblühen, warten noch auf die Umsetzung. Es wäre schade, wenn es schon Geschichte ist. Wer keine Verankerung hat, der hat keine Heimat mehr. Vielen Menschen genügt die Heimat durch ihre Familie und Umgebung. Viele Menschen haben auch die Sehnsucht nach einer Anbindung, wie sie in den östlichen Religionen gelehrt werden: dort wächst der Mensch nicht, indem er sich sehr viel im Außen ausdrückt, sondern indem er sich seinem Inneren zuwendet, es erkundet und vertieft. Das bedarf der Anleitung durch Lehrer, da man sich sonst in einem Gewirr zahlloser Enflüsse und Ansichten verheddert. Jeder muss sein Leben um einen bestimmten Punkt herum einrichten. Dann kann man gesammelt (und fokussiert) bleiben.

     

     

     

  • heike
    Antworten
    Noch ein paar Aphorismen von einem Freund, mit dem ich Silvester 2000 verbrachte (damals hatte ich noch ein vollständiges, autenthisches Leben):

    „Es gibt das Leben nur solange, bis der Mensch es erforscht hat.“

    „Scharfe Worte können nur von geschliffenen Herzen kommen.“

    „Die Geschichte wird zum Barbar, wenn Barbaren sie schreiben,

    solange – bis Samariter lesen gelernt haben.“ (Das ist ja unsere Hoffnung für die Zukunft und der Sinn, den ich in HdS sehe: dass Menschen begreifen und fühlen lernen, dass sie die Macht haben, die Zukunft friedlich zu gestalten.)

    „Sei eins mit dir selbst, dann bist du anderen doppelt soviel wert.“

    „Jeder Kontakt zu den Menschen ist ein Spektrum der Freundschaft. Auch unsere Augen können nicht jede Farbe sehen.“

    Und noch zwei Gedichte:

    Es ist angerichtet

     

    Ein Sodom und Gomorra haben wir heute ja auch wieder,

    und genug Tränen für die nächste Sintflut.

    Götter haben wir ebenfalls en masse,

    und Teufel sind wieder einzigartig.

    In die Höhe baut man zwar keinen Turm mehr,

    aber Raketen steigen hoch genug.

    Gekreuzigt wird auch wieder, mit Reiss-Nägeln ans Brett,

    und Schlangen sind immer noch giftig.

    Die EG hat bald wieder ihre zwölf Jünger,

    und Kain – der Iwan, versucht es jetzt bei Abel – dem Yenkee.

    Adam ist jetzt eine Samenbank, Eva das Reagenzglas.

    Propheten stellen ihre Diagnose in der Industrie und Politik.

    Reanimierte sind die Auferstandenen,

    und der Auszug aus Ägypten ist ist heute der Anzug aus der

    Boutique.

    Bibeln haben wir auch wieder genug, weil – Paragraphen sind

    heilig,

    und die Offenbarung liest man heute im Börsenbericht:

     

    eigentlich alles da,

    die Bühne steht,

    die Kostüme passen,

    das Stück spielt,

    nur der Mensch hat vergessen, sich Augen in die Masken zu

    schneiden!

     

    Ich glaube, in den vergangenen 20 Jahren haben schon mehr Leute ihre Augen geöffnet.

     

    „Menschlichkeit ist Daseinspolitik –

    und nicht Sachzwangstrategie!“

     

    „Der Mensch ist weise, er hat verstanden,

    dass er die Natur braucht und nicht sie ihn.

    Leider kann die Natur aus Mangel an Erscheinung

    diesem Fest der Erkenntnis nicht mehr beiwohnen.“

     

    So, dann wünsche ich mal allen Aufgewachten ein großes Herz und Geduld dort, wo sich das Verstehen nicht sofort einstellt. Und mir selbst wünsche ich ein 2020 mit wieder Boden unter den Füßen. Der Welt wünsche ich Frieden und den Friedliebenden Hoffnung und keine neuen Leiden.

    Prosit Neujahr – Roland, Bettina, Alexander, Volker, Holdger und natürlich Konstantin und alle anderen!

     

     

     

     

     

     

     

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