In Bewegung geraten!
Prinz Chaos II. schreibt nach der Montagsmahnwache in Berlin am 28.4.2014
Meine kurze Rede am 28. April 2014, am Ende der Montagsmahnwache in Berlin, war nicht geplant und mit niemandem abgesprochen. Ich trage die Verantwortung dafür ganz und gar alleine. So spontan die Rede selbst war – und für meine Verhältnisse war sie auch nicht gerade eine inhaltliche und rhetorische Glanzleistung – so sehr stehe ich dazu, die von Jutta Ditfurth geforderte und von vielen Linken mitvollzogene Blockadelinie gegen die Montagsmahnwachen durchbrochen zu haben.
Dabei habe ich, wie man weiß, von Heiligendamm bis Dresden eine große taktische Affinität zu Blockaden. Aber diese spezielle Blockade kam mir von Tag zu Tag immer falscher vor.
You see: als Aktivist habe ich es immer als meine Aufgabe betrachtet, mit Leuten zu diskutieren, die nicht meiner Meinung sind. Das macht mir oft keinen Spaß, wenn ich etwa seit meinem Coming Out mit 16 Jahren immer wieder erklären darf, seit wann ich denn gewusst hätte, dass ich schwul bin, woran ich es gemerkt hätte oder gar ob Schwule mehr Hämorrhoiden hätten… Ich sehe die Aufklärung hierüber als wiederkehrenden Akt der Entwicklungshilfe an. Auch gegenüber Leuten mit rassistischen Ideen erlege ich mir Disziplin auf, halte ich mich an das gute Lenin-Wort: „Geduldig aufklären“ und setze mich argumentativ mit ihren Vorstellungen auseinander.
Sicher: mit Leuten, die Schwule oder Nicht-Biodeutsche oder Juden für minderwertig oder nicht existenzberechtigt halten, diskutiere ich nicht. Gegen die betreibe ich … Blockadepolitik, eine Politik der Ächtung: kein Fussbreit! – wobei ich zunehmend der Rassismusdefinition als „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zuneige.
Wieso habe ich dann bei der Mahnwache gesprochen? Nun, zunächst habe ich mit den dort anwesenden Menschen gesprochen.
Dieser Prozess begann auf Facebook und zog sich bereits vierzehn Tage hin, bevor ich mich entschloss, mir in Berlin selbst ein Bild zu machen – denn die Kluft zwischen der Zuschreibung einer „antisemitischen / kriegslüsternen / neurechten / homophoben“ Bewegung und den Eindrücken, die ich im Chat und den Kommentarspalten sammelte, war mir unerträglich geworden.
Diese meine Diskussionen waren der erste Verstoß gegen die verordnete, linke Blockadelinie. Diese nämlich beinhaltet auch, dass Diskussionen mit den Leuten auf den Mahnwachen reine Zeitverschwendung sind. Man stoße, so heisst es, zuverlässig auf verbohrte und verschwörungstheoretisch verblendete Menschen mit geschlossenem, neurechten Weltbild. So ähnlich begründete auch die Linkspartei ihre entsprechende Anweisung an alle Kreisverbände, sich auf keinerlei Diskussionen einzulassen.
Spätestens da regte sich offener Unmut, nicht nur bei mir. Zunächst erscheint mir diese Haltung als Kapitulationspolitik, die Menschen abschreibt und kampflos aufgibt. Aufgabe einer Linken, die sich ernst nimmt, wäre, selbstbewusst in die Debatte einzusteigen, eigene Argumente und Analysen zu liefern – und eine eigene Aktionsperspektive gegen den drohenden Krieg und die kollektive Kamikazefahrt der Menschheit im Vielzuspätkapitalismus zu entwickeln!
Neues aus der Hohlwelt
Stattdessen war die Strategie der Blockade von Anfang an verbunden mit einem Vorgehen, das ich nicht erst am Montag eine Dämonisierungskampagne genannt habe.
Sicherlich: im Umfeld der Montagsmahnwachen wird ein sensationell breites Spektrum der Kritik an bestehenden Verhältnissen und gängigen Auffassungen geäußert. Und es ist fraglos der Fall, dass in diesem Gebräu z.B. auch Versatzstücke antisemitischer und geschichtsrevisionistischer Diskurse mitschwimmen oder sehr altertümliche Vorstellungen von der Natürlichkeit traditionellen Familienlebens. Solche antisemitischen, nationalistischen und heteronormativen Anschauungen gilt es nachhaltig und konsequent zu bekämpfen. Selbstverständlich.
Ich selbst war es übrigens, der dies in einem Interview mit einem Professor der Anglo-Amerikanischen Geschichte am Beispiel der FED und der sie umgebenden, originär antisemitischen Geschichtsmythen exemplarisch getan hat.
Ich finde es auch bemerkenswert, wenn eine Friedensbewegung in einem Land, das immerhin drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist, sich an der US-amerikanischen Zentralbank abarbeitet, anstatt die Kriegstreiber und -gewinnler im eigenen Land ins Visier zu nehmen.
Allerdings kenne ich die Szene im Netz ein wenig, und ich denke, wir müssen einmal über den Topos „Verschwörungstheorien“ sprechen.
Ich gestehe es: vor einiger Zeit hatte ich an meinem Küchentisch (!!) jemanden sitzen, der daran glaubte, die Erde sei innendrin hohl, am Süd- und Nordpol gäbe es jeweils geheime Eingänge zu dieser Hohlwelt und da drinnen lebten Wesen, die die Menschheit beherrschten. Der Freund, der uns diese schockierenden Erkenntnisse auftischte, war wenige Tage zuvor polizeilich aus seiner Wohnung geräumt worden. Er hatte einen langen juristischen Kampf gegen die Hartz-IV-Bürokratie verloren – und sich selbst dabei in den Weiten des Internets.
Nun glaube ich ganz und gar nicht an eine hohle Welt. Eher glaube ich an hohle Hirne. Aber ich glaube vor allen Dingen an Menschen. Und ich gebe Menschen nicht einfach auf, nur weil sie verzweifelt sind und Blödsinn reden. Kurz, der Freund hat sich in den vergangenen Monaten ein wenig gefangen – auch, weil wir, bei allen Diskussionen über seine wirren Ideen, menschlich zu ihm gehalten haben. Seine Vorstellungen vom Aufbau der Welt nähern sich sukzessive wieder dem Stand der Physik an.
Dass so jemand an meinen Küchentisch gerät, ist freilich für sich genommen schon aussagekräftig. Es zeigt, wie sich das Allgemeinwissen in den Zeiten des Internets aufgeladen hat mit allerhand Vorstellungen, die dem offiziell anerkannten gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen. Und ist, von Absurditäten und rechten Hoarxes abgesehen, diese Suche nach alternativen Erklärungen nicht eine verständliche und grundsätzlich sehr zu begrüßende Reaktion vieler Menschen auf die Krise eines rettungslos im letzten Jahrtausend feststeckenden Common Sense? Und wie viele ursprünglich für paranoide Phantasmen gehaltene Behauptungen haben sich, Snowden sei Dank, inzwischen als Realität entpuppt?
Autobiographisches
Ich habe seit meiner Sozialisation als klassischer Marxist in den 90er Jahren drastische Veränderungen meines Lebens und Denkens hinter mich gebracht. Im Ergebnis bin ich kein Materialist mehr, so sehr ich den Marxismus weiterhin für eine essentielle Grundlage meines Denkens halte. Aber ich habe weitergelesen und Vieles in Frage gestellt, habe andere Denkrichtungen an mich herangelassen, meinen chaotischen Interessen frei folgend.
Ich bin eingetaucht in die Gegenkultur der Elektrohippies, der Techno- und Goaszene. Ich bin dabei antikapitalistischer Aktivist geblieben, war in Genua und Prag und kann sechs Sorten europäisches Tränengas am Geruch erkennen.
In Köln habe ich Anglo-Amerikanische Geschichte, Japanologie und Mittlere und Neue Geschichte studiert. Ich habe eine Therapie bei einem Schamanen absolviert, bin nach Indien gereist und habe in Japan gelebt. Seit 2008 lebe ich in einem Gemeinschaftsprojekt, in Südthüringen.
Wir sind kürzlich mit sämtlichen Stromzählern zu den Energiewerken Schönau gewechselt. Ich habe inzwischen mehrere Hundert Bäume gepflanzt, mich diesen März einer Heilfastenkur unterzogen, esse kaum noch Fleisch, habe Kaffee und Kuhmilch weitgehend abgeschafft und treibe Yoga.
Ich bin in all dem keineswegs so vorbildhaft, wie das jetzt vielleicht klingt. Im Gegenteil: ich bin sehr schwankend und erlebe immer wieder Rückfälle, die ich mir auch gestatte. Aber die konkreten Fragen nach dem anderen Leben, danach wie eine andere Praxis im Alltag aussehen und gestaltet werden kann, die Bereitschaft zum ernsthaften Experiment und zur radikalen Veränderung des eigenen Alltags – all das beschäftigt mich intensiv.
Über den Umgang mit Menschen
Diese Fragen beschäftigen auch die Menschen auf den Mahnwachen. Und es stört mich, wie diese Beschäftigung von vielen Traditionslinken bestenfalls als „Obskurantismus“ belächelt, mitunter pauschal als „Rechtsesoterik“ diffamiert, jedenfalls in keiner Weise als Suchbewegung hin zu einer würdigeren und nachhaltig wirtschaftenden Welt anerkannt wird.
Allgemein stört es mich, wenn mit Menschen unfair umgegangen wird. Ich war Mobbingopfer und Mobbingtäter in meinem Leben. Ich möchte beides nicht mehr sein.
Ich finde es von daher seltsam, wenn die Denunziation Ken Jebsens durch Henryk M. Broder mit einem Mal von allen, die Broders Methoden sonst strikt ablehnen, unhinterfragt als Faktum angenommen wird. Oder wenn Jutta Ditfurth anfänglich sagte, Ken Jebsen sei „homophob“, was er meines Erachtens nachweislich nicht ist.
Ich finde fürchterlich, wenn Ken Jebsen die Politik Israels konsequent mit Nazivokabeln beschreibt – oder dass Ken Jebsen es vor zwei Tagen erneut für nötig hielt, Jutta Ditfurth über mehrere Absätze hinweg mit ätzender Polemik zu attackieren. Eine erneut widerliche Diskursstrategie ist es, dass er eine verdiente Antifaschistin dabei fortgesetzt mit Joseph Goebbels vergleicht. Man muss sich in der Tat fragen, ob Ken Jebsen die Truppen, die Jutta mit tausenden Drohmails, Telefonterror und Hackangriffen beharken, für seine Bündnispartner hält, wenn er sie auch jetzt immer noch weiter aufstachelt. Ich jedenfalls stelle hiermit fest, dass ich Jutta Ditfurth – so sehr ich ihr Vorgehen der vergangenen Wochen kritisiere und sie das meine als Verrat empfinden mag – unverändert als meine Genossin betrachte.
(Meine Meinungsbildung über Ken Jebsen ist noch nicht abgeschlossen und verlangt einen eigenen, ausführlich Text.)
Ich musste auch zur Kenntnis nehmen, dass auf Seiten der Mahnwachen eine ganz ähnliche Wahrnehmung besteht: man werde pausenlos diffamiert, mit Shitstorm über Shitstorm überzogen, die Foren von Trolls überrannt, mit Provokationen und Beleidigungen vollgespammt … dazu kam, dass die Einschätzung Jutta Ditfurths von einer „neurechten“ Bewegung nicht nur quer durch die Linke, sondern auch von weiten Teilen der Presse unbesehen übernommen wurde.
Nun kenne ich die Medien gut genug, und einer schreibt halt vom anderen ab. Aber nach dem x-ten Artikel, in dem die Beweisaufnahme über den vermeintlich faschistoiden Geist dieses oder jenes Akteurs mit dem immerselben Zitat abgeschlossen wurde, während andere Äußerungen, die ganz anders klangen, nie durchkamen … da stellte sich bei mir zunehmend das Gefühl ein, dass hier zumindest einigen Leuten Unrecht getan wird.
Anderen, etwa Jürgen Elsässer, wird nun keineswegs Unrecht getan. Im Gegenteil: sie kommen innerhalb der Bewegung eindeutig viel zu gut weg und mit einer Strategie durch, die mit dem klassischen Wolf im Schafspelz gut beschrieben ist. Ich habe mich hierzu bereits wiederholt geäußert, werde es auch weiterhin tun – aber sieht man denn nicht, dass eine pauschale Dämonisierung derer, die aus Angst vor Krieg und voller Sehnsucht nach einer anderen Welt Montags auf die Straße rennen, genau dieser Strategie perfekt in die Hände spielt? Noch dazu, wenn die Linke als Ganzes einseitig die Diskussion, ja, jeglichen Kontakt mit diesen Leuten verweigert?
Kurzum, ich fuhr nach Berlin, um mir ein eigenes Bild zu verschaffen.
My own private Untersuchungskommission
Dort bildete ich gewissermaßen eine kleine Untersuchungskommission, zusammen mit meinem alten Genossen Pedram Shahyar. Wir trafen uns oder telefonierten zunächst mit so ziemlich allem, was wir an Kadern der radikalen Linken kannten. Das Ergebnis: während die Linke als Bewegung und Szene ihre Beurteilung der Bewegung nach außen hin längst vorgenommen, auf- und festgeschrieben hatte, herrschte bei den zentralen Akteuren offenherzigste Unsicherheit und weitestgehende Unkenntnis vor, womit man es da nun eigentlich zu tun habe. Alle hatten darüber gelesen. Nicht einer war selber dort gewesen. Alles in allem ein in seiner mangelnden Ernsthaftigkeit gegenüber einer Bewegung erstaunlicher Vorgang für … Bewegungslinke!
Wir trafen uns auch mit Akteuren der Mahnwachen. Hier stießen wir in der Tat auf Geldkritiker, ohne jedoch den vermeintlich dazugehörigen Antisemitismus vorzufinden. Florian Hauschild bezieht sich eher auf den Anarchisten David Graeber. Er ist durch die zapatistische EZLN sozialisiert worden und hinterließ als Anarchist und guter Mensch einen recht überzeugenden Eindruck bei uns.
Wir lernten Lars Mährholz kennen. Ein lieber Mensch, Hippie, mit einer sensationellen Stille ausgestattet – der auf seiner Suche nach neuem Wissen derzeit so ziemlich alles für denkbar und möglich hält, auch für gewisse Hoarxes offen ist, aber immerhin vor allem weiß, dass er nichts weiß. Diese Einstellung ist ehrlich und mir ausgesprochen sympathisch.
Wir brachten unsere Vorbehalte deutlich zum Ausdruck. Die Äußerung etwa, die FED sei für alle Kriege der letzten 100 Jahre verantwortlich, ist zweifelsfrei ungeheuerlicher und gerade in Deutschland unerträglicher Bullshit. Wir stellten auch klar, was ein noch so weichgespülter Jürgen Elsässer bei schwulen Aktivisten und Leuten aus der iranischen Opposition auslöst und dass eine Kooperation mit ihm und seinesgleichen für uns nicht in Frage kommt.
Wir bekamen das Angebot, jeweils eine halbe Stunde auf der kommenden Mahnwache zu sprechen. Eine ganze Stunde freie Redezeit für zwei altgediente linke Kader? Wir lehnten nach einem Tag Bedenken ab. Wir hatten nicht vor, unsere Experimentanordnung durch eigenes Eingreifen zu verfälschen. Wir wollten zunächst sehen, ob die vehemente Kritik von links einen Prozess der Selbstreinigung auslösen würde, und stellten unsere Beteiligung für die kommende Woche in Aussicht.
Zugleich drängten wir uns bekannte Genossen diverser Organisationen und linker Richtungen, sich ebenfalls ein Bild zu machen.
I do like Mondays
Tatsächlich waren linke Kader gut vertreten, am 28. April vor dem Brandenburger Tor. Vertreten waren dort durchaus auch einige Leute, die ich für organisierte Nazis halte. Die Grundstimmung auf dem Platz aber war alles andere als rechts, rassistisch oder homophob. Vielmehr war das genau die Sorte Leute, mit denen ich privat in Berlin abhänge: ein ausgesprochen alternatives, sehr angenehmes Völkchen.
Die anwesenden Nazis waren auch bald erkennbar gelangweilt und genervt von dieser peacigen, woodstockhaften Stimmung. Auf der anderen Seite des Brandenburger Tores hielten die berühmten „Reichsbürger“ eine eigene Kundgebung ab. Lars Mährholz stellte umgehend klar, dass man mit denen nichts zu tun habe und auch nicht haben wolle – und wer bei den immerhin zehn Redebeiträgen dieses Tages etwas anderes gehört haben will als echte Sorge um den Frieden und die ehrliche Suche nach einem neuen, solidarischen Zusammenleben, der muss schon mit einer gehörigen Bösartigkeit ausgestattet sein. Den stärksten Applaus des Tages bekam übrigens ein linker Veganer, als er zur Solidarität mit den Flüchtlingen aufrief, die seit Monaten den Oranienplatz in Kreuzberg besetzt halten.
Aluhut für Ken? Ich sitze in einer Gruppe von Leuten, als ein Flugzeug über uns einen Kondensstreifen in den sommerlichen Himmel malt. „Achtung, Chemtrail!“ ruft einer – alle kichern und lachen los! Zwei Stunden später sind aus meiner Sicht nicht alle Zweifel beseitigt. Denn meine Zweifel sind mir heilig. Aber wenn ich an andere, anerkannt linke Demos und Bewegungen denke: was hatten wir dort nicht für Spinner herumlaufen, was wurde da nicht mitunter für reaktionärer Dreck verzapft – von der virulenten Homophobie, mit der ich mich in linken Organisationen herumgeschlagen habe, ganz zu schweigen!
Und wie viel Vorsicht war zu jeder Zeit geboten, die Ansprüche und Dauermanöver selbsternannter Bewegungsführer nicht außer Kontrolle geraten zu lassen! Diese Vorsicht ist auch hier geboten. Die spezielle Massenbeherrschung Ken Jebsens hat zum Beispiel etwas durchaus Bedenkliches an sich, wie ich vor Tagen in meinem Gedicht „Ken Jebsen und die Macht“ schrieb.
Habe ich nun etwa neuerdings kein Problem mehr damit oder die Bereitschaft dazu entwickelt, mit Antisemiten, Homophoben und Nationalisten eine Querfront zu bilden, wie mir mitunter vorgeworfen wird? Come on!! Ich werde diese Strömungen weiter bekämpfen, wie ich es immer getan habe, und hätte ich den Eindruck gehabt, es mit Antisemiten, Homophoben und Nationalisten zu tun zu haben, hätte ich entsprechend reagiert: ich hätte umgehend zum unversöhnlichen Kampf gegen sie aufgerufen!
Aber diese knapp Tausend Leute hier, auf dem Platz des 18. März, zu einer neurechten Masse und zum kollektiven Feind zu erklären, erschien mir völlig abwegig. Ich mochte diese Leute! Sie sind in ihrer übergroßen Mehrheit alles das ganz sicherlich nicht, was ihnen zugeschrieben wird. Dazu finde ich ihren Impuls, jetzt auf die Strasse zu gehen, die Veränderung nicht nur zu fordern, sondern selber zu sein, unendlich richtig. Und trotz FED-Fetischismus und einem noch zu brechenden Einfluss reaktionärer Ideologen sind sie mir viel überzeugender, als eine pseudolinke Haltung, die „Pfui“ ruft und wild gestikulierend in der Ecke stehen bleibt, anstatt sich ins Getümmel zu begeben oder eigene Aktionen gegen den Krieg zu organisieren.
Als die Mahnwache schon fast vorbei war, fasste ich mir ein Herz. Einem spontanen Impuls folgend und ohne es mit irgendwem, Pedram eingeschlossen, abzusprechen, bat ich Lars Mährholz ums Mikrophon. Ich stieg auf die Bühne – und war mir bewusst, dass sich meine Position im politischen Koordinatensystem mit diesem Moment radikal verändern würde.
Schön, das ist mir zuvor schon passiert in einem bewegten Leben im Sturmherz der Revolte. Aber es gibt einen eklatanten Unterschied: wie auch immer man nämlich zu den Montagsmahnwachen steht, wie man sich dazu zu positionieren gedenkt und was man von meiner Einschätzung und meinem Vorgehen am Montag hält: das Koordinatensystem selbst scheint dieses Mal in Bewegung zu geraten. Wir täten allesamt gut daran, uns darauf einzustellen.