In seinem Gedichtband „Ruhmesblätter mit Linsengericht“ beschreibt Holdger Platta eine Kindheit in der Nachkriegszeit – eine Atmosphäre der Verdrängung und latenten Gewaltdrohung. Versteinerte Väter. Mütter, die grimmig und wie erloschen in ihren stickigen Küchen werkelten. Beide über einem verborgenen Grauen brütend, von dem sie nicht zu reden vermochten und das Kinder, die in einem solchen Dunst aufwuchsen mit einer Schwere beluden, die im Kern nicht ihre eigene war. Gewalterfahrung schwelte da im Hintergrund, die sich jederzeit an Unschuldigen entladen konnte. Es ist die Atmosphäre, in der viele der heute Älteren aufwuchsen, manche von ihnen auch in prekären Verhältnissen, aus welchen nur eine blühende Fantasie die psychisch lebensnotwendige Flucht ermöglichen konnte. Die Kriegskinderliteratur hat Schlaglichter auf nur scheinbar der Vergangenheit angehörende kollektive Traumata geworfen. Die Spuren hiervon finden sich auch in den Seelen der scheinbar unbeteiligten Jüngeren. Der Lyriker Holdger Platta hat jetzt einen Gedichtband veröffentlicht, der die literarischen Früchte von fast 40 Jahren Arbeit umfasst. Und dies in einer Zeit, in der Lyrik vom Verlagswesen großenteils totgeschwiegen wird – zum Schaden nicht nur der Autoren, sondern definitiv auch der interessierten Öffentlichkeit, für die eine über Jahrhunderte gepflegte, wertvolle Kunstform nun quasi verschwunden ist. Ist Plattas Werk nun späte „Trümmerliteratur“ – wie man die Werke von Schriftstellern wie Borchert, Böll, Lenz oder Andersch bezeichnet hat? Wenn ja, dann in der positiven Bedeutung des Wortes: als ehrliches Bemühen um Aufarbeitung, sprachlich getragen von einem unprätentiösen Realismus, dem es jedochnicht an stilistischer Raffinesse mangelt. Alles an diesen Gedichten erscheint doppelbödig, kein Wort ist zufällig gesetzt. Und an Relevanz für die Jetztzeit fehlt es keineswegs. Wir dürfen diesen Nachkriegs-Gedichtzyklus durchaus als Warnung in Richtung unserer Vorkriegsgesellschaft verstehen. Roland Rottenfußer (mehr …)