Okkultismus-Sensationen als Stimmenfang (Teil 5)

 In Holdger Platta
Autor Holdger Platta

Autor Holdger Platta

Mit dem heutigen Beitrag beenden wir zunächst einmal unsere Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Okkultismus-Glauben. Holdger Platta bilanziert die vorausgegangenen Zwischenergebnisse und formuliert einige Thesen zum wirksamen Umgang mit der Okkultismus-Gläubigkeit.

Die Abschlußfrage aus dem letzten Beitrag lautete: Was kann man tun gegen die „Größenfantasien“, die offenbar im Okkultismus-Aberglauben eine zentrale Rolle spielen. Nun, der Mannheimer Richter und Okkultismus-Kritiker Wolf Wimmer, der 1976 mit dem DDR-Wissenschaftler Otto Prokop eine ganz ausgezeichnete Auseinandersetzung mit dem Okkultismus veröffentlicht hatte (siehe: Prokop/Wimmer: Der moderne Okkultismus. Stuttgart 1976), gab mir 1984 auf diese Frage die folgende Antwort:

„Sie können nur eines machen: Sie können durch Lächerlichmachen töten, und das haben ja schon die großen Aufklärer so gemacht. Ohne das wäre der Hexenglaube zum Beispiel kaum ausgerottet worden…“ (ibid).

Nun, ich meine, der Mannheimer Okkultismus-Kritiker hat mit dieser Aussage bestenfalls gegenüber den Okkult-Propagandisten Recht. Er trifft das Problem jedoch nicht im Kern. Die Gläubigkeit gegenüber dem Okkultismus geht in einer Manipulationstheorie zu ihrer Erklärung nicht auf; und die Bloßstellung seiner Magier genügt nicht zur Immunisierung ihrer Gefolgsleute. Gelächter heilt nicht von begründeter Angst – und von „schiefgehender“ Hoffnung, so Ernst Bloch in seinem Großwerk „Prinzip Hoffnung“ (Frankfurt am Main 1959), befreit nicht ein Ausrottungsfeldzug. Die Befreiung vom Aberglauben ist nicht zu haben ohne die Befreiung des Menschen. Dies heißt nicht, die potentielle Gefährlichkeit zu bestreiten, welche in abergläubischen Vorstellungen steckt; was etwa in den – hier nicht erwähnten – Publikationen des einstigen „Parapsychologen“ Hans Bender scheinbar ganz harmlos an vermeintlichen Psychokinese-Phänomenen dargestellt wurde, etwa in „Parapsychologie. Ihre Ergebnisse und Probleme“ (Frankfurt am Main 1982), das kann Menschen durchaus dazu bringen, gar nicht mehr harmlos, wieder an Hexen zu glauben. Und was sich im Umkreis der Okkult-Szenerie wie der Esoterikbewegung tummelt – die Übergänge sind hier fließend -, das ist auch politisch oft fragwürdig genug, nicht nur in dem Buch von Walsh und Vaughan, das im letzten Beitrag analysiert worden ist.

Die Erforscher faschistischen Denkens stellten vor siebzig Jahren schon fest, daß Aberglauben und Autoritarismus oft Hand in Hand zu gehen pflegen (siehe Theodor W. Adorno und andere: Der autoritäre Charakter. Amsterdam 1968; Michaela von Freyhold: Autoritarismus und politische Apathie. Frankfurt am Main 1971!). Und unsere Exkursionen in den Okkultismus-Bereich bestätigten dies. Thorwald Dethlefsen hatte seine sogenannte Reinkarnationstherapie mit Karma-Ideen sowie völlig inakzeptablen und inhumanen Esoterik-Ideologien verknüpft, gleiches galt über viele Jahre hinweg für seinen Ex-Kompagnon Rüdiger Dahlke; und diesen Ideen zufolge sind, so die Eso-Stars aus dem Bayernland, alle Menschen an ihrem Schicksal selber schuld, Widerstand gegen Ungerechtigkeit in der Welt ist lediglich Zeichen innerer Unreife, und in Wahrheit bekäme noch jeder Mensch auf dieser Erde das, was er verdiene. Der Hypnotiseur Dethlefsen in seinem Buch „Schicksal als Chance“:

„Innerhalb eines gesetzmäßig funktionierenden Kosmos kann es nie etwas geben, was eigentlich nicht sein sollte“ (Dethlefsen, München 1984).

Ob damit auch die Hungertoten in Äthiopien gemeint sind, die Menschenopfer in Chelmno und Auschwitz, die Tatsache, daß alle 7 Sekunden auf diesem Erdball ein Kind an Hunger stirbt?

„Solange einen Menschen noch irgend etwas stört und solange er noch irgend etwas für veränderungsbedürftig hält, hat er Selbsterkenntnis noch nicht erreicht.“

So Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke in ihrem gemeinsamen Buch „Krankheit als Weg“ im Jahre 1989 (hier zitiert nach der Taschenbuchausgabe München 1990). Ob Dahlke auch heute noch zu dieser grausamen Auslegung von menschlicher Reife steht? Die Sklaven in Rom wehrten sich beim Spartacus-Aufstand in den Jahren 73 bis 71 vor Christi Geburt gegen ihr unmenschliches Schicksal, die Bauern um 1525 herum gegen die Leibeigenschaft, zig Millionen – vielleicht Milliarden – Menschen heute kämpfen gegen ein immer brutaleres Globalisierungsgeschehen: alles selbstverblendete Menschen?

Und Dethlefsen weiter:

„Es genügt, daß man etwas…braucht, und man wird es bekommen“ (Dethlefsen 1984, ibid.).

Vom erwähnten Hunger in dieser Welt schien dieser Autor noch niemals etwas gehört zu haben, oder er interessierte ihn nicht, was wahrscheinlicher ist, wenn man Dethlefsens Werke studiert. Überraschend daher auch nicht das Freiheitsverständnis des Münchener Autors:

„Seine höchste Freiheit hat der Mensch erlangt, wenn er die Worte sprechen kann: ‚Herr, nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe’“ (Dethlefsen 1984, ibid.).

Und weiter:

„Überdenkt der Mensch ein wenig diese Ordnung, so wird ihm bald bewusst werden, daß er als Zelle… nur die Aufgabe hat, seinen ihm zugeteilten Dienst am Ganzen zu erfüllen. Er hat sich zu bemühen, eine möglichst nützliche Zelle zu sein, so wie er es von seinen Körperzellen erwartet, damit er nicht zum Krebsgeschwür dieser Welt wird. Verläßt er dennoch die Ordnung mutwillig, um seine mißverstandene Freiheit auszukosten, so sollte er sich nicht wundern, wenn er eliminiert wird“ (ibid.).

Ist das der Anti-Sozialismus, zu dem sich der Autor bereits im Klappentext zu seinem allererstem Buch bekannte (= „Ein Leben nach dem Leben“)? Und: muß man erwähnen, daß dies Anschauungen sind, die bis in den Wortlaut hinein an Adolf Hitler erinnern (siehe dazu auch: Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. München 1968!)?

Doch auch Riemanns Menschen- und Weltverständnis ist von diesen Momenten nicht frei, bis hinunter zu Dethlefsens Zellen-Theorie. In den Worten Ruth Riemanns gesagt, einer in politischer Hinsicht mit Gewissheit ganz arglosen Frau:

„Was die Astrologie vermittelt, ist ja doch die Vorstellung davon, daß die Welt ein Organismus ist… bei dem… die Astrologie mir die Chance gibt, meine Aufgabe als Zelle sozusagen in diesem Gesamtorganismus besser zu erkennen“ (Riemann-Interview 1984).

Es gehört zu den traurigen Paradoxien des Phänomens Okkultismus, genauer, des Aberglaubens an ihn – und gleiches gilt für die Esoterikbewegung insgesamt -, daß mit seiner Hilfe Menschen zu fliehen versuchen aus einer Welt, in der sie ohnmächtig sind, um eine Welt zu betreten, in welcher sie dann ihren Rücken nur um so demütiger beugen und widerstandsloser. Oder anders gesagt: der Größenwahn seiner Identitäts-Idee landet bei autoritärer Unterwerfungsbereitschaft, die Superwelt okkultistischer „Fähigkeiten“ kommt nur den Gurus dieser Bewegung zugute, dem großen Rest, der Gefolgschaft, bleibt nur die Identifikation mit den vermeintlich erleuchteten Führern, der schale Ersatz für wirkliche Freiheit und für wirkliche – eigene und autonome – Identität.

Am 3. Juni 1968, als die Bundesrepublik widerhallte von den Protestrufen zahlreicher Menschen gegen die Notstandsgesetze, ging Thorwald Dethlefsen zu einem Treffen, um sein erstes Reinkarnations-Experiment auszuprobieren… Vielleicht kein Zufall, die Koinzidenz dieser Ereignisse: deren Gleichzeitigkeit nicht und nicht deren Kontrast. Mir jedenfalls scheint das so.

Und was kann man nun gegen diesen Irrglauben tun? Gegen diese geistigen Verirrungen bis weit in die Sphären völliger Mitleidslosigkeit hinein?

Vorschläge zur Güte: in jede Richtung!
Nun, zum einen liegt sicherlich auf der Hand: Aufklärung – im Sinne der guten, alten Aufklärung, wie sie bereits die Französische Revolution mit vorbereiten half – ist unverzichtbar. Ich hoffe also durchaus, daß eine Recherche, wie ich sie im Jahre 1984 vornahm, im uralten Elsaß-Städtchen Wissembourg, dazu beitragen kann, denn allzu naiven Glauben an Wiedergeburtsnachweise zu brechen. By the way: auch während der letzten drei Jahrzehnte nach dieser kleinen Detektivarbeit wurde von keinem Reinkarnationsvertreter irgendein haltbarer Nachweis für „ein Leben nach dem Leben“ erbracht. Aber ich meine: lediglich rationale, lediglich verstandesbezogene Widerlegung reicht nicht aus, auch nicht ausschließlich Aufklärung im Sinne bloßer Vernunft.

Ich habe es darzustellen versucht: der Aberglaube an die verschiedenen Okkultismus-Varianten – längst nicht alle wurden hier dargestellt! – verdankt sich auch einer Reihe von seelischen, von affektiven Bedürfnissen, die für die Okkultismus-Anfälligen typisch sind (und oftmals nicht nur für diese!). Diese Bedürfnisse schafft man nicht durch Verhöhnungen ab, und die Ängste und Unsicherheitsgefühle, die oft – den Betreffenden selber nicht selten unbewußt – Ursache dieser Bedürfnisse sind, schon gar nicht. Ängste lassen sich nicht einfach wegrationalisieren, und wegverhöhnen schon gar nicht!

Womit ich auch noch bei einer dritten Dimension dieser affektiven Bedürfnisse und dieser Angstursachen bin – ich sprach es ja schon mit einer kurzen Andeutung an: diese zunächst höchst individuellen Phänomene sind ja zugleich auch soziale Prozesse, und diese sozialen Prozesse haben nicht zuletzt auch mit ökonomischen und politischen Prozessen zu tun. Auf eine Formel gebracht: wirtschaftliche Rezessionsphasen waren immer auch Konjunkturphasen für Okkultismusbewegungen. Dasselbe gilt für sonstige epochale Gefährdungen: stets trat mit ihnen zusammen auch ein neuer (oder reaktivierte alter) Aberglaube auf. Die Pestzeit trug so zu den Hexenverfolgungen bei, die ökonomische Depressionszeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts verschaffte gleich zig neuen Irrationalismusbewegungen enormen Zulauf, das Ende des 1. Weltkrieges und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 sorgten für weiteren Aufstieg der diversen ‚Magier’ und okkulten Verbände (nebenbei: bis weit in die Reihen der NSDAP hinein, an deren Wiege auch esoterische Zirkel wie die „Thule-Gesellschaft“ Pate standen). Wo reale Wehrlosigkeit und Degradierung und Entmündigung und Verelendung sich einmischen ins böse Spiel, da suchen viele Menschen, kräftigst beeinflusst durch entsprechende Medien und sonstige Mächte, gerne auch bei okkultistischen Heilsbringern Erlösung und Zuflucht.

Die Aufklärung, von der ich anfangs sprach, hat sich also gerade nicht zu beschränken auf die intellektuelle Dimension dieser Okkult-Phänomene. Und das Bloßstellen der abergläubischen Menschen als infantil oder naiv hilft schon gar nicht. Es verschafft dem aufgeklärten Menschen vielleicht ein narzisstisches Überlegenheitsgefühl, sonst löst diese Besserwisserei gar nichts aus und verbessert die Welt überhaupt nicht.

Habe ich damit gesagt, daß Aufklärung dank dieser Erkenntnisse – auch Emotionales spielt eine Rolle, auch Gesellschaftliches, auch Ökonomie und Politik – leichter zu berwerkstelligen wäre? – Nein, es ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Die Sache wird komplizierter dadurch. Sie wird es aber deshalb, weil eben die Zusammenhänge komplizierter sind. Und um diese zu entschlüsseln, diese Kausalitäten und Bedingungsverhältnisse, ist – wie so oft – weniger das Zuquatschen anderer, sondern das Zuhören der bessere Weg. Und dieses Zuhören – eigentlich, sollte man meinen, versteht sich das von selbst – hat eines mit Respekt zu sein, nicht eines, bei dem hinter jedem Satz, den einer äußert zu seiner Okkultismusgläubigkeit, sprungbereit die eigene Herablassung lauert.

Ich veranschauliche das abschließend an einem einzigen Beispiel noch. Wie hatte Peter Niehenke nochmal das Festhalten an der Astrologie begründet, trotz der Tatsache, daß seine eigene Forschungsarbeit alle überprüften Thesen der Astrologie widerlegte (Niehenke also seither im Widerspruch zu sich selber an der Astrologie festzuhalten versucht)? Eine Welt mit Astrologie sei eine „schönere“ Welt, sie sei eine Welt mit mehr „Geborgenheit“. Läßt sich daran nicht einiges verstehen (was mit Einverständnis nicht verwechselt werden darf), und nur durch dieses Verstehen hindurch, das dann entsprechend auch mitgeteilt wird, nur durch dieses Wahrnehmen und Ernstnehmen des anderen kann vielleicht die Tür geöffnet werden für jene Erreichbarkeit, die uns Aufklärern – aus guten Gründen – am Herzen liegt?

Ich möchte zu beiden Punkten – zur „Schönheit“ wie zur „Geborgenheit“, die Astrologie vermitteln könne – noch die folgenden Anmerkungen machen.

Es ist bemerkenswert – und auch dieses deutete ich ja an zwei, drei Stellen bereits an -, daß uns viele Okkultismus-Geschichten so etwas präsentieren wie die Gegenpoesie zu einer eiskalt durchrationalisierten Welt. Daß Rückkehr zum Aberglauben immer auch so etwas wie Rückkehr zur eigenen Kindheit ist, erwähnte ich bereits. Ich füge nunmehr hinzu: auch zu den Geschichten der eigenen Kindheit. Und da waren selbst Gruselgeschichten, von der Mutter am Bettrand vorm Schlafengehen erzählt, intensivste Geborgenheitserfahrungen voller Glück! Aber ich präzisiere die Sache mit der Gegenpoesie noch, und ich spezifiziere diese These am Beispiel der Astrologie.

LiteraturwissenschaftlerInnen ist ein Wortungetüm wohlvertraut: „Anthropomorphisierung“. Gemeint ist damit, in Erzählungen oder Gedichten etwa, die Vermenschlichung und Spiegelung dessen, was in einem Individuum vorgeht, irgendwo draußen in der Welt (zumeist in der Natur). Ich analysiere dieses weitverbreitete Hilfsmittel der Literatur zur Intensivierung ihrer Effekte an dieser Stelle nicht weiter. Ich stelle nur fest: sie, diese „Antrhopomorphisierung“, scheint den Bedürfnissen, nicht zuletzt den ästhetisch-affektiven Bedürfnissen des Menschen sehr zu entsprechen. Sich selber mit seinen Befindlichkeiten in äußerer Wirklichkeit gespiegelt zu sehen: das scheint ein urmenschliches Bedürfnis und ein urpoetisches Konzept zu sein! Also wird in Goethes „Willkommen und Abschied“ – ich finde: in einem seiner grandiosesten Liebesgedichte! – die Eiche draußen zum „aufgetürmten Riesen“ und die Finsternis ringsum mit „tausend Augen“ versehen. Da sträubt sich“ ein Apfelbaum im Gedicht „Frühling“ von Theodor Fontane, und in Eichendorffs Gedicht „Die Nachtigallen“ „wandert“ die Nacht „leise durchs Gras“. Da verliert eine Zeder in einem Gedicht des zeitgenössischen Autors Michael Krüger „ihre Fassung“, in „Ganz kurz vor dem Gewitter“, und bei Mörike „steigt“ die Nacht „gelassen an Land“, in „Um Mitternacht“. Da „lächelt“ die Natur in „Trübes Wetter“ von Gottfried Keller, und im Gedicht von Theodor Storm „Meeresstrand“ liegen die Inseln „wie Träume“ im Nebel auf dem Meer. Wieder und wieder: Menschenwelt – Landschaftsumwelt, beide im Spiegelungsverhältnis zueinander. Täusche ich mich, daß die Astrologie mit ebensolcher Spiegelung arbeitet? Unser eigenes Ich bildet sich ab – mit seinem Schicksal wie Charakter – im Sternenhimmel über uns. Und die berühmte Grundthese der Esoterik „Wie oben – so unten“ kennt ebenfalls diese Art der Poesie: „wie außen – so innen“. Blickt man darüber hinaus auf die astrologische Zeichnung der Horoskope selbst, auf diese oft erlesen gestalteten Sternenkreis-Kreise, mit ihren Sonnenstandszeichen, Häusern, Verbindungslinien, die geheimnisvoll für irgendwelche Winkelbeziehungen stehen, so kann man sich auch da der Wahrnehmung des „Schönen“ nicht entziehen. Ästhetische Bedürfnisse, Spiegelungsbedürfnisse, Entsprechungsbedürfnisse – und das zwischen Sternenhimmel und Mensch -: läßt sich bestreiten, daß die Astrologie – vor allem Inhalt! – eine ganze Reihe menschlicher Schönheitsbedürfnisse bedient? Daß sie damit auch tiefverankerte Poesiebedürfnisse zu befriedigen vermag? Und deswegen das Festhalten eines Peter Niehenke an seiner Astrologie ein Stück weit auch nachvollziehbar ist? Und verwundert daher noch, daß gerade so viele KünstlerInnen (die wir hier – zugegeben: etwas vereinfacht – einmal dem Bereich der „Ästhetik-Produzenten’ zuschlagen wollen) nicht selten derart begeistert-abergläubische Menschen sind (nebenbei: auch Goethe zählte – soll ich sagen: selbstverständlich? – dazu)? Ob ich mein Innen nach außen bringe in der Gestalt eines Gedichts, eines Bildes oder eines Musikstücks – das alles mit Ausdrucksbedürfnissen, die Spiegelungsbedürfnissen nicht unähnlich sind, und mit ästhetischen Bedürfnissen ohnehin -, dieses dürfte bei diesem Zusammenhang eher zweitrangig sein.

Und was hat es nun mit Niehenkes Wunschfantasie der „Geborgenheit“ auf sich?

Nun, im Grunde läßt sich die Faszination der Astrologie, soweit es sich bei ihr um ein Aussagensystem der Prophezeiungen handelt, in einen Satz zusammenfassen: wer eingeweiht ist in die Geheimnisse der Astrologie, ist ab diesem Moment vor den Gefahren, die sie womöglich preisgibt, weitestgehend gewarnt! Das ist vielleicht noch nicht zur Gänze „Geborgenheit“, aber immerhin doch generalisierter Selbstschutz. Nicht wenig, meine ich. Und wenn die Sterndeutung den jeweiligen Wesenskern des Menschen zu offenbaren vermag, so die Riemannsche Version der Astrologie, dann ist dieses Vertrautwerden mit sich selber auch ein Stück Geborgenheitszuwachs. Kurz: je bedrohter man sich draußen in der Welt fühlt, je weniger man die in ihr verborgenen Kräfte durchschaut, desto geschützter kann sich erleben, wer die kosmischen Gesetze und deren Auswirkungen auf die eigene Person zu erkennen glaubt. Angstentlastung und Bescheidwissen gehen Hand in Hand. Oder anders gesagt: der Okkultismusglaube – ich vermute: nicht nur im Bereich der Astrologie – stellt eine Antwort dar auf eine real völlig okkulte und bedrohliche Welt.

Womit sich der Kreis unserer Überlegungen schließt: wer von uns „Aufgeklärten“ auf Aberglauben stößt, auf Okkultismus und Esoterik, der sollte nicht nur auf deren Bewußtseinsdimensionen reagieren, nicht nur auf deren Verkehrt- und Verstiegenheiten, sondern sich vor allem einlassen können auf die unbewußten Dimensionen dieses Syndroms, auf die Sprache der Hoffnungen und Ängste hinter diesem Syndrom.

Menschlich sprechen wir mit den Menschen nur, wenn wir nicht nur deren Irrtümer zutagefördern, sondern auch mit ihren Hoffnungen und Ängsten sprechen und diese zur Sprache und zur Geltung bringen in einer Welt, die unsere Parteinahme nun wirklich nicht verdient hat.

Walter Benjamin, der deutsch-jüdische Philosoph, der sich am 26. September 1940 an der französisch-spanischen Grenze auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm, drückte das einmal so aus, und er meinte – man bedenke: der verfolgte Jude! – den Faschismus damit: „Aus ihm spricht etwas Wahres aus etwas Falschem.“

Es könnte sein, daß es sich beim Okkultismus-Glauben nicht anders verhält. So verkehrt das alles ist, was in diesen Irrationalismus-Bereichen geglaubt wird: es meldet sich darin etwas zu Wort, das sehr wohl Anspruch auf Respekt und Realisierung hat – der Wunsch nach einer Welt, die für uns Menschen eine Welt der Schönheit und Geborgenheit ist, nicht aber eine Welt, die langsam an ihrem Kapitalismus krepiert und nichts anderes mehr ist als eine immer hässlicher werdende und immer zerstörerischer agierende Welt.

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