Okkultismus-Sensationen als Stimmenfang (Teil 1)

 In Holdger Platta
Autor Holdger Platta

Autor Holdger Platta

Wir setzen hiermit unsere Auseinandersetzung mit der Esoterik fort. Wir veröffentlichen zu diesem Zweck Untersuchungen unseres Mitarbeiters Holdger Platta, der im Jahre 1984 dem ‚Durchbruchsfall’ des späteren Eso-Stars Thorwald Dethlefsen aus dem Jahre 1968 nachgegangen war, einer Hypnosesitzung, bei der Dethlefsen vermeintlicherweise die Wiedergeburt eines Münchener Technikstudenten Rudolf. T. nachgewiesen hatte. Außerdem befasst sich Holdger Platta in dieser Artikelserie mit der Astrologie sowie der sogenannten „Transpersonalen Psychologie“. Diese Untersuchungen wurden erstmals der Öffentlichkeit in einer Sendung des WDR aus dem Jahre 1986 vorgestellt und sind heute noch nachzulesen in seinem Buch „Identitäts-Ideen. Zur gesellschaftlichen Vernichtung unseres Selbstbewusstseins“, das 1998 im Giessener Psychosozial-Verlag erschien. Für die Veröffentlichung hier wurde das betreffende Kapitel aus dem Buch von Holdger Platta ergänzt, behutsam überarbeitet und aktualisiert.

Okkultismus-Sensationen als Stimmenfang
Zu Thorwald Dethlefsens erstem Reinkarnationsexperiment, zur Astrologie und zur „Transpersonalen Psychologie“ – eine weitere Beitragsserie zum reaktionären Esoterikwahn / Holdger Platta ©

Die Faszination der Unsterblichkeit
An diesem Pfingstmontagabend sollten in einer Münchener Wohnung seltsame Dinge geschehen: während die Bundesrepublik immer noch von den Studentenunruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke in Atem gehalten wurde und der Kampf gegen die Notstandsgesetze Hunderttausende von Menschen auf die Straßen trieb, traf sich der junge Münchener Psychologe Thorwald Dethlefsen mit einigen Bekannten, um – wie er später sagte – „einen angenehmen Abend“ zu verbringen (Dethlefsen 1976). Man schrieb den 3. Juni 1968, und Dethlefsen beabsichtigte „wie immer“ (ibid.) das eine oder andere Hypnose-Experiment zu diesem Treffen beizusteuern. – Doch etwas Schockierendes sollte geschehen. Etwas, das dem Lebensweg des Psychologen und Hypnotiseurs eine gänzlich andere Richtung geben sollte. Thorwald Dethlefsen:

„Ich begann…damit, meinen Versuchspersonen den hypnotischen Befehl zu geben, in ihrem Leben immer weiter zurückzugehen, ohne Rücksicht auf die reale Zeit. An einigen markanten Punkten hielt ich an und stellte Fragen, so zum Beispiel nach dem Namen der Schule und der Lehrer, welcher Wochentag zu einem bestimmten Datum gehöre, welche Geschenke sie am zehnten, achten bzw. sechsten Geburtstag bekommen hatten, welches Kleid die Mutter zu diesen Geburtstagen getragen hatte…“ (ibid.)

In diesem Moment kam dem Hypnotiseur, wie er später erklärte, eine „verrückte“ Idee: er wollte die beiden Versuchspersonen, bei welchen die Hypnose am besten gelungen war, zurückführen in die Zeit vor deren Geburt; sie sollten berichten, ob es vor dieser Phase bereits andere Erlebnisse gegeben habe. Rudolf T., einer der beiden Hypnotisierten, ein fünfundzwanzigjähriger Technikstudent, begann „schwer und tief atmend“ (ibid.) zu sprechen:

„… ich bin in einem Keller.“
„Wo ist dieser Keller? In welchem Ort – in welcher Stadt?“
„Wissembourg.“
„In welchem Land befindest du dich?“
„In Frankreich.“
„Wie heißt du?“
„Guy Lafarge!“
„In welcher Straße ist dieser Keller?“
„Rue du Connétable!“
„Warum bist du in einem Keller?“
„Krieg.“
„Was für ein Krieg?“
„Gegen die Preußen.“
„Welches Jahr schreiben wir?“
„1870.“
„Wie alt bist du?“
„18 Jahre!“
(ibid.)

Das, was Hypnose- Fachleute als „age-regression“ bezeichnen, hatte Thorwald Dethlefsen anscheinend auf eine sensationelle Spur gebracht: Rudolf T. hatte offenbar schon einmal gelebt. Am hypnotisierten Zustand der Versuchsperson gab es keinen Zweifel. Oder, mit den Worten des Münchener Psychologen gesagt: „Wir hatten es mit einer Realität zu tun, die in unsere Realität nicht hineinpasst“ (ibid.).

Freilich, mit welcher Realität? – Sollte zutreffen, was aus anderen Kulturen immer wieder berichtet wird, daß der Mensch nicht nur einmal, sondern immer wieder lebt: daß es mithin ein Leben vor dem Leben gibt und damit auch, den Blick nur anders gewendet, ein Leben nach dem Tod?

Thorwald Dethlefsen beschloß, den Versuch zu unterbrechen und unter anderen Bedingungen eine Woche später fortzusetzen – am 10. Juni 1968, im Nebenraum eines Münchener Hotels. Nunmehr waren nur noch sieben Zeugen anwesend, aber der Hypnotiseur hatte sich sorgfältig präpariert, einen umfänglichen Fragenkatalog ausgearbeitet, und dieses Mal sollte ein Tonbandgerät die Hypnose-Sitzung Wort für Wort protokollieren (ibid.).

Es wiederholte sich zunächst das meiste von dem, was schon eine Woche vorher passiert war. Rudolf T. landete bei der Rückführung wieder in Wissembourg, dem kleinen Städtchen im Unter-Elsaß; wieder ist er dieser Guy Lafarge, wieder gibt er das Kriegsjahr 1870 an. Doch dieses Mal steht er auf dem Marktplatz des Ortes, verkauft er Gemüse, Weißkraut und Rotkraut, dazu Kartoffeln, ersteres für 8 Centimes, die Kartoffeln für 60; und er teilt auf Befragen des Hypnotiseurs nach und nach weitere Ereignisse und Einzelheiten mit.

Geboren sei er 1852; seine Geschwister hätten Anne und Jean geheißen, die Eltern Jean und Marie; sein Bruder sei sechs Jahre älter gewesen, und ihr Haus habe in der Rue du Connétable gestanden. Übrigens sei es ohne Nummer gewesen, und es habe nur aus zwei Zimmern bestanden. Befragt, ob er auf dem Marktplatz auch Orangen und Zitronen verkaufe, antwortet Rudolf T. alias Lafarge, er kenne diese Früchte nicht – nicht einmal dem Namen nach; gleiche Unkenntnis bekundet der Schlafende bei Wörtern wie „Tankstelle“ und „Auto“. Katholisch sei er gewesen, sagt der in Trance Befindliche, der Pfarrer habe Pater Pierre geheißen und die einzige Kirche in diesem 250-Seelen-Dorf „Eglise de la Sainte Marie“ (ibid.).

Stück für Stück holt der Münchener Psychologe die kurze Lebensgeschichte des Guy Lafarge aus dem Hypnotisierten heraus; im Februar 1880 sei er bereits gestorben; seine Freunde hätten Robert und Pierre Renault geheißen, beide im Alter wie er; und alle Familienangehörigen seien zur Zeit des deutsch-französischen Krieges gestorben, jedenfalls in den Jahren 1870 bis 72; später habe er auf einem Gutshof gearbeitet, auf den Anhöhen westlich von Wissembourg, als Pferdeknecht, und an den Folgen eines Pferdetritts sei er dann auch gestorben. Den Nachnamen des Gutsherren wisse er nicht mehr, aber dessen Vorname sei Pierre gewesen; ihrer Wohnung hätten Kienspäne als Beleuchtung gedient, und Lehm und Stroh hätten das Haus gedeckt; als regionale Spezialität auf dem Küchenzettel gibt der Hypnotisierte Schnecken an, das Brot habe wie runde Kuchen ausgesehen – aus Mehl und Eiern gebacken, und auf der Schule gewesen, das sei er nie. – Guy Lafarge, geboren 1852, gestorben 1880, zeitlebens ansässig geblieben im elsässischen Wissembourg – dies scheint die vorherige Lebensgeschichte Rudolf T.’s gewesen zu sein, und derart teilt sie uns der Psychologe Thorwald Dethlefsen Jahre später mit in seinem Buch „Das Leben nach dem Leben. Gespräche mit Wiedergeborenen“. Eine Grundfrage unserer Identität, das Lebensproblem Sterblichkeit, schien eine Antwort gefunden zu haben. Der Münchener Therapeut, der danach als Esoterikstar Karriere gemacht hat, hatte sie aufgespürt. Oder doch nicht?

Zugegeben, als ich vor vielen Jahren das genannte Buch zum ersten Mal las, war ich nur hängengeblieben bei dieser Einwohnerzahl, 250 Seelen (ibid.). – Ich griff zum entsprechenden Lexikonband des „Großen Meyer“, 20-bändig, aus dem Jahr 1878, und erhielt die Auskunft: 6.152 Einwohner zählte das Elsaß-Städtchen 1875! Guy Lafarges Angaben – oder sollte ich richtiger sagen: die Behauptungen des Rudolf T. – waren an einem wichtigen Punkt falsch. Aber dennoch blieben mir Zweifel an meinem Zweifel.

Was, wenn sich dieser Guy Lafarge geirrt hätte, getäuscht hätte bei diesem einzigen Detail? Man bedenke, ein Stallknecht, keine Schulbildung, ein einfacher Mann! Für mich stand fest: solange nicht die zahlreichen anderen Angaben aus diesem Tonbandprotokoll überprüft worden waren, konnte ich mir kein endgültiges Urteil erlauben.

Allerdings war eines schon jetzt merkwürdig: warum hatte Thorwald Dethlefsen eigentlich nicht selber diese Überprüfungen vorgenommen oder vorsichtiger gefragt: weshalb berichtete er in seinem Buch davon nichts? Hatte Dethlefsen vor dem Ergebnis Angst – und das Lektorat, der Bertelsmann-Verlag, mit ihm? Befürchtete man, seine „Sensation“ würde zusammenfallen wie ein Kartenhaus? Was ja immerhin bedeutet hätte: es gab eine Sensations-Story weniger für dieses Buch? Und das ausgerechnet beim ‚Durchbruchs’-Fall?

In der morgigen Ausgabe von www.hinter-den-schlagzeilen.de ist nachzulesen, was Holdger Platta bei seiner Überprüfung dieser Reinkarnationsgeschichte zutageförderte, bei einer Recherche-Reise direkt in das nord-elsässische Städtchen Wissembourg im Jahre 1984.

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