Okkultismus-Sensationen als Stimmenfang (Teil 4)
Obskurantismus und Quantenphysik
Wer wüsste es nicht: die Probleme in unserer Welt nehmen zu. Selbst derjenige, der sich auf sorgfältigste Weise von den bedrohlichen Nachrichten abzuschirmen versuchte, käme nicht um sie herum. Die Frage, ob dieser Planet den Kältetod sterben wird oder den Hitzetod, ob die Wälder noch zehn oder dreißig Jahre brauchen werden, um gänzlich krepiert zu sein, ob aus „Versehen“ eines Computers schon morgen der dritte Weltkrieg beginnt oder bei wachsender Steigerungsrate der Weltbevölkerung und ‚dank’ kapitalistischer Globalisierung des Hungers auf diesem Erdball planetarische Verteilungskämpfe drohen um die letzten Ressourcen: all diese Fragen lassen sich verdrängen, wir können sie übertönen mit einer lautstarken Vergnügungsindustrie, beiseitedrücken mit Hilfe unserer „kleinen“ Alltagssorgen und Alltagsgeschäftigkeiten – präsent bleiben diese Drohungen trotzdem, draußen wie in unserem Innern. Und ihrer Lösung zugänglicher geworden sind sie durch solche Vermeidungsstrategien mit Sicherheit auch nicht. Was also tun?
Eine Antwort, neben vielen anderen, gibt täglich unsere soziale und kulturelle Realität. Zunehmend mehr Menschen flüchten vor dem wachsenden Druck zurück in frühere Modelle der Krisendeutung und Krisenbewältigung, dabei aufs entschiedenste unterstützt von interessierten Medien und sonstigen Mächten: in Verhaltensweisen und Anschauungsweisen der Kinderzeit. Angstzuwachs, Frustration, Kränkungen durch einen weltweiten Erkenntnisfortschritt, der immer mehr Menschen hoffnungslos hinter sich zurücklässt, dazukommend Überdruß an der Politik und Abnahme gesellschaftlicher Freiheitsräume: dies alles steigert das subjektive Bedürfnis nach allumfassender Erklärung, nach autoritativer Sinnstiftung, nach Frustrationsbeseitigung und Entlastung von Furcht. Wo Ich-Stärke nicht mehr geübt werden kann, um zu erstarken, schlägt die Stunde der Regression, der Selbstverkindlichung, die konsequent von oben her befördert wird (da wird dann sogar eine mittelbegabte Kanzlerin zur „Mutti“ erklärt!). Ist es also verwunderlich, daß die Menschen wieder an Wunder zu glauben beginnen? Und daß auch in politischer Perspektive regressives Denken zu reüssieren beginnt, Rückkehr in die Märchenstunden der eigenen Kindheit, unter dem Stichwort der „Wende“ etwa – und dieses sogar im Wissenschaftsbereich?
„Psychologie in der Wende“ heißt daher auch – in absichtsvoll doppelter Anspielung auf Fritjof Capras Buch „Wendezeit“ (München 1986) und die „Wendepolitik“ in der Bundesrepublik – das hier zu untersuchende Buch, das, so der Untertitel „Grundlagen, Methoden und Ziele der Transpersonalen Psychologie“ darstellen will, um einzuführen in die „Psychologie des Neuen Bewusstseins“ (Bern 1985). Zu den neunzehn Autoren – Wissenschaftler fast alle – zählen unter anderen Abraham Maslow, der Mitbegründer der sogenannten „Humanistischen Psychologie“, und Fritjof Capra, theoretischer Physiker an der Berkeley-Universität und gehätscheltes Medienkind zig Dutzender Kongresse, wo es um Sinnfragen der Gegenwart in Verbindung mit der westlichen Quantenphysik und fernöstlicher Weisheit geht. Spotte ich? – Ein wenig schon, wenn auch nur in Richtung dieser neuen Schulmeister einer neuen Meisterschule und nicht in Richtung derjenigen, die Zuflucht suchen mit ihrer Identität bei diesen Denkern der neuen „ganzheitlichen“ Weltanschauung.
„Ganzheitlichkeit“ ist ganz ohne Frage eine der zentralen Kategorien dieser neuen – angeblich neuen! – Psychologie: kompletter Unsinn, das dürften – zu Recht, meine ich – nach der Lektüre dieser Elaborate die Kritiker sagen. Doch worum geht es im Kern?
Ihr „Grundanliegen“ sei, so die Herausgeber Roger N. Walsh und Frances Vaughan, zwei Psychologen aus Kalifornien, „die Verbundenheit und wechselseitige Abhängigkeit aller Dinge aufzuzeigen“. Und immerhin sei man schon so weit, „da das Feld der Transpersonalen Psychologie bei aller Verschiedenheit der Ansätze ein geschlossenes Ganzes bildet“ (ibid.). Das klingt noch relativ unproblematisch. Doch was dann die verschiedenen Autoren, vornehmlich aus den Sparten Psychiatrie, Psychologie und Pädagogik, auf den folgenden knapp dreihundert Seiten unternehmen, ist nichts weniger als der endgültige Etablierungsversuch des Okkulten im Bereich der Wissenschaften, die Einführung des Obskurantismus in die Tradition der Aufklärung. Aus Tao und Kabbala, Sufismus und Jungscher Archetypenlehre, PSI-Forschung und Quantenphysik, Esoterik und Heisenbergscher Unschärferelation, Buddhismus und Einseinscher Relativitätstheorie, basierend auf LSD-Erlebnissen und Ekstase-Erfahrungen, auf Meditationszuständen und Zuständen der Selbsthypnose, wird eine „Theorie“ gezimmert, derzufolge nicht nur einfach alles mit allem zusammenhängt – ich meine, eine Erkenntnis von einer gewissen Plattheit -, sondern daß in Wahrheit alles mit allem identisch sei und letztlich zusammenfalle – auch ganz real, nicht nur psychisch – im eigenen Ich. Wie das? Wie bitte?
Nun, zitieren wir beispielsweise den Biochemiker Ken Wilber, einen der Cheftheoretiker dieses Bandes. Er schreibt:
„Der gesamte Weltprozeß ist… in jedem Augenblick nichts anderes als das eigene Sein, außerhalb dessen und vor dem nichts existiert“ (ibid.).
Und der Kollege James Bugenthal, Psychologe in San Rafael, California, assistiert:
„Wir beginnen heute allmählich zu erkennen, daß die Welt, die wir für das Fundament unseres Daseins gehalten haben, nur eine Konstruktion unseres Gehirns ist“ (ibid.).
Die Welt – nur ein Hirngespinst? Eher wohl diese Behauptung, die mit zahlreichen anderen das Ziel dieser Psychologie begründen soll: mit Hilfe ihrer Techniken – Drogen, Hechelatmung und Meditation – jene Bewußtseinszustände der „Verschmelzung mit dem Universum“ zu schaffen, die angeblich realiter eh das Wesen und die eigentliche Wahrheit unserer Existenz sei (zur wichtigsten „Therapiemethode“ dieser Richtung, dem „Holotropen Atmen“ (siehe Holdger Platta: New-Age-Therapien.pro und contra. Weinheim 1994 bzw. Reinbek 1997!). Noch einmal: hier wird nicht bloß metaphorisch gesprochen, hier ist „Verschmelzung“ nicht „nur“ (?) als Gefühlsprozeß gemeint. Nein, verstanden wird dies auch als objektives, als materielles Geschehen – und einen der wichtigsten, immer wieder von diesen Autoren zitierten Begründungsversuche zu dieser psychotisch anmutenden Verwechslung von Wahrnehmung und Wirklichkeit liefert Capra dabei mit seinem Rekurs auf Einstein und Heisenberg. Capras grundlegende Äußerung zu diesem Themenkomplex, daß nicht wirklich zwischen Ich und Außenwelt getrennt werden könne (eine Verbundenheitsthese übrigens, die im direkten logischen Gegensatz zu der oben skizzierten Identitätsthese steht!):
„Die universale Verbundenheit und Ganzheit der Natur schließt auch den menschlichen Beobachter und sein Bewusstsein ein… Der grundsätzlich neue und entscheidende Zug der Quantenphysik besteht darin, daß der Mensch nicht nur notwendig ist, um die Eigenschaft eines Objekts zu beobachten, sondern diese Eigenschaften auch durch sein Beobachten mitbestimmt“ (ibid.).
So richtig diese Darstellung eine der zentralen Erkenntnisse im Bereich der Quantenphysik auch ist – es gibt kein das Beobachtete unverändert lassendes Beobachtungsverfahren -: Capra unterschlägt in seinen Schlussfolgerungen, und die Mitautoren beuten diese Unterlassung weidlichst aus, daß diese Feststellung zum subatomaren Mikrobereich nicht übertragen werden kann auf den Makrobereich supra-atomarer Gegebenheiten. Denn egal, ob ich es scheel anschaue oder freundlich, mit Rodenstock-Brille oder nicht, in Gruppen oder allein, das alte Einpfund-Eisengewicht, das ich auf meinem Schreibtisch als Briefbeschwerer benutze, bleibt ein Stück Eisen und wird auch bei esoterischster Betrachtung kein Segelflugzeug, mit dem ich mich in die Lüfte schwingen könnte, um die irdischen Regionen der „dualistischen Trennungen zwischen Ich und Nicht-Ich“ (ibid.) zu verlassen. Und schon gar nicht, um nach der Verbundenheitsthese noch einmal die Identitätsthese aufzugreifen, wurde dieser Textabschnitt hier von jenem Briefbeschwerer verfasst. Offenbar ist doch nicht alles eins. Im übrigen: mit der Unterscheidung zwischen Beobachter und Beobachtetem geht Capra selber von der Zweiheit jener beiden Gegebenheiten aus, die gleichzeitig mit dieser Feststellung in Frage gestellt und als Eines dargestellt werden soll. Logik aus dem Tollhaus? Oder darf ich höchst sarkastisch die Frage stellen: waren alle diese Autoren beim Schreiben ihrer Beiträge bekifft?
Es scheint, daß diese neue „psychologische Schule“ eher Anlässe zum Scherzen gibt. Doch beachtet man, auf welche Psychotisierung der Patienten solche „Therapien“ zulaufen können (Platta 1994 bzw. 1997), bedenkt man, welche nicht zuletzt auch politisch relevanten Thesen mit dieser Wende-Psychologie verknüpft sind, dann fällt die Bilanz doch wesentlich ernster aus. Vom „Dienst am Ganzen“ ist da die Rede, der wieder gelernt werden müsse, von der Notwendigkeit, wieder die Bereitschaft zu üben, sich opfern zu wollen – für „höhere Ziele“ versteht sich -, vom „Gleichmut“ schließlich, den es allen Geschehnissen der Welt gegenüber zu wahren gälte (siehe hierzu meine Analyse zur rechtsextremistischen Esoterik auf dieser Website sowie auch Holdger Platta: Das Böse ist gut. Zu rechtsextremistischen Denkstrukturen in der zeitgenössischen Esoterikbewegung. In: Psychologie heute 7/1997!). „Nach der Psychologia perennis <= der ewigen Psychologie. HP> gibt es nichts, das es zu tun, zu ändern oder zu sein gilt“, heißt es etwa bei Vaughan und Walsh, und Maslow sekundiert: „Es lohnt sich, für sie“ – diese „höheren Ziele“ – „zu sterben“. Mir scheint, vor dem Hintergrund unserer Geschichte, vor Auschwitz und Hiroshima, und angesichts der gegenwärtigen Probleme sind dies zutiefst inhumane, narzisstische, geradezu faschistische Sätze.
Freilich, es wäre wohl falsch, dieses Denken in Kategorien der Weltverschwörung deuten zu wollen. Eher leuchtet wohl eine Erklärung solcher Verstiegenheiten in Freudschen und Marxschen Kategorien ein: daß es sich bei diesem neu-alten Irrationalismus um Regressionen handelt, um gesellschaftlich notwendig falsches Bewusstsein, kurz, um sozialpsychisch komplettierte Ideologie. Solche autoritär-kompensatorischen Verschmelzungsfantasien mit Allmachts- und Allwissenheitsanspruch brechen quasi naturwüchsig auf in einer Welt zunehmender Katastrophen- und Ohnmachtserfahrungen. Es handelt sich um eine Identitäts-Idee vom Menschen, die den zu Recht in Verruf geratenen technologischen Allmachtswahn des Menschen regressiv zu ersetzen versucht durch uralte magische Größenfantasien – apropos: Größenfantasien, die auch für andere „Psychotherapien“ der Esoterikbewegung typisch sind, für das „Rebirthing“ etwa oder die „Reinkarnationstherapien“. Die Frage lautet: gibt es auch wieder Wege aus diesem Denken heraus – Therapien gegen diese „Therapien“?
Im morgigen – im fünften und letzten – Teil dieser Artikelreihe setzt sich Holdger Platta bilanzierend mit dieser Frage auseinander und nimmt eine abschließende Bewertung der hier analysierten „Okkultismus-Sensationen“ vor.