Israelkritik und der Antisemitismus der Linken (1/2)

 In Medien, Politik (Ausland), Politik (Inland)
Schon visuell geradezu erdrückend dominant: Israel

Schon visuell geradezu erdrückend dominant: Israel

Linke wähnen sich ja gern grundsätzlich auf der Seite der Guten und der Unterdrückten. Da passt es schlecht ins Bild, dass Jüdinnen und Juden zunehmend über einen immer „selbstverständlicher“ daherkommenden Antisemitismus in der linken Szene klagen. Freilich „darf man“ Israel kritisieren, und man findet dort einiges Kritisierenswertes. Beunruhigend ist nur die Einseitigkeit, mit der dies oft geschieht, die Verleugnung plausibler Gegenargumente, die Verzerrung der Proportionen bis hin zur Dämonisierung des jüdischen Staates. Sandra Kreisler, die Frontfrau des Chanson-Duos „Wortfront“, macht diese neue „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“-Mentalität zunehmend unruhig – und wütend. Ihr Artikel zielt auf einige blinde Flecken linker (Selbst)gerechtigkeit.

Die Linke lässt sich wieder mal missbrauchen.
Es kommt einem bekannt vor.

Einer der für mich traurigsten Befunde der Gegenwart ist die Erkenntnis, dass gerade die Linke in weiten Teilen deutlich antisemitischer ist, als die Mehrheit der konservativen oder sich liberal nennenden Kräfte unserer Zeit.

Zunächst sollte man natürlich bei derlei Diagnosen sein eigenes Vokabular konkretisieren. Wer also ist „die Linke“, von der ich hier spreche? Wir wissen alle: Es gibt sie nicht. Es gibt die gleichnamige Partei, und ja: die meisten Aficionados dieser Partei passen durchaus zu meinem Befund, obwohl sich die Parteispitze mal mehr, mal weniger glaubwürdig darum bemüht, hier mehr Klarheit zu schaffen.

Aber im Grunde war die Linke immer schon und ist auch heute noch so zersplittert, dass es schwierig und missverständlich ist, über „sie“ zu sprechen. Es ist eine begriffliche Unschärfe – aber die Menschen, die meinen Befund stützen, gibt es dennoch. Und leider nicht zu knapp.

Mehr und mehr sich als „links“ verstehende Menschen, mehr und mehr durchaus honorige Kämpfer für Gleichberechtigung, Anstand und Ermächtigung der Schwachen akzeptieren antisemitische Töne, gern auch mit antiamerikanischen Beiklängen. (Komisch, das Eine scheint ohne das Andere inzwischen nur halbfertig, meint man fast. Man muss nur auf der Oberfläche des Antiamerikanismus kratzen, schon kommt Antisemitismus zum Vorschein – oft auch umgekehrt.) „Akzeptieren“ ist hier übrigens schon ein Euphemismus, den ich – wo Kreisler draufsteht, ist auch Kreisler drin – nur mit äußerster Selbstbeherrschung so formuliere.

Ich lasse aus Platzgründen zunächst mal den Antiamerikanismus (und die fast gläubige Hinwendung zu Putin) weg: Mein Thema ist der deutlich steigende Antisemitismus, der in der Linken zwar immer schon verankert war, nun aber immer breiter und immer selbstverständlicher vorkommt.

Heutzutage kommt er vorwiegend im Gewand der Israel-Kritik daher. Etwa so:

„Den Armen, Armen Palästinensern Geht Es So Schlecht.
Das Zeigt: Israel Muss Sich Besser Benehmen.“

Ja? Stimmt das so?

Natürlich, sowohl in der Westbank als auch im Gaza Streifen leben viel zu viele Familien in Armut. Aber dass es vor allem Israel ist, das daran schuld sein soll, ist nicht nur ein desinformierter Fehlschluss – es wird mit so einer Aussage billigend in Kauf genommen, dass antisemitische Klischees bedient werden.

Und zwar immer deutlicher, wie uns die jüngsten Beispiele, beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung zeigen. Und es sind eben leider keine einzelnen Ausrutscher, und beileibe nicht nur der Süddeutschen.

Die andauernde subtil tendenziöse Wortwahl bei den Berichten über die diversen Zwischenfälle in Israel spricht Bände. Manchmal ist es vielleicht schlicht nachgeplapperter Schwampf, weil das Selbstdenken und Selbstrecherchieren zunehmend aus der Mode kommt. Aber das ändert nichts an der antisemitismusfördernden Wirkung.

„Man Muss Doch Auch Israel Kritisieren Dürfen!“

Das ist der nächste Satz, der dann kommt – und es wird praktischer Weise übersehen, dass erstens Israel ständig und ausschließlich kritisiert wird (auch von mir, das ist aber hier nicht das Thema), und zweitens (und das IST das Thema) leider eben vorrangig von jenen Leuten, die weder ein Naheverhältnis zu dem Land noch sonst irgendeinen Grund haben könnten, Israel häufiger zu kritisieren als zum Beispiel China, Indonesien, Russland, Rumänien, Serbien, Polen, Uganda und so fort. Warum tun sie es also?

Obwohl manche der anderen Länder näher liegen, obwohl die von diesen drangsalierten Bevölkerungsgruppen meist sogar grösser sind, obwohl es hierzulande durchaus wesentlich drängendere Baustellen gäbe, für bzw. gegen die sich links denkende Menschen deutlich zu wenig einsetzen (z.B. TTIP) – das wird alles nicht halb so hitzig diskutiert wie Israel und seine Probleme. Komisch.

Übrigens erkennt man antisemitische Israel-Kritik auch sehr einfach – wenn man es denn möchte –, denn es gibt den inzwischen allseits anerkannten 3-D-Test.

Leider wird eben – setzt man diese Maßstäbe an – Israel in Deutschland und Österreich eigentlich ständig dämonisiert, delegitimiert und mit zweierlei Maß bemessen: Was beispielsweise China mit Tibet tut oder Rumänien und Serbien mit ihren Roma, oder Uganda mit seinen Homosexuellen wird nicht halb so inbrünstig „kritisiert“ wie Israel und sein Umgang mit den sogenannten “besetzten Gebieten” – ungeachtet dessen, dass Tibet noch nie „alle Chinesen ins Meer treiben“ wollte, oder dass auch sonst alle oben genannten Beispiele in ihrer hasserfüllten Menschenverachtung jeglicher Beschreibung spotten. Das sind Doppelte Standards im Wortsinne.

Der gefährlich steigende Antisemitismus

Dieser vorgeblich israelkritische (und antiamerikanische) Schulterschluss der Linken mit Teilen der extremen Rechten und in deren Schlepptau mit Islamisten bereitet mit beängstigender Geschwindigkeit den Boden für einen ganz normalen Alltags-Antisemitismus auch bei uns. Was wir heute bei den ansonsten inhaltlich eher diffusen „Montagsdemonstrationen“ in Berlin hören – und leider oft genug auch bei vielen Kommentaren zu Israel und anderen Jüdischen Belangen lesen müssen -, das sind genau die „Anfänge“, denen man ja bekanntlich wehren sollte.

Es scheint nur niemand genau genug hinhören zu wollen – oder es fehlen entweder die Kenntnis, die Intelligenz oder der Wille, diese antisemitischen Zwischentöne zu erkennen, und zwar leider genau bei der doch angeblich so menschenfreundlichen Linken.

Beispiele gefällig?

Wie rasch und unreflektiert entwickelte sich aus der Infektion, die ein muslimisches (!) Kind bekam, traditionsgemäß mit 8 Jahren beschnitten, eine hitzige Diskussion über allgemeine jüdische Beschneidungsriten – und zwar reflexartig, und ohne auch nur ein Mal den Gedanken zu streifen, dass ein 8 Tage altes Baby eine Beschneidung (unter zumindest Alkoholeinfluss, meist örtlicher Betäubung) anders erlebt als ein 8 Jahre alter Junge, der nicht betäubt werden darf, zusieht und schon vorher genau weiß, was auf ihn zukommt. Aber – schwupps – sofort war das muslimische Beschneidungsritual, also der Anlassfall, kaum noch Thema. Es ging „um’s Prinzip“. Und das Prinzip war jüdisch. Komisch.

Es fällt auch, scheint’s, niemandem auf, dass noch in den 70er und 80er Jahren im Fernsehen, wenn etwas über Israel gesagt wurde, die GESAMTE Karte der Region eingeblendet wurde – wodurch die Größenverhältnisse zwischen Israel und seinen Feinden und also das Bedrohungsszenario deutlich zu erkennen war, während man heutzutage nur noch Israel selbst zeigt, das typische „Kuchenstück mit Bissspuren“ der Palästinensergebiete. So wird suggeriert, dass Israel in diesem Konflikt ein größeres Land sei, das dem „armen kleinen Palästina“ nichts gönne – der gierige Jud.

Und ausgeblendet bleibt viel mehr: Zum Beispiel, dass das „Volk“ der Palästinenser selbst eine glatte Kopfgeburt ist: Bis 1947 lebten dort Juden und Araber. (Dann wurden die Jordanier und die Syrer geschaffen, den Begriff des „Palästinensischen Volkes“ gibt es überhaupt erst seit 1963, seit der Gründung der PLO.)

Oder zum Beispiel, dass eines der beiden Gebiete, um die es geht, im biblischen Original Judäa heißt – nicht Palästina oder Arabia, nein, Judäa. Nach seinen Niemals-dort-Bewohnern?

Oder zum Beispiel, dass jenes Land, das im Original tatsächlich Palästina hieß, heute zu gut 60% in Jordanien liegt. In Jordanien selbst stammen übrigens nach eigenen Angaben fast 50% der Jordanier angeblich von Palästinensern ab, aber 20% der jordanischen Palästinenser leben heute dort unter ziemlich verstörenden Bedingungen in Flüchtlingslagern – dennoch will niemand ein Palästina in Jordanien schaffen, nicht mal in Teilen davon. Obwohl in Jordanien mehr als 20mal so viel komplett unbesiedeltes und unbebautes Land zur Verfügung stünde, und es eben auch, wie schon gesagt, zum großen Teil das Gebiet des historischen Palästina ist. Aber da streitet niemand, zuallerletzt die Palästinenser selbst. Komisch.

Oder zum Beispiel, dass zu Zeiten als die Westbank und Gaza von Jordanien bzw. Ägypten besetzt waren, kein Mensch von einem noch zu gründenden Staat Palästina sprach. Auch nicht die Palästinenser.

Und nicht zuletzt fällt niemandem, wie es scheint, auf, dass ein zu schaffender Staat Palästina offenbar ganz selbstverständlich „judenrein“ sein muss. Denn wie sonst wäre es zu erklären, dass man sich auch hierzulande darüber aufregt, wenn in den fraglichen Gebieten knapp 20% Juden siedeln? Die gleichen Menschen sind das übrigens, die bei uns einen Ausländeranteil von 20% für durchaus vertretbar halten, die gleichen, die sich erst kürzlich furchtbar darüber echauffiert haben, dass das Volk in der Schweiz dem eigenen Parlament das Pouvoir zum Grenzverschluss (nur das, übrigens!) gegeben hat. In der Schweiz sind es 25% Nicht-Schweizer, die dort leben, also zweieinhalb mal so viele Ausländer wie in Deutschland; das sei nur nebenbei gesagt.

In Wahrheit war es bisher noch nie ein Hindernis für die verschiedenen Mächte, wenn auf neu zu bildenden Staatengebieten Menschen anderer Herkunft und Nationalität wohnten.

Warum also sollten die jüdischen Siedler ein Hindernis sein, die Gegend zu einem Palästina zu machen? (Eigentlich wäre es hier im Gegenteil sogar von Vorteil: So leben da nun in vormals unbesiedelten Wüstengebieten Menschen, die Steuern zahlen, die den Boden bestellen und arbeiten – und selbst,wenn diese Menschen auswanderten, hätte der Staat dort immerhin schon fertig gebaute Häuser und – in der Gegend Gold wert! – Wasserleitungen zur Verfügung.)

Man kann allerdings die Siedler propagandistisch einfach zu gut ausschlachten.

„Die Siedler Sind Das Größte Hindernis Für Den Frieden“

Keiner spricht davon, ob es nicht vielleicht doch ein größeres Hindernis sein könnte, dass kein arabisches Land außer Ägypten – und vor allem weder Hamas noch Fatah! – es bis heute über sich gebracht haben, Israels Lebensrecht, Israels Recht zu EXISTIEREN, offiziell anzuerkennen. Komisch.

Mit schöner Regelmäßigkeit wird alljährlich von den diversen Palästinenserführern deutlich, laut und öffentlich wiederholt, niemals Israel oder überhaupt jüdisches Leben in dieser Region anzuerkennen, egal was geschieht.

Aber das ist natürlich kein Friedenshindernis. Auch nicht, dass schon in Palästinensischen Kindergärten gelehrt wird, es sei die höchste Ehre, Juden zu töten.

Von den Raketen ganz zu schweigen. Seit dem Abzug der Israelis aus Gaza hat der Raketenbeschuss von dort um 500% (sic!) zugenommen. Am Mittwoch, den 12. März dieses Jahres, waren es 70 Raketen, die auf Israel geschossen wurden. Man stelle sich vor: 70 Mal am Tag, Sirenen, man schnappt die Kinder, rennt zu einem Bunker … Aber nein, der Bau von Häusern ist das Friedenshindernis. Komisch.

Dieser Befund der Einseitigkeit könnte noch lange belegt werden. Tendenziöse Wortwahl bis hin zu schlichten Lügen in den Medien, und nicht zuletzt das komplette Vergessen der Tatsache, dass Israel bereits mehrere Male einer Friedenslösung zugestimmt hat und dafür immer wieder auf’s Neue mit Raketenbeschuss belegt wurde …
Dennoch ist ebenso klar:

Es braucht zwei zum Tangotanzen
Und es braucht auch zwei zum Streiten.

(Den zweiten Teil dieses Artikels lesen Sie morgen an dieser Stelle)

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