1000 Peitschenhiebe und 800 Leopard-Panzer

 In Monika Herz, Politik (Ausland), Spiritualität
Raif Badawi

Raif Badawi

In Saudi-Arabien werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Jüngstes Beispiel: Raif Badawi wurde wegen Gründung eines Internetnetzwerks zu 1000 Peitschenhieben verurteilt. Das Land, in dem Christen, Regimekritiker und auch abweichende Meinungen über den Islam barbarisch verfolgt werden, hat in den USA und Europa noch immer eine Art Verbündetenstatus, wird mit Waffen beliefert und aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten. Monika Herz indes bringen die Schicksale junger, aufrechter Saudis um ihren Schlaf.

Es ist wieder so weit. Ein Politiker hat mir den Schlaf und die Ruhe geraubt. Dieses Mal ist es Abdullah ibn Abd al-Aziz, der König und absolute Alleinherrscher von Saudi-Arabien. Meine Ruhe ist nicht etwa wegen der Lieferung von bis zu 800 Leopard-Panzern aus der Waffenschmiede von Krauss-Maffei bedroht. Angeblich hat der Herr Gabriel die Lieferung ja gestoppt. Seit Jahren bemüht sich der König nämlich um diese Leopard-Panzer. Ich weiß gar nicht, wozu er die eigentlich braucht. Ist sein Land etwa bedroht? Oder ist er selbst bedroht? Wo doch sein Volk als Nationalhymne ständig singt: “Asch al Malik”, Lang lebe er König! Hat der König vielleicht Angst um seine Macht? Wo er sich doch extra al-Aziz nennt, der Mächtige. Al-Aziz ist bei den Sufis (islamischer Orden) übrigens einer der schönen Namen Gottes:

Al Aziz, der Mächtige, der Wunderbare, der Heilige, der Weise, das intuitive Wissen, der seltene kostbare Schatz.

Ich stelle mir gerade vor, wie der König sich beruhigt auf seinem Thron zurücklehnt, nachdem der Herr Gabriel die Leopards dann vielleicht doch endlich noch liefert – wegen dem Druck, den Krauss-Maffei (genauer Krauss-Maffei Wegmann, kurz KMW) auf ihn ausübt. So eine Waffenschmiede hat in Deutschland nämlich schon was zu sagen, immerhin ist sie europäischer Marktführer mit einem Jahresumsatz von 1 Milliarde, also von 1000 Millionen. Die Firma gehört 26 stillen Teilhabern, einige tragen Adelsprädikate vor sich her, wie etwa “… von Braunbehrens“. So ein stiller Teilhaber fällt vor allem durch seine Stille auf. Das heißt, er fällt überhaupt nicht auf. Kein Mensch kennt ihn. Obwohl – ein paar Freunde wird er vielleicht schon haben, seinesgleichen, mit denen er auf Yachten das weite Meer bereist oder kleine Bälle mit einem seltsamen Stock in Löchern versenkt. In aller Stille kassiert so ein stiller Teilhaber den Gewinn aus den 1000 Millionen Jahresumsatz, den die etwa 3000 Mitarbeiter still und brav erwirtschaften. Der Sitz der Firma ist übrigens gleich ums Eck, in München.

Diese Adeligen! Wie sie doch alle irgendwie zusammenhängen. Der König Abdullah ibn Abd al-Aziz und die stillen Teilhaber der Waffenschmiede, ob es sich nun um „echte“ Adelige handelt mit einem „von“ vor dem Namen oder nur um Geld-Adelige. Ob der ehemalige Verteidigungsminister von und zu Guttenberg da wohl auch irgendwie zusammenhing? Komisch, dass der von und zu Guttenberg ausgerechnet über so nichtsnutzige, unadelige Internet-Freaks gestolpert ist, die eine unangenehme Wahrheit ans Licht brachten. Nämlich dass der Herr Verteidigungsminister ein Lügner und Betrüger war.

„Die Wahrheit“ ist übrigens auch einer der schönen Namen Gottes: Al-Haqq, die Wahrheit, die absolute Wahrheit sogar.

Eine Wesensart der Wahrheit ist, dass sie recht unangenehm sein kann. Sogar unschön. „Wahre Worte sind nicht schön. Schöne Worte sind nicht wahr …“ so heißt es in einem uralten chinesischen Weisheitstext, dem Dao-De-King.

Oh Gott! Wenn ich doch nur endlich zu meinem Faden zurückfinden könnte. Nämlich die Unruhe, die der König von Saudi-Arabien in mir auslöst mit seinen Ängsten. Der König scheint nämlich tatsächlich von krankhafter Ängstlichkeit ergriffen zu sein. Er hat zum Beispiel Angst vor Raif Badawi.

Wer ist Raif Badawi?

Die Bedeutung des Namens Raif ist: Der Sanfte, der Mitfühlende, der mit dem großen Herzen, der guten Rat gibt, der Wolf.

Raif Badawi ist 32 Jahre jung und gehört damit zu dem Drittel der saudischen Bevölkerung, das älter ist als 25 Jahre. Die anderen zwei Drittel sind demnach jünger als 25. Diese Jungen, das sind wunderschöne Menschen. Man sieht es auf dem Foto. Raif hat nämlich drei Kinder. Das Foto hat scheinbar Raifs Ehefrau geschossen, weil sie nicht mit auf dem Bild ist. Damals ging es der Familie vermutlich noch gut. Das muss vor mehr als 2 Jahren gewesen sein. 2012 wurde Raif nämlich verhaftet, im Juni 2013 wurde er zu 6 Jahren Gefängnis und 600 Peitschenhieben verurteilt, im Berufungsprozess im April 2014 wurde das Urteil dann verschärft auf 10 Jahre Haft und 1000 Peitschenhiebe. Und außerdem noch ungefähr 200.000 Euro Geldstrafe.

Die schreckliche Nachricht erreichte mich in einer winzigen Randnotiz der Süddeutschen Zeitung Anfang Mai. Seitdem ist es mit meiner Ruhe dahin.

Raif und sein König gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. 1000 Peitschenhiebe? Ich frage mich, wie das eigentlich gehen soll: Aha, nach meiner Recherche sollten beim ersten Urteil 4 mal je 150 Peitschenhiebe „verabreicht“ werden, mit jeweils 14 Tagen Zwischenaufenthalt im Krankenhaus. Mir wird so furchtbar übel, während ich das hier schreibe, dass mir die Freude an den schönen Sonnentagen hier in Deutschland schier vergeht.

Ehe man nun den Islam im Ganzen verurteilt, sollte man wissen, dass der schlechte Ruf des Islam vor allem von Saudi-Arabien ausgeht. In Saudi-Arabien herrscht eine islamische Sekte, die Wahabiten. Das heißt, offiziell herrscht der König. Aber die Wahabiten, die sind die eigentlichen Herrscher. Ohne die Wahabiten könnte der König nämlich seinen Thronsitz vergessen. Deshalb lässt der König die Wahabiten tun, was sie tun, nämlich solche Urteile fällen und solche Auslegungen des Koran verbreiten. Das hat zur Folge, dass die vielen jungen Menschen in Saudi-Arabien es sich gut überlegen, ob sie im Rahmen des arabischen Frühlings friedlich mit einem kleinen Fähnchen, wo „Freiheit“ draufsteht, auf die Strasse gehen. Es gibt natürlich immer ein paar Unerschrockene. Mehrere Hundert von denen sitzen jetzt im Gefängnis. Raif aber, der ist nicht nur mit einem kleinen Fähnchen auf die Strasse gegangen, sondern der hat es gewagt, im internet ein Netzwerk zu gründen. Ein internet-Netzwerk ist offenbar sowohl für die Wahabiten als auch für den König etwas, wovor man richtig Angst haben muss. Ein internet-Netzwerk könnte für die Machthaber in Saudi-Arabien gefährlich werden. In so einem internet-Netzwerk, da könnten die jungen Menschen auf eigene Ideen kommen. Zum Beispiel, dass die Menschenrechte eine gute Sache sind. Das hat Raif nämlich behauptet. Ich muss das wiederholen, sonst vergisst man es gleich wieder. Ja, tatsächlich, Raif hat gesagt, dass es Menschenrechte gibt und dass die eine gute Sache sind. Unfassbar! Und dass in den Menschenrechten drinsteht, dass „… alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind. Das hat Raif in seinem internet-Netzwerk diskutiert und gemeint, dass das für Muslime genauso wie für Juden oder für Christen gelten müsste. Genauso wie es ja dann in der Deklaration der Menscherechte weiter unten auch ausgeführt wird.

Daraufhin wurde er verhaftet, des „Abfalls vom Islam“ angeklagt, verurteilt und niemand weiß jetzt so genau, ob er eigentlich noch lebt, ob er die ersten 150 Peitschenhiebe schon erhalten und überlebt hat. Und wie es ihm geht. Wie es ihm wohl geht? Wie es seiner Frau und seinen Kindern wohl geht? Wie es seiner Mutter wohl geht? Wie es den jungen Menschen in Saudi-Arabien wohl geht? Ein anderer junger Saudi, Hamza Kashgari, sollte ja wegen eines Gedichts zum Tode verurteilt werden. Ja. Im Ernst. Weil er ein Gedicht im internet veröffentlich hat, ein wirklich wunderschönes Gedicht, das er anlässlich des Geburtstages des Propheten Mohammed intuitiv verfasst hat:

“1. An Deinem Geburtstag werde ich sagen, dass ich den Rebellen in Dir geliebt habe, dass Du mir immer eine Quelle der Inspiration warst und dass ich Deinen göttlichen Heiligenschein nicht mag. Ich werde nicht für Dich beten.
2. An Deinem Geburtstag sehe ich Dich, wo auch immer ich hinschaue. Ich habe bestimmte Aspekte von Dir geliebt, andere gehasst und viele nicht verstanden.
3. An Deinem Geburtstag werde ich mich nicht vor dir verbeugen und nicht Deine Hand küssen. Stattdessen werde ich sie schütteln, wie Gleichgestellte es tun. Und ich werde Dich anlächeln, wie Du mich anlächelst. Ich werde zu Dir wie zu einem Freund sprechen und nicht anders.”

Hamza, jung und voller (Über-) Mut, veröffentlichte das Gedicht auf twitter. Daraufhin wurde er von „den Rechtgläubigen“, seinen saudischen Mitbürgern mit Morddrohungen wegen Beleidigung des Propheten überschüttet. Erschrocken löschte er den Eintrag und kam zu dem Schluss, dass es wohl besser wäre, zu fliehen. Er ließ alles hinter sich und löste ein Ticket nach Malaysia. Aber die Religionspolizei der Wahabiten hatte bereits einen Haftbefehl erlassen und Malaysia, offenbar aus Angst um die „guten“ Beziehungen zu Saudi-Arabien lieferte Hamza bei seiner Ankunft am Flughafen aus. Auch interpol soll bei diesem „Spiel“ eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Nach 20 Monaten Haft ist Hamza nun aber doch frei. So habe ich kürzlich gehört. Vielleicht haben unsere Gebete ja doch geholfen. Ich habe nämlich sowohl Christen, als auch buddhistische Mönche, als auch Sufis gebeten, mit mir zusammen für Hamza zu beten. Wie es ihm jetzt geht, nach den 20 Monaten Haft, weiß ich allerdings nicht. Ich habe nur gehört, dass die Haftbedingungen in Saudi-Arabien „sehr besorgniserregend“ sein sollen. Ob Hamza jemals wieder Gedichte schreiben wird?

Diese Wahabiten. Die mögen nicht nur keine „Ungläubigen“, also Christen, Juden oder Buddhisten, die mögen auch keine Sufis. Obwohl die Sufis ja auch Muslime sind. Sufis sind nämlich eine ganz andere Sorte von Muslimen: Freie Mystiker, tolerant und freundlich. Das „Nicht-mögen“ mit den Wahabiten beruht durchaus auf Gegenseitigkeit, zumindest was mich betrifft. Obwohl ich ja als interspiritueller Mensch eigentlich auch Mitgefühl mit den Wahabiten haben sollte, fällt mir das sehr schwer. Wie kann man nur so verblendet sein? Können die nicht lesen? Im Koran steht doch schwarz auf weiß, dass Allah der All-Erbarmer ist, der Gnädige. Der Koran beginnt mit den Worten: Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes – “Bismillāhi r-rahmāni r-rahīm” (arabisch)

Wie 1000 Peitschenhiebe als Strafe dafür, dass Raif eine Diskussion über die Menschenrechte angestiftet hat, mit dem Gesetz Allahs, des All-Erbarmers und der Gnade schlechthin in Einklang zu bringen sein soll, das soll mir so ein Wahabit mal bitte erklären!

Aber offenbar gelingt es den Wahabiten, die öffentliche Meinung in Saudi-Arabien so zu manipulieren, dass die meisten Saudis glauben, was die ihnen vorkauen: dass das All-Erbarmen sich in 1000 Peitschenhieben ausdrückt. Ich glaube allerdings eher, dass die meisten Saudis vor allem Angst haben. Ich hätte auch Angst, wenn ich in Saudi-Arabien leben müsste. Ich krieg sogar Angst vor den Wahabiten, obwohl ich gar nicht in Saudi-Arabien lebe. Ein fanatischer Wahabit könnte mich entführen, weil ich mit diesem Artikel hier den König und den Propheten angeblich beleidigt habe. Man könnte mich einlochen, ich hätte keinen Anspruch auf Rechtsbeistand, kein Botschafter dürfte sich um mich kümmern, kein Übersetzer, ich kann doch kein Arabisch, und dann 1000 Peitschenhiebe…

500 Jahre später würden wir dann womöglich rehabilitiert, Raif, Hamza und ich. Und all die anderen. Und irgendein islamischer Mufti der Zukunft würde sich entschuldigen. So wie Ex-Papst Benedikt sich dann entschuldigt hat wegen der Hexenverbrennungen von damals. Die „heilige katholische Kirche“ war ja früher auch nicht gerade zimperlich im Verurteilen, im Foltern und Töten und im Ausüben von Macht und Interpretations-Hoheit. Das scheint eine schwere Krankheit von Religionen zu sein, wenn sie meinen, sie müssten unbedingt nach weltlicher Macht greifen.

König Abdullah hat ja Papst Benedikt am 6. November 2007 im Vatikan besucht. Hat Benedikt dem König nicht gesagt, wie peinlich das ist, wenn man sich mit hunderten von Jahren Verspätung für etwas entschuldigen muss, vor aller Welt, was man besser gar nicht erst getan hätte? Vor so einer Peinlichkeit schützen einen dann auch die 21 Milliarden Euro Privatvermögen nicht, die König Abdullah angeblich sein Eigen nennt. Vom Eigenkapital des Königs sollen die Leopardenpanzer dann aber nicht bezahlt werden. Die dürfen die jungen Leute von Saudi-Arabien schon selber aus ihrer eigenen Tasche bezahlen.

Ich werde dem Ex- Papst Benedikt einen Brief schreiben müssen. Vielleicht hat er gar nicht mitgekriegt, was mit Raif Badawi, dem Sanftmütigen, dem Wolf mit dem großen Herzen geschehen ist? Vielleicht kann Benedikt Raif retten? Immerhin haben Benedikt und der König schon mal miteinander geredet und immerhin ist König Abdullah so mächtig, dass er Menschen begnadigen könnte. Wenn er wollte. Dann kriegt er allerdings Stress mit den Wahabiten. Und sein Thron fängt an zu wackeln. Weil dann könnten plötzlich noch mehr von den zwei Dritteln Bevölkerung der unter 25-Jährigen in Saudi-Arabien auf die Idee kommen, mit Fähnchen in der Hand die Menschenrechte zu fordern. Freiheit und Würde!

Dann könnte der König halt wieder die Leopard-Panzer gebrauchen. Tja. Ich hoffe der Herr Gabriel bleibt standhaft. Keine Leoparden nach Saudi-Arabien! Nicht in die Hände der Wahabiten! Aber auch ohne Leopardenpanzer ist Saudi-Arabien Deutschlands bester Waffenkunde. Und die USA, die Hüter der Menschenrechte, sind ja auch sehr eng befreundet mit dem Königreich. Weiß der Teufel, warum. Naja, ich weiß schon, warum. Es ist halt wegen dem Öl.

Es ist alles sehr verwickelt und es ist sehr schwer, Raif und die anderen Gefangenen zu befreien. Ich kann es jedenfalls nicht. Aber wer weiß? Wenn wir schon sonst nichts tun können, vielleicht hilft beten? Und schreiben. Hamza ist jedenfalls jetzt frei! Vielleicht wird auch Raif bald frei sein! Und mit ihm die vielen Hundert, ach Tausend, ach Millionen Gefangenen, deren Geist gebrochen werden soll in den Gefängnissen und Folterkammern dieser Welt.

Dieser Welt, die hier und heute in Bayern so wunderschön ist. Trotz der Waffenschmiede in München.

Quellen:
https://www.amnesty.de/kurzinfo/2013/5/saudi-arabien
http://de.wikipedia.org/wiki/Saudi-Arabien
http://de.wikipedia.org/wiki/Dynastie_der_Saud
http://de.wikipedia.org/wiki/Krauss-Maffei_Wegmann
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/saudi-arabien-ist-deutschlands-bester-waffenkunde-a-934312.html
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europaeische_union/502612_Saudi-Arabiens-Koenig-als-Muezzin-der-Toleranz.html

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen