Eselsbrücke zur Heilung

 In Gesundheit/Psyche, Umwelt/Natur

EselFriedelTiere kennen viele nur als Befehlsempfänger, als essbare Mahlzeit, als schmückendes Beiwerk. Als Therapeuten können wir sie uns nur schwer vorstellen, denn dazu bedarf es doch eines „überlegenen Verstandes“ – oder? Nicht immer führen Grübeln und Dauerpalaver auf der Couch aber allein zum Ziel. Millionen Menschen können aus eigener Erfahrung bestätigen, wie wohltuend der Umgang mit Tieren ist. Sie beruhigen, trösten oder muntern auf – oft durch ihr bloßes Dasein, das keine Verstellung und keine Selbstzweifel zu kennen scheint. Freilich können verschiedene Tierarten verschiedene therapeutische „Funktionen“ übernehmen (z.B. Aktivieren oder Beruhigen). Die Mithilfe von heilerisch geschulten Tierbetreuern kann helfen, die Interventionen zielgerichteter zu gestalten. „Matrix 3000“ besuchte eine ganz besondere Eselfarm. (Roland Rottenfußer)

Pähl ist eine kleine bayerische Ortschaft, die sich vor allem durch eine malerische Schlucht, einen Wasserfall und dadurch auszeichnet, dass dort die Wiege von Fußball-Star Thomas Müller stand. Hinter eingezäunten Wiesen, Feldern und Baumgruppen erhebt sich in bläulichem Dunst das eindrucksvoll Panorama der nördlichsten Alpen-Gebirgskette. Wer ein Stück vom Ort entfernt in Richtung Ammersee wandert, der kann am Wegrand eine gar nicht so unheimliche Begegnung haben. Neun Esel weiden dort hinter Gattern oder lassen sich von der Vorfrühlingssonne bescheinen. Einige sehen aus wie aus dem Bilderbuch, klein und graubraun, die Augen weiß umrandet. Andere wirken wie eine völlig neue Spezies. Z.B. Esel „Friedel“, mit langem weißem Zottelfell, ähnlich einem tibetischen Yak.

Esel gehen nicht sofort auf Menschen zu, um sie zu begrüßen. Wenn sie sich nach fünf Minuten langsam auf jemanden zu bewegen, sich vielleicht einfach vertrauensvoll in seine Nähe stellen, ist das ein Beweis echter Sympathie. Dieser Besucher ist keine Gefahr für mich. Vorbereitung zur Flucht unnötig. Esel haben einen anderen Zeitbegriff als Menschen. Sie müssen nicht unzählige Aktivitäten in einen Tagesablauf pressen. Wer sich auf ihren besonderen Rhythmus, ihre vergleichsweise introvertierte, jedoch freundliche Ausstrahlung einlassen kann, spürt vielleicht schon beim Zuschauen eine leise Beruhigung seines Nervenkostüms.

Gewaltfreie Tierkommunikation

Anahid Klotz, Hüterin der „Eselfarm Asinella“, ist die erste Eselfarmerin, der ich begegne. Obwohl jeder diese Spezies kennt, die schon bei der Geburt Jesu, in Cervantes Roman „Don Quixote“ und der Zeichentrick-Serie „Shrek“ durch Anwesenheit glänzte, begegnet man selten einem Exemplar auf der Weide. Diese Tiere gelten im Vergleich mit Pferden und Kühen als schwer für menschliche Zwecke „verwertbar“. Anahid Klotz mochte Esel schon als Kind, erzählt sie, als wir uns nahe dem Eselgatter auf einer sonnenbeschienenen Brotzeitbank niederlassen. Eines Tages, als sie eine Wohnung auf einem Bauernhof bezogen hatte, bot sich für sie die Gelegenheit, einen ersten eigenen Esel anzuschaffen. Dem folgte sogleich ein zweiter, denn es wäre „unmenschlich“, ein solch geselliges Tier allein aufzuziehen.

Bald darauf besuchte Anahid einen Kurs in „natürlichem Horsemanship“, nach der Methode von Pat Parelli. Dessen Herangehensweise zeichnet sich durch einen einfühlsamen und naturnahen Umgang mit Pferde aus. Der Mensch nähert sich den Tieren nicht so sehr als aggressiv-dominanter „Herr“, sondern so wie Pferde untereinander kommunizieren: kameradschaftlich und respektvoll. Durch eine Form „gewaltfreier Kommunikation“ werden die Tiere dazu gebracht, ohne Zügel und Zwangsmaßnahmen vom Menschen gewünschte Verhaltensweisen zu entwickeln. Das bei Parelli Gelernte musste natürlich nun auf Esel übertragen werden: „Donkeymanship“. In einem „schleichenden Prozess“ kam die Esel-Mutter dann auf die Idee, ihre Lieblingstiere auch therapeutisch einzusetzen, während ihre Herde allmählich auf neun Exemplare anwuchs.

Therapie mit Hund, Pferd und Schaf

Gefallen hat Anahid Klotz dabei u.a., dass die Arbeit mit den Tieren stets im „Heute, hier und jetzt“ stattfindet. Dies erlöst uns teilweise von unseren Gedankenmustern, die stets von Vergangenheit und Zukunft gejagt werden. Eines Tages kam eine Bekannte auf die Eselfarm, die eine schwerstbehinderte Tochter hatte. Diese freundete sich spontan mit Esel „Eddie“ an und blühte in seiner Gegenwart sichtlich auf. Der nächste Schritt war ein Kindergeburtstag mit Eseln, ein voller Erfolg bei den tierbegeisterten Sprösslingen. Das sprach sich herum, und irgendwann kamen so viele Anfragen, dass sich Anahid Klotz entschied, ihren Job in Augsburg aufzugeben und aus Ihrem Esel-Hobby einen Beruf zu machen. Gewerblich gibt es die Eselfarm nun schon seit 2005.

„Tiergestützte Therapien“ sind in der Landschaft alternativer Heilmethoden mittlerweile eine feste Größe. Grundsätzlich ist dies mit allen domestizierten Säugetierarten schon mal ausprobiert worden. Neben den Klassikern Hund und Pferd gibt es Experimente mit Schweinen, Ziegen, Kühen, Kaninchen, Katzen und Alpakas. Eine psychiatrische Klinik in Schleswig ließ Schafe vor den Patientenzimmern weiden. Die Erfahrungen waren durchweg gut: „Es gibt traumatisierte Frauen, die wollen nicht mit uns reden“, berichtet ein Arzt. Bei Schafen gelinge es ihnen jedoch, sich zu öffnen. „Sie meinen, Tiere täuschen und enttäuschen nicht wie Menschen.“ Zu den offensichtlichen wohltuenden Wirkungen des Umgangs mit Tieren gehören:

– Der „Zwang“, sich im Freien zu bewegen (Hundespaziergang).
– Die Notwendigkeit, über einen längeren Zeitraum Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen (fördert z.B. Kinder).
– Die Art wie Tiere vorbehaltlos und ungekünstelt Zuneigung verschenken (vor allem Hunde).
– Eine ansteckend beruhigende Ausstrahlung durch gelassenes Sosein der Tiere (z.B. Katzen).

Esel sind die besseren Menschen

Daneben gibt es aber spezielle therapeutische Interventionen, die ausgebildetes Personal erfordern. Die Hippo-Therapie (Pferde-Therapie) wird z.B. meist auf eine körperlich-orthopädische Wirkung hin angewandt. Es handelt sich um eine Art Krankengymnastik auf dem Pferderücken. Der Patient lernt, durch unwillkürliche Muskelanspannung auf die Geh-Bewegungen der Tiere zu reagieren, was seine Kraft und seinen Gleichgewichtssinn stärkt. Einen etwas anderen Charakter hat das „Heilpädagogische Reiten“, bei dem es eher um die psychische Förderung „verhaltensauffälliger“ Personengruppen (z.B. Behinderter und Jugendlicher) geht. Dabei spielt die therapeutische Absicht bei der Auswahl der Tierspezies eine große Rolle. Hunde z.B. agieren normalerweise sehr zugewandt und fordernd, was hilft, emotionale Barrieren schnell aufzuweichen.

Bei Eseln spielt das Reiten eine eher untergeordnete Rolle. Diese Tiere vertreten eine Menge „Werte“, von denen man sich wünschen würde, dass Menschen sie übernähmen. Z.B. denken sie im Gegensatz zu Hunden nicht hierarchisch. Ihre Beziehungen beruhen auf Kameradschaft und Gleichrangigkeit. Befehlen folgen sie nicht, sie wollen überzeugt werden. Menschen untereinander achten viel auf Rang und Qualifikation. „Ich fühle mich erst wohl, wenn ich weiß, was der gelernt hat, was er verdient, ob er ein Haus oder eine Mietswohnung hat“, erklärt Anahid Klotz. Ein Esel dagegen „sieht die Qualität an jemandem. Da kann ein Manager kommen, der eine halbe Million im Jahr verdient, der aber keinen Zugang zu dem Tier hat. Und dann kommt ein Kind, vielleicht aus einer stark vernachlässigten Familie, das sofort einen fantastischen Zugang zu Eseln hat.“

Einfühlung erlernen, Selbstbewusstsein tanken

Menschen, die mit schweren Traumata belastet sind, können bei Eseln viel „Selbstbewusstsein tanken“. Es entstehen regelrechte Freundschaften, die über Jahre andauern. Kranke und behinderte Menschen stellen sich z.B. ein Bild ihres Lieblingsesels auf den Nachttisch und fühlen sich dadurch gestärkt. „Patienten“ eines Esels können Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren werden, gesunde wie kranke Menschen. Selbst chronisch und unheilbar Kranke kommen auf die Eselfarm, bei denen man versucht, wenigstens Verschlimmerungen ihres Zustands aufzuhalten. „Das Schöne an einem Esel ist, dass er von Haus aus mehr Ruhe in seinem Gemüt hat“, lobt die Farmerin ihre Schützlinge. Kleinere Esel wirken durch ihre Körpergröße im Vergleich Pferden zugänglicher, weniger bedrohlich.

Sich zurückziehen, abwarten, beobachten: diese an sich sinnvollen Verhaltensweisen haben in unserer Gesellschaft einen geringen Stellenwert. Kommt eine neue Person in eine Gruppe, wird erwartet, dass man die Vorsicht hintanstellt und den Neuling sofort mit offenen Armen aufnimmt – für Esel undenkbar. Öffnung gegenüber anderen Menschen und Rückzug, wenn Vertrauen missbraucht wird – auch dies kann ein Thema bei „Asinotherapien“ sein. Häufig wird die Auswahl des Therapietieres auch von solchen Erfahrungen und charakterlichen Eigenheiten mit beeinflusst. Jede Tierart kann einem Menschen etwas geben – vor allem durch die völlige Abwesenheit von Verstellung und Manipulation. Es könnte aber sein, dass extrovertierte Menschen besser bei Pferden oder Hunden, scheue Personen dagegen besser bei Eseln aufgehoben sind. Angst und Bindungsangst, Vertrauensverlust, mangelndes Selbstbewusstseins gehören zu den häufigen Indikationen für die Arbeit mit Eseln.

Partner, nicht Befehlsempfänger

In Führungskräfte-Seminaren mit Pferden wird oft gelehrt, dass der Mensch einen besonders starken, klaren Willen mitbringen müsse, um das Tier richtig zu führen. Es zeigt sich hier ein ausgeprägtes Effizienz- und Hierarchiedenken, das mehr über Menschen als über Tiere aussagt. Willensstärke wird trainiert, um hinterher vielleicht im Büro auch Menschen besser „dressieren“ zu können. Anahid Klotz ist solchen „Therapieansätzen“ gegenüber skeptisch und empfiehlt Gelassenheit. „Eine der schönsten Übungen für Pferde ist, sich auf dem Sandplatz auf den Boden zu legen und sich zu sonnen“, erzählt sie aus ihrer Erfahrung mit dieser Tierart. „Ist es genügend ausgeruht, kann man ihm auch mal wieder eine Aufgabe stellen, die ihm Spaß macht. Das Pferd soll lernen, Partner zu sein und nicht Befehlsempfänger.“ Dieses Prinzip funktioniert natürlich bei Eseln mindestens genauso gut.

Im Horsemanship gibt es Werkzeuge, die feiner sind und mehr Selbstverantwortung abfragen, als dies im konventionellen Betrieb üblich ist. Bei den Eseln verwendete Anahid Klotz nur dünne Halfter und Führseile. „Wir machen z.B. gern Übungen zum Thema Verbindungen halten und aufbauen.“ Dazu gibt sie den Klienten zuerst dicke, kurze Führseile. Diese werden dann immer länger und immer dünner. Zum Schluss gibt es überhaupt kein Seil mehr. Trotzdem geht der Esel mit dem Klienten mit, hört sogar besser auf ihn als mit Seil. Denn die mentale Beziehung, die ohne „Zwangsmaßnahmen“ zwischen Tier und Mensch aufgebaut wird, ist weitaus stärker. In der konventionellen Tierhaltung gibt es leider oft schlimme Auswüchse, z.B. Eselhalfter mit eingearbeiteten Dornen.

Lernen, es schaffen zu können

Die Asinella-Farm arbeitet u.a. mit Herzpatienten aus einer Reha-Klinik zusammen. Nach einer absolvierten Esel-Wanderung meinte ein Patient erstaunt: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so weit gehen könnte“. Der Esel bietet seinen Begleitern ein verlässliches, gleichmäßiges Tempo an. Ein Jugendlicher mit Lähmungserscheinungen und Gleichgewichtsproblemen schaffte es mit Hilfe des „Donkeymanship“, sich nach und nach immer gleichmäßiger zu bewegen. Er lernte, nicht so schnell aufzugeben und seine Übungen wirklich zu Ende zu bringen. Sehr erfolgreich war der Einsatz der Langohren auch bei einer Frau, Ende 20, mit großen sozialen Problemen, die durch eine psychosoziale Krankheit ausgelöst wurden. Sie konnte sich von ganz unten wieder aufraffen, hat mittlerweile eine eigene Wohnung und einen Job. Eine Krebspatientin konnte allein aufgrund einer Esel-Wanderung Hilfe erfahren. „Es war so wohltuend, diesen Esel neben sich gehen zu sehen.“ Die Patientin lernte: „Wenn ich das schaffe, kann ich noch ganz andere Sachen schaffen“.

Der Esel ist dabei immer nur Teil einer umfassenderen Therapie. Häufig schlagen Psychotherapeuten und Sozialpädagogen das Programm bei „Asinella“ als ergänzende Maßnahme vor und sind dann bei den Übungen immer mit dabei. Bei allen therapeutischen Erwägungen muss darauf geachtet werden, dass das Wohl von Mensch und Tier einander ergänzen. Es ist keine Tierliebe, wenn unsere Mitgeschöpfe quasi am Nasenring durch die Manege gezogen und zu unnatürlichen Verrichtungen gezwungen werden. Nur gesunde Tiere, denen es gut geht, können eine heilsame Ausstrahlung entwickeln.

Esel Friedel jedenfalls scheint sich pudelwohl zu fühlen. Neugierig und kontaktfreudig kommt er auf mich zu und lässt sich an der zotteligen Stirn streicheln. Ich nehm’s als Kompliment, denn weder meine Kleidung noch meine journalistischen Fähigkeiten oder die Aussicht, in die Zeitung zu kommen, hätten dieses Tier irgendwie beeindrucken können. Esel lügen nicht

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen