Krieg, neuer Faschismus und ein kastriertes Parlament
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
Erst haben Sie die Öffentlichkeit getäuscht, der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion würde automatisch Kommissionspräsident.
Dann wackelt die Kanzlerin weg von Herrn Juncker und setzt sich dem Erpressungsmanöver des David Cameron aus, der für seine britische Bankenlobby noch mehr aus der EU herausholen will, um dann auf dem Katholikentag wieder ein wenig in Richtung Juncker zurück zu wackeln.
Die Tagesschau sagt zu diesem Geschacher: „Erst einigen sich die großen Parteifamilien auf Spitzenkandidaten, … und jetzt wird ein Betrug in aller Offenheit geplant.“
Seit 5 Jahren schlagen Sie alle Empfehlungen der Linken in den Wind, aus diesem Europäischen Parlament ein wirkliches Parlament zu machen. Dort würde sonst jetzt nämlich einfach gewählt werden.
Aber Sie wollten ein kastriertes Parlament, wie die Kastration des europäischen Traums – nämlich diese EU. Ich zitiere den EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor: «Angesichts von beinahe 26 Millionen Arbeitslosen müssen wir für den Moment schlussfolgern, dass die soziale Krise weitergeht.»
Wie anders färbte Herr Gauck die Krise schön und die Jugendarbeitslosigkeit gestern in Portugal. Der Bundespräsident spricht für die Menschenrechte der Gläubiger. Für die Gläubigen hingegen und die wirklichen Menschenrechte sprach jüngst Papst Franziskus: „Wir schließen eine ganze Generation aus, um ein Wirtschaftssystem aufrecht zu erhalten, das nicht mehr zu ertragen ist.“
Ja, diese Krise ist nur gegen den Finanzkapitalismus zu lösen.
Irgendwann wollte Sigmar Gabriel die Trennung von Spekulations-Banking und klassischem Kreditgeschäft sogar mal zum Wahlkampf-Thema machen. Hoppla, dachte ich als früheres SPD-Mitglied, Sigmar hat an sich herunter geschaut und eine sozialdemokratische Wurzel gesehen.
Aber dann fand das im Wahlkampf überhaupt nicht statt – kein Plakat, gar nichts, und im Koalitionsvertrag erst recht nichts vom Trennbankensystem. Und jetzt in der EU bleibt es bei der Macht der fünf Großbanken und der drei Ratingagenturen, die sich großspurig wie eine Gottheit „die Finanzmärkte“ nennen und für die Frau Merkel von der Demokratie „Marktkonformität“ fordert.
Aber es sind doch gerade die EU-Staaten, denen Sie am meisten das Soziale kaputt gekürzt haben, deren Staatsverschuldung danach am allerhöchsten gestiegen ist. Hören Sie wenigstens einmal richtig hin wenn Linke mahnen.
In der letzten Sitzungswoche taten Sie empört, als meine Kollegin Dagdelen Brecht zitierte. Ich wiederhole das, mit Genehmigung des Präsidenten, aus „Das Leben des Galilei“: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“
Kein Kollege darf einen anderen hier Verbrecher oder Dummkopf nennen und das hat auch niemand getan. Aber selbst das Bürgerliche Gesetzbuch unterscheidet zwischen unwissentlichen und bewußten Falschaussagen.
In diesem Sinne wollen wir als kleine Opposition Sie wenigstens etwas bösgläubiger machen gegenüber dem Faschismus – nicht nur in der Ukraine, sondern in weiten Teilen Europas. Und jetzt können Sie entscheiden, ob Sie das verdrängen, niederschreien, verharmlosen, die Wahrheit eine Lüge nennen. Oder es vielleicht sogar widerlegen, wenn wir uns irren.
Ich wiederhole ein paar Fakten:
Erstens: es sind immer noch vier Minister in der ukrainischen Regierung lupenreine Faschisten.
Zweitens: Die EU unterstützt das! Was der Sozialdemokrat Günther Verheugen jüngst einen Epochenbruch nannte.
Drittens: Die Swoboda-Partei hat bei der Präsidentenwahl zwar nur 2 Prozent bekommen, aber der nicht minder rechtsextreme Kandidat Oleg Ljaschko hatte 8 Prozent.
Viertens: Der Generalstaatsanwalt, ein Faschist der Swoboda-Partei, ist zwar vom Präsidenten Poroschenko abberufen, aber hernach sofort zum Präsidentenberater gemacht worden.
Fünftens: Im April wurde im Kiewer Zentrum für zeitgenössische Kunst von sogenannten Maidan-Künstlern der „Ukrainische Kulturfront“ eine Ausstellung mit dem Titel „Vorsicht Russen“ eröffnet. Dort werden russische Menschen in Tierkäfigen mit einem Schild „Bitte nicht füttern“ gezeigt.
Sechstens: Mehrere Holocaust-Gedenktage mussten in der Ukraine abgesagt werden, Rabbiner, wie Rabbi Cohen, wurden auf offener Straße verprügelt.
Siebtens: In Riga, in Lettland, wurde gerade eben ein funkelnagelneues Denkmal für die Waffen-SS errichtet.
Wenn das alles keine Lügen sind, dann müssen Sie ihre Politik zu diesen Faschisten ändern.
Wie lange warnen wir hier als linke Opposition auch vor Krieg und Waffenlieferungen? Als Sie noch Präsident Maliki im Irak unterstützt haben, während er die Sunniten gezielt diskriminiert hat, warben wir für eine Regierung der Versöhnung und des Runden Tisches.
Sie haben die Opposition gegen Assad hochgejubelt. Jetzt schreibt selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung: „Tatsächlich stellt die Opposition in Syrien für viele Syrer keine vertrauenswürdige Alternative zu Assad dar.“
Wir haben vor Waffenlieferungen in die Türkei gewarnt. Dort bekommen die ISIS-Kämpfer Unterschlupf gewährt und wurden mit Waffen gestopft. Desgleichen von den mit Deutschland befreundeten Golfmonarchien Katar, Kuweit und Saudi Arabien – alles „gute“ Kunden deutscher Waffenexporteure.
Und jetzt, wo schon 4.600 Soldaten in 17 Auslandseinsätzen aktiv sind, charmiert Frau von der Leyen für den Paradigmenwechsel noch weiter weg von Willy Brandts Friedenspolitik. Und Pfarrer Gauck, diese „Worthülse im Patronengürtel der NATO“, wie ihn mein Leipziger Kabarett-Kollege Meigl Hoffmann genannt hat, sagt – und ich zitiere jetzt sehr genau: dass es „früher eine gut begründete Zurückhaltung“ gegen Militäreinsätze gegeben habe, die die Deutschen jetzt „vielleicht ablegen“ könnten.
Es ist gespenstisch, wohin die Große Koalition und dieser Bundespräsident Grundgesetz und NATO-Einsätze noch hin dehnen möchten.
Ich zitiere noch einmal Papst Franziskus zum Thema Rüstungskapital:
„Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen“
Wenn Sie auf uns schon nicht hören – hören Sie auf den! Krieg wird nicht für Menschenrechte, sondern für Profite geführt. Im 100. Jahr nach dem 1. Weltkrieg bleibt es dabei: Nieder mit Krieg und Faschismus!