Meinungsfreiheit bei der HNA

 In Holdger Platta
Autor Holdger Platta

Autor Holdger Platta

Waffenexporte: wie die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ mit kritischen Leserbriefen umgeht / Das ist mal etwas ganz besonders Passendes für eine Website, die sich “Hinter den Schlagzeilen” nennt. Natürlich, keine weltbewegende Geschichte, aber eine kleine Geschichte aus dem Alltag unserer “Demokratie” – die eben manchmal (manchmal?) keine Demokratie mehr ist. Ein Beitrag von Holdger Platta

Am 28. August, einem Donnerstag, mochte ich meinen Augen nicht trauen. Als ich den überregionalen Leserbriefteil meiner Tageszeitung, der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen (HNA)“, aufschlug, las ich dort, sogar als Aufmacher angekündigt unter dem Titel „Kleinkarierte Bedenkenträger“, die folgende Leserzuschrift eines Herrn Herbert Gaiser aus München. Thema war, wie bei den meisten überregional abgedruckten Leserbriefen an diesem Tag auch, der eventuelle Export von Waffen durch die Bundesrepublik an die Kurden im Nord-Irak:

„Die deutsche Volkskrankheit hat wieder zugeschlagen! Kleinkarierte bürokratische Bedenkenträger reden im Bundestag, anstelle von verantwortungsbewusstem sofortigen Handeln, während die bestialischen Mörderbanden des IS im Irak unvermindert weiter wüten. Warum zeigt sich hier nur das hässliche Gesicht der Deutschen? Wie Nietzsche schon erkannte, ist der Deutsche in Notzeiten zu überragenden Leistungen fähig, im Wohlstand jedoch verkommt er zum egoistischen Jammerlappen. Helft endlich den Kurden mit Waffen und bringt die kleinkarierten Bedenkenträger zum Schweigen.
Herbert Gaiser
München“

Daß sich ein Leser für Waffenlieferungen an die Peschmerga ausspricht, ist hinzunehmen. Daß er sich dabei auf den fragwürdigsten Teil der Nietzsche-Philosophie beruft, auf dessen Theorie zum „Übermenschen“, mutet schon fragwürdiger an. Daß er aber, dieser tapfere Leserbriefschreiber vom Isar-Strand, einfach mal so die Aufforderung formulieren durfte, in einer ansonsten eher sozialdemokratisch-orientierten Tageszeitung (Auflage: rund 180.000 Stück), daß den OppositionspolitikerInnen im Bundestag das Rederecht abgesprochen werden sollte (und offenbar allen ähnlich gesonnenen Menschen in der Bundesrepublik gleich mit), diese Aufforderung zum Verfassungsbruch mochte ich nun doch nicht so einfach hinnehmen. Kam hinzu (auf den ersten Blick schien’s noch weniger wichtig zu sein): wieso meldet sich in einer Tageszeitung mit Verbreitungsgebiet Nordhessen und Südniedersachsen ein Leserbriefschreiber aus München zu Wort?

Nun, was das Ergebnis meiner entsprechenden Recherchen betrifft, verweise ich auf meinen Leserbrief, den ich noch am gleichen Tag an die HNA-Leserbriefredaktion schrieb. Und auch meine Meinung, so denke ich, war dieser Zuschrift deutlichst zu entnehmen. Hier also meine Antwort, ebenfalls vollständig zitiert:

“Ja, geht’s noch? – Herbert Gaiser aus München, seit 56 Jahren CSU-Mitglied, fordert in seinem Leserbrief in der HNA vom 28. August, daß man “die kleinkarierten Bedenkenträger”, die sich im Bundestag gegen Waffenlieferungen an die Kurden ausgesprochen hätten, “zum Schweigen” bringen solle. Vielleicht auch noch die rund 70 Prozent aller Deutschen, die ebenfalls gegen diese Waffenexporte sind?
Ich selber habe zu dieser Frage längst noch nicht ein endgültiges Urteil (würde allerdings den Einsatz von UNO-Truppen zum Schutz der Menschen im Nordirak eindeutig vorziehen), aber was das vormalige Mitglied des Bayerischen Landtags Herbert Gaiser da gefordert hat, ist nichts anderes als die Abschaffung des Artikels 5 aus unserem Grundgesetz (= “Meinungsfreiheit”) sowie die Beseitigung des Rederechts für Politiker im Deutschen Bundestag, deren Meinung Herrn Gaiser nicht in den Kram paßt.
Ich bin allen Ernstes der Ansicht, daß derlei verfassungswidrige Ansichten von der HNA nicht hätten veröffentlicht werden dürfen. Und kann nur hoffen, daß der HNA mit der Veröffentlichung dieses Leserbriefs schlicht ein Versehen unterlaufen ist.
Sonst wäre das in der Tat ein böser Witz: im Namen der “Meinungsfreiheit” einen Leserbrief abzudrucken, der für die Mehrheit der BundesbürgerInnen Beseitigung der Meinungsfreiheit fordert – und für alle unliebsamen PolitikerInnen im Bundestag gleich mit.
Holdger Platta
Sudershausen”

Nun, das Erstaunliche geschah: die HNA bot auch mir – dem Kritiker von Herrn Gaiser wie dem Kritiker der HNA-Leserbriefredaktion – ihre überregionale Leserbriefseite zur Publikation meiner Zuschrift an. Bereits am Samstag, den 30. August, konnte man daher meine Kritik an diesem Freiheits-Kritiker lesen. Doch was kürzte man aus meinem Leserbrief heraus? – – – Sämtliche Hinweise auf den politischen Hintergrund dieses Herrn Gaiser. Hier also vollständig die unvollständige Version meines Leserbriefs, die an fünf Stellen parteibrav zusammengestrichene HNA-Schrumpfausgabe meiner Zuschrift:

„Ja, geht’s noch? – Herbert Gaiser aus München (…) fordert in seinem Leserbrief in der HNA vom 28. August, dass man „die kleinkarierten Bedenkenträger“, die sich im Bundestag gegen Waffenlieferungen an die Kurden ausgesprochen, hätten, „zum Schweigen“ bringen solle. Vielleicht auch noch die rund 70 Prozent aller Deutschen, die ebenfalls gegen diese Wafffenexporte sind?
Ich selber habe zu dieser Frage längst noch nicht ein endgültiges Urteil (…), aber was (…) Herbert Gaiser da gefordert hat, ist nichts anderes als die Abschaffung des Artikels 5 aus unserem Grundgesetz („Meinungsfreiheit“) (…).
Ich bin allen Ernstes der Ansicht, dass derlei verfassungswidrige Ansichten von der HNA nicht hätten veröffentlicht werden dürfen. (…)
Holdger Platta,
Sudershausen“

Nun, HdS-LeserInnen wird nicht überraschen, daß ich dieses Herauszensieren aller Informationen zum parteipolitischen Hintergrund des Herrn Gaiser nicht einfach so hinnehmen mochte. Also schrieb ich noch ein zweites Mal an die HNA (und wie ich inzwischen weiß, auch andere LeserInnen taten dies). Doch: verwundert es, daß alle diese Zuschriften nicht mehr veröffentlicht wurden? Und es demzufolge beim Wegzensieren aller Informationen blieb, die den parteipolitischen Background dieser scheinbar gänzlich privaten Zuschrift ans Tageslicht gebracht hätten (nebenbei: Herbert Gaiser scheint mittlerweile seinen Lebensabend, nach Absolvieren seiner CSU-Landtagszugehörigkeit, aufs ausgiebigste mit Leserbriefschreiben zu verbringen, und zwar bundesweit: lest Euch gegebenenfalls selber mal im Internet schlau)?

Hier also zusätzlich noch Ausschnitte aus meinem zweiten Leserbrief an die HNA:

„Sehr geehrte Damen und Herren,
es ehrt Sie, daß Sie meinen Leserbrief abgedruckt haben, obwohl er doch auch Ihre Entscheidung mitkritisierte, die Zuschrift des Herrn Gaiser aus München mit seiner verfassungswidrigen Forderung abzudrucken.
Ich verstehe auch gut, daß Leserbriefe Kürzungen ‘erdulden’ müssen. Dennoch finde ich höchstproblematisch, daß Sie mit großer Konsequenz alles rausgestrichen haben, was auf den parteipolitischen Hintergrund des Herrn Gaiser verweist.
Diese Tatsache gab und gibt dieser verfassungswidrigen Auffassung doch erst ihr eigentliches Gewicht: daß nicht von irgendeinem braunen Stammtisch her einfach mal so Artikel 5 und das Rederecht der Oppositionsparteien im Bundestag (auch das, leider, wurde rausgekürzt!) in Frage gestellt wurde, sondern von einem ‘gestandenen’ CSU-Politiker, der selber mal einem Parlament – dem Bayerischen Landtag – angehörte und viele Jahrzehnte Politikerfahrung auf dem Buckel hat. Kein heuriger Hase also…
Ich jedenfalls meine, daß nicht einfach mal so eine Partei durchs Rauskürzen wichtiger Informationen von einer Leserbriefredaktion hätte geschützt werden darf. Sie sehen sich doch nicht in irgendeiner Abhängigkeit von der CSU bzw. in irgendeinem Verpflichtungsverhältnis dieser Partei gegenüber???
Äußerungsfreiheit, die man ernstnimmt, sieht anders aus! Das war Eingriff in die politische Substanz meiner Zuschrift.
Mit freundlichen, aber durchaus auch verärgert-enttäuschten Grüßen,
Ihr Holdger Platta“

Wie gesagt: d a s wurde natürlich nicht mehr veröffentlicht. – Natürlich? – Und auch auf eine sonstige Antwort der Leserbriefredaktion habe ich ‚natürlich’ vergebens gewartet. Was ‚natürlich’ auch eine Antwort ist.

Formulieren wir’s so: Äußerungsfreiheit eines CSU-Mitgliedes und Äußerungsfreiheit eines Holdger Platta ohne Parteizugehörigkeit – das ist doch wahrlich zweierlei. – Aber sieht so demokratische Öffentlichkeit aus? Das öffentliche Gespräch der Freien und Gleichberechtigten?

Ich frage ja nur.

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