Spätnachts am Ufer der Spree
Furchtbares Geheimnis gelüftet! Verrat eines unbekannten Informanten aus Berlin!
Stefan Freiwaldau ©
Das Treffen kam unter konspirativen Bedingungen zustande. Dort, wo es an der Spree am dunkelsten ist, unter einer Brücke weit draußen im Osten der Stadt, spät in der Nacht, als sogar der Berliner Autoverkehr für sechzig Minuten zur Ruhe gekommen war, traf unser Sonderkorrespondent vor knapp sechsunddreißig Stunden einen Informanten, der unbekannt bleiben will.
Tatsächlich, es regnete, wie man es von solchen Geheimtreffen kennt, man vernahm aus weiter Ferne auch das Maunzen einer Katze, das bei solch düsteren Begegnungen üblich ist, und selbst der obligate Schatten war zu erahnen, drüben hinter dem einen Fenster im Hochhaus, gleich hinter der Mauer aus uraltem Backstein – ein Schatten, der sich nur wenig bewegte in dem schwach erleuchteten Zimmer hinter dem zugezogenen Fenstervorhang. Doch was teilte der unbekannte Informant unserem Sonderkorrespondenten mit? – – –
Es gäbe eine neue Nichtregierungsorganisation in Berlin, eine „NGO“, eine „Non-Governmental Organization“, eine geheime Organisation mit völlig neuem Auftrag, eine Vereinigung, die bereits jetzt Milliarden von Euros beiseitegeschafft habe, ohne bisher von der Polizei entdeckt und enttarnt worden zu sein. Und um welche kriminelle Bande handelt es sich? Wer sind deren mächtigste Mitglieder, wer ist deren Chef?
Wir werden diese Fragen beantworten. Vorweg aber dieses noch – wichtige Aufzeichnungen aus dem Notizbuch unseres Sonderkorrespondenten:
„Nichtregierungsorganisationen“ – so nenne man im internationalen Sprachgebrauch all jene Verbände, die als BürgerInnenvertretungen Einfluß zu nehmen versuchten auf nationale oder internationale Politik.
Weltweit anerkannte und renommierte Organisationen zählten zu diesen Initiativen: „Greenpeace“ zum Beispiel, „attac“ oder „amnesty international“. Organisationen, die sich auszeichneten dadurch, daß sie tätig seien, wirklich tätig seien, also arbeiteten – tatsächlich arbeiteten für die Interessen von BürgerInnen im eigenen Land oder in der ganzen Welt.
Doch diese neue Geheimorganisation, die im letzten Jahr gegründet worden sei, im düstereren Dezember 2013, habe sich ganz andere Aufgaben gestellt und für sich den Begriff der „Nichtregierungsorganisation“ ganz neu definiert: sie schanze sich Monat für Monat dickste Gehälter zu, den Anstieg ihrer Diäten zum Beispiel, sie steige in die dicksten Autos ein, vor unser aller Augen, Tag für Tag, sie täte sich dicke mit allem, was sie so von sich gäbe – und sie gäbe unendlich vieles von sich! -, aber sie, diese „Nichtregierungsorganisation“, sei die erste Vereinigung, welche diesen Begriff ganz wörtlich nähme: sie sei eine Organisation, die nicht regiere, beziehungsweise präziser noch: eine Regierung, die nichts, aber auch gar nichts zustandebringe, eine Regierung, die nichts, aber auch gar nichts für uns Bürgerinnen und Bürger tut. Es handele sich um – – – die seit dem düsteren Dezember 2013 im Amt befindliche schwarz-radieschenrote Koalition zu Berlin! Kurz: erstmals auf der Welt sei eine Regierung Nichtregierungsorganisation. Aufgrund Untätigkeit!
Natürlich – dies unser Kommentar -, von Wertschätzung, wie sie etwa „Greenpeace“, „attac“ und „amnesty international“ zuteil wird, national wie international, kann im Falle dieser Nichtregierungsorganisation keine Rede sein. Und schon gar nicht, es sei nochmal wiederholt, daß diese Nichtregierungsorganisation irgendetwas für irgendwelche Bürgerinnen oder Bürger in unserem Land täte. Sie, diese Nichtregierungsorganisation, ist einfach nur da, sie sackt einfach nur Pinunse ein und tut einfach nur nichts.
Selbstverständlich, sie entfaltet zahlreiche Scheinaktivitäten nach außen hin: sie sorgt sich – wie bereits erwähnt – um das Wachstum der Geldscheinmassen in den eigenen Safes und steckt auch befreundeten Industriebossen in Riesenmassen Geldscheine zu, sie reitet Scheinattacken gegen die Probleme der Welt, sie erweckt unaufhörlich den Anschein hektischster Betriebsamkeit. Aber tatsächlich – im Sinne des echten „Regierens“ – tut sie gar nichts. Wie gesagt: eine „Nichtregierungsorganisation“, eine NGO, im allerwörtlichsten Wortsinn. Das allermerkwürdigste jedoch: an der Spitze dieser geheimen kriminellen Nichtregierungsorganisation steht kein Mann, kein Pate also à la Marlon Brando oder wenigstens ein Ronald Reagan, dieser vormalige B-Pictures-Held aus Hollywood, sondern eine Frau – was selbst eingefleischte Spezis der italienischen Mafia oder Camorra erbleichen läßt.
Entsprechend bleich – wie man begreifen wird – verließ auch unser Sonderkorrespondent diesen geheimen Treffpunkt am Ufer der rabenschwarz funkelnden Spree. Der Schatten drüben am Hochhausfenster war verschwunden, das Licht hinter dem Vorhangstoff schon lange gelöscht, die Katze in weiter Ferne gab keinerlei Wehgeschrei mehr von sich, und selbst der heftige Regen hatte aufgehört, als unser Mann die düsteren Treppenstufen nach oben stieg, um in sein Büro zurückzukehren, in dieses billige Berliner Büro mit der ewig verbrauchten Luft und der Whiskyflasche links unten im Schreibtisch. Unser Sonderkorrespondent hatte einen Blick in den Abgrund getan: einen Blick nach ganz oben – dorthin, wo unsere Nichtregierungsorganisation thront, dorthin, wo das Wort „Regierung“ direkt von „gieren“ kommt und „Chefin“, dieser Begriff, ganz sicher von „scheffeln“. Für 25 Euro plus Spesen pro Tag hatte unser Sonderkorrespondent eines der größten Geheimnisse unserer Republik gelüftet. Nun warten die obligaten Prügel auf ihn.